mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Das "Einsteller-Modell" für die Bereitstellung von Therapiepferden
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2011
Marion Drache
Sabine Schickendantz
Die Ausstattung von Reittherapie-Zentren mit geeigneten Pferden ist oftmals schwierig und kostspielig, vor allem, wenn das gesamte Spektrum von Förderung und Therapie mit dem Pferd angeboten werden soll und viele, möglichst verschiedene Pferde benötigt werden. Die Pferde müssen entweder von den jeweiligen Zentren finanziert werden oder sie befinden sich im privaten Besitz der Therapeuten, die sie selbst einsetzen oder zur Verfügung stellen. Wir möchten hier am Beispiel einer bereits existierenden Einrichtung für Therapeutisches Reiten ein „Einsteller-Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden vorstellen, in dem sich die Interessen des Therapiezentrums mit denen der Therapeuten und der Pferdebesitzer in besonderer Weise ergänzen.
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24 | mup 1|2011|24-26|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2011.art03d Marion Drache, Sabine Schickendantz Forum Das „Einsteller-Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden Die Ausstattung von Reittherapie-Zentren mit geeigneten Pferden ist oftmals schwierig und kostspielig, vor allem, wenn das gesamte Spektrum von Förderung und Therapie mit dem Pferd angeboten werden soll und viele, möglichst verschiedene Pferde benötigt werden. Die Pferde müssen entweder von den jeweiligen Zentren finanziert werden oder sie befinden sich im privaten Besitz der Therapeuten, die sie selbst einsetzen oder zur Verfügung stellen. Wir möchten hier am Beispiel einer bereits existierenden Einrichtung für Therapeutisches Reiten ein „Einsteller-Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden vorstellen, in dem sich die Interessen des Therapiezentrums mit denen der Therapeuten und der Pferdebesitzer in besonderer Weise ergänzen. Historie Im Jahr 1999 erwarb die Familie Drache einen Pferdehof mit sieben Hektar Land in Windhagen/ Westerwald für den Aufbau einer kleinen privaten Trakehner-Zucht. 2006 gründete man einen gemeinnützigen Verein für Therapeutisches Reiten, das Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e. V. Das erste Therapiepferd war ein Fjordwallach, das Einstellpferd einer befreundeten Nachbarin, doch bald stellte man fest, dass gerade die sensiblen und intelligenten Trakehner für den Einsatz im Therapeutischen Reiten in besonderer Weise geeignet sind. Hinzu kamen nach und nach Privatpferde von Einstellern, die ihre Pferde für das Therapeutische Reiten zur Verfügung stellten. Struktur der Einrichtung Das Zentrum verfügt aktuell über 17 Pferdeboxen, eine Halle in der Größe von 20 x 40 Metern, einen Außenreitplatz, einen Round Pen sowie über ein ausgedehntes Gelände mit Reitwegen. Angeboten werden neben der Hippotherapie die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd und Pferdesport für Menschen mit Handicap. Zurzeit stehen neun Therapiepferde zur Verfügung. Das reittherapeutische Angebot wird von circa 80 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen genutzt. Sechs Therapeuten mit einer Ausbildung in den verschiedenen Bereichen der Reittherapie sind im Einsatz. Ein ungewöhliches Experiment bewährt sich in der Praxis Drache, Schickendantz - Das „Einsteiger-Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden mup 1|2011 | 25 Marion Drache, Sabine Schickendantz Der Therapiebetrieb hat im Tagesablauf absoluten Vorrang. Den Einstellern steht die Reitanlage lediglich außerhalb der Therapiezeiten zur Verfügung. Üblicherweise ist dies nach 18 Uhr am Abend sowie am Sonntag und Montag. Einstellerpferde werden heute nur dann genommen, wenn sie für den Einsatz in der Therapie geeignet erscheinen. Die Pferde werden von den Therapeuten ausgebildet und auf die besonderen Anforderungen im Therapeutischen Reiten vorbereitet. Der Einsteller entscheidet über Umfang und Art des Einsatzes seines Pferdes, der grundsätzlich sehr moderat ist: Ein Pferd wird pro Tag durchschnittlich eine Stunde eingesetzt. Kann ein Pferd aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht mehr in der Therapie eingesetzt werden, wechselt es nach Absprache in der Regel in einen anderen Stall. Die Einsteller übernehmen die üblichen Pensionskosten und erhalten vom Verein eine Vergütung für den Einsatz ihrer Pferde in der Therapie. Einige Einsteller spenden diese Vergütung dem Verein. Die Einsteller übernehmen die Kosten für Tierarzt und Schmied und versichern ihre Pferde für Tierhalterhaftungsereignisse. Der Einsatz der Pferde im Therapiebetrieb ist zusätzlich über den Verein versichert. Impfungen und Hufpflege werden koordiniert durchgeführt, um für die Pferde im Anschluss daran die notwendigen Ruhetage zu gewährleisten, ohne dass der Therapiebetrieb eingeschränkt werden muss. Diese Struktur bietet allen Beteiligten Vorteile, die wir im Folgenden darstellen möchten. Vorteile für das Reittherapie-Zentrum Das Reittherapie-Zentrum muss keine eigenen Pferde anschaffen, hat keine Kosten für Unterhalt, Tierarzt, Hufschmied und trägt nicht das finanzielle Risiko von Ausfall durch Krankheit oder Verlust des Pferdes. Die regelmäßige Ausgleichsarbeit der Therapiepferde ist sichergestellt, dadurch bleiben die Pferde lange gesund und motiviert. Die Therapeuten wählen Pferde im Rahmen der grundsätzlichen Absprachen mit den Einstellern nach Bedarf frei aus. Erweist sich ein Pferd für den Einsatz in der Therapie als nicht geeignet, wird in Abstimmung zwischen Pferdebesitzer, Verein und Betrieb eine für alle praktikable Lösung gesucht. Bisher ist dies immer gelungen. Vorteile für die Einsteller Die Einsteller sind voll berufstätig und haben tagsüber keine Zeit für ihr Pferd. Sie profitieren davon, dass ihre Pferde in diesem Modell eine sinnvolle Beschäftigung haben. Die Ausbildung eines Pferdes zum Therapiepferd durch die regelmäßige Bodenarbeit mit vielen Elementen der Gelassenheitsprüfung ist eine äußerst abwechslungsreiche und sinnvolle Arbeit für jedes Pferd. Der Einsteller hat das gute Gefühl, dass sein Pferd eine wichtige Aufgabe hat, was sein Hobby legitimiert. In der Zeit, die den Reitern neben ihrem Berufsleben für ihren Sport bleibt, gibt es in der Regel keine Überschneidungen mit dem Therapiebetrieb. So können sie die Anlage und das Außengelände für ihren Sport nahezu uneingeschränkt nutzen. Die Vergütung des Einsatzes als Therapiepferd liegt im Monat bei durchschnittlich 150 Euro (5 Euro für eine Therapieeinheit von 30 Minuten) und trägt zur Deckung der Pensionskosten (aktuell 360 Euro) bei. Dieses Modell ist damit eine sinnvolle Alternative zu sogenannten „Reitbeteiligungen“, zumal hier eine größere Kontinuität gewährleistet ist und den Pferden eine deutlich abwechslungsreichere und anspruchsvollere Aufgabe geboten wird. Vorteile für die Pferde Die Pferde werden artgerecht und je nach Verträglichkeit in Herden gehalten, sie haben im Sommer ganztägig Weidegang und im Winter Auslauf auf drainierten Paddocks. Die Vorbereitung für Förderung und Therapie erfolgt durch qualifizierte Therapieassistenten, die die Pferde putzen, satteln, ausreichend lange longieren oder abreiten und nach 26 | mup 1|2011 Drache, Schickendantz - Das „Einsteiger-Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden der Therapie versorgen. Damit haben die Pferde täglich ausreichend Bewegung und Beschäftigung. Die regelmäßige Ausgleichsarbeit für den oftmals psychisch und physisch belastenden Einsatz in der Therapie und eventuell erforderliche reiterliche Korrekturen erfolgen durch die Einsteller selbst, die ihre Pferde auf Wunsch auch unter Anleitung eines Reitlehrers reiten können. Vorteile für Therapeuten Bei den Pferden handelt es sich neben den Trakehnern um Kleinpferde, Ponys, Freiberger und Warmblutpferde, die unterschiedlichen Anforderungen an Größe, Charakter, Gangqualität, Rumpfigkeit etc. genügen. Den Therapeuten steht in diesem Modell somit eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Pferde zur Verfügung, was sie in die Lage versetzt, gezielt ein Pferd für eine Gruppe oder einen Patienten auszuwählen. Fazit Das vorgestellte „Einsteller- Modell“ für die Bereitstellung von Therapiepferden hat sich im Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e. V. zunächst durch Zufall ergeben und seit 2004 bewährt. Zurzeit sind neun Therapiepferde in diesem Modell im Einsatz. Fraglich ist, in welchem Umfang das Modell multiplizierbar ist. 2010 musste der Verein erstmals zwei Fjordstuten selbst anschaffen, weil es einen erhöhten Bedarf an kleinen Pferden gab, der durch neue Einsteller nicht gedeckt werden konnte. Die Autorinnen Anschrift: Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e. V., Marion Drache, Dr. Sabine Schickendantz, Johannisberg 1 · 53578 Windhagen Tel.: 02645/ 970 775 info@johannisberg.net www.johannisberg.net Marion Drache Kommunikationswissenschaftlerin M. A., Public-Relations-Beraterin, Stiftungsberaterin, Trainer C Reiten, Ausbilderin im Reitsport für Menschen mit Handicap Dr. med. Sabine Schickendantz Kinderkardiologin, derzeit tätig an der Klinik und Poliklinik für Kinderkardiologie, Herzzentrum an der Universität zu Köln. Koordiniert die Studien zur Reittherapie mit herzkranken Kindern im Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e. V. Alexandra Danninger, Tatjana Hof, Lilian Lehmann, Monika Pietschak, Peter Spycher
