eJournals mensch & pferd international 4/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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Pferdegestützte Personalentwicklung

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Detlev Lindau-Bank
Der Beitrag setzt sich kritisch mit den grundlegenden Aspekten von pferdegestützten Personalentwicklungsmaßnahmen auseinander. Der Autor führt seit fünf Jahren im Rahmen seiner Dozententätigkeit an der Universität Vechta Lehrforschungsprojekte durch, die den gegenwärtigen Stand der pferdegestützten Angebote im Bereich der Personalentwicklung zum Untersuchungsgegenstand haben. Vor dem Hintergrund dieser Datensammlung werden zunächst die Möglichkeiten der pferdegestützten Personalentwicklung dargestellt, um anschließend Standards und Maßnahmen für die Qualitätssicherung und Personalentwicklung sowie Forschungsdesiderata aufzuzeigen.
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mup 4|2012|153-163|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2012.art08d | 153 Detlev Lindau-Bank Schlüsselbegriffe: Pferdegestützte Personalentwicklung, Handlungsfelder des Personalmanagements, Professionalisierung, Entwicklung von Qualitätsstandards für pferdegestützte Trainings und Seminare, Pferdeeinsatz als Didaktik und Methode Der Beitrag setzt sich kritisch mit den grundlegenden Aspekten von pferdegestützten Personalentwicklungsmaßnahmen auseinander. Der Autor führt seit fünf Jahren im Rahmen seiner Dozententätigkeit an der Universität Vechta Lehrforschungsprojekte durch, die den gegenwärtigen Stand der pferdegestützten Angebote im Bereich der Personalentwicklung zum Untersuchungsgegenstand haben. Vor dem Hintergrund dieser Datensammlung werden zunächst die Möglichkeiten der pferdegestützten Personalentwicklung dargestellt, um anschließend Standards und Maßnahmen für die Qualitätssicherung und Personalentwicklung sowie Forschungsdesiderata aufzuzeigen. Einmalig und nachhaltig Pferdegestützte Personalentwicklung 154 | mup 4|2012 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung Pferdegestützte Personalentwicklungsmaßnahmen sind in der Regel Trainings- und Seminarangebote, in deren Rahmen Menschen für ihre berufliche Tätigkeit notwendige Kompetenzen erwerben, erweitern und verbessern können. Im Zentrum dieser Trainings und Seminare stehen meistens sogenannte soft-skills, also soziale und persönliche Kompetenzen, wie Teamfähigkeit, Führungseigenschaften, Konfliktfähigkeit, Empathie, Flexibilität, Durchsetzungsvermögen. Darüber hinaus werden auch methodische Fertigkeiten wie Feedback, Verhaltensbeobachtung und -beurteilung trainiert. Die Seminare werden in der Regel für Kleingruppen oder als Coaching für Einzelpersonen angeboten. Der Einsatz von Pferden in der Personalentwicklung ist seit Mitte der 90er Jahre in Deutschland bekannt, aber in den Augen von Personalverantwortlichen, wenn sie denn pferdegestützte Personalentwicklung überhaupt kennen, immer noch nur ein exotisches Zusatzangebot, das man gerne als Incentive, als Geschenk für verdiente Mitarbeiter bucht, ohne wirklich an einen zusätzlichen Mehrwert zu glauben. Der Zweifel an der Seriosität und Wirksamkeit pferdegestützter Personalentwicklung hat neben der Unkenntnis seine Ursache sicher auch in der Art und Weise der Wahrnehmung solcher Seminare in den Medien. In Schlagzeilen wie „So lernt der Boss vom Ross“, „Die Zügel in der Hand halten“, „Training gegen den Amtsschimmel“, „Das Pferd ist der Trainer“ wird meist nur ein Teil der pferdegestützten Arbeit im Rahmen von Personalmanagement dargestellt. Pferdegestützte Personalentwicklung ist jedoch nicht nur Führungs- oder Motivationstraining. Es wird oft der Eindruck erweckt, dass Manager im Umgang mit Pferden allein lernen, sich durchzusetzen und „Herdenchef“ zu werden. Solche Vereinfachungen sind vielleicht notwendig, um Aufmerksamkeit zu erregen und Interesse zu wecken, widersprechen aber einem modernen Führungsverständnis in denen Führungskräfte als Vermittler und Gestalter von Unternehmensprozessen gesehen werden, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer unternehmerischen Verantwortung gestärkt werden sollen. Viele Anbieter betonen auch, dass in ihren Seminaren die Pferde die eigentlichen Trainer seien, was einerseits das Alleinstellungsmerkmal hervorhebt, aber auch die Skepsis an der Transferleistung der Trainings erhöht, weil unklar ist, inwieweit die Seminarergebnisse in den beruflichen Alltag und in die Unternehmensentwicklung integriert werden können. Dass die Qualität der Seminare und Trainings nicht allein von den Pferden abhängt, ist den Anbietern sicher klar, erschließt sich aber nicht Außenstehenden. Darum sollen in diesem Beitrag zunächst die Möglichkeiten pferdegestützter Interventionen in der Personalentwicklung beschrieben werden. Auch die Professionalisierung dieses Handlungsfeldes steckt noch in den Kinderschuhen. Weder ist pferdegestützte Personalentwicklung disziplinär eindeutig verortet und als wissenschaftliches Forschungsobjekt anerkannt noch werden die Angebote qualitativ evaluiert oder die Anbieter in irgendeiner Art durch einen Berufsverband oder eine Interessengemeinschaft vertreten. Ein theoretischer oder fachlicher Diskurs über pferdegestützte Personalentwicklung existiert nur in Ansätzen. Die Wirksamkeit der Trainings und Seminare wird meist im Rahmen von Diplomarbeiten oder Bachelorthesen mit kleinen, nicht repräsentativen Stichproben und oft auch wenig validen Instrumenten erhoben (Broich / Eppler 2010; Kolzarek / Lindau-Bank 2010). Der fachliche Diskurs, wenn er überhaupt stattfindet, bedient sich aus den Publikationen reittherapeutischer oder reitpädagogischer Beiträge. Dadurch werden zwar wertvolle Argumentationsfiguren und theoretische Konstruktionen gewonnen (Vernooij / Schneider 2008, 207), diese dann aber nicht mit den Anforderungen eines systematischen Personalmanagements verknüpft. Im vorliegenden Beitrag sollen fünf Annahmen erläutert werden: Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung mup 4|2012 | 155 1. Pferdegestützte Personalentwicklung umfasst Bildungs- und Trainingsangebote im gesamten Spektrum des Personalmanagements. 2. Pferdegestützte Personalentwicklung bietet gegenüber vergleichbaren Angeboten der Personalentwicklung einen zusätzlichen Wert. 3. Pferdegestützte Personalentwicklung ist nur dann ein professionelles Angebot, wenn die Pferde nicht als Trainer verstanden werden und es sich an bestimmten Qualitätsstandards orientiert. 4. Pferdegestützte Personalentwicklung braucht eine übergreifende Qualitätssicherung, um sich am Markt zu behaupten. 5. Pferdegestützte Personalentwicklung ist ein interdisziplinäres Handlungsfeld, das im wesentlichen Expertise aus den drei Handlungsfeldern Beratung, Erwachsenenbildung und Pferdehaltung bzw. -training benötigt. Diese Annahmen hat der Autor im Rahmen seiner Vorträge für die Fachtagungen „EQ-Pferd“ entwickelt und mit Trainern und Seminaranbietern diskutiert. EQ-Pferd ist der Name einer im Jahr 2009 gegründeten Initiative zur Entwicklung von Qualitätsstandards im Bereich pferdegestützter Personalentwicklung, die von mittlerweile über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterstützt wird. 1. Argumentation und empirischer Zugang In den folgenden Abschnitten wird zunächst ein systematischer Zugang zu den Herausforderungen der pferdegestützten Interventionen in der Personalentwicklung gebahnt und anschließend mit Ergebnissen eigener Studien illustriert. Dabei werden Beschreibungen von Abläufen pferdegestützter Management-, Führungs-, Konflikt- oder Teamentwicklungsseminare nur skizziert, da eine ausführliche Darstellung von Methoden und dem Aufbau der Seminare und Trainings den Rahmen des Beitrags übersteigen würde. Der erste Zugang, die Darstellung der Einsatzmöglichkeiten von Pferden im Rahmen von Personalentwicklung, geht von der Systematik des Personalmanagements aus und dem zu beobachtenden Trend, dass Personalmanagement sich immer stärker an Standards und dem Zusammenhang von Personal und Organisation orientiert (s. Abb. 1). Standard 1 Systematik Standard 2 Zielorientierung Die Einhaltung einer systematischen und zielorientierten Vorgehensweise bildet die Basis zur Ableitung erwartbarer Handlungen. Erwartbare und damit auch berechenbare Handlungen sind die Basis für Vertrauen. Standard 3 Analyse und Planung Standard 4 Eignungsdiagnostik Standard 5 Entwicklungsmaßnahmen Standard 6 Kompetenz Standard 7 Verantwortung Standard 8 Transparenz Vertrauen wird gestärkt durch Kompetenz, klare Verantwortlichkeiten und Transparenz. Standard 9 Erfolgskontrolle Erfolgskontrolle im Sinne einer Wirksamkeitsüberprüfung ist in einem durch Vertrauen geprägten Arbeitsumfeld in jedermanns Interesse. Abb 1: Standards für Personalmanagement (Höft/ Wolf 2003) 156 | mup 4|2012 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung Der zweite Zugang richtet den Blick auf die Professionalität pferdegestützter Personalentwicklung und die Kompetenzen der Anbieter. Der dritte, argumentative Zugang greift den Diskurs über die pferdegestützte Intervention als Methode, somit die Frage auf, inwiefern das Pferd als Trainer gesehen werden kann. Auf diese Art und Weise sollen die anschlussfähigen Fragen und Herausforderungen für pferdegestützte Interventionen in der Personalentwicklung verdeutlicht werden. Diese Zugänge werden im Folgenden mit Ergebnissen einer quantitativen Erhebung aus dem Jahr 2010 und verschiedener Internetrecherchen (sog. Netnografie) illustriert, die im Rahmen von Lehrforschungsprojekten seit 2007 an der Universität Vechta durchgeführt wurden. Netnografie bezeichnet einen Ansatz der Informationsbeschaffung auf Basis eines computergestützten, inhaltsorientierten Suchvorgehens in webbasierten Datenquellen (Beckmann / Langer 2009, 221 f). Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um eine groß bzw. breit angelegte Internetrecherche, die nach spezifischen Kriterien durchgeführt wird. Dieses Verfahren zur Datengewinnung ist insbesondere dann hilfreich, wenn z. B. Kontaktdaten generiert werden müssen, um eine Befragung durchführen zu können oder ein erster Überblick über ein neues Forschungsfeld gegeben werden soll. Zunächst wurden Suchbegriffe verschlagwortet, die sich auf pferdegestützte Führungs- und Fortbildungsseminare bezogen (s. Abb. 2), um so möglichst effektiv Anbieter von pferdegestützten Personalentwicklungsmaßnahmen zu ermitteln. Die höchste Priorität erhielten Schlagworte, die sich auf Personalentwicklung beziehen und Führungshandeln thematisieren, weil davon ausgegangen wurde, dass diese Inhalte Teil aller Angebote und differenzierend genug sind, um Seminare und Trainings mit rein reittherapeutischer und reitpädagogischer Ausrichtung auszuklammern. Diese Schlagworte wurden kombiniert mit den Stichworten „Seminar“ und „Training“, denn die Angebotsformen sind typisch für externe Personalentwicklungsmaßnahmen. Da nicht alle Anbieter ihre Trainings als „pferdegestützt“ bezeichnen, um auf den Einsatz von Pferden hinzuweisen, wurden die Schlagwortsuche um den Suchbegriff „mit Pferd“ ergänzt. Die gesamte Anbietersuche wurde auf Deutschland und die Suchmaschine Google beschränkt. Im weiteren Verlauf der Netnografie wurden jeweils die beiden ersten Seiten, welche nach der Eingabe der Schlagworte aufgerufen wurden, per Screenshot abgebildet. Mit dieser Methode wurden 2008 insgesamt 108 Anbieter von pferdegestützten Führungs- und Fortbildungsseminaren ermittelt, welche die Adressatengruppe für eine anschließende schriftliche Befragung bildeten. Anhand der Internetrecherche konnte ein erster Eindruck der verschiedenen Anbieter bzw. deren Internetauftritt gewonnen werden. Hier wurde insbesondere auf die Darstellung der jeweiligen Konzepte geachtet. Zusätzlich wurden die Anbieter auf einer Deutschlandkarte zur visuellen Verdeutlichung positioniert. Anhand der Karte (s. Abb. 3) ist deutlich zu erkennen, dass die Mehrheit der Anbieter in der Nähe der Zentren Berlin, Hamburg, Abb. 2: Netnografie - Verschlagwortung der Suchbegriffe Schlagwörter Management-, Führungs-, Konflikt-, Entscheidungs-, Moderations-, Verhandlungs-, -Training mit Perd -Seminare Pferdegestützt Die Professionalisierung Pferdegestützter Personalentwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung mup 4|2012 | 157 München und im Ruhrgebiet zu finden ist. Der Grund hierfür ist sehr wahrscheinlich in den guten Bedingungen zu sehen, da hier sehr viele Unternehmen und damit potenzielle Kunden ihren Unternehmenssitz haben. Die oben erwähnte schriftliche Befragung wurde mithilfe standardisierter Fragebögen im Jahr 2009 im Rahmen eines Studienprojekts (Gerken / Dueholm 2009) durchgeführt. 108 via Netnografie gefundene Seminaranbieter erhielten per E-Mail die Fragebögen, davon wurden 34 beantwortet, was einem Rücklauf von ca. 36 % entspricht. Trotz der kleinen Fallzahl können die Ergebnisse im Hinblick auf den Rücklauf durchaus als relevant angesehen werden. Im Jahr 2010 wurden noch einmal 74 aussagekräftige Internetseiten unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierung von pferdegestützten Angeboten dokumentenanalytisch ausgewertet (Grotheer 2010). Die Vorbereitungen zu diesem Lehrforschungsprojekt trafen auf folgende Marktsituation: Seit Mitte der 90er Jahre gibt es pferdegestützte Personalentwicklung gemäß unserer Netzrecherchen und den Selbstauskünften der Anbieter. Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend kam es dann zu einer relevanten Anzahl von Neugründungen. Mittlerweile hat sich die Anzahl der gefundenen Anbieter in unserer Datenbank auf 164 erhöht. Insgesamt zeigt sich, dass pferdegestützte Personalentwicklungsangebote zumeist nur einen Teil des Portfolios der Anbieter ausmacht (s. Abb. 4). Beim überwiegenden Teil der Anbieter (38,2 %) machen pferdegestützte Seminare und Trainings lediglich 10 % der beruflichen Tätigkeit 12,5 10,0 7,5 5,0 2,5 0,0 Häufigkeit 3: Das Angebot Pferdegestützter Seminare macht über das Jahr verteilt einen Anteil von wie viel % Ihrer beruflichen Tätigkeit aus? 10 % 20 % 30 % 50 % 70 % 100 % keine Antwort Abb. 3: Räumliche Verteilung von Anbietern pferdegestützter Personalentwicklung Abb. 4: Anteil Pferdegestützter Seminare an der gesamten Berufstätigkeit 158 | mup 4|2012 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung im Jahr aus. Bei 17,6 %, immerhin 6 Seminaranbieter, beträgt der Anteil 50 %. Wahrscheinlich können nur eine Handvoll Anbieter allein von pferdegestützter Personalentwicklung leben. Diese bilden auch Trainer aus, wobei die Trainings nach internen Standards entwickelt werden und mehr der Vermarktung der eigenen Marke dienen als einen Beitrag zur Professionalisierung und Standardisierung von pferdegestützter Personalentwicklung darstellen. Dies ist insofern ein wichtiges Datum, da es zeigt, dass Professionalisierungsanstrengungen in diesem Handlungsfeld ökonomisch zunächst nicht relevant sind und höchstens als Marketingstrategie eine Investition in die Zukunft der einzelnen Anbieter darstellen. Dass dies aber nicht ausreicht, soll im nächsten Abschnitt gezeigt werden. Denn die Professionalisierung pferdegestützter Interventionen im Personalmanagement kann nicht von einzelnen Anbietern geleistet werden, sondern muss von einem relevanten fachlichen Diskurs und entsprechender Forschung begleitet werden. 2. Personalmanagement - Systematisches trifft auf Singuläres Wenn pferdegestützte Personalentwicklung als Trainingsangebot das gesamte Spektrum des Personalmanagements umfassen soll, dann darf nicht nur die Qualifizierung von Einzelpersonen fokussiert, sondern muss die Entwicklung der gesamten Organisation bzw. des Unternehmens in den Blick genommen werden. Nicht allein der einzelne Mitarbeiter macht den Unterschied und die Stärke des Unternehmens aus, sondern ein Change Management, das Unternehmens- und Organisationsentwicklung im Systemzusammenhang sieht. Daraus resultiert der Trend, Personalentwicklung im eigenen Unternehmen zu betreiben, in dem entweder unternehmenseigene Abteilungen Seminare und Trainings zur Personalqualifizierung durchführen oder basierend auf gesonderten Verträgen externe Fortbildner in die unternehmenseigene Personalentwicklung einbinden. So soll erreicht werden, dass Maßnahmen der Personalentwicklung sich passgenau an den Zielen und Interessen der Unternehmen ausrichten lassen. Es ist darauf hinzuweisen, dass zwischen der Personalentwicklung im engeren Sinn, also der Qualifizierung von Personal, und der Personalentwicklung im weiten Sinne - dem Personalmanagement - zu unterschieden ist, zu dem z. B. Per- Abb. 5: Felder des Personalmanagements Personalauswahl Personalführung Personalentwicklung Personalpflege Personalmanagement Pferdegestützte Personalentwicklung muss die Entwicklung des gesamten Unternehmens im Blick haben. Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung mup 4|2012 | 159 sonalbeurteilung, Personalbewirtschaftung und Personalverwaltung gehören. Pferdegestützte Angebote im Zusammenhang des Personalmanagements sind in der Regel das Personal qualifizierende Maßnahmen, die Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit, Personalbeurteilung, Karriere und Bezahlung von Mitarbeitern haben. In den Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung beschäftigt man sich bereits seit langer Zeit damit, allgemeingültige und praxisnahe Qualitätskriterien für das Personalmanagement zu entwickeln. Sie sollen in fachlicher, praktischer und ethischer Hinsicht Orientierung bei der optimalen Gestaltung und Überprüfung von Personalmanagementprozessen (Höft/ Wolf 2003), also der Auswahl und Bezahlung von Personal, der Entwicklung von interner Zuordnung und Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten. Damit Personalmanagement die Orientierung und Handlungssicherheit für das Personal in Unternehmen erhöhen kann und nachhaltige Effekte möglich sind, müssen nach Höft und Wolf neun Standards beachtet werden (s. Abb. 1), die jedoch in diesem Beitrag nicht einzeln betrachtet werden sollen. Die hier lediglich benannten Standards machen deutlich, dass ein systematisches Personalmanagement die Organisationsziele kommuniziert und daraus rational nachvollziehbare Entscheidungen trifft. Die Entscheidungen sollen in der Regel auf evidenzbasierten Analysen und Diagnosen beruhen und somit die Transparenz von Personalentscheidungen begründen und nachvollziehbar machen. Im Folgenden soll der Standard „Systematik“ näher beschrieben werden, da so die Vielfalt der Möglichkeiten pferdegestützter Interventionen im Personalmanagement gezeigt und auch kritisch eingeschätzt werden kann. „Systematik“ zielt auf die Vernetzung der Personalmanagementmaßnahmen in den Bereichen Personalauswahl, Personalentwicklung, Personalführung und Personalpflege (s. Abb. 5). Wenn pferdegestützte Angebote einen eigenständigen Beitrag zum Personalmanagement leisten sollen, dann müssen sie sich an den Zielen und Herausforderungen dieser Bereiche orientieren. Zur Personalauswahl zählen die Personalgewinnung und die Personalpositionierung. Das übergreifende Leitbild von Personalauswahlverfahren ist die Rekrutierung „lebenslang lernender und sich entwickelnder Mitarbeiter“, die die Leitziele der Organisation schätzen und in ihrer Arbeit umsetzen. Ist die fachliche Qualifikation noch relativ klar zu überprüfen (da dieser Bereich häufig formal sehr stark geregelt ist), entzieht sich der Bereich der Überprüfung sozialer Kompetenzen einem Zugriff über einfache Methoden. Hier setzen pferdegestützte Trainings im Rahmen von Assessment-Centern und Recruiting-Konzepten an, weil Pferde als klare Feedbackgeber für authentisches Verhalten und Handeln gelten. Die Pferde sind ein Spiegel des menschlichen Verhaltens. Die Reaktion des Pferdes auf die eigene sozio-emotionale Befindlichkeit kann nicht vertagt oder hintergangen werden, sie kommt prompt und eindeutig. Interessant ist auch, dass Pferde Einstellungsänderungen erspüren und darauf ihrerseits authentisch reagieren. So können innere Veränderungsprozesse und Lernzuwachs sichtbar werden. Doch Pferde können nicht prognostizieren, das erlebte menschliche Verhalten einordnen und in den Unternehmenszusammenhang stellen. Hier besteht Aufklärungsbedarf. Wie wird die prognostische Validität von Eignungs- und Kompetenzdiagnosen sichergestellt? Zur Personalentwicklung im engeren Sinn gehören die Personalbeurteilung und die Personalqualifizierung. Die Personalbeurteilung ist in diesem Sinn die Implementation einer systematischen Feedback-Kultur in das Unternehmen. Der Die Pferde spiegeln das menschliche Verhalten, aber sie können es nicht in den Unternehmenszusammenhang stellen. 160 | mup 4|2012 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung Schwerpunkt liegt dabei auf systematischem Feedback durch Jahres-, Zielvereinbarungs- oder Mitarbeitergespräche. Personalqualifizierung ist zunächst einmal Fortbildung. Die effektivste Form der Fortbildung ist das Inhouse-Training, wenn sich im Unternehmen eine ausreichend große Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern findet, die einen ähnlichen Fortbildungsbedarf aufweisen (Mentzel 2005, 222). Aber auch Einzelfortbildungen machen Sinn, wenn sie in einem systematischen Fortbildungscurriculum des Unternehmens eingebunden sind, das einer ständigen Evaluation unterliegt. Unzweifelhaft ist, dass Lernerfahrungen und Begegnungen mit Pferden intensiv sind. Dies hat Vor- und Nachteile. In den pferdegestützten Seminaren wird viel mit Analogien gearbeitet. Das Pferd als Mitarbeiter, die Pferdeherde als Abteilung sind Metaphern, die gerne genutzt werden. Doch Analogien und Metaphern sind lediglich Vehikel, die komplexe Inhalte transportieren und dabei die Gefahr der missverständlichen Interpretation in sich bergen. Man stelle sich nur vor, wie ein Chef, den Ausführungen über Stutenbissigkeit beeindruckt haben, nach erfolgreichem Seminar seine Mitarbeiterinnen betrachtet. Die Anschlussfähigkeit von Lernerfahrungen und der Transfer in den beruflichen Alltag dürfen daher nicht nur behauptet, sondern müssen auch evidenzbasiert überprüft werden. Der Personalführung werden Maßnahmen der Mitarbeiterführung, der Teamentwicklung, des Projektmanagements sowie das Finden und Treffen von Entscheidungen zugeordnet. Maßgeblich hierbei ist die Fähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Führungspersonals, die Ziele des Unternehmens reformulieren und in geeignete Handlungen umsetzen zu können. Insofern wird längst nicht mehr auf charismatische Führungspersönlichkeiten und eigenschaftsbasierte Führungstheorien gesetzt, sondern auf systemische und lerntheoretische Annahmen, die funktionale Führung und beziehungsorientierte Begegnung mit Mitarbeitern in den Vordergrund stellt (Kolzarek / Lindau-Bank 2010). Moderne Führung wird also nicht ausschließlich vom Leithengst aus gedacht, sondern von einer starken Herde. Zur Personalpflege gehören Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ausgehend von der gesunden Gestaltung des Arbeitsplatzes (verhältnisorientierte Konzepte) über individuelle Strategien (verhaltensorientierte Konzepte), job-enrichment, job-enlargement bis zu work-life-balance- Konzepten sollen unternehmensweit koordinierte Maßnahmen die Arbeitszufriedenheit erhöhen. Hier kann sich der Profi sicher mit seinen Pferden austoben und pferdegestützte Aktivitäten zur Entspannung und zum Stressabbau anbieten. Doch Personalpflege verbindet mit Gesundheit auch dezidiert Arbeitsfähigkeit und Produktivität. Aus dieser Perspektive sind die Anforderungen an z. B. Zeitmanagementqualifizierungen weitaus komplexer, als lediglich einen Terminplan gut führen zu können. Im beruflichen Alltag hat man es auch mit Burn-out, Sucht-Phänomenen, Mobbing zu tun. Hier kann pferdegestützte Personalentwicklung viel aus den weiter fortgeschrittenen Forschungen der Reittherapie und pferdegestützten Pädagogik lernen. Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass pferdegestützte Personalentwicklung von der möglichen Bandbreite des Angebots ein systematischer Beitrag zum Personalmanagement sein kann. Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen aber gleichzeitig, dass die Inhalte der Trainings und Seminare mehr auf Persönlichkeit und persönliche Entwicklung, Führungs- und Handlungskompetenzen von Einzelpersonen ausgerichtet sind, während fachliche Inhalte und or- Pferdegestützte Personalentwicklung zielt auf die Förderung der Persönlichkeit. Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung mup 4|2012 | 161 ganisationsbezogene Themen eher randständig thematisiert werden (s. Tabelle 1). Verstärkt wird dieses Ergebnis dadurch, dass bei der Vermittlung von Können und Fähigkeiten viel Wert auf das Training von Selbstwahrnehmung (100 %), Empathie (88 %) und non-verbalem Ausdruck (88 %) gelegt wird. Auch die Auswertungen der auf den Internetseiten gefundenen Angebote weisen in die Richtung, dass die Beschäftigungsfähigkeit (Employability) der Einzelnen im Vordergrund steht. Der Transfer in den Arbeitsalltag wird dagegen nur am Rande erwähnt oder behauptet. Für die Transfersicherung ist es wichtig, im Rahmen der Seminare oder Trainings die Praxisrelevanz der vermittelten Inhalte zu klären, Transferhindernisse am Arbeitsplatz zu thematisieren oder einen konkreten Arbeitsplan für den Transfer zu entwickeln. Dazu sind profunde Kenntnisse des Seminarleiters oder Trainers bezogen auf das Handlungsfeld notwendig. Aber auch außerhalb des konkreten pferdegestützten Angebots können durch Transferpartnerschaften mit den Unternehmen, Follow-up-Trainings Beiträge zur Transfersicherung geleistet werden. Diese Möglichkeiten werden von den Anbietern pferdegestützter Personalentwicklung vielleicht nicht genannt, weil durch die Qualifikation der Anbieter der Transfer auf Grund von Erfahrung und Feldkompetenz sichergestellt wird und daher in der Selbstdarstellung quasi als selbstverständlich betrachtet keiner besonderen Erwähnung wert ist. 3. Mehr Kompetenz als gedacht Die oben skizzierten Schwächen der pferdegestützten Personalentwicklung führen oft zu Vorurteilen, dass auf Grund der fehlenden Qualitätskontrolle jeder, der ein Pferd einigermaßen unfallfrei von der Weide führen kann, auch ein Training anbietet bzw. jeder Reitlehrer oder einigermaßen kommunikative Pferdewirt sich als Experte für Führung und Management darstellt. Hieran ist wahrscheinlich die mittlerweile unter der Überschrift tiergestützte Intervention üblich gewordene Unterscheidung zwischen tiergestützter Aktivität auf der einen Seite und tiergestützter Pädagogik und Therapie auf der anderen Seite nicht ganz unschuldig, zumal für tiergestützte Aktivitäten Laien und ehrenamtlich Tätige als kompetente Durchführende genannt werden (Vernooij / Schneider 2008, 46 f), obwohl Vernooij und Schneider explizit darauf hinweisen, dass Coaching oder ähnliche Interventionen keiner der genannten Kategorien zuzuordnen ist. Doch welche Kompetenzen grundlegend für diese Art der pferdegestützten Interventionen sind, wird nicht geklärt. Darum soll ein Blick auf die Qualifikationsprofile der Trainer und Seminaranbieter geworfen werden, um zu zeigen, welche Qualifikationen in der Praxis als grundlegend bzw. ausreichend angesehen werden. Fasst man die quantitative Auswertung der eingangs erwähnten Netnografie zusammen (von 77 untersuchten Anbietern machen 52 Anbieter Tabelle 1: Themen im Rahmen pferdegestützter Personalentwicklung Vermittlung von Wissen über: Ja Nein Persönlichkeit & Persönliche Entwicklung 88,2% 11,8% Führung und Leadership 88,2% 11,8% Handlungskompetenz 82,4% 17,6% Teamtraining 79,4% 20,6% Konflikt-Bewältigung 61,8% 38,2% Gesprächsführung 47,1% 44,1 Verhandlungsführung 35,3% 55,9% Personalmanagement 26,5% 64,7% Pferde im Allgemeinen 32,4% 67,6% Personalpflege 23,5% 67,6% Fachliche Inhalte 20,6% 79,4% Qualitätsmanagement 17,6% 82,4% 162 | mup 4|2012 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung und damit insgesamt 134 Einzelpersonen auf ihren Internetseiten Angaben zu ihren Kompetenzen und Qualifikationen), dann ist der typische Trainer bzw. die typische Trainerin 40-45 Jahre alt und reitet seit der Kindheit, hat seit ca. 10 Jahren ca. 3 oder mehr Pferde, kommt entweder aus einem pädagogischen oder wirtschaftlichem Berufsfeld, war in leitender Position (66 %), im Management tätig (50 %) oder hat als Personalentwickler gearbeitet (50 %). Schaut man sich an, in welchen beruflichen Feldern die Anbieter Qualifikationen erworben haben (s. Tabelle 2), ergibt sich ein interessantes Bild, das eine berufsbiografische Untersuchung wert ist. Die Mehrzahl der Trainer hat sich für einen Beruf qualifiziert, der nichts mit dem für Anbieter von pferdegestützten Interventionen notwendigen Kompetenzen zu tun hat (z. B. Chemiker). Die nächst größere Gruppe hat sich für Wirtschaftsberufe bzw. für pädagogische Berufe qualifiziert. Allerdings ist dann die berufliche Erfahrung einschlägig im Bereich der Beratung oder der Wirtschaftsberufe. Zusätzlich weitergebildet haben sich die Anbieter im Bereich des Umgangs mit Pferden und der Beratung. Offensichtlich scheinen berufliche Erfahrung und Passion der Anbieter starke Antriebskräfte zu sein. Schaut man sich dann noch an, welche Qualifikationen die Anbieter in den Vordergrund stellen, um sich als seriöse Anbieter darzustellen (dafür wurden die Nennungen der erworbenen Qualifikationen zusammengerechnet), so ist 51 Anbietern die Pferdekompetenz und 45 Anbietern die Beratungskompetenz wichtig. Kompetenzen, die im wirtschaftlichen Bereich erworben worden sind und auf Expertise im Bereich Personalmanagement hinweisen könnten oder im pädagogischen Bereich, was auf didaktische Qualität hinweisen könnte, treten in den Hintergrund. Die Ergebnisse der Netnografie zeigen darüber hinaus, dass ca. 58 % der Anbieter sich auf ihren Webseiten als Ein-Personen-Unternehmen darstellen, wohingegen sich 20 % als Tandem und 20 % als ein multikompetentes Team vorstellen. Ausblick Die Qualifikationen der Anbieter zeigen, dass eine hohe Expertise im Bereich pferdegestützter Personalentwicklung besteht. Diese allein aber begründen nicht die Qualität der Angebote. Die Qualität und der Gebrauchswert für die Nutzer pferdegestützter Interventionen im Personalmanagement erweist sich durch die Förderung des professionellen Handelns, die Entwicklung des Potentials des Personals und der Bereitstellung von effizienten Lernsettings. Pferdegestützte Personalentwicklungsmaßnahmen müssen daher als Bildungsangebote gesehen und kritisch überprüft werden. Tabelle 2: Kompetenzportfolio der Anbieter Berufliche Kompetenzfelder Pferd Beratung Anderes Wirtschaft Pädagogik Therapie Berufliche Qualifikation 13 6 24 16 17 13 Berufliche Erfahrung 15 19 12 20 6 2 Weiterbildung 24 20 4 0 1 8 51 45 40 36 24 23 Lindau-Bank - Pferdegestützte Personalentwicklung mup 4|2012 | 163 Literatur ■ Beckmann, S. C., Langer, R. (2009): Netnographie. In: Buber, R., Holzmüller, H. H. (Hrsg.): Qualitative Marktforschung - Theorie, Methode, Analyse. 2. Aufl. Gabler, Wiesbaden ■ Broich, M., Eppler, J. (2010): Appreciative Inquiry (AI) als Instrument der Organisations- und Personalentwicklung: Analyse des AI-Konzeptes im „horse assisted“ Change Management. Grin, München / Ravensburg ■ Gerken, L., Dueholm, F. (2009): Befragung von pferdegestützten Interventionen für Führungs- und Fortbildungsseminare. Unveröffentlichte Seminararbeit, Universität Vechta ■ Grotheer, J. (2010): Befragung zu pferdegestützten Interventionen für Führungs- und Fortbildungsseminare. Unveröffentlichte Seminararbeit, Universität Vechta ■ Höft, St., Wolf, B. (Hrsg.) (2003): Qualitätsstandards für Personalentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung. Windmühle, Hamburg ■ Kolzarek, B., Lindau-Bank, D. (2010): Mit Pferden lernen. Pferde als Kommunikationsmedium: Motivieren, Ziele setzen, Führen, Entscheiden. 2. Aufl. Lit, Münster ■ Mentzel, W. (2012): Personalentwicklung. Erfolgreich motivieren, fördern und weiterbilden. 4. Aufl. Deutscher Taschenbuch, München ■ Vernooij, M., Schneider, S. (2008): Handbuch der Tiergestützten Intervention. Meyer, Wiebelsheim Der Autor Detlev Lindau-Bank Jg. 1960; Dipl. Pädagoge, seit 1998 Dozent an der Universität Vechta im Fach Erziehungswissenschaft und Soziale Arbeit, Mitbegründer von respekt-ive - Agentur für Beratung und Coaching sowie Mitinitiator des Arbeitskreises „EQPferd - Entwicklung von Qualitätskriterien für pferdegestützte Personalentwicklung“, lehrt seit vielen Jahren auch an der Steinbeis business academy Berlin, unter anderem auch im Studiengang „Equine assisted Therapy and Management“ in Vechta. Anschrift: Detlev Lindau-Bank · Universität Vechta · Driverstraße 22 D-49377 Vechta · detlev.lindau-bank@uni-vechta.de