eJournals mensch & pferd international 3/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2011
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Marte Meo - eine Förder-, Coaching- und Supervisionsmethode in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd

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Tessa Schleifenbaum
Marte Meo (lateinisch) bedeutet so viel wie etwas "aus eigener Kraft" schaffen und ist eine ressourcenorientierte Coaching- und Supervisionsmethode. Diese Arbeitsmethode hat einen systemtherapeutischen Ansatz und dient dazu, Eltern, Pädagogen oder Therapeuten zu befähigen, ihre Klienten optimal in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Als zentrales Medium dienen hierbei Videointeraktionsanalysen. Nachfolgend werden die theoretischen Hintergründe und Wirkungsweisen von Marte Meo dargestellt und deren Nutzen für die heilpäd­ago­gische Förderung mit dem Pferd (HFP) zusammengefasst.
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168 | mup 4|2011|168-176|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2011.art12d Tessa Schleifenbaum Schlüsselbegriffe: Marte-Meo-Methode, Entwicklungsunterstützung, Videointeraktionsanalyse, systemisch, Maria Aarts, Beziehungsgestaltung, Entwicklungsdiagnostik, Kommunikation Marte Meo (lateinisch) bedeutet so viel wie etwas „aus eigener Kraft“ schaffen und ist eine ressourcenorientierte Coaching- und Supervisionsmethode. Diese Arbeitsmethode hat einen systemtherapeutischen Ansatz und dient dazu, Eltern, Pädagogen oder Therapeuten zu befähigen, ihre Klienten optimal in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Als zentrales Medium dienen hierbei Videointeraktionsanalysen. Nachfolgend werden die theoretischen Hintergründe und Wirkungsweisen von Marte Meo dargestellt und deren Nutzen für die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (HFP) zusammengefasst. eine Förder-, Coaching- und Supervisionsmethode in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Marte Meo Schleifenbaum - Marte Meo mup 4|2011 | 169 Beziehung als Basis jeder pädagogischen und therapeutischen Intervention Beziehungsanbahnung und Beziehungsgestaltung mit und auf dem Pferd sind in der heilpädagogischen Arbeit mit dem Pferd die Basisbausteine einer gelungenen therapeutischen Intervention. Beziehungsanbahnung gilt zudem als eines der übergeordneten Ziele in der HFP (Schulz 2005, 20). Ergebnisse der Psychotherapieforschung belegen, dass weniger die Methode, sondern der Beziehungsgehalt zwischen Therapeut und Klient für den Therapieerfolg von zentraler Bedeutung ist (Grawe u. a. 1994). Dieses deckt sich ebenfalls mit den Forschungsergebnissen der Neurologie, nach denen Weiterentwicklung und Lernen nur in Beziehung möglich sind (Hüther 2008; Spitzer 2009). Akzeptanz und Bindung sind darüber hinaus entscheidende Voraussetzungen für die biologische Stimulierung der Vitalitätssysteme und der Freisetzung von Glückshormonen wie Dopamin und endogenen Opioiden (Bauer 2008, 154 f). In der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd übernimmt der Reitpädagoge die Aufgabe, eine Beziehung anzubahnen und zu gestalten. Er gilt als „Übersetzer“ der „Pferdesprache“ (Schulz 2005, 22 f). Dadurch sollen die Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit und somit die sozialen Fähigkeiten verbessert werden (DKThR 2005, 5). Aber wie genau funktioniert der Beziehungsaufbau und wie kann eine positive, entwicklungsförderliche Interaktion aktiv gestaltet werden? An dieser Fragestellung knüpft die Marte-Meo- Methode (MMM) an und liefert konkrete Handlungsansätze darüber, wie eine tragfähige Beziehung als Basis jeglicher Kommunikation und Intervention sowie ein entwicklungsunterstützender Dialog gestaltet werden können (Aarts 2009). Was ist „Marte Meo“? Die Niederländerin Maria Aarts entwickelte die Marte-Meo-Methode in den frühen 80er Jahren aus ihrer Arbeit mit verhaltensauffälligen und geistig behinderten Kindern heraus. Sie sah die konkrete Notwendigkeit, Eltern und Pädagogen ein lösungsorientiertes „Handwerkszeug“ zu vermitteln, um die Bedürfnisse ihrer Kinder besser zu verstehen und sie aus eigener Kraft heraus bestmöglich im sozialen und emotionalen Bereich zu unterstützen. Sie erkannte „die Kraft der Bilder“ und setzte als Medium das Video ein. Über die Videoaufnahmen wird ein Stück Wirklichkeit „konserviert“ und ermöglicht somit eine sehr ausführliche Analyse, auch der kleinsten Gesten, Mimiken und Signale aller Beteiligten (Bünder u. a. 2009, 18 f). Besonders inspiriert wurde Maria Aarts durch den Säuglingsforscher Daniel Stern (Aarts 2009). Stern hat über Jahre hinweg Beobachtungen mittels Videoaufnahmen durchgeführt und erforscht, wie Mütter auf natürliche Art und Weise mit ihren Säuglingen und Kleinkindern kommunizieren. Er konnte zeigen, dass Mütter weltweit und kulturübergreifend auf dieselbe Art und Weise mit ihren Babys und Kleinkindern über Worte, Gesten und Körper in Kontakt treten. Sie verfügen über ein bestimmtes intuitives Repertoire an Verhaltensweisen, die das Kind für seine natürliche und gesunde Entwicklung benötigt (Stern 2000). In diesem Sinne sprechen Papoušek und Papoušek (1991) von einem „natürlich-entwicklungsunterstützenden Dialog“. Das Baby lernt über diesen „Dialog“ sich selber und seine Umwelt kennen und entwickelt emotionale und soziale Kompetenzen. Verfügen Eltern nun über wenig oder keine intuitiven Verhaltensweisen, können sie diese nachträglich einüben, um ihre Kinder besser zu unterstützen. Die theoretische Basis dieser Methode findet man in den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, in den Bindungstheorien (Bowlby 1975), der Neurologie (Hüther 2007; Spitzer 2007), den lerntheoretischen Ansätzen, Theorien der symbolvermittelnden Interaktion und systemischen Theorien. Marte Meo wird mittlerweile weltweit in über 30 Ländern erfolgreich angewendet und kommt in den verschiedensten Bereichen, wie z. B. der Logopädie, der Ergotherapie, der Gerontologie, 170 | mup 4|2011 Schleifenbaum - Marte Meo der Arbeit mit Menschen mit geistigen Behinderungen und vielen weiteren Feldern zum Einsatz (Aarts 2009, 47 f). Die Durchführung von Marte Meo in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Nach dem Marte-Meo-Konzept sollen Eltern, Pädagogen und Therapeuten aus den unterschiedlichsten Disziplinen dabei unterstützt werden, positive Beziehungen zu ihren Kindern bzw. Klienten aufzubauen, um sie in ihrer Entwicklung optimal zu fördern. Mittels der Videoaufnahmen und einer sehr detaillierten Videointeraktionsanalyse kann konkret erläutert werden, was in welchem Moment zu tun ist. Reitpädagogen sollen lernen, ihre Wahrnehmung für sich selber sowie für ihre Klienten zu schulen, jedes kleine Signal zu deuten und angemessen darauf einzugehen. Wird Marte Meo mit pädagogischen Fachkräften durchgeführt, ist die Rede von einem „interaktiven Coaching nach Marte Meo“ (Aarts 2009). In der heilpädagogischen Arbeit mit dem Pferd wird das Pferd in dieses Interaktionsgeschehen mit einbezogen, da es ein Teil des Systems ist (Schleifenbaum 2010). Es bildet laut Gäng (2010) ein entlastendes Medium in der Therapeuten-Klienten-Beziehung. In einer Erstanamnese werden der Entwicklungsstand und der Förderbedarf des Kindes festgestellt. Eine konkrete Frage wird erarbeitet und dient für das weitere Vorgehen als Leitfaden und Zielsetzung. Fragen dieser Art können im HFP z. B. sein: „Wie kann ich die Gruppe besser lenken und leiten? “, „Wie kann das Kind lernen, mit anderen zu kooperieren? “, „Wie kann ich das Kind in seinem Selbstbewusstsein unterstützen? “ oder „Was für eine Unterstützung braucht das Kind, um weniger aggressiv zu sein? “. Videointeraktionsanalyse In einem ersten „Anamnese-Video“ wertet der Marte-Meo- Therapeut das Video aus, indem er Schritt für Schritt analysiert, welche sozialen sowie emotionalen Fähigkeiten ein Kind schon entwickelt hat und welche Fähigkeiten es noch lernen muss. Der Reitpädagoge wird in erster Linie auf seine Leitungskompetenzen, d. h. seine Fähigkeiten, die Kinder positiv zu leiten und lenken, überprüft. In einem weiteren Schritt zeigt der Marte- Meo-Therapeut dem Reitpädagogen ca. drei kleine Videosequenzen von insgesamt zwei bis drei Minuten, in denen bestimmte Schlüsselsituationen zu sehen sind, an denen eine Förderung anknüpfen kann. Dieses Beratungs-Feedback wird „Review“ genannt (Aarts 2009). Anschließend wird der nächste Arbeitsschritt besprochen. Im weiteren Verlauf der Marte-Meo-Beratung werden Interaktionsanalysen angefertigt, in der „Aktion“ und „Reaktion“ gegenübergestellt werden. Was macht das Kind oder das Pferd und wie reagiert der Pädagoge darauf und umgekehrt? Der Marte-Meo-Therapeut gibt Auskunft darüber, wie konkret ein Kind bestimmte Fähigkeiten erlernen kann oder was genau der Reitpädagoge für Ressourcen zur Verfügung hat bzw. noch entwickeln muss, um sein Klientel bestmöglich emotional und sozial zu fördern (Schleifenbaum 2010). Zu den Leitungskompetenzen gehören z. B. Fähigkeiten wie ■ einen zentralen Fokus herstellen, ■ präsent sein, ■ klar sagen, was man möchte, ■ den nächsten Schritt ansagen, ■ einen klaren Anfang sowie ein klares Ende setzen u. v. m. (Aarts 2007). Der Reitpädagoge lernt u. a., seine Körperhaltung, Mimik, Gestik und Tonlage zu reflektieren, gute Anleitung zu geben und über bestimmte Kommunikationsmuster (Marte-Meo-Elemente) die emotionalen, verbalen und sozialen Fähigkeiten der Kinder zu unterstützen (Schleifenbaum 2010, 63). Verfügt der Reitpädagoge selber über eine Marte-Meo-Qualifikation, kann er die heilpäd- Schleifenbaum - Marte Meo mup 4|2011 | 171 agogische Arbeit mit dem Pferd eigenständig mit den Marte-Meo-Elementen bereichern und diese als Handlungsleitfaden benutzen. Er kann sich auch in seiner Arbeit in der HPF von einer außenstehenden Person filmen lassen, um seine Selbstwahrnehmung zu schulen und die Kinder aus einer anderen Perspektive betrachten zu können (Schleifenbaum 2010). Eine weitere Möglichkeit, Marte Meo in der HPF anzuwenden, besteht darin, den Kindern selbst ausgewählte Filmausschnitte zu zeigen, in denen sie etwas sehr gut gemacht haben. Somit können sie positiv bestärkt werden. Über das Video können die Kinder noch einmal Schritt für Schritt die „Pferdesprache“ erlernen und Fragen zu bestimmten Verhaltensweisen stellen. Auf diese Weise kann das Kind selbst gecoacht werden. Ressourcenorientiert anstatt defizitorientiert Marte Meo spricht nicht von Störungen, sondern von Möglichkeiten. Probleme stellen Herausforderungen und somit Gelegenheiten zur Weiterentwicklung dar (Aarts 2002, 53). Die Aufgabe des Reitpädagogen besteht demnach darin, dem Klienten Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Der Klient soll dort abgeholt werden, wo er steht und er soll weder übernoch unterfordert werden. Ausgangslage sind die vorhandenen Stärken. Ziel ist es, dass der Klient Entwicklungsschritte aus „eigener Kraft“ bewältigen kann - was der lateinischen Übersetzung von Marte Meo entspricht (Aarts 2000, 45f). Der Marte-Meo-Reitpädagoge hat die Aufgabe, seine Klienten dabei zu unterstützen, selber Lösungen zu entwickeln und das Handlungsrepertoire zu erweitern (Aarts 2009, 72). Wirkfaktoren Die Wirksamkeit der Methode ergibt sich aus den Faktoren „Beziehung“ und „Kommunikation“, welche nachfolgend unter den „fünf Basiselementen erfolgreicher Kommunikation“ erläutert werden. Wie bereits erwähnt, ist eine ganzheitliche Kommunikation nach dem Verständnis von Marte Meo der Schlüssel für eine gelungene Beziehungsgestaltung. Kommunikation ist ein komplexes Zusammenspiel aller Sinne, insbesondere von Körperempfindungen, Stimme, Sprache, Mimik, Gestik und Körperhaltung (Schleifenbaum 2010, 45; Bünder u. a. 2009). Gerade in der HPF spielt die nonverbale Kommunikation eine wichtige Rolle. Das Pferd kommuniziert überwiegend nonverbal, und der Mensch muss seinen ganzen Körper einsetzen, um mit dem Pferd in Beziehung zu treten. Maria Aarts hat schon früh damit begonnen, Eltern in der Kommunikation mit ihren Kindern zu beobachten und beschreibt als Ergebnis dieser Beobachtungen fünf Basiselemente sowie zwei Metaelemente der Kommunikation. Diese Elemente sind allerdings nur analytisch voneinander zu trennen und fließen in der Praxis ineinander über. Die Aufspaltung in die einzelnen Kommunikationselemente dient jedoch zur Vereinfachung einer Kommunikationsanalyse (Bünder u. a. 2009, 65 f). Im weiteren Verlauf werden die fünf Elemente erfolgreicher Kommunikation sowie zwei übergeordnete Elemente (Bünder u. a. 2009, 65 f) dargestellt und auf die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd übertragen. Element 1: Wahrnehmen und Folgen Der Reitpädagoge soll lernen, die Initiativen, die das Kind ergreift, wahrzunehmen. Alle Versuche, die ein Kind aktiv unternimmt, um mit seiner Bild 1: Die Reitpädagogin bietet die nötige Unterstützung. 172 | mup 4|2011 Schleifenbaum - Marte Meo Umwelt in Kontakt zu treten, werden als Initiative bezeichnet (Bünder u. a. 2009, 66). Es soll nicht sofort auf das Kind eingegangen werden, sondern es soll zuerst abgewartet werden, wie das Kind reagiert, um dann seinen Initiativen zu folgen. Der Reitpädagoge soll lernen, zunächst die Stimmungs- und Bedürfnislage des Kindes zu erkennen, sie richtig zu interpretieren, um in einem späteren Schritt darauf angemessen zu reagieren. Auch für die neurologische Verarbeitung von Handlungsabläufen braucht das Gehirn Zeit (Spitzer 2007). Auf dem Element „Wahrnehmen“ bauen alle anderen Elemente auf (Bünder u. a. 2009, 67). Durch das Betrachten der Videoaufnahme können Initiativen eines Kindes sichtbar gemacht werden, die in der Praxis teilweise untergehen, da der Reitpädagoge meistens mehrere Kinder sowie das Pferd im Blick haben muss. Einzelne Sequenzen können in Zeitlupe oder mehrmals hintereinander gezeigt werden, um auch kleinste Signale zu bemerken, die einen Schlüssel für bestimmte nachfolgende Verhaltensweisen darstellen können (Bünder u. a. 2009, 13 f). Element 2: Bestätigung Im nächsten Schritt geht es darum, die Signale und Initiativen des Kindes zu bestätigen. Die meisten Reitpädagogen machen dieses intuitiv, indem sie sich dem Kind / Erwachsenen mit dem Körper zuwenden, ein Lächeln erwidern oder verbal reagieren. Durch diese Rückmeldung empfängt das Kind die Botschaft „Ich werde gesehen, meine Eltern / mein Reitpädagoge interessieren sich für mich“. Das Gefühl des „Gesehenwerdens“ ist elementar für die kindliche Entwicklung (Bünder u. a. 2009, 15 f). Erwidert das Kind ein Lächeln des Reitpädagogen, erfolgt nicht nur bei dem Kind, sondern auch bei seinem Gegenüber eine vermehrte Dopamin-Ausschüttung und führt auf beiden Seiten zu Glücksgefühlen, welche den Lernprozess beschleunigen (Spitzer 2007). Element 3: Benennen Auf das Wahrnehmen und Bestätigen folgt das „Benennen“ von Initiativen. Alle Initiativen des Kindes sollten benannt werden, d. h. den Handlungen sollen Wörter gegeben werden (Bünder u. a. 2009, 15). Das gilt nicht nur für die Initiativen des Kindes, sondern der Reitpädagoge soll auch seine eigenen Initiativen benennen. Durch das Benennen erlangt das Kind Ordnung und Struktur, die ihm wiederum Sicherheit und Orientierung in der Welt geben. Bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wird der Fokus auf das Benennen und Spiegeln von Bild 2: Beziehung und Kommunikation Bild 3: Das Kind wahrnehmen Schleifenbaum - Marte Meo mup 4|2011 | 173 Gefühlen gerichtet. Der Reitpädagoge kann ein Kind spiegeln, indem er z. B. sagt: „Ich habe den Eindruck, dass du heute ganz schön müde bist.“ Durch dieses Vorgehen fühlt ein Mensch sich gesehen, lernt seine Gefühle zu verstehen, zu verbalisieren und somit auch, besser mit Gefühlen umzugehen. Vom Element des Benennens ist das Fragen zu unterscheiden: Wer fragt, möchte gerne etwas von seinem Gegenüber wissen und fügt seiner Wahrnehmung häufig eigene Vorannahmen hinzu. Vorannahmen sind oft nicht durch konkrete Wahrnehmungen abgesichert. Fragen können auch verunsichern (Bünder u. a. 2009, 71 f). In der Säuglingsforschung sowie der Neurobiologie wurde aufgezeigt, wie wichtig das Element „Benennen“ für die Sprachentwicklung ist (Bauer 2006; Spitzer 2007). Neurologisch betrachtet, werden durch das Benennen von Initiativen und Gefühlen die Gehirnbahnen etabliert und vernetzt (Spitzer 2007). Element 4: Sich in der Kommunikation abwechseln („take turns“) Eine erfolgreiche Kommunikation beinhaltet unter anderem, dass der Reitpädagoge darauf achtet, dass alle beteiligten Gesprächspartner gleichermaßen in einem Gespräch involviert sind, dass keine Gesprächsüberschneidungen entstehen und dass die Beiträge aller beachtet werden. Kinder müssen lernen zuzuhören, abzuwarten, bis der andere ausgeredet hat, und erst wenn sie an der Reihe sind, ihre Belange zu äußern. Schüchternen Kindern sollte bewusst Raum zum Reden gegeben werden, und andere Kinder wiederum müssen lernen zuzuhören. Die Aufgabe des Reitpädagogen ist es, dem Kind die Gewissheit zu geben, dass es gesehen wird und wichtig ist (Bünder u. a. 2009, 21 f). Element 5: Lenken und Leiten Ein erfolgreiches Lenken und Leiten von Kindern ist nur „positiv“ möglich. Demnach sollen Eltern oder Pädagogen dem Kind die nötigen Informationen und Unterstützung zur Verfügung stellen, die es braucht, um eine Situation aus eigener Kraft zu meistern (Hawellek / Schlippe 2005, 60). Lenken und Leiten beinhaltet die Aspekte Aufsicht, Sicherheit, Bestätigung und Schutz (Bünder u. a. 2007, 23 f). Von ebensolcher Wichtigkeit ist es, dass der Reitpädagoge eine sichere Struktur vorgibt, an der die Kinder sich orientieren können. Eine feste und vorhersagbare Struktur begünstigt, nach Untersuchungen der Neurobiologie, ebenfalls den Lernvorgang. Dies bezieht sich nicht nur auf die äußeren Rahmenbedingungen, sondern auch auf die Vorhersagbarkeit des Reitpädagogen (Spitzer 2007, 280 f). Je älter ein Kind ist, desto mehr Raum muss ihm zum Verhandeln von Grenzen gegeben werden. Es muss eine positive Verhandlungskultur erlernen, in der es immer mehr Autonomie entfalten kann. Kinder müssen dabei lernen, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, argumentativ zu vertreten, sich die Gegenseite anzuhören und einen Kompromiss zu finden (Bünder u. a. 2009). Bild 4: Eine ruhige und entspannte Atmosphäre 174 | mup 4|2011 Schleifenbaum - Marte Meo Metaelemente: Den vorgenannten fünf Grundelementen sind die Metaelemente „angemessener Ton“ und „konstruktive Dialogtechnik“ übergeordnet. Eine tiefe, ruhige, warme Stimmlage und ein langsames Sprechen beruhigen. Eine helle, lockende Stimme motiviert, eine feste Stimme gibt Halt. Differenzierte und der jeweiligen Situation angemessene Töne sind teilweise entscheidender als der eigentliche Inhalt (Bünder u. a. 2009, 85 f). Um die Wichtigkeit einer „positiven“ Lernatmosphäre und einer gelungenen Beziehungsgestaltung zu untermauern, werden im Folgenden einige Ergebnisse aus der Neurobiologie beschrieben. Der Neurobiologe Manfred Spitzer konnte nachweisen, dass der emotionale Kontext, in dem eine Einspeicherung der Wörter geschieht, einen modulierenden Einfluss auf die Erinnerungsleistung hat. Die Probanden konnten sich am besten an die Dinge erinnern, die in einem positiven emotionalen Kontext gespeichert wurden. Die Untersuchungen von Spitzer zeigen deutlich, wie eng Emotionen und Kognition miteinander verbunden sind. Deutlich wurde auch, dass Lernen bei guter Laune am besten funktioniert (Spitzer 2007, 165 f). Weitere Untersuchungen um die Forschergruppe von Spitzer ergaben, dass Lernen besonders effektiv ist, wenn das Ergebnis besser als erwartet ausfällt. Gelernt wird das, was positive Konsequenzen hat (ebd. 176-177). Auch ein freundlicher Blick, ein freundliches Wort oder ein Lächeln aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn und bewirken eine Dopamin-Ausschüttung, also eine Ausschüttung von Glückshormonen (ebd. 190 f). Der Nutzen von Marte Meo in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Laut Grawe (1994) müssen Therapeuten über die Fähigkeit verfügen, ihr eigenes Beziehungsverhalten und dessen Wirkung nach außen zu reflektieren und dieses Verhalten nach therapeutischen Gesichtspunkten zu gestalten. Durch eine Art bildbasierende Supervision kann der Reitpädagoge darin geschult werden, positive Leitungskompetenzen zu entwickeln. Er lernt durch Marte Meo, einen klaren Anfang und ein klares Ende zu setzen. Dies gilt für den Stundenanfang, das Stundenende sowie für jede neue Handlung, wie z. B. das Ausmisten der Box oder das Putzen des Pferdes. Der Reitpädagoge lernt, den nächsten Schritt klar anzusagen, Struktur vorzugeben und sein eigenes Handeln zu benennen. Außerdem ist es wichtig, eine angenehme, lernförderliche Atmosphäre herzustellen, indem der Pädagoge einen angemessenen, freundlichen Ton, freundlichen Gesichtsausdruck und eine offene, den Kindern zugewandte Körperhaltung entwickelt. Die emotionalen und sozialen Fähigkeiten der Kinder lassen sich durch die Betrachtung des Videos herausfiltern und können dem Reitpädagogen Rückschlüsse auf die Zielsetzung der Förderung geben. In der Videoanalyse wird genau herausgefiltert, welche Fähigkeiten das Kind schon entwickelt hat und welche es noch lernen sollte (Schleifenbaum 2010, 68). Der Begriff „Kooperation“ bleibt nicht eine abstrakte Worthülse, sondern wird in viele kleine Einzelteile zerlegt. Für viele Bereiche des tägli- Bild 5: Einen zentralen Fokus schaffen Schleifenbaum - Marte Meo mup 4|2011 | 175 chen Lebens, z. B. die Schule oder der Sportverein, ist es wichtig, dass das Kind über die Fähigkeit zur Kooperation verfügt (Aarts 2007). Unterpunkte von Kooperation sind beispielsweise ■ seine eigenen Initiativen benennen, ■ einen klaren Anfang machen, ■ sich selbst klar präsentieren und sagen, was man will, ■ den nächsten Schritt strukturieren, ■ „Kooperationstöne“ (angenehme, aufmunternde Tonlage) verwenden, ■ Selbstregulation zeigen, ■ sich selbst motivieren, ■ Frustrationsfähigkeit besitzen. Diese detaillierte Aufschlüsselung von „Kooperation“ ist wichtig, um genau zu erklären, was eigentlich „Kooperation“ ist und welche Fähigkeiten Kinder entwickelt haben sollten, um erfolgreich kooperieren zu können (Aarts 2007, 110). Fehlen diese Kooperationsfähigkeiten, ist es eine therapeutische Zielsetzung, diese in der HPF zu erlernen. Nach den neurobiologischen Untersuchungen von Bauer (2006) führt auch soziale Ausgrenzung zu einer Aktivierung des Schmerzzentrums im Gehirn. Ausgrenzung und Demütigung sind sehr häufige Auslöser von Aggression. „Überall dort, wo Personen vital beeinträchtigt, bedroht, von signifikanten Verstößen gegen die gebotene Fairness oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind (…), wird das Aggressionspotential massiv ansteigen“ (Bauer 2006, 156). Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass der Reitpädagoge die Kinder möglichst gleichermaßen in alle Aktivitäten mit einbezieht, kein Kind ausgrenzt und kooperatives Verhalten fördert. Findet das Kind selber keine, laut Aarts, „schönen Kooperationstöne“ (eine bestimmte Tonation in der Stimme), muss der Pädagoge diese vorgeben. Kann das Kind sich und seine Wünsche nicht klar präsentieren, muss der Pädagoge die notwendige Unterstützung hierzu liefern. Dies kann er z. B. dadurch tun, indem er deutlich fragt: „Habt ihr alle gesehen, wie schön Lea das Pferd geputzt hat? “, oder er sagt: „Schaut mal, was Kevin gerade tut…! “. Dadurch lenkt der Pädagoge die Aufmerksamkeit der anderen Kinder auf Lea oder Kevin. Die anderen lernen dadurch, ihre Wahrnehmung für ihre Mitmenschen zu stärken und aus ihrer eigenen Welt herauszutreten. Auch die Verhaltensweisen und Reaktionen des Pferdes sollten immer in das Geschehen mit einbezogen werden (Schleifenbaum 2010). Ausblick Nach Kröger (2005) gibt es viel zu wenig konkrete Informationen darüber, wie eine positive Intervention in der HPF im Einzelnen aussehen könnte (Kröger 2005, 40). Die Marte-Meo-Methode stellt eine sehr praktische und lösungsorientierte Ergänzung in der HPF dar. Durch eine strukturierte und detaillierte Auswertung von Videos können Reitpädagogen lernen, ihre Wahrnehmung für ihre Klienten zu schulen, ihre Außenwirkung bewusst zu reflektieren und ihr Repertoire an unterstüt- Bild 6: Die Kinder haben gelernt, zu kooperieren. 176 | mup 4|2011 Schleifenbaum - Marte Meo zenden Verhaltensweisen zu erweitern. Marte Meo könnte auch in Form einer Coaching- und Supervisionsmethode als ein Baustein in die Ausbildung von Reitpädagogen mit einfließen. Literatur ■ Aarts, M. (2000): Marte Meo. Basic Manual. Aarts Productions, Harderwijk (NL) ■ Aarts, M. (2002): Marte Meo Programm for Autism. Aarts Productions, Harderwijk (NL) ■ Aarts, J. (2007): Marte Meo-Methode für Schulen. Entwicklungsfördernde Kommunikationsstile von Lehrern / Förderung der Schulfähigkeit von Kindern. Aarts Productions, Eindhoven (NL) ■ Aarts, M. (2009): Marte Meo. Ein Handbuch. Aarts Productions, Eindhoven (NL) ■ Bauer, J. (2006): Warum ich fühle, was Du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hoffmann und Campe, Hamburg ■ Bowlby, J. (1975): Bindung. Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung (Attachment and loss, Vol. 1). Kindler, München ■ Bünder, P. (2007): Theoriebuch Marte Meo. Entwicklungsförderung mit Videounterstützung. Kölner Verein für systemische Beratung e. V. Eigenverlag, Köln ■ Bünder, P., Sirringhaus-Bünder, A., Helfer, A. (Hrsg.) (2009): Lehrbuch der Marte-Meo-Methode. Entwicklungsförderung mit Videounterstützung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen ■ DKThR (Hrsg.) (2005): Sonderheft des DKThR: Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten - Grundlagen. DKThR, Warendorf ■ Gäng, M. (2010): Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. 6. Aufl. Ernst Reinhardt, München ■ Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F. (Hrsg.) (1994): Psychotherapie im Wandel. Hogrefe, Göttingen ■ Hawellek, C., Schlippe, A. v. (Hrsg.) (2005): Entwicklung unterstützen - Unterstützung entwickeln. Systemisches Coaching nach dem Marte- Meo-Modell. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen ■ Hüther, G. (2008): „Spuren des Erfolgs“. Hanauer Fachtagung 16. Januar 2008. Marte Meo Magazine 2, 17-22 ■ Kröger, A. (2005): Heilpädagogisches Voltigieren / Reiten in sachorientierter Partnerschaft - Menschliche Interaktion in sachorientierter Partnerschaft - Theorie und Praxis. In: Kröger, A. (Hrsg.): Partnerschaftlich miteinander umgehen. FN, Warendorf, 30-89 ■ Papoušek, H., Papoušek, M. (1991): Innate and cultural guidance of infants’ integrative competences: China, the United States, and Germany. In: Bornstein, M. H. (Hrsg.): Cultural approaches to parenting. Lawrence Erlbaum, Hillsdale (NJ), 23-44 ■ Schleifenbaum, T. (2010): Die Marte Meo- Methode als besondere Art der Förderung im Heilpädagogischen Voltigieren und Reiten. Diplomica, Hamburg ■ Schulz, M. (2005): Heilpädagogische Arbeit mit dem Pferd. In: Kröger, A. (Hrsg.): Partnerschaftlich miteinander umgehen. FN, Warendorf, 18-25 ■ Spitzer, M. (2007): Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akademischer, Heidelberg ■ Stern, D. (2000): Mutter und Kind. Die erste Beziehung. Klett-Cotta, Stuttgart Die Autorin Tessa Schleifenbaum Dipl.-Rehabilitationspädagogin, Bewegungspädagogin, Ausbildung in der Psychomotorik, Marte MeoTherapist/ Colleague Trainer, Trainer-C Reiten, seit frühster Kindheit durch meine Mutter Christa Schleifenbaum (Hippotherapeutin) und Familie von Dietze mit der Reittherapie vertraut, zur Zeit Koordinations- und Beratungsstelle bei der Lebenshilfe Dortmund Anschrift: Tessa Schleifenbaum · Althoffstr. 17 · D-44137 Dortmund looptree@yahoo.de