mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2011.art06d
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Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd
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Christine Sandig
Im folgenden Artikel werden Gemeinsamkeiten der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd und der Arbeit mit Musik herausgestellt. Dazu wird der Versuch einer Übertragung der musikalischen Elemente Rhythmus, Takt, Dynamik und Harmonie in die Heilpädagogische Förderung unternommen. Darauf aufbauend folgen die Zielsetzungen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in den Bereichen Motorik-Sensorik, Kognition-Sprache und Emotionen-Soziales sowie methodische Überlegungen der Einsatzmöglichkeiten von Musik bzw. musikalischer Elemente. Dabei werden eventuelle Grenzen der Einsatzmöglichkeiten ebenfalls angesprochen.
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60 | mup 2|2011|60-73|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2011.art06d Im folgenden Artikel werden Gemeinsamkeiten der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd und der Arbeit mit Musik herausgestellt. Dazu wird der Versuch einer Übertragung der musikalischen Elemente Rhythmus, Takt, Dynamik und Harmonie in die Heilpädagogische Förderung unternommen. Darauf aufbauend folgen die Zielsetzungen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in den Bereichen Motorik-Sensorik, Kognition-Sprache und Emotionen-Soziales sowie methodische Überlegungen der Einsatzmöglichkeiten von Musik bzw. musikalischer Elemente. Dabei werden eventuelle Grenzen der Einsatzmöglichkeiten ebenfalls angesprochen. Schlüsselbegriffe: Musik, musikalische Elemente, Übertragung, Zielbereiche, Einsatzmöglichkeiten Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Christine Sandig Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 61 Christine Sandig Bevor die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von musikalischen Elementen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd vorgestellt werden, erscheint es sinnvoll, zunächst die Musik als Begriff und den fördernden und therapeutischen Umgang mit und durch Musik näher zu betrachten. Musik wird allgemein als Ausdrucksmittel des menschlichen Seelen- und Gefühlslebens verstanden, wobei sie durch Rhythmus, Melodie, Harmonie, ferner Tonstärken- und Zeitmaßverhältnisse sowie deren Instrumentation gekennzeichnet ist (Paulick 2000, 621). Gemeinsam sind den meisten Versuchen einer Definition von Musik, dass sie von Schallereignissen als akustischer Reizgrundlage ausgehen. Dabei kann Musik auch als durch den vibrierenden Körper verursachte und / oder von der Luft übertragene Schwingungen - mittels Haut, Knochen und Nervensystem - begriffen werden (Alvin 1988, 126; Benenzon 1983, 126 f). Fördern mit und durch Musik Generell wird in der Förderung mit und durch Musik davon ausgegangen, dass „jedes akustische Ereignis musikfähig [ist] […]. Mit diesem weiten Musikbegriff wird in der Musiktherapie gearbeitet. Alles was klingt, kann zu Musik werden. Eine Unterscheidung zwischen Geräusch, Lärm und Musik ist subjektiv und nur aus dem Erleben der einzelnen Menschen zu treffen“ (Bruhn 2000, 22). Im Zusammenhang mit Therapie oder Förderung wird Musik als sensueller, physischer, emotionaler wie auch geistiger Stimulus (bewusst oder unterbewusst) gesehen (Deest 1994, 33). Somit ist ihre Funktion sehr verschieden, abhängig von der Methode und dem therapeutischen Konzept. Grundsätzlich wird sie aber als ein „Medium der Verständigung und des Austauschs - zwar ein nicht-sprachliches, analoges Medium, gleichwohl aber ein Mittel der Kommunikation“ (Deest 1994, 14; Bruhn 2000, 27) betrachtet. Sie kann beispielsweise Emotionen zum Ausdruck bringen und / oder auch hervorrufen bzw. erzeugen (Goll 2006, 194). Musik bildet zunächst eine Grundlage für Interaktions- und Beziehungsgestaltung, da sie als symbolische Gestalt dort beginnt, wo die Sprache mit ihrer Verständniskraft aufhört (Willms 1977, 96; Hegi 1997, 152). Hier wird an den ersten (vorgeburtlichen) Interaktionen zwischen dem menschlichen Embryo und seiner Umgebung angeknüpft, in welcher das Kind die Umgebung als Rhythmus, Tempo, Klangfarbe und Dynamik wahrnimmt. In den folgenden Ausführungen werden nun besonders der Umgang mit Musik in der heilpädagogischen Musiktherapie (von Goll 1993) und der Orff-Musiktherapie (von Orff 1974) vorgestellt, da sie Anknüpfungspunkte für den Einsatz musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd zu bieten scheinen. Die Orff-Musiktherapie Die vom Orff- Schulwerk angestrebte Integration sprachlicher, musikalischer und tänzerischer Elemente findet in der Orff-Musiktherapie ein neues Wirkungsgebiet (Orff 1974, 9f). Die Förderung wird unter dem grundlegenden Aspekt, „die Therapie als einen Stimulus zu betrachten“ (Orff 1974, 17), durchgeführt. Nicht nur die Gestalt der Instrumente, sondern auch die „Mittel“ an dem Menschen, in dem Menschen und um ihn herum können, multisensorisch eingesetzt, fordern und fördern. In diesem Zusammenhang sind „Mittel“ an einem Menschen nach Orff: der eigene Körper, die Hände, die Finger, die Füße, die Ellenbogen, die Handknochen, die Nase und die Augen (Orff 1974, 19f). All das sei verbal stimulierend unterstützt, tastend, abklatschend, anblasend etc. erfahrbar. Es verhelfe zur Erkenntnis des eigenen Körperschemas (Orff 1974, 20). Mittel in einem Menschen sind Orff zufolge: Erfahrung der Vibration, wenn wir summen, sprechen und singen. Mittel um einen Menschen herum sind nach Orff z. B. der Raum, den wir akustisch und als Widerstand erforschen oder der Boden (wie klingt etwas, wie fühlt sich etwas an). Sie fasst dabei sinnliche Explorations- und Wahrnehmungsmöglichkeiten zusammen (vgl. ebd.). 62 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... Die Heilpädagogische Musiktherapie Goll (2006) erweitert für die Heilpädagogische Musiktherapie den bestehenden Musikbegriff um den Begriff der „Musik im weitesten Sinne“ als theoretisch fundierter und in der Praxis funktionaler Ausgangspunkt musiktherapeutischen Handelns, wobei er grundlegend von den Annahmen der Funktion der Musik in der Musiktherapie ausgeht. Der erweiterte Musikbegriff bezieht sich auf „akustische Phänomene aller Art“ (Goll 1993, 310), welche sich demzufolge nicht auf den auditiv wahrnehmbaren Bereich des Menschen beschränken. Zu den Elementen der Musik als Bestandteil des Musikbegriffes, wie er ihn beschreibt, gehören: Vibration, Ton, Rhythmus, Melodie, Harmonie, Struktur, Tonalität und Form (Goll 1993, 310f). Das Verständnis des Wortes „Musik“, welches die Elemente Wort, Ton und Bewegung umfasst, wurde zunächst von Gertrud Orff aufgegriffen (Orff 1974, 9). Ausgehend von der wortgeschichtlichen Wurzel des Begriffs „Musik“ (altgriechisch musiké) betont Goll den Bereich der Bewegung. Akustische Phänomene seien immer mit Bewegung verbunden (Goll 1993, 312). Wie das Konzept der „Orff- Musiktherapie“ (Orff, 1974), so beinhaltet demzufolge auch die „Musik im weitesten Sinne“ einen „multisensoriellen“ Einsatz von „Mitteln“ (Orff 1974, 19 f; Goll 1993, 310 f). Goll (1993) erweitert dieses Wahrnehmungsangebot noch „durch die Einbeziehung der Elemente Bewegung und körperbezogener musikalischer Elemente“ (Goll 1993, 319) - wodurch eine basale Kommunikation durch musikalische Elemente möglich wird - sowie durch „ein basales Spektrum möglicher Reaktionsmöglichkeiten auf Musik durch die Einbeziehung physiologischer Verhaltenskategorien“ (ebd.). Dieser Musikbegriff geht über das traditionelle Verständnis von Musik unter formalen, inhaltlichen und ästhetischen Kriterien hinaus. Er stellt mit seinen Worten „ein variables und multifunktionelles pädagogisch-therapeutisches Medium dar, das auf die individuellen Bedürfnisse einer heterogenen Klientel zugeschnitten werden kann“ (Goll 1993, 319; Goll 2006, 199). Infolge der weiten Auslegung des Phänomens Musik leuchtet es ein, dass Überschneidungen zwischen der Heilpädagogischen Musiktherapie und anderen pädagogisch-therapeutischen Förderansätzen, z. B. der basalen Stimulation, bestehen (Goll 2006, 198; Goll 1993, 317). Musik und Bewegung Die Beziehung zwischen Musik und Bewegung scheint naturgemäß, bedingt durch deren Strukturähnlichkeit. Musik hat das Vermögen, den Körper, den Geist und die Seele anzusprechen (Benenzon 1983, 41), während das Bewegen des Körpers Voraussetzung für die Harmonie der drei oben genannten Komponenten ist. Sowohl Bewegung als auch Musik weisen gleiche Elemente auf. „Beide vollziehen sich in der Zeit. Dem Tempo in der Musik entsprechen langsame wie schnelle Bewegungen. Lautstärke innerviert größere Bewegungen […]. Was in der Bewegung die Kraft ist, wird in der Musik durch Dynamik ausgedrückt“ (Benenzon 1983, 42). Der Bewegungsraum findet im Klangraum seine Entsprechung, und die Form hat für beide ordnenden Charakter. Zusammengefasst lassen sich die Wirkungen der vier Elemente von Musik so darstellen: „Ihre Zeitlichkeit wirkt auf das motorische Nervensystem, der Klang auf Seele bzw. Gemüt - wir sprechen von Stimmungen bzw. Stimmigkeit unseres Ausdrucks, die Dynamik setzt Phantasie und Ausdruckskraft frei, während die Form das Geistige ordnet“ (Krebber-Münch 2000, 127). Letztendlich finden sich die Verbindung von Musik und Bewegung auch in den verschiedensten Therapie- und Förderkonzepten wieder, z. B. Förderung durch Rhythmik oder Tanztherapie (Orff, 1974; Batel 1992). Sie beziehen die Musik oder Bewegung in ein Konzept als „funktionelles wie kommunikatives Medium in ihre Arbeit ein, ohne damit Musiktherapie (oder Bewegungstherapie) im Sinne eines selbstständigen Behandlungskonzeptes zu betreiben“ (Decker-Voigt 2000, 91). Bewegung gilt auch als Grundlage für die Heilpädagogische Förderung mit dem Medium Pferd. Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 63 Sowohl das Getragenwerden und der dadurch erfolgende nonverbale Bewegungsdialog als auch Rhythmen, Klänge und Geräusche sind ursprünglicher Herkunft. Beides wird bereits im Mutterleib erlebt und erfahren. Im Prinzip kann man mit Hilfe des Mediums Pferd - mit seinem spezifischen Verhaltensrepertoire wie auch Bewegungsangeboten - und auch der Medien Musik bzw. musikalische Elemente in der Therapie bei Erfahrung des Teilnehmers mit sich selbst, bei Erfahrungen mit einem Objekt/ Medium, wie auch bei Erfahrungen mit anderen (= Beziehung) ansetzen und diese fördern. Gleichwohl gehen diese Ansätze ineinander über und sind miteinander verknüpft. Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd und Musik bzw. musikalische Elemente Bereits Carl Klüwer (1997) wies in seinen Ausführungen „Die spezifischen Wirkungen des Pferdes in den Bereichen des Therapeutischen Reitens“ darauf hin, dass der Takt des Pferdes in den verschiedenen Gangarten mit den (taktgebundenen) Rhythmen übereinstimme, die in der Musiktherapie angewandt werden (Klüwer 1997, 10). Auch im alltäglichen Sprachgebrauch können Übereinstimmungen gefunden werden. Hierzu gehören Adjektive wie feurig , ruhig oder wie beruhigend , dahingleitend , tänzerisch , impulsiv , die sowohl der Beschreibung einer Bewegung des Pferdes als auch unserem Musikempfinden entstammen können. Wird von der Beschreibung der Musik durch ihre „Merkmale“ ausgegangen, so kann man u. a. Schnittpunkte bei den spezifischen Bewegungsabläufen des Pferdes in den Elementen Rhythmus , Takt , Dynamik und Harmonie finden. Die Bestandteile kommen sowohl in den Grundgangarten als auch in der Musik vor. Der kennzeichnende Rhythmus einer jeden Gangart des Pferdes bildet sich durch die Abfolge der Phasen beim Auf- und Abfußen und beschreibt den natürlichen Bewegungsablauf. Diese „Wechselspannung“ zwischen Heben und Senken ist in der Musik mit dem „Metrum“ (= Betonungsordnung) vergleichbar (Grillo 1992, 374 f). Im Bereich der Musik wie auch im Bewegungsablauf des Pferdes sind die Hebung bzw. das Abfußen als Spannungsphase lautlos, während die Senkung bzw. das Auffußen als Entspannungsphase die Betonung gibt. Auf dem Pferd sitzend, werden diese Spannungs- und Entspannungsphasen als ein „Auf“ und „Ab“ über die Lenden-Becken-Hüftregion im gesamten Körper erlebt. Besonders in der Gangart Trab werden die Folgen der „Wechselspannung“ sehr eindeutig, da die unbetonten Phasen Schwebephasen sind. Der Rhythmus ist ein natürlicher und so auf einfachste Rhythmen der „Wechselspannung“ in der Fußfolge begrenzt. Daher stimmen im Bewegungsverlauf Metrum und Rhythmus überein. Unter Rhythmus , musikalisch definiert, wird allgemein der Bewegungsablauf innerhalb eines 64 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... Taktes - ein Zeitverständnis der einzelnen Töne zueinander im Takt (lang - kurz) sowie das Verhältnis zwischen der Betonung (leicht - schwer) verstanden. Hegi (1997) beschreibt in diesem Zusammenhang zwei Grundmuster an Rhythmen in Bezug auf den menschlichen Körper. Der erste ist ein Zweiertakt. Ihn findet man im Herzschlag und im Rhythmus des Gehens wieder. Der Dreiertakt bildet den zweiten, welcher auf dem Rhythmusmuster des Atmens beruht (Einatmen, Ausatmen, Atempause) (ebd. 32). Diese Körper- und Zahlenlogik ist der Grund dafür, dass es keine anderen Taktarten als Zweier und Dreier gibt. Alle anderen sind Spielformen oder Kombinationen davon. Da sie aber nicht wie Bewegungen, das Atmen oder Herzschlag von einem Wesen abhängig sind, gibt es im Musikbereich gerade in Verbindung mit Tondauer und Metrum viele Möglichkeiten der rhythmischen Gestaltung. Allerdings sind die Rhythmen des Pulses (Zweier-Rhythmus) und der Atmung (Dreier-Rhythmus) diejenigen, welche uns am nächsten liegen. Man muss aber beachten, dass ein Gleichschlag (eine Aneinanderreihung von Schlägen) noch keinen Rhythmus darstellt. Erst durch eine sich wiederholende Betonung entstehe Ordnung in der Bewegung (Hegi 1997, 51; Decker-Voigt 2000, 199). Durch den Rhythmus haben sowohl die Bewegungen des Pferdes als auch die Musik ordnende Strukturen, welche die körpereigenen Bewegungsmuster des Teilnehmers ordnend beeinflussen können. Der Takt wird in der Reitlehre als das „räumliche und zeitliche Gleichmaß in den (drei) Grundgangarten, also in Schritten, Tritten und Sprüngen“ (Miesner u. a. 2005, 170) beschrieben und wird als elementar in jeder Arbeit bzw. auch Ausbildung des Pferdes angesehen. Somit ist unter taktmäßigem Gehen des Pferdes eine korrekte fortgesetzte Abfolge der Phasen in jeder Grundgangart, unabhängig vom Tempo und von der Bewegungsrichtung, zu verstehen. Jede Gangart hat ihr entsprechendes Taktmaß. Das bedeutet, ein Schritt, ein Trabtritt und ein Galoppsprung entsprechen einem einzelnen Takt (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Gangartenschema (Oese 1992, 461) Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 65 Der Schritt ist ein Vierer-Takt, wobei die Vorwärtsbewegung der Hufe in acht gleichmäßigen Stützphasen erfolgt. Dabei gehören je eine betonte und eine unbetonte Stützphase zusammen. Der Trab ist ein Zweier-Takt und erfolgt in vier gleichmäßigen Phasen: zwei Stütz- und zwei Schwebephasen, wobei je eine betonte Stützphase und eine unbetonte Schwebephase zusammengehören. Während Schritt und Trab einen geraden Takt haben, weist der Galopp einen ungeraden auf. Ebenso wie der Trab ist der Galopp eine schwunghafte Bewegung, allerdings in einem Dreier-Takt mit sechs unterschiedlich langen Phasen: fünf Stützphasen und eine Schwebephase. Dabei gehören erstens zwei betonte und eine unbetonte Stützphase zusammen, zweitens eine betonte sowie eine unbetonte Stützphase, und drittens vervollständigt die Schwebephase den Takt. Die entscheidende Betonung des Galopps liegt auf der vierten Phase (Grillo 1992, 375; Miesner u. a. 2005, 156). In der Musik wird unter Takt der äußere Rahmen verstanden, welcher das Metrum und den Rhythmus in bestimmte Takteinheiten in einer exakten, immer wiederkehrenden Zeitspanne fasst (Grillo 1992, 375). Dabei charakterisiert das Metrum die „Wechselspannung“ zwischen betont und unbetont, der Rhythmus hingegen die Dauer der Töne. In der Musik entspräche beispielsweise der Trab einem Polka- und der Galopp einem Walzertakt (Storl 1988, 25; Schulz 2005, 24). Die Dynamik entspricht im Reiten der Umsetzung von Energie bzw. Kraft in einen Bewegungsablauf und umfasst die Spanne von versammeltem bis starkem Tempo, von der Erhabenheit bis zur höchsten Schwunghaftung (Grillo 1992, 377). Im Bereich der Musik „bezeichnet sie das Spiel und die Wirkung von sich gegenüberstehenden Kräften“ (Hegi 1997, 126) und wirkt in den Faktoren Tempo, Lautstärke und in dem Moment der Pause. Hegi (1997) begreift den Moment der Pause als Gegenpol zu Tempo, Lautstärke und Aktivität, obwohl es ein dynamisches Element ist. Sie gibt dem Rhythmus Struktur (ebd.). Wie das Element der Lautstärke (laut, leise) befindet sich auch das Tempo in einem Kontinuum (Hegi 1997, 127) von langsam bis schnell. Diese Erfahrung der Geschwindigkeitsunterschiede kann der Teilnehmer auch zusammen mit dem Pferd innerhalb einer Strecke in einer bestimmten Gangart erleben. Wenngleich das reiterliche Element „Dynamik“ sich nicht genau auf den musikalischen Bereich übertragen lässt, so können dennoch dynamische Vorgänge in der Musik und beim Reiten sinnverwandt miteinander verbunden werden. Dies ist beispielsweise vergleichbar mit dem „Anwachsen“ der Musik und die sich dabei verstärkende Ausdrucks- und Schwungkraft der Bewegungsabläufe des Pferdes (Grillo 1992, 377). Mit Harmonie ist im reiterlichen Sinne das ungestörte Zusammenspiel zwischen Mensch und Pferd gemeint. Gemeinsam die Bewegung zu erleben, miteinander zu schwingen und sich fortzubewegen, ist zum einen ein ganz konkretes Geschehen. Zum anderen vermittelt es eine gefühlsmäßige Übereinstimmung. Die Harmonie in der Bewegung ist nach Grillo (1992) vergleichbar mit Vorgängen aus der musikalischen Harmonielehre - im Besonderen mit der Ordnung dessen, was miteinander erklingt (die Akkorde), und die Ordnung dessen, was nacheinander erklingt (die Aufeinanderfolge der Akkorde). So wirkt sich die Musik - die Harmonie - auch auf das Gefühl aus und ist in beiden Bereichen als Stimmigkeit zu begreifen. Laut der Ausführungen von Ölsböck (1992) beeinflussen die Gangarten - durch ihre unterschiedlichen Bewegungsqualitäten, Beschleunigungs- und Zentrifugalkräfte - den Körper des Menschen. Allgemein haben sie Auswirkungen auf die Verbesserung der Atmung, die Aktivierung der Sinnessysteme und auf die Pulsfrequenz. Die Schrittbewegung des Pferdes liegt ungefähr bei 65 bis 110 Kontakten pro Minute (Storl 1988; Deppisch 1992). Zudem weist Deppisch (1992) darauf hin, dass eine wesentliche 66 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... Rolle „im elementaren Erleben des Pferdes […] wahrscheinlich die Tatsache [spielt], dass die Schrittfrequenz des Pferdes ungefähr dem Herzschlagrhythmus des Menschen entspricht“, welcher bei Erwachsenen zwischen 60 bis 80 und bei Kindern ungefähr 90 Schläge pro Minute beträgt. Die Spanne der „Schlagfrequenz“ in den Trabbewegungen des Pferdes liegt zwischen 120 bis 160 und im Galopp zwischen 90 bis 105 Schlägen pro Minute. Während sich der Klient im Schritt relativ passiv verhalten kann und Zeit hat, der Bewegung des Pferdes nachzuspüren, verstärken sich die Bewegungsanforderungen an den Teilnehmer in Bezug auf Gleichgewicht, Koordination, Reaktionsfähigkeit, Rhythmusfähigkeit und Orientierungsfähigkeit sowohl im Trab als auch im Galopp im Vergleich zum Schritt sehr stark (Deppisch 1997, 41). Er ist in den höheren Gangarten gefordert, sich aktiv mit den Bewegungen des Pferdes auseinander zu setzen. Diese spezifischen Wirkungen der drei Grundgangarten des Pferdes werden in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd bewusst eingesetzt. Die „Qualität“ der Gangmaße ist von Pferd zu Pferd verschieden. Demnach kommt der Wahl eines Pferdes in Bezug auf seine Bewegungen besondere Bedeutung zu. So kann der Schritt des Pferdes, welcher dem menschlichen Gangbild sehr ähnlich ist, bei einem langsamen Tempo lösend, entspannend, fast meditativ wirken. Der Vierertakt in einem höheren Tempo hingegen kann einen konzentrierenden Einfluss auf den darauf sitzenden Klienten haben. Der Zweiertakt des Trabes wirkt animierend, aufmerksamkeitsfördernd und erhöht den Muskeltonus. Die Gangart Galopp mit ihrem Dreischlag erinnert mit seiner schaukelartigen Bewegung an ursprüngliche Bewegungserfahrungen und kann beschwingend wirken (Deppisch 1997, 40; Klüwer 1997, 10; Schulz 2005, 25). Dies deckt sich auch mit den psychophysischen Wirkungen auf den Menschen von (nur) gehörten Rhythmen bzw. Takten: „Ein ungerader Takt, zum Beispiel ein Dreier (Walzer), wirkt beschwingend. Ein gerader Zweiertakt (Marsch) wirkt auf uns ‚vorwärts‘ - fortbewegend“ (Decker-Voigt 2000, 68). In der Musik gilt allgemein: rhythmisch betonte Musik in Dur-Tonarten mit erhöhter harmonischer Aktivität und Betonung der Dissonanzen (Ausdruck für Intervalle und Akkorde, welche in der konventionellen Musik als „auflösungsbedürftig“ empfunden werden), in einer eher höheren Laustärke, wirkt stimulierend, emotionalisierend, anregend und belebend. Sie kann den Blutdruck, die Atem- und Pulsfrequenz erhöhen und führt zu einem vermehrten Auftreten rhythmischer Kontraktionen der Skelettmuskulatur (Decker- Voigt 2000, 60 f). Dagegen haben „schwebende“, nicht akzentuierte Rhythmen, kombiniert mit Moll-Tonarten, geringerer Lautstärke und „sanft fließender“ Melodie einen beruhigenden, entspannenden Einfluss (Decker-Voigt 2000, 70 f) auf den Menschen. Demnach können sowohl die Bewegungen des Pferdes als auch Elemente der Musik Einfluss auf den Reitenden nehmen. So schreibt auch Mehlem (2006): „Im Finden eines gemeinsamen harmonischen Rhythmus, unabhängig von der Art der Bewegung oder Handlung, entsteht ein gemeinsames Pulsationsfeld, in dem sich Mensch und Pferd als Lebewesen in ihrer Gleichheit begegnen.“ Geeignete Musik könnte eine Möglichkeit sein, um das „gemeinsame Pulsationsfeld“ zu unterstützen, zu fördern oder zu stabilisieren. Genauso wie das Klangerlebnis, knüpft auch das „Sich-auf-dem- Pferd-Befinden“ in der heilpädagogischen Förderung an ein ontogenetisches frühkindliches Wahrnehmungserlebnis und bietet dabei die Möglichkeit der Regression und des Nacherlebens an, was zu einem Vertrauensaufbau genutzt wird. Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 67 Genauso wie das Klangerlebnis, knüpft auch das „Sich-auf-dem-Pferd-Befinden“ in der heilpädagogischen Förderung an ein ontogenetisches frühkindliches Wahrnehmungserlebnis und bietet dabei die Möglichkeit der Regression und des Nacherlebens an, was zu einem Vertrauensaufbau genutzt wird. Neben der emotionalen Ebene wird hier auch der motorisch-sensorische Bereich in Bezug auf die Gleichgewichts-, Berührungs- und Tiefenwahrnehmung angesprochen (Deppisch 1997, 42). Ein weiterer Schnittpunkt sind Wiederholungen als formbildendes Moment; sie sind in der Musik und auch in Bewegungsabläufen innerhalb einer Gangart des Pferdes wiederzufinden. Dabei können die Bewegungsabläufe beispielsweise in Tempi wie auch die Musik in ihren Elementen variieren. Wiederholung als aufmerksamkeitsförderndes, bewegendes Moment ist in Pferdebewegungen und in der Musik in Form von Rhythmus wiederzufinden, wobei sie als Kreislauf von Vertiefung und Erneuerung zur Orientierung und Sicherheit bzw. Stabilisierung dienen kann (Hegi 1996, 178; Amrhein 1996, 14). Können Rhythmus (als pulsierende Regelmäßigkeit) bzw. Wiederholungen (für sich wieder-) erkannt werden, bewirkt dies Zufriedenheit, und es ist im Moment der Entdeckung bei fast allen Menschen ein Lächeln oder ein Lachen zu beobachten (Fröhlich 2002, 104 f). Das spezifische Verhaltens- und Bewegungsrepertoire des Pferdes und die Musik können bei dem Klienten der Heilpädagogischen Förderung innere und äußere Bewegung provozieren, Emotionen und Assoziationen freisetzen und gleichzeitig durch ihre Ordnung dem Klienten Struktur vermitteln. Beide Medien (sowohl das Pferd als auch Musik oder musikalische Elemente) können in der Förderung als Entgrenzung und als Grenzsetzung wahrgenommen werden, welche zu gleichen Teilen als Wohlgefühl oder Ergriffensein erlebbar sind. Die Wirksamkeit dieser Medien kann nur förderlich wirken, wenn sie für den Teilnehmer als bedeutend wahrgenommen und realisiert werden, unabhängig davon, in welchem Feld (Musik in der Musiktherapie, Pferd im Therapeutischen Reiten) sie eingesetzt werden. Überlegungen des Einsatzes von Musik bzw. musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Verständnis von Musik in der Musiktherapie von Goll (1993; 2006) und Orff (1974) und werden auf die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd übertragen und modifiziert. Geht man von der triangulären Fördersituation (Teilnehmer - Pferd - Pädagoge) aus, so kann die Musik als Material für die Förderung des Bewegungs- und Beziehungsdialogs zwischen Teilnehmer und Pferd dienen. Ebenso kann sie an der Kommunikation zwischen Teilnehmer und Pädagogen und / oder anderen Teilnehmern ansetzen. Darüber hinaus kann sie als Begleitung der Förderstunde (Hintergrundmusik) eingesetzt werden. In der Grafik (vgl. Abb. 2) sind die Einsatzmöglichkeiten der Musik und deren Umsetzungsmöglichkeiten in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd dargestellt. Dieser Überblick zeigt, dass der Einsatz musikalischer Elemente vielfältig sein kann. Die folgenden Überlegungen können somit lediglich einen Einblick musikalischer Erfahrungen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd geben. Die Möglichkeiten des Einsatzes von Musik bzw. musikalischer Elemente erweisen sich als sehr Beide Medien (sowohl das Pferd als auch Musik oder musikalische Elemente) können in der Förderung als Entgrenzung und als Grenzsetzung wahrgenommen werden, welche zu gleichen Teilen als Wohlgefühl oder Ergriffensein erlebbar sind. 68 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... vielfältig. Musik kann somit als ein zusätzliches Materialangebot in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd betrachtet werden. Der Einsatz von Musik kann ebenso wie der Einsatz von anderen Materialien (Stangen, Bälle, Reifen etc.) an die individuellen Voraussetzungen des Klienten angepasst werden. Für die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd lassen sich die folgenden Zielbereiche definieren: der motorisch-sensorische Bereich (1), ■ der kognitiv-sprachliche Bereich (2) und ■ der emotional-soziale Bereich (3). ■ Zu diesen jeweiligen Zielbereichen werden im Folgenden Anwendungsmöglichkeiten entwickelt und aufgeschlüsselt. (1) der motorisch-sensorische Bereich Ein Grundgedanke des Einsatzes von Musik bzw. musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd liegt in dem motorisch-sensorischen Bereich , welcher zum einen zur Einfühlung in die Bewegungen des Pferdes und zur Verbesserung der Haltung und zum anderen zu einer Förderung der Eigenwahrnehmung (als Grundvoraussetzung für den Aufbau eines Körperschemas) verstanden werden kann. Der Musikeinsatz kann zu einer Lockerung und Entkrampfung des Teilnehmers beitragen, wie auch zur Verbesserung des Gleichgewichtes, sowie der Koordination, als Basis für einen Bewegungs- und Beziehungsdialog mit dem Pferd. Zu Beginn der Fördermaßnahme wird in den meisten Fällen der Schwerpunkt auf den motorisch-sensorischen Bereich gelegt, wobei hier zunächst die Erfahrungen mit der eigenen Person im Vordergrund stehen. Das eigene Vermögen, Geräusche selber erzeugen zu können (das Wahrnehmen des eigenen Körpers als Urheber von Handlungen), unterstützt - bezogen auf den Einsatz musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd - eine Anregung und Stärkung der Erlebnisfähigkeit, den Sinn für Assoziation und die Entwicklung des Einfühlungsvermögens. Neben dem Gefühl der Selbstbestimmung stellt es gleichzeitig für den Abb. 2: Schematisierungsversuch der Einsatzmöglichkeiten von Musik bzw. deren Elemente (in Anlehnung an Klüwer 1997) Schritt Trab Galopp o hne oder mit Voltigiergurt ohne oder mit Satt el Longieren-Reiten Voltigieren Reiten Pfle gen Füttern Führen Parcours Spi ele Bewegu ngsdialog Funktions- Beziehungser fahrung Erfahrungen m it der eigenen Person mit Objekt(en ) mit anderen Geräusche von der eige nen Person Geräusche vom und rund ums Pferd Geräusc he von und mit anderen rhythmisches Be rühren Hintergrundmusik Atmosphäre zum Loslassen motorisch-se nsorisch kognitiv-sprachlich em otional-sozial Einzelf örderung Gruppenför derung Musik als Begleitung (passiv) Aktives Arbeiten mit musikalischen Elementen Gangart Ausrüstung Förderung auf/ mit dem Pferd Akzent in der Förderung Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 69 Teilnehmer ein Erfolgserlebnis dar, was neben dem Medium Pferd als zusätzliche Motivation gesehen werden kann. Selbstbestimmung meint hierbei die Möglichkeit, selbst zu wählen, z. B. mit welchen „Mitteln“ und in welcher Art und Weise (laut, leise, schnell oder langsam) man sich ausdrücken kann. Über die Stimme, über die Hände oder mit Hilfe eines Instrumentes können so Gefühle und Empfindungen auch auf einer nichtsprachlichen Ebene kreativ ausgedrückt werden. Das Pferd gibt zunächst dem Klienten durch seine Bewegungen einen Rhythmus vor. Zwischen beiden muss ein ständiges Suchen nach Harmonie stattfinden. Das bedeutet, die Veränderungen der Bewegungsweisen erfordern immer andere und neue Koordinationsbilder. Hierbei entwickelt sich mit der Zeit ein intakter Bewegungsdialog. Die Rhythmusfähigkeit des Klienten kann durch rhythmische Berührungen seitens des Pädagogen oder auch durch Mitklatschen bzw. Mitzählen des Klienten selber im Rhythmus der Pferdebewegungen verstärkt werden. So kann es helfen, sich diesem Rhythmus anzupassen, bzw. ihn konstant (mit)halten zu können. Das gleichmäßig hörbare Ab- und Auffußen der Pferdehufe, das Geräusch mahlender Pferdezähne, das taktreine Schwingen des Pferderückens unter dem Klienten, wie auch rhythmische Musikstücke, lassen ganz unterschiedliche Rhythmen erlebbar und erfahrbar werden. Diese verschiedenen Rhythmen eignen sich, für die Förderung aufgegriffen zu werden. Die Verbalisierung eines Rhythmus (das Mitzählen) kann dazu beitragen, den Rhythmus (durch) zuhalten, sei es nun ein vom Pferd vorgegebener oder ein eigener. Einen Rhythmus für eine bestimmte Zeit zu halten, kann einer Selbsterfahrung von Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit dienen, welche wiederum ein Einlassen bzw. ein „Sich-fallen-Lassen“ seitens des Klienten zu fördern vermag. Durch rhythmische Musikstücke können darüber hinaus das Herz-Kreislauf-System wie auch andere vegetative Körperfunktionen angeregt und stabilisiert werden. Somit eignen sich Musik oder musikalische Elemente (z. B. taktmäßige Geräusche) durchaus für die Aktivierung eines Teilnehmers oder dessen Entspannung und Erholung. (2) der kognitiv-sprachliche Bereich Ein zweiter Ansatzpunkt ist der kognitiv-sprachliche Bereich , in welchem neben den Objekterfahrungen und der Wahrnehmungsschulung, der Stärkung des Selbstwertgefühls und des Vertrauens in die eigene Leistungsfähigkeit sowie dem Übernehmen von Verantwortung - vor allem die Kommunikation, sowohl zwischen Klient und Pferd als auch zwischen Klient und Pädagogen, im Vordergrund steht. Zum einen kann in Verbindung mit dem (animierenden) Grundrhythmus des Pferdes der Pferdekörper als Resonanzkörper (eine Art Geräuschverstärker) genutzt werden, wobei spontane Laute oder gesummte Melodien intensiver wahrgenommen werden können, was hinsichtlich der Sprachanbahnung anregend wirkt. Zum anderen ist eine Förderung der Kommunikation zwischen Klient und Pädagogen mit Hilfe musikalischer Elemente möglich. Diese lassen sich durch gegenseitiges Austauschen, Improvisieren, Spiele (Vormachen-Nachmachen) oder das Singen von Liedern umsetzen. Ebenso ist eine Förderung der Raum- und Zeitorientierung sowie des Verständnisses von Ordnung, Gestaltung und Erfahrung bezüglich der Sinnzusammenhänge untereinander möglich. Darüber hinaus bietet die Musik die Möglichkeit der Konzentrationsverbesserung und Aufmerksamkeitslenkung, beispielsweise durch Hören und Beschreiben, wie sich Geräusche / Musik in Rhythmen, Tempo, Töne und / oder Klänge usw. unterscheiden. Umsetzungsmöglichkeiten für eine Förderung der kognitiven Leistungen können hierfür verschiedene (selbstausgedachte) Formen eines Signals sein oder aktives (Musik-)Hören, (Nach-)Erleben, Nachdenken, das Wiedererkennen oder Feststellen von Gemeinsamkeiten / Unterschieden zur Pferdebewegung. Des Weiteren kann die Musik (nonverbal) eine Vermittlung bzw. Verdeutlichung 70 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... von Strukturen und zeitlicher Orientierung ermöglichen, so u. a. durch das Folgen einer gemeinsamen zeitlichen Ordnung. Diese Ordnung kann Takt, Rhythmus der Pferdebewegung, Führen und Folgen umfassen. Ein weiteres Element von Struktur und Ordnung kann die Einteilung der Einheit in Phasen bedeuten, was gemeinsames Beginnen und Aufhören beinhaltet oder auch die Eingewöhnungs-, Arbeits- und Erholungsphase. Musik kann sich in diesem Zusammenhang als zeitliches, ritualisierendes Moment (z. B. bei Beginn oder Abschluss einer Fördereinheit) herauskristallisieren. Die Erfahrung mit der Objektwelt kann im Zusammenhang mit der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd speziell das Kennenlernen des Lebewesens Pferd, seiner Bedürfnisse sowie dessen Umwelt sein. Die naturnahe Umgebung (Stall, Reithalle, Außenreitplatz, Gelände) ist durch spezifische Reize geprägt, welche die Wahrnehmungsfähigkeit sensibilisieren und erweitern können. Dies ist u. a. durch das Wahrnehmen und (Selbst-)Erfahren von Geräuschen möglich. Wahrzunehmende Geräusche und Klänge wie auch Rhythmen sind beispielsweise Scharren, Schnauben, Wiehern, die Darmgeräusche, die Atmung und / oder das Hufgeklapper des Pferdes beim Gehen. Tierlaute, Geräusche, Klänge und Töne sind durch stimmliches Nachmachen nachzuempfinden. Auch rhythmische Elemente können mittels Stimme oder rhythmischer Bewegungen nachempfunden, verstanden und verinnerlicht werden. Durch einen schöpferischen Hörspaziergang mit und auf dem Pferd werden akustische Aspekte der Umwelt (einschließlich das Explorieren von Klängen unterschiedlichster Materialien) ganzheitlich erleb- und erfahrbar. (3) der emotional-soziale Bereich Im emotional-sozialen Bereich kommt der Förderung des Sozialverhaltens im Umgang mit und auf dem Pferd, der sozialen Interaktion sowie auch dem dynamischen Lernfeld, welches in einer dreidimensionalen Beziehungssituation zwischen Pferd, Teilnehmer und Pädagoge (Einzelförderung) bzw. zwischen einem Vielfachen von Beziehungsdreiecken (Gruppenförderung) gestaltet wird, eine entscheidende Rolle zu. In diesem geschützten Rahmen sollen vor allem soziale Kompetenzen und ein angemessener Umgang mit Gefühlen (eigene Gefühle wahrnehmen und zulassen, Auseinandersetzung mit Gefühlen anderer) gefördert werden. Musik bzw. musikalische Elemente können im Sinne gemeinsamen Musikerlebens (zusammen spielen, improvisieren, singen) Interaktions- und Kommunikationsprozesse unterstützen. Sie vermag darüber hinaus ebenso in Themen wie Nähe und Distanz und als Moment der Abgrenzung oder Integration wirksam und unterstützend eingesetzt zu werden. Sie bietet durch Klänge, Rhythmen und Melodien auch die Möglichkeit zum emotionalen Erleben und bietet u. a. einen erweiterten Raum, Empfindungen bzw. Gefühlslagen zu thematisieren. Diese Entwicklungen können durch den Einsatz von Musik bzw. musikalischer Elemente unterstützt werden. Ein Signal wie Klatschen, Pfeifen, Anspielen eines Instrumentes / Liedes hat einen stark bindenden Wert innerhalb einer Gruppe. In diesen Fällen würde beispielsweise in einem Spiel ein Gegenstand rhythmisch weitergegeben werden. Stop-and-Go- Spiele eignen sich ebenso. Die in diese Aktivitäten eingeschlossene nonverbale Kommunikation Tierlaute, Geräusche, Klänge und Töne sind durch stimmliches Nachmachen nachzuempfinden. Auch rhythmische Elemente können mittels Stimme oder rhythmischer Bewegungen nachempfunden, verstanden und verinnerlicht werden. Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 71 verstärkt das Klima und die Aufmerksamkeit sowohl der Gruppe als auch des Einzelnen. Das Arbeiten mit Signalen verlangt von allen Beteiligten der Förderung Flexibilität, Entscheidungskraft und Verantwortung. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Musik wäre das Umsetzen gehörter Musik in Bewegungen, sei es in eigene Bewegungen wie beim Heilpädagogischen Voltigieren oder wie beim Heilpädagogischen Reiten, wo die Musik mit Bahnfiguren und mit Hilfe der verschiedenen Gangarten interpretiert werden kann. Das Formationsreiten oder das Reiten mit im Hintergrund laufender Musik sind weitere Varianten, Musik in die Gruppenförderung zu integrieren. Die Musik macht somit ein „Du“ bzw. ein „Ich“ und ein „Wir“ erlebbar. Theoretische Überlegungen zum Abschluss In der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd kann Hintergrundmusik für eine förderliche Atmosphäre alternativ oder ergänzend verwendet werden. Der Einsatz von Musik bzw. musikalischer Elemente kann sowohl zur individuellen ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung als auch zu einer Entwicklung des sozialen Miteinanders beitragen und bietet dadurch die Möglichkeit, die (Um-)Welt für sich zu erfahren und zu nutzen. Durch das Wissen und die Koordination der eigenen Kräfte im motorischen und emotionalen Bereich wird Selbstvertrauen für Kommunikation und Interaktion im zwischenmenschlichen Bereich gewonnen. Musik bzw. deren einzelne Elemente können: als Zugang, ansprechendes Material (auf ■ auditiver Ebene), wie auch als Begleitung, Musik im Hintergrund (förderliche Atmosphäre schaffen) dienen. ein Element der Abwechslung darstellen und ■ als integratives Moment (bewegungs-, kommunikationsunterstützend oder als gemeinsames Erleben) erlebt werden. als ein Element der Sprachbzw. Konzen- ■ trationsförderung (aufmerksamkeitslenkendes Moment) und gezielt als Kommunikationsmedium (Musik, musikalische Elemente oder Instrumente für Kommunikation bzw. deren Unterstützung) eingesetzt werden. ein Element der Aktivierung und Entspan- ■ nung (physische und psychische Ebene) wie auch ein Element eines Spieles darstellen. als strukturgebendes ritualisierendes Mo- ■ ment (jede Ordnung wirkt beruhigend, Geheimnisvolles-Unklares weckt Neugier, Spannung und wirkt aktivierend) und zur Motivationsförderung sowie zur Anregung von Fantasie und Kreativität in die Fördereinheit integriert werden. Um das Medium entsprechend nutzen zu können, sollten bestimmte konzeptionelle, räumliche und zeitliche Bedingungen sowie das fachliche Vermögen des Pädagogen bedacht werden (vgl. Abb. 3). Zu beachten ist auch, dass das Medium Pferd durch die Vielfalt der Aspekte von musikalischen Elementen in den Hintergrund geraten könnte. Der Klient kann durch den Einsatz von Musik (im weitesten Sinne) zusätzliche Impulse erhalten. Dadurch können beispielsweise das Taktgefühl verbessert, Fantasie und Kreativität geweckt werden. Unentschlossene oder unsichere Klienten können durch den Einsatz musikalischer Elemente angeregt werden, den Bewegungsdialog auch in einer höheren Gangart auszuprobieren, z. B. sich bei Walzermusik in den Galopp mitnehmen zu lassen. Beide Medien können, auch in entsprechender Kombination, zum Loslassen des Körpers und Ablegen alter (Verhaltens-)Muster und das Sich-Einlassen auf neue Situationen des Gemüts wie auch in neue (Verhaltens-)Muster führen und fördern. Diese Veränderungen können einen Beitrag zu einem Gefühl der Unbefangenheit und der Harmonie von Körper, Geist und Seele leisten. 72 | mup 2|2011 Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... Literatur Alvin, J. (1988): Praxis der Musiktherapie. ■ Musik für das behinderte Kind und Musiktherapie für das autistische Kind. Fischer, Stuttgart Amrhein, F. (1996): Förderung durch Musik. ■ Musik und Bildung 2, 10-14 Batel, G. (1992): Spiellieder und Bewegungs- ■ spiele in der Musiktherapie. Fischer, Stuttgart Benenzon, R. O. (1983): Einführung in die ■ Musiktherapie. Kösel, München Bruhn, H. (2000): Musiktherapie. Geschichte, ■ Theorien, Methoden. Hogrefe, Göttingen Decker-Voigt, H.-H. (2000) (Hrsg.): Aus der ■ Seele gespielt. Eine Einführung in Musiktherapie. Goldmann, München Deest, H. v. (1994): Heilen mit Musik. Musik- ■ therapie in der Praxis. TRIAS Thieme Hippokrates Enke, Stuttgart Deppisch, J. (1992): Reiten als Bewegungs- ■ erlebnis. 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Sind Absprachen ggf. mit anderen Pädagogen, welche parallel ihre Förderung in der Halle oder auf dem Platz durchführen, möglich? Hat der Pädagoge einen Bezug zur Musik? Und hat er entsprechendes Know-how? Nein Nein Abb. 3: Schematische Aufstellung: Bedingungen mit Grenzen als Bezugsgröße Sandig - Umsetzungsmöglichkeiten musikalischer Elemente in der Heilpädagogischen Förderung ... mup 2|2011 | 73 Christine Sandig Bachelor Rehabilitationspädagogik, Cand. Master Rehabilitationswissenschaften, Zusatzausbildung im HPV / R, Ausbildung zur staatlich anerkannten Fachkraft für die Heilpädagogische Arbeit mit dem Pferd, seit 2007 Reitpädagogin im Zentrum für Therapeutisches Reiten der Werkstätten der AWO Dortmund, Fachübungsleiterin Rehabilitationssport. Anschrift: Christine Sandig · Schieferbank 4 · 44149 Dortmund christine.sandig@uni-dortmund.de Die Autorin Musiktherapie und Elementarer Musikpädagogik. Lang, Frankfurt am Main Goll, H. (1993): Heilpädagogische Musikthera- ■ pie. Grundlegende Entwicklung eines ganzheitlich angelegten ökologischen Theorieentwurfs, ausgehend von Jugendlichen und Erwachsenen mit schwerer geistiger Behinderung. Lang, Frankfurt am Main Goll, H. (2006): Das Phänomen Musik in der Ge- ■ sellschaft und Therapie - Heilpädagogische Musiktherapie unter besonderer Berücksichtigung historischer Grundlagentexte. In: Theunissen, G., Großwendt, U. (Hrsg.): Kreativität von Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen. Grundlagen, Ästhetische Praxis, Therapiearbeit, Kunst- und Musiktherapie. Klinkhardt, Kempten, 181-203 Grillo, G. (1992): Zusammenhänge zwischen ■ Reiten und Musik. In: Oese, E.(Hrsg.): Quadrillenreiten. Idee, Gestaltung, Präsentation. Mit Musikteil von Gabriela Grillo. FN, Warendorf Hegi, F. (1996): Komponenten. In: Decker- ■ Voigt, H.-H., Knill, P. J., Weymann, E. (Hrsg.): Lexikon Musiktherapie. Hogrefe, Göttingen, 173-183 Hegi, F. (1997): Improvisation und Musik- ■ therapie. Möglichkeiten und Wirkungen von freier Musik. 5. Aufl. Junfermann, Paderborn Klüwer, C. (1997): Die spezifischen Wirkungen ■ des Pferdes in den Bereichen des Therapeutischen Reitens. In: DKThR (Hrsg.): Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten. Sonderheft. 2. leicht veränderte Aufl. Schnell Buch & Druck, Warendorf, 5-11 Krebber-Münch, E. (2000): „Wenn ich Musik ■ höre, muss ich mich bewegen“ - Musik und Bewegung mit Kindern mit Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten. In: Merkt, I. (Hrsg.): Ein Lied für Christina. ConBrio, Regensburg, 121-132 Mehlem, M. (2006): Körpersprache und ■ Emotion. Therapeutisches Reiten. Harmonie hilft heilen - Das Magazin des DKThR 1, 8-12 Miesner, S., Putz, M., Plewa, M. (2005): Richt- ■ linien für Reiten und Fahren. Grundausbildung für Reiter und Pferd. 28. Auflage. FN, Warendorf Oese, E. (1992): Quadrillenreiten. FN, Waren- ■ dorf Ölsböck, L. (1992): Wertigkeit der Hippothe- ■ rapie in der Behandlung cerebralparetischer und mehrfachbehinderter Kinder. 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