mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz auf dem Pferd
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Christina Frankenhauser
Der hier vorgestellte Einschätzbogen ist im Rahmen einer Bachelor-Arbeit entstanden und soll für Pädagogen als praktische Anleitung dienen, die in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in der Frühförderung arbeiten. Er kann als Hilfestellung gesehen werden, um eine Einschätzung des sprachlichen Standes von Kindern zwischen null und vier Jahren vorzunehmen, ohne eine klassische Testsituation aufkommen zu lassen. Der Bogen wurde in einer Erprobungsphase mehrfach durchgeführt und hat sich als praktikables und effektives Element in der jeweiligen Förderplanung erwiesen. Sowohl im Rahmen der sprachlichen Fähigkeiten als auch im Bereich der Kommunikation enthält der Bogen einige förderdiagnostische Situationen, die auf dem Pferd umgesetzt werden können. Somit kann er ein Teil eines förderdiagnostischen Konzepts für die Sprach- und Kommunikationsförderung mit dem Pferd darstellen. Die Dateien des Einschätzbogens (Tab. 1) und der Spielvorschläge und Evozierungsmöglichkeiten (Tab. 2) stehen kostenlos zum Download zur Verfügung.
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74 | mup 2|2011|74-82|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2011.art07d Christina Frankenhauser Forum Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz auf dem Pferd Kinder in der Frühförderung im Rahmen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Der hier vorgestellte Einschätzbogen ist im Rahmen einer Bachelor-Arbeit entstanden und soll für Pädagogen als praktische Anleitung dienen, die in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in der Frühförderung arbeiten. Er kann als Hilfestellung gesehen werden, um eine Einschätzung des sprachlichen Standes von Kindern zwischen null und vier Jahren vorzunehmen, ohne eine klassische Testsituation aufkommen zu lassen. Der Bogen wurde in einer Erprobungsphase mehrfach durchgeführt und hat sich als praktikables und effektives Element in der jeweiligen Förderplanung erwiesen. Sowohl im Rahmen der sprachlichen Fähigkeiten als auch im Bereich der Kommunikation enthält der Bogen einige förderdiagnostische Situationen, die auf dem Pferd umgesetzt werden können. Somit kann er ein Teil eines förderdiagnostischen Konzepts für die Sprach- und Kommunikationsförderung mit dem Pferd darstellen. Warum bietet gerade das Pferd einen guten Rahmen für die Einschätzung der sprachlich-kommunikativen Kompetenz? Die folgenden Aspekte sind grundlegende Vorteile der Förderung mit dem Pferd, die als förderlich für eine Anwendung eines Einschätzbogens zu sehen sind, da sie besonders für Kommunikationssituationen gute Voraussetzungen darstellen: Situationen entstehen, die einen großen ■ Erfahrungsschatz bieten vielschichtige Situationen abseits von ■ Therapieräumen, ohne dass die Förderung als Therapie wahrgenommen wird Aufforderungscharakter des Pferdes ■ Förderdiagnostik (als Gegensatz zu klassischen diagnostischen Verfahren) ist darauf ausgerichtet, den momentanen Entwicklungsstand eines Kindes oder Erwachsenen in Bezug auf bestimmte Fähigkeiten zu erfassen und als Grundlage für eine gezielte Förderplanung zu nutzen. Dabei werden die Ergebnisse der Beobachtungen als Ist-Stand angesehen, der im Verlauf der Entwicklung veränderlich ist. Festschreibungen werden so vermieden, und ein prozessorientierter Ansatz wird in die Diagnostik mit einbezogen. Qualitativen Methoden wie Beobachtung, Verhaltensbeschreibung und Situationsanalysen wird dabei der Vorrang vor quantitativen (normwertorientierten) Methoden gegeben. Förderdiagnostik ist Teil einer Lernprozessanalyse, die Ressourcen, aber auch limitierende Faktoren ausfindig machen soll, um Entwicklung im Rahmen einer Förderplanung gezielt unterstützen und begleiten zu können. H. S. Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz mup 2|2011 | 75 Christina Frankenhauser Abbau von Ängsten, Blockaden und Hem- ■ mungen, da das Pferd eine unvoreingenommene Haltung gegenüber dem Kind zeigt beruhigende Wirkung des Pferdes auf das ■ Kind das Kind fühlt sich getragen, die heilpäd- ■ agogische Förderung ist ein sozialer Prozess und damit „ein Beitrag zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit“ Förderung der sozialen Kommunikation, be- ■ sonders in der Gruppensituation Weitere Entwicklungsbereiche spielen besonders in der Sprachentwicklung eine große Rolle, die folgendermaßen in Situationen der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd eingehen können: 1. Bewegung (z. B. Gleichgewichtsübungen, Wahrnehmung der Pferdebewegungen, Rhythmus des Pferdes, Raumlagebewusstsein entwickeln) 2. Hören, Sehen, Tasten (z. B. Fühlen des Fells, Riechen des Pferdeschweißes, Hören des Schnaubens) 3. Sozial-emotionale Entwicklung (z. B. Beziehung zum Tier aufbauen, Persönlichkeit entwickeln, Körpervertrauen entstehen lassen, sich um das Tier kümmern, mit dem Pferd schmusen) 4. Wärme, Liebe, Akzeptanz (z. B. vom Pferd tragen lassen, sich vom Pferd angenommen und geliebt fühlen) 5. Kommunikation (z. B. mit dem Pferd sprechen, Kommunikation über Gesten mit dem Pferd, über das Pferd sprechen, Förderung durch spezielle Aufgabenstellungen an und auf dem Pferd) 6. Wortschatz (z. B. Erweiterung des Wortschatzes um Begriffe, die speziell das Pferd und den Umgang mit dem Pferd betreffen) 7. Artikulation (z. B. durch Tonusverbesserung und Atmungsregulierung, Stimmveränderung durch Haltungsverbesserung) Der Einschätzbogen Der Einschätzbogen soll ein screeningähnliches Verfahren darstellen, welches unter förderdiagnostischen Gesichtspunkten durchgeführt wird und somit eine Einschätzung des sprachlichen Entwicklungsstandes des jeweiligen Kindes ermöglicht. Diese Einschätzung soll die Möglichkeit der weiteren Förderplanung erfüllen und als Prozess zu sehen sein, der aus der Begleitung und Förderung des Kindes mit Hilfe des Bogens besteht. Der Bogen sollte von der anwendenden Beobachtungsperson vor der Nutzung gründlich durchgelesen werden, damit sich die Fragen und Spielvorschläge nach einer gewissen Zeit verinnnerlichen. Dies würde nach einigen Durchführungen zu einer routinierteren Umgehensweise führen und somit einen geringeren Zeitaufwand bedeuten. Der Bogen sollte nach der Beobachtungseinheit noch einmal genau angeschaut und durchgearbeitet werden, um eine möglichst korrekte Einschätzung für das Kind treffen zu können. Die Dauer der Anwendung und Durchführung des Bogens wird von Beobachtung zu Beobachtung unterschiedlich sein. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Konzentration des Kindes in der jeweiligen Fördereinheit nicht zu sehr nachlässt; dann wäre es sinnvoller, in der folgenden Fördereinheit weitere Beobachtungen zu machen, um eine Fehleinschätzung des Kindes aufgrund seiner mangelnden Konzentration zu vermeiden. Bitte lesen Sie weiter auf S. 79. 76 | mup 2|2011 Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz Tab. 1: Einschätzbogen zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz im Rahmen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Name des Kindes: Geburtsdatum: Förderkraft der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd: Wie oft war das Kind schon bei der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd: Kindergarten, Schule, sonstige Einrichtung: Sonstige Therapien (Sprachtherapie, Ergotherapie, Frühförderung etc.): Sonstige Bemerkungen: Sprachlicher Ausdruck Ausdruck an Pferd gerichtet Sprachliches Verständnis Ausdruck an Pferd gerichtet ja nein Ja nein Gurren, glucksen (unbewusst) Kind hält Blickkontakt (zur Mutter / Begleitperson) Lachen, jauchzen Mutter / Begleitperson schafft es, Kind durch Stimme zu beruhigen Gebrauch der Stimme, wenn man mit Kind spielt Reaktion auf Begrüßung des Pädagogen Ausdruck von Freude durch Stimme Kind reagiert auf Laute des Pferdes (Schnauben, Hufe auf Asphalt, Kauen einer Möhre etc.) Schreien Reaktion auf Stimme / Ansprache des Pädagogen Verschiedene stimmhafte Laute Reaktion auf allgemeine Laute (klatschen, lachen etc.) Lallen von Silbenverdopplungen (lala, baba, dada) Kind sucht die Quelle von Geräuschen (dreht den Kopf) Lallmonologe (la, la, lalabadagena) oder Verwendung von sprachähnlichen Lautfolgen Kind „begreift“ über das Anfassen / in-den- Mund-Stecken von neuen Gegenständen Stimmliche Reaktion bei Ansprache Kind lächelt, wenn es angesprochen wird Gebrauch der Stimme, um Aufmerksamkeit zu bekommen Kind lächelt bei Ansprache mit Blickkontakt Benennen von Gegenständen (Ball etc.) Kind beschäftigt sich mit Dingen, die Geräusche machen / hat Interesse an neuen Gegenständen Anstrengung wird stimmlich bemerkbar (stöhnen, „puh“ etc.) Kind dreht den Kopf in Richtung des Pädagogen, wenn dieser Kind anspricht (oder beliebiges Geräusch macht) „Mama“, „Papa“ oder andere mehrsilbige Wörter werden verwendet Kind dreht den Kopf in Richtung des Pädagogen, wenn dieser Kind mit seinem Namen anspricht Nicken als Antwort („Möchtest du schnell reiten? “, „Magst du das Pony? “ etc.) Kind zeigt auf Gegenstände des Begehrens Imitation von Handlungen (Klopfen des Pferdehalses nach Vormachen) Kind reagiert auf eigenen Namen „Winke, winke“ bei Verabschiedung (lautsprachlicher Ausdruck wird durch Gestik erweitert) Kind dreht den Kopf in Richtung eines benannten Gegenstandes Verwenden von Konsonanten (b, d, g, m, n ...) Kind unterbricht eine Tätigkeit bei einem „Nein“ des Pädagogen Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz mup 2|2011 | 77 Sprachlicher Ausdruck Ausdruck an Pferd gerichtet Sprachliches Verständnis Ausdruck an Pferd gerichtet ja nein Ja nein Bei Ansprache folgt eine „plappernde“ Reaktion (Variieren von Lautstärke, Rhythmus, Tonfolge) Intentionen von Seiten des Kindes, um Reaktion beim Pferd hervorzurufen (z. B. Wippen mit dem Oberkörper, damit Pferd losläuft) Imitation von Geräuschen (Schnalzen, Schnauben des Pferdes, „brrrr“ etc.) Richten der Aufmerksamkeit (des Blickes) auf einen dritten Gegenstand oder eine andere Person (z. B.: „Wo ist die Mama? “) Verbale oder nonverbale (zeigen, motorischer Einsatz des Körpers) Aufforderung ans Pferd (Pferd soll schneller werden, in eine bestimmte Richtung laufen etc.) Testen der Selbstwirksamkeit: Was bewirke ich bei dem Anderen mit meinem Verhalten? (z. B. den Ball hinunter werfen und der Pädagoge hebt ihn auf) „mein“ oder „haben“, um etwas zu bekommen Gefühlsäußerungen in Form von Mimik (traurig gucken, schmollen etc.), Gefühle sind auf dem Gesicht erkennbar Wörter in Kindersprache („Wauwau“, „Hotta“ etc.) Einsatz der Mimik, um etwas zu erreichen („süß“ gucken etc.) Benennt Gegenstände mit der Stimme Ausführen von einfachen Aufträgen („Streichel mal das Pferd! “ etc.) Benennt Gegenstände durch Geräusche (Motorgeräusch etc.) Kind hält Pausen ein für eine Reaktion oder eine Antwort des Pädagogen Kind äußert „Nein! “ Körperkontakt zum Pädagogen wird gesucht Imitieren von neuen Wörtern (Mähne, Schweif, Sattel etc.) Nicken / Kopfschütteln Verwenden von und Antworten in Einwortsätzen („Mama, haben! “) „Winke, winke“ Wortschatz umfasst etwa 20-50 Wörter Kind zeigt eigene Körperteile Gebrauch des eigenen Vornamens Kind zeigt Körperteile des Pferdes („Zeig mir mal...! “) Gebrauch von Nomen, Adjektiven und Verben („Tür auf“, „Mama, haben! “) Kind nimmt Geräusche außerhalb der Halle / des Reitplatzes wahr (bellen, wiehern, Krankenwagen etc.) Benennen von Körperteilen beim Pferd Holen von Gegenständen nach Aufforderung (z. B. Hocker zum Aufsteigen etc.) Benennen von eigenen Körperteilen Versteht Fragen („Was macht das Pony, wenn es Hunger hat? “) Gebrauch von Zweiwortsätzen („Mehr reiten...! “) Kind fordert Objektpermanenz (alles muss da hin, wo es hingehört) Verwendung von etwa 50 Wörtern Kind erkennt bekannte Geräusche (Bellen, Handyklingeln etc.) Nutzen von Fragewörtern (wer, was, wann, wo) Kind fordert Rituale (Begrüßungsspiel, Füttern des Ponys am Ende der Stunde etc.) Anwenden der Vergangenheitsform Versteht Sätze mit einfachen Präpositionen („Die Fliege sitzt unter dem Bauch des Ponys! “) Gebrauch von „Ich“ Kind kann Größen unterscheiden (großes Pferd, kleines Pferd, große Möhre, kleine Möhre) Gebrauch von Funktionswörtern (da, mehr, auch) Mehrteilige Aufträge können ausgeführt werden („Dreh dich um und klopf dem Pony auf den Po! “) 78 | mup 2|2011 Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz Sprachlicher Ausdruck Ausdruck an Pferd gerichtet Sprachliches Verständnis Ausdruck an Pferd gerichtet ja nein Ja nein Gebrauch der Mehrzahl („Pferde! “) Kind symbolisiert (beobachtet, imitiert, baut aus, nutzt seine Fantasie) (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe A) Verwendung von etwa 200-500 Wörtern Kind ist sich bewusst über eigene Handlungen Warum-Fragen werden gestellt Verständnis von Gegensätzen ist gegeben (langsam, schnell; heiß, kalt etc.) Erzählen über etwas oder von eigenen Erlebnissen Aufträge werden ausgeführt („Gib mir mal die Möhre! “) Sprachlaute werden deutlicher Kind kann Jungen und Mädchen unterscheiden Kind bildet Nebensätze Kind kann Warum-Fragen verstehen Verwendung von negativen Beschreibungen („Ich kann das nicht! “) Kind kann nach Farben sortieren (z. B. beim Putzzeug ordnen) Beschreiben von Erlebnissen in 4-5 Wortsätzen Kind kann Mehrfachaufträge ausführen / komplexe Aufträge werden verstanden (Pferd läuft über Stange und Kind soll mit geschlossenen Augen merken, wenn Stange erreicht ist und Hand heben) Nutzen von Hilfsverben zur Bildung der Vergangenheit („Ich habe das Pony geputzt! “) Rollenwechsel möglich (führen, führen lassen) (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe B) Verbflexion korrekt (ich reite, wir reiten etc.) Präpositionen werden verstanden (auf, unter, neben etc.) Kind zählt bis 10 („Wir zählen bis 10 und dann traben wir los! “) Perspektive des Anderen wird berücksichtigt (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe C) Kind kann eigene Handlungen beschreiben („Mama, ich bin geritten! “ - „gereitet“ wäre hier auch akzeptiert) Orientierung im Raum ist möglich (weit, nah etc.) (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe D) Nutzen von Personalpronomen Kraftdosierung wird für Kind erkennbar (leichter Druck, fester Druck) Korrekte Verb-Zweitstellung im Hauptsatz Beschaffenheiten können erkannt werden (weiches Fell, harter Knochen, flauschige Decke etc.) Korrekte Verb-Endstellung im Nebensatz Begriffe können anhand von Vorstellung verstanden werden (Entspannung, Spannung etc.) (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe E) Lautersetzungen durch „h“ am Wortanfang kommen nicht mehr vor Kind kann mit Pädagoge gemeinsam die Stunde gestalten (eigene Vorstellungen werden eingebracht und die Vorstellungen des Pädagogen / Pferdes werden berücksichtigt) (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe F) Singen von Liedern und Versen (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe G) Sprechen im Takt des Pferdes möglich (Evozieren / Spielvorschlag - siehe Aufgabe H) Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz mup 2|2011 | 79 Die durchführende Person sollte sich vor der Beobachtungseinheit schon mit einigen Fragen auseinandersetzen: Wen beobachte ich in der folgenden Be- ■ obachtungseinheit? (z. B. Name, Alter, Einzelsitzung) Sind mir schon besondere Interessen der zu ■ beobachtenden Person bekannt, die förderlich sein könnten und in bestimmte Beobachtungsaufgaben eingebaut werden könnten? Wer ist außer dem Pädagogen, der die heil- ■ pädagogische Fördereinheit durchführt, noch mit in der Reithalle? (z. B. mögliche Ablenkungsfaktoren, sind die Eltern anwesend? ) Kann ich bei einigen Aufgaben zusätzliche ■ Beobachtungen aus anderen Förderbereichen anstellen? (z. B. Motorik, Wahrnehmung, Feinmotorik) Sind mir aus vorherigen Gesprächen oder ■ Beobachtungen schon Schwerpunkte klar, die ich besonders beobachten möchte? Was brauche ich an Material, um alle Be- ■ obachtungssituationen hervorrufen zu können (z. B. Puppe, Ball etc.), und welche Materialien bevorzugt das Kind normalerweise? Unverzichtbar ist das vor der Beobachtungseinheit anzusetzende Gespräch zwischen dem Beobachter und dem durchführenden Pädagogen. Von der beobachtenden Person müssen klare Instruktionen an den durchführenden Pädagogen gegeben werden. Dies sollte selbstverständlich in Form von gemeinsamen Überlegungen geschehen - es ist unerlässlich, um effektive Beobachtungssituationen hervorzurufen und auch um die Spielvorschläge des Evozierungsbogen anwenden zu können. Hier sollte eine gründliche Vorbereitungszeit nicht unterschätzt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, eine Beobachtungseinheit auf Video aufzunehmen und eine gemeinsame Auswertung und Einschätzung der sprachlichen Kompetenz des Kindes vorzunehmen. Vor der Beobachtung und Einschätzung sollte bedacht werden, dass Kinder sich in Einzel- und Gruppensituationen unterschiedlich verhalten und auch oftmals unterschiedliche Kommunikationsarten zeigen. Es sollte überlegt werden, ob eine Beobachtung mithilfe des Einschätzbogens sowohl in einer Einzelals auch in einer Gruppensituation sinnvoll sein kann. Der Einschätzbogen sollte im Sinne des o. g. förderdiagnostischen Ansatzes nicht zum Selbstzweck durchgeführt werden, sondern die Grundlage einer individuellen Förderplanung darstellen. Die Beobachtungssituationen sollen in die ablaufenden Spiel- und Handlungssituationen integriert werden, und es sollen keine erzwungenen Spielsituationen geschaffen werden, die für das Kind nicht in den Kontext passen oder dem Kind zusammenhangslos erscheinen. Kinder merken sehr schnell, dass sie in eine Testsituation gelangen. Eine effektive Beobachtung ist ab diesem Zeitpunkt oft nicht mehr möglich. Die vorgegebenen Strukturen sollten möglichst mit einbezogen werden. Eigene Beobachtungen anhand von Fallbeispielen aus der Praxis Meine Beobachtungen zum Förderprozess während der Anwendung des Bogens waren sehr vielfältig. Ich konnte erkennen, dass die Motivation der Kinder, an den Aufgaben teilzunehmen, auf dem Pferd enorm groß war. Eine Verweigerung einer bestimmten Aufgabe kam nur sehr selten vor, und die Kinder führten die Aufgaben gerne aus. Während meiner Dokumentationen war für kein Kind erkennbar, dass es sich in einer Testsituation befand. So konnte durch die motivierende Einheit auf dem Pferd eine Situation geschaffen werden, in der die Kinder sich unbeobachtet fühlten. Speziell auf die Kommunikationskompetenzen bezogen, fallen zum einen das gesteigerte Kommunikationsbedürfnis mit dem Pferd auf und zum anderen die hemmungslose Sprache ohne Angst vor 80 | mup 2|2011 Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz Tab. 2: Spielvorschläge und Evozierungsmöglichkeiten zu einzelnen Teilen des Bogens Aufgabenstellung Sprachlicher Ausdruck Sprachliches Verständnis Sonstige Beobachtung A: Symbolisierung: Eine Handpuppe „Lisa“ wird benötigt. Pädagoge: „Lisa möchte auch so gerne mal reiten. Nehmen wir sie mit auf das Pferd? “ Lisa: „Ich möchte so gerne mal auf dem Pferd stehen! “ Pädagoge: „Magst du Lisa mal helfen? “ Wichtig ist hier zu beachten, ob das Symbolspiel sprachlich aufgegriffen und erweitert wird. Wird die Puppe als Symbol gesehen und evtl. sogar in Puppensprache oder mit der Puppe gesprochen? Ja Nein Das Spiel wird nonverbal aufgegriffen und der Wunsch der Handpuppe umgesetzt (die Richtigkeit des Stehens der Puppe spielt hier nur sekundär eine Rolle). Ja Nein B: Rollenwechsel: Das Kind führt das Pferd in die Reithalle oder auf den Reitplatz und bestimmt bewusst den Weg, wohin das Pferd laufen soll; erweiternd kann das Kind sich führen lassen und dem Pädagogen mitteilen, wo das Pferd hinlaufen soll Das Kind teilt dem Pferd verbal mit, wo es hinlaufen soll und äußert beispielsweise “komm mit“ oder „hier entlang“. Beim Führenlassen verbalisiert das Kind, wo es hin möchte, z. B. „in die Ecke“, „zum Hütchen“. Ja Nein Das Kind führt das Pferd bewusst in eine bestimmte Richtung, ohne sich verbal zu äußern. Beim Führenlassen, zeigt das Kind in die Richtung, wo es hin möchte oder teilt sich anderweitig nonverbal mit, um in eine bestimmte Richtung reiten zu können. Ja Nein C: Perspektivwechsel: Die Perspektive des Pädagogen wird berücksichtigt, und das abwechselnde Gestalten kann erfolgen. Ein Ball wird benötigt; dieser wird von Pädagoge zum Kind geworfen; dabei wird ein Spiel eingebaut. Ein Thema wird festgelegt (z. B. Tiere), dann wird der Ball geworfen und der Pädagoge sagt: „Ich mag gerne Hunde! “, das Kind greift dies auf und sagt: „Ich mag gerne Katzen! “ Um die nonverbale Ausführung zu evozieren, kann alternativ der Ball auch auf verschiedene Arten geworfen werden (hoch, flach, einmal vorher um den Bauch kreisen, über den Pferdepo gerollt etc.) Das Kind steigt auf den Spielvorschlag ein und begreift die abwechselnde Gestaltung, wobei das Thema vom Kind auch variiert werden darf (wenn es nun heißt „Ich mag gerne Nudeln! “, so ist der Sinn der Abwechslung dennoch begriffen worden). Ja Nein Das Kind geht auf den Spielvorschlag ein und es wird versucht, den Ball auf die gleiche Art und Weise wie der Pädagoge zurückzuwerfen. Ja Nein D: Raumorientierung: z. B.: Pädagoge: „Wir reiten jetzt mal bis zum hinteren Hütchen und wenn wir dort angekommen sind, bekommt das Pferd Beifall geklatscht! “, „Wir reiten jetzt eine ganze Runde und dann …! “, „Welches Hütchen möchtest du nehmen? Das hier vorne? Welche Farbe hat es denn? “, „Versuch mal, deine Arme ganz nach oben zu strecken und an die Decke zu kommen! “, „Strecke die Arme mal ganz nach unten und zeig dem Pferd, wo unten ist! “ etc. Das Kind kann nah und fern einschätzen und erkennen. Es kann verbal mitteilen, ob es nach hinten oder nach vorne reiten möchte und benutzt Begriffe wie „da vorne“, „da hinten“, „oben“, „unten“. Ja Nein Das Kind kann nonverbale Aufträge („Strecke deine Arme nach oben! “) ausführen und weiß, wo oben und unten, hinten und vorne ist. Es kann z. B. eine große Runde außen herum reiten. Ja Nein Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz mup 2|2011 | 81 Aufgabenstellung Sprachlicher Ausdruck Sprachliches Verständnis Sonstige Beobachtung E: Begriffe anhand von Vorstellung verstehen: Begriffe wie z. B. „Entspannung“, „Angst“, „Anspannung“ etc. werden mit einer Handpuppe eingeübt. Lisa: „Ich bin so müde und möchte mich entspannen! Kannst du mir zeigen, wie ich das hier oben auf dem Pferderücken mache? “ oder: Lisa: „Ich möchte mal ganz stolz reiten wie ein Ritter! Zeig mir mal wie das geht, ja? “ Das Kind kann die Begriffe verstehen und führt „Lisas“ Wünsche aus (z. B.: Puppe wird zum Entspannen hingelegt; sitzt stolz mit herausgedrückter Brust auf dem Pferd). Dabei wird das Spiel verbal begleitet („So, jetzt kannst du dich entspannen! “). Ja Nein Das Kind versteht die Begriffe und führt „Lisas“ Wünsche aus ohne verbale Begleitung. Ja Nein F: Gemeinsames Gestalten: Ein Spiel (z. B. Abschiedsspiel) wird vom Kind mitgestaltet. Der grobe Rahmen kann vom Pädagogen vorgegeben sein (z. B. das Spiel soll nur im Schritt stattfinden, da das Pferd noch trocken geritten werden muss), und das Kind bekommt die Möglichkeit, mit zu gestalten und Ideen einzubringen, wobei der Pädagoge mit seinen Ideen und Anmerkungen berücksichtigt wird (auch möglich als Vorbereitung für die kommende Stunde: Planung für das nächste Mal gemeinsam besprechen). Das Kind ist in der Lage, seine Wünsche und Interessen zu vertreten und seine Meinung zu einzelnen Teilen der Reiteinheit zu äußern. Das Kind bringt eigene Ideen mit ein und geht auf den Pädagogen und dessen Anmerkungen ein. Das Kind kann reflektiv auf die vergangene Stunde zurückblicken und eine kommende Reiteinheit planen. Ja Nein Das Kind kann nonverbal seine Wünsche zu einer Reiteinheit äußern bzw. berücksichtigt dabei die Einwände oder Anmerkungen des Pädagogen. Ja Nein G: Singen: Am Abschluss der Stunde wird ein leichtes Abschlusslied gesungen; sehr vorteilhaft ist der Einsatz der Handpuppe, da diese oftmals die Hemmungen des Kindes zu singen, abbaut und eine weitere „Person“ ist, die mitsingt. Sehr schön und einfach: „Fertig, fertig, Schluss und aus, alle gehen jetzt nach Haus’, das Reiten hat viel Spaß gemacht, alle haben ganz toll mitgemacht! Fertig, fertig, Schluss und aus, alle gehen jetzt nach Haus’! “ Das Kind singt den Vers mit oder spricht ihn mit (da dieser Vers Wiederholungen benötigt, sollte ein Abschiedslied als Ritual eingeführt werden, da das Kind nur dann irgendwann den Vers mitsingen und auswendig kann). Ja Nein Das Kind kennt den Text und kann durch Gesten oder Bewegen des Körpers am Lied teilnehmen. Ja Nein H: Sprechen im Takt des Pferdes: Die Handpuppe Lisa macht ein lustiges Spiel vor. Sie spricht im Takt des Pferdes: „Ich kann so toll reiten! “, „Ich finde reiten toll! “, „Ich mag das Pferd sehr gerne! “, „Kannst du das auch? “. Das Kind spricht auch im Takt des Pferdes und kann seine Stimme und Sprache bewusst und gesteuert einsetzen, wobei es von „Lisa“ immer wieder ermutigt werden sollte! Ja Nein Das Kind spricht nicht im Takt des Pferdes, sondern macht bewusste und gesteuerte Bewegungen im Takt des Pferdes. Hier geht es darum, ob die Regel des Taktes an sich begriffen wurde. Ja Nein 82 | mup 2|2011 Forum: Frankenhauser - Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz Dina Menke Christina Frankenhauser BA-Rehabilitationspädagogin, Schwerpunkt Sprachtherapie und Bewegungserziehung, Trainer C Voltigieren, derzeit Leitung des Kinderbauernhofes „Gutshof Niederheid“ in Düsseldorf Anschrift: Bonner Str. 121 · 40589 Düsseldorf christina.frankenhauser@web.de · www.kinderbauernhof.de Die Autorin Verbesserungen oder sonstigen Zurechtweisungen. Die Kinder schienen sich akzeptiert zu fühlen und das Pferd als Verbündeten zu sehen, das sie nicht verbessert oder Dinge von ihnen fordert, die sie nicht leisten konnten oder wollten. Wenn sich das Pferd erschrocken hatte, wurde es mit der Stimme beruhigt und getröstet. Somit entstand zwischen den Kindern und dem Pferd ein Dialog, bei dem die Kinder erstaunlich viel sprachen und eine enorme Sprechfreude zeigten. Der Kontext der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd bot einen optimalen Rahmen, um das Verständnis von komplexen Zusammenhängen zu fördern. Die Laute, die in einem Reitstall zu hören sind, wie z. B. das Klappern der Hufe auf dem Asphalt, das Kauen des Pferdes von einer Möhre, das Schnalzen als Zeichen zum Loslaufen an das Pferd, das Schnauben eines Pferdes, das Scharren mit den Hufen, das Rascheln von Heu und Stroh, das Knallen einer Peitsche und viele andere Laute waren anregend und interessant für die Kinder. Ebenso förderlich zeigten sich auch die taktilen Möglichkeiten wie z. B. das Erfühlen des Fells, das Auskratzen der Hufe (welches die Kinder am meisten fasziniert hat), das Füttern eines Pferdes und dabei das Spüren der weichen Nase, das Erfühlen von Mähne und Schweif, das Putzen des Fells mit unterschiedlichen Bürsten und das Spüren des Sandes auf dem Reitplatz. Die Kinder konnten hier ihre Umwelt mit allen Sinnen begreifen und Zusammenhänge erkennen und verstehen. Sie nahmen die Situation nicht als Testsituation wahr; somit konnten sie sprachlich eingeschätzt werden, ohne dabei Verfälschungen durch Angst oder Frustration zu zeigen. Förderlich hierfür war auch, dass die Kinder, die ich beobachtete, nicht ihre erste Reiteinheit absolvierten, sondern die anfängliche Scheu aufgrund von vorangegangenen Reiteinheiten schon überwunden hatten. Die Dateien des Einschätzbogens (Tab. 1) und der Spielvorschläge und Evozierungsmöglichkeiten (Tab. 2) stehen kostenlos zum Download unter www.reinhardt-verlag.de > Zeitschriften > Mensch und Pferd international > Einzelhefte > Heft 2 (2011) > Christine Frankenhauser: Vorstellung eines Einschätzbogens zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz auf dem Pferd
