mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Praxistipp: Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern von Pferden durch Menschen mit Beeinträchtigungen
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Anke Dreher
Im Reittherapeutischen Zentrum (RtZ) in Ober-Ramstadt gibt es die Möglichkeit der begleitenden Mitarbeit im Stall. Dieses nutzen sowohl Wohnheimbewohner als auch Gruppen, die regelmäßig einmal wöchentlich zum heilpädagogischen Reiten kommen. Die Pferde erhalten dreimal täglich Heulagen und Kraftfutter. Die Heulagenmenge wird mittels einer großen Stofftasche mit einer Waage und der entsprechenden Kilozahl abgewogen. Das Verteilen des Kraftfutters (Müsli – Seniorenmüsli – Hafer) bereitet Menschen, die nicht lesen können, große Probleme. Aus diesem Grund sollte ein symbolorientiertes Futtersystem entwickelt werden, das die Kraftfuttergabe für eben diese Menschen erleichtert und es ermöglicht, die sechs Therapiepferde ohne weitere Anleitung zu füttern. Das Füttern erfolgt (analog zum Misten und wenn die Pferde auf die Paddocks bzw. Koppeln geführt werden) in Form der angeleiteten Mitarbeit. Das heißt, eine fachlich versierte Person begleitet die Menschen mit Beeinträchtigungen beim selbständigen Füttern. Dabei gilt es, den Akteuren so viel Hilfe wie nötig und so wenig wie möglich zukommen zu lassen. In diesem Beitrag soll dargestellt werden, welche Überlegungen dabei in Betracht gezogen wurden und welche Probleme sich dabei herausgestellt haben. In mehreren Arbeitsschritten wird letztendlich das Ergebnis vorgestellt.
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Praxistipp Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern von Pferden durch Menschen mit Beeinträchtigungen 42 | mup 1|2012|42-45|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Anke Dreher Im Reittherapeutischen Zentrum (RtZ) in Ober- Ramstadt gibt es die Möglichkeit der begleitenden Mitarbeit im Stall. Dieses nutzen sowohl Wohnheimbewohner als auch Gruppen, die regelmäßig einmal wöchentlich zum heilpädagogischen Reiten kommen. Die Pferde erhalten dreimal täglich Heulagen und Kraftfutter. Die Heulagenmenge wird mittels einer großen Stofftasche mit einer Waage und der entsprechenden Kilozahl abgewogen. Das Verteilen des Kraftfutters (Müsli - Seniorenmüsli - Hafer) bereitet Menschen, die nicht lesen können, große Probleme. Aus diesem Grund sollte ein symbolorientiertes Futtersystem entwickelt werden, das die Kraftfuttergabe für eben diese Menschen erleichtert und es ermöglicht, die sechs Therapiepferde ohne weitere Anleitung zu füttern. Das Füttern erfolgt (analog zum Misten und wenn die Pferde auf die Paddocks bzw. Koppeln geführt werden) in Form der angeleiteten Mitarbeit. Das heißt, eine fachlich versierte Person begleitet die Menschen mit Beeinträchtigungen beim selbständigen Füttern. Dabei gilt es, den Akteuren so viel Hilfe wie nötig und so wenig wie möglich zukommen zu lassen. In diesem Beitrag soll dargestellt werden, welche Überlegungen dabei in Betracht gezogen wurden und welche Probleme sich dabei herausgestellt haben. In mehreren Arbeitsschritten wird letztendlich das Ergebnis vorgestellt. Symbole als Sinnbilder für die Pferde Die sechs hauseigenen Therapiepferde werden dreimal täglich mit unterschiedlichen Kraftfutterrationen und unterschiedlichen Futtersorten versorgt. Gerade dies machte die Schwierigkeit der Fütterung aus. Ziel sollte sein, ein Futtersystem auszuarbeiten, das durch Farben und Symbole erkennbar ist und bei dem keinerlei Lesevoraussetzungen benötigt werden. Schon seit längerer Zeit wurden den Pferden unterschiedliche Symbole zugeordnet, die unter anderem an ■ der Putzkiste, ■ dem Sattel, ■ der Trense sowie ■ jeder Box angebracht wurden. Diese wurden charakteristisch zu den Pferden ausgesucht, um einen Bezug herzustellen. Unser bewährtes Kutschpferd „Hansi“ bekam das Symbol einer Kutsche, unser Fußballtalent „Henk“ das Symbol eines Fußballspielers etc. Diese Symbole konnten weiterführend auch für das Futtersystem verwendet werden. Erste Überlegungen Zu den ersten Überlegungen gehörte, alles farblich zu kennzeichnen. Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern mup 1|2012 | 43 Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern mup 1|2012 | 43 Neben Mash (dies wird nur von den Mitarbeitern verfüttert) gab es drei unterschiedliche Futtersorten (Seniorenmüsli, Hafer und haferfreies Müsli). Jedes Futter erhielt eine Farbe. Wir entschieden uns für gelb (= Seniorenmüsli), blau (= Hafer) und rot (= haferfreies Müsli), damit eine klare Unterscheidung möglich war. Bislang arbeiteten wir mit 1-Liter-Schaufeln, portionierbar in „halber Schippe“ und „ganzer Schippe“. Dies war von Anfang an schwierig umzusetzen, denn halbe Schippen wurden von den verschiedenen Menschen stets unterschiedlich portioniert. Um „halbe Schippen“ zu umgehen, wurden 500-Gramm-Schippen in der passenden Farbe zum Futter (je einmal in gelb, rot und blau) besorgt (s. Bild 2). Wichtig hierbei ist, die Futterrationen entsprechend umzurechnen. Des Weiteren wurde für die leichtfuttrigen Pferde ein Becher in der gleichen Farbe gewählt, die die Gabe von „einer Hand voll Müsli“ (z. B. für eine kleine Haflingerstute) ab sofort bildlich verständlich ersetzen sollte. Ausnahmen: Auf bestimmte Zusätze wie Karotte und Apfel oder Medikamente wurde bewusst verzichtet, da dies den Rahmen des Planes überschritten hätte. Des Weiteren wurde die Tonne „Mash“, um sie zwingend von den anderen Tonnen zu unterscheiden, mit einem Verbotsschild markiert, damit die Gefahr gebannt ist, dass jemand trockenes Mash verfüttert. Zusätzlich zum Futterplan (s. Bild 3), auf dem die Symbole der Pferde die Portionen anzeigen, wurden die Futtereimer mit den gleichen Bildern versehen (s. Bild 1). Ebenso wurden die Futtertonnen mit der gewählten Farbe entsprechend markiert (s. Bild 2). Bei der gelben und blauen Tonne war dies einfach, da jeweils eine gelbe und eine blaue Tonne im Bestand waren. Die rote Tonne wurde kurzerhand durch das Besprayen einer blauen Tonne aus dem Bestand mit roter Lackfarbe „umgespritzt“. Bild 1: Symbole auf den Futtereimern Bild 2: Farbige Futtertonnen mit den entsprechenden Schaufeln / Füllmengen Bild 3: Erster Futterplanentwurf Bild 4: Futtererklärung auf dem Stallschild „Henk“ mit entsprechendem Symbol Auf die Boxenschilder der Pferde wurde zusätzlich zum Symbol die Futtergabe angebracht (s. Bild 4). 44 | mup 1|2012 Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern 44 | mup 1|2012 Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern Da es sich um drei unterschiedliche Futterzeiten für das Kraftfutter handelt (7.45 Uhr - 12.45 Uhr - 17.45 Uhr), wurde die jeweilige Futtergabe mit Uhrzeit kenntlich gemacht (s. Bild 5). Erste (Fehl-)Versuche Der neu erstellte Futterplan wurde aufgehängt. Der erste Probedurchlauf startete. Für diejenigen, die bislang mit dem gewohnten Futterplan zu tun hatten, war die Umstellung ungewohnt und löste Unsicherheiten aus. Sofort fiel auf, dass es sich um kleinere Schippen handelt. Frau F. fragte besorgt: „Warum bekommt denn Hollyday nur noch so eine kleine Schippe? Das ist doch so wenig! “ Der Vergleich mit dem noch daneben hängenden Futterplan führte zu zusätzlicher Verunsicherung und musste endgültig beseitigt werden, damit es zu keinen Verwechslungen zwischen alten und neuen Futtermengen bzw. Futterschippen kommen konnte. Somit mussten sich auch die festen Mitarbeiter in das neue Futtersystem hineindenken und sich darauf einlassen, „andere Futtermengen“ bzw. neue mit anderen Futterschaufeln in einer neuen Darstellungsform zu füttern. Ein weiteres Missverständnis gab es mit der Darstellung der Schippe. Durch die bildliche Darstellung legte Herr A. die Schaufel samt Futter in den Eimer und konnte zunächst nicht verstehen, warum nicht genügend Schippen für alle Pferde da waren, sondern eben nur diese eine Schippe. Frau Y. nahm dagegen lediglich die entsprechende farbige Futterschaufel und den dazugehörigen Futtereimer, allerdings ohne Futter. Neugierig machte die Mashtonne. Herr G. fragte erstaunt, was in der Tonne wäre, da es durch ein Verbotsschild gekennzeichnet ist. Dieses Symbol wurde jedoch deutlich verstanden. Sehr schnell stellte sich heraus, dass der Plan, gedruckt auf zwei DIN A4-Seiten, deutlich zu unübersichtlich und zu klein war. Während Herr C. in der Zeile verrutschte und dadurch die falsche Futtermenge vorbereitete, zählte Herr B. heiter die Schaufeln, die hinter dem entsprechenden Symbol angezeigt waren und wollte Hollyday mit sechs Schaufeln Müsli zum Abendfutter erfreuen. Für ihn war die Abtrennung der Rationen in die drei Futtergaben nicht ersichtlich. Das System musste überdacht werden. Positiv an den Überlegungen war die Tatsache, dass „Lesen können“ nun keine Voraussetzung für die Futtervergabe war. Freudig verglich Frau S. die Symbole des Planes mit denen der Eimer. Auch bei der Verteilung der Futtereimer im Stall gab es keine Verwechslungen mehr. Bislang geschah es schon mehrfach, dass das falsche Futter oder doppelte Rationen im Trog landeten. Durch die Symbole stellte dies kein Problem mehr dar. Somit stellte das Erfassen von abstrakten Aufgaben einen Teil der Fütterung und zugleich auch einen Teilbereich der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd dar. Zweiter Anlauf Das System wurde nun auf eine große Tafel übertragen (s. Bild 6), alles deutlich größer und durch Linien abgeteilt. Zudem wurden die jeweiligen Rationen zusammenhängend ausgeschnitten, so dass die Teilfütterungen bildlich getrennt waren. Beim zweiten Testlauf funktionierte das System bestens. Für Herrn B. gab es kein Problem mehr mit den Abtrennungen der unterschiedlichen Rationen. Freudig bereitete er das Futter vor und konnte es, diesmal ohne Hilfe, an die Pferde verteilen. Er schien erleichtert zu sein, dass es end- Bild 5: Uhrzeiten als Assoziation zu den drei Futterzeiten Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern mup 1|2012 | 45 Praxistipp: Dreher - Entwicklung eines Symbol-Kraftfuttersystems zum selbständigen Füttern mup 1|2012 | 45 lich eine für ihn praktikable Darstellung gibt, und betonte mehrmals, dass dies eine „super Idee“ gewesen sei. Zuvor litt er stets unter „Prüfungsangst“ und war während der gesamten Fütterung sehr angespannt. Nun muss er sich nicht an alles erinnern (beispielsweise in welcher Box welches Pferd steht), sondern er kann immer wieder aktuell die Symbole vergleichen, wiedererkennen und dementsprechend zuordnen. Die Erleichterung war deutlich spürbar. Eine Kleinigkeit fiel beim zweiten Testlauf noch auf: rote Futterschaufel und roter Becher wurde verwechselt. Hierfür stand eine einfache Lösung parat - die Haflingerstute erhielt nun eine kleine grüne Futtertonne mit integriertem grünem Becher (s. Bild 2). Es handelt sich bei diesem Futter auch um das eigentlich rot markierte Müsli. Durch das Futtersystem, das keine Informationen über die Art des Futters gibt, spielt dies aber keine Rolle. So liegen nicht ständig zwei Einheiten bereit, sondern wirklich eine Einheit pro Tonne. Fazit Mit diesem Futtersystem wurde es ermöglicht, zu einer selbständigen Fütterung hinzuleiten. Mit wenigen Mitteln konnte dies erreicht werden. Auch wenn es mehrere Testdurchläufe brauchte, bis es letztendlich so ausgereift war, dass man es einsetzen konnte, zeigten die fortführenden Fütterungen, dass es sich dennoch gelohnt hat. Schon in den Testversuchen hat sich gezeigt, dass die betreuten Mitarbeiter sich daran erfreuten, endlich selbst anpacken zu können und nicht mehr vor der Hürde des unverständlichen Futterplanes stehen mussten. Von Woche zu Woche konnte ihnen die Fütterung selbständiger überlassen werden. Bild 6: Endgültiger Futterplan Die Autorin Anke Dreher Jg. 1987, z. Z. Studium Sozialpädagogik (BA), Reitabzeichen (FN), Longierabzeichen (FN), Fahrabzeichen (FN), Trainerassistentin Therapeutisches Reiten (DKThR), Helferin im Therapeutischen Reiten im Reittherapeutischen Zentrum (RtZ) der gemeinnützigen Waldhof GmbH (Ober-Ramstadt in Hessen) Anschrift: Anke Dreher · Backhausstr. 25 · D-64395 Brensbach- Wersau · ankedreher@t-online.de
