eJournals mensch & pferd international 4/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Pferdeunterstützte Psychotherapie

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2012
Ilka Parent
Dieser Artikel bietet eine Einführung in Pferdeunterstützte Psychotherapie nach dem EAGALA Modell - ein in den Vereinigten Staaten entwickeltes Therapiekonzept, in welchem Pferde als integrale Therapieelemente miteinbezogen werden, um auf der Basis erlebnisbedingtem Lernens zwischenmenschliche Kenntnisse und Verhaltensmuster weiterzuentwickeln. Anhand eines Fallbeispiels werden die grundlegenden Konzepte und theoretischen Grundlagen aufgezeichnet und erklärt. Die Unterschiede zu anderen Therapieformen oder zum Managertraining, die Pferde als Reittiere integrieren oder auf Natural Horsemanship basieren, werden verdeutlicht.
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164 | mup 4|2012|164-167|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Forum Pferdeunterstützte Psychotherapie Erlebnisbedingtes Lernen mit Pferden nach dem EAGALA Modell Ilka Parent Dieser Artikel bietet eine Einführung in Pferdeunterstützte Psychotherapie nach dem EAGALA Modell - ein in den Vereinigten Staaten entwickeltes Therapiekonzept, in welchem Pferde als integrale Therapieelemente miteinbezogen werden, um auf der Basis erlebnisbedingtem Lernens zwischenmenschliche Kenntnisse und Verhaltensmuster weiterzuentwickeln. Anhand eines Fallbeispiels werden die grundlegenden Konzepte und theoretischen Grundlagen aufgezeichnet und erklärt. Die Unterschiede zu anderen Therapieformen oder zum Managertraining, die Pferde als Reittiere integrieren oder auf Natural Horsemanship basieren, werden verdeutlicht. „Der benimmt sich wie mein Sohn! “ Susanne H. (Name wurde verändert) steht mit hängenden Schultern da und sieht dem davon galoppierenden Pferd nach. Die anderen Teilnehmer versammeln sich um die Pfosten, die zu einem wackeligen Gerüst zusammengestellt sind. Zu der Gruppe gesellen sich drei weitere, freilaufende Pferde. Das Pferd, das davongelaufen ist, wird langsamer und fängt an zu grasen. Schauplatz für diese Szene ist eine Pferdeweide in Rheinland-Pfalz. Susanne H. und fünf weitere Frauen sind zu einer Gruppentherapiestunde zusammen gekommen, sie alle teilen die Erfahrung, dass sie in ihrer Ehe körperlich misshandelt wurden. Heute haben Susanne H. und die anderen Frauen die Aufgabe gestellt bekommen, aus den auf der Wiese herumliegenden Pfosten ein Gerüst aufzubauen, das einem „großen Problem im eigenen Leben“ ähneln soll. Nach Fertigstellung dieses Gerüstes wurde die Gruppe gebeten, die Pferde darüber zu führen. Als Hilfsmittel stehen ihnen neben den Pfosten, Pylonen und alten Tüchern noch große Pezzibälle zur Verfügung. Weitere Anleitungen wurden ihnen nicht gegeben. Grundlagen für eine solche Aktivität ist eine Therapieform namens „Equine Assisted Psychotherapy“ (Pferdeunterstützte Psychotherapie / EAP). EAP wurde 1999 in den Vereinigten Staaten von einer Organisation namens EAGALA (Equine Assisted Growth and Learning Association) gegründet. Bei der von Pferden unterstützten Psychotherapie werden die Tiere in den therapeutischen Prozess mit einbezogen. Sie sind Teil eines Behandlungsteams, zu dem neben einem Therapeuten auch noch ein sog. „Pferdespezialist“ gehört. Der Arbeitsansatz ist ein „erfahrungsbedingtes Lernen“, das auf der Erlebnispädagogik aufbaut. Durch Einbezug der Pferde wird dieser Ansatz erweitert. In EAP werden Situationen angeboten, die den Teilnehmern ermöglichen, ihre eigenen Fragen und Probleme auszuleben. Ziel ist, eigene Lösungen für diese zu finden. Die Pferde sind neben den Klienten die Hauptteilnehmer an diesem Geschehen. Der Therapeut und der Pferdespezialist beobachten von weitem vor allem das Pferdeverhalten. Die Aufgabenstellung von Frau H. ist typisch. Durch Forum: Parent - Pferdeunterstützte Psychotherapie mup 4|2012 | 165 das Weglassen der typischen Hilfsmittel wie Halfter und Führstrick wird aus einer alltäglichen Aufgabe eine Situation, die für die ausführende Person mit Schwierigkeiten und Emotionen verbunden ist, auf die wiederum das Pferd reagiert. Warum Pferde? Es ist nachgewiesen, dass die Zusammenarbeit mit Tieren auf psychischer wie auch auf psychologischer Ebene einen therapeutischen Effekt hat (Greenwald 2001; Hayden 2005). Bekannt sind die typischen Merkmale der Pferde. Sie sind Fluchttiere, die in einem sozialen Herdengefüge zusammenleben, miteinander über Körpersprache kommunizieren. 90 % der menschlichen Sprache beruht auf Körpersprache. Pferde verfügen über eine Gabe, auf diese Körpersprache zu reagieren. Jeder der Pferdegruppe beitretende Teilnehmer wird als potentielles Herdenmitglied gesehen, so dass dieser auf „Gefahr“, „Sicherheit“, und seinen entsprechenden Rangplatz in der Herde geprüft wird. Je nach Einschätzung wird reagiert, entweder durch Fluchtverhalten oder aber dominantes bzw. gefügiges Verhalten. Die Teilnehmer sind sich ihrer Körpersprache meist nicht bewusst, sehen aber die Auswirkungen. So „spiegeln“ die Pferde oft die Dynamik aus den Lebensbereichen der Teilnehmer wider. Das EAGALA Modell Um den Namen EAP / EAL verwenden zu können, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein, die den Richtlinien und Qualitätsansprüchen des EAGALA Modells entsprechen (EAGALA 1999): 1. EAP / EAL beruht immer auf der Zusammenarbeit eines Behandlungsteams mit fester Rollenaufteilung. Zu dem Team gehören stets mindestens ein Therapeut, ein „Pferdespezialist“, und mindestens ein Pferd. Die Pferde, die für EAP Programme gewählt werden, bedürfen keiner Ausbildung. Am besten eignen sich Pferde, die mit Freilauf in Herden gehalten werden, den Umgang mit Menschen aber gewöhnt sind. Unterschiedliche Temperamente und Charaktäre sind erwünscht. Aufgabe der Pferde ist es, sie selbst zu sein. Dadurch werden sie zum Medium, einem Therapieelement, und verkörpern den Zugang zur Erfahrenswelt der Klienten. 2. Alle Aufgaben werden vom Boden ausgeführt, in der direkten Begegnung und Reflexion mit dem Pferd. Reiten findet nie statt. 3. EAP / EAL ist lösungsorientiert. Die Überzeugung, dass die Klienten selbst die besten Lösungsvorstellungen für sich haben, bildet eine der bestimmenden Grundlagen für den EAGALA Ansatz. Anstatt zu unterweisen oder anzuleiten, ermöglicht das EAP / EAL Team seinen Klienten, auszuprobieren, Probleme zu lösen, Risiken einzugehen, kreativ zu werden, und eigene Lösungen zu finden, die für die Beteiligten am besten funktionieren. 4. EAGALA hat einen festen Ethik-Kodex. Der Ethik Kodex skizziert grundlegende Philosophien, um Anwendern des EAGALA Modells in ihren Geschäftsfeldern und ihrer Praxisanwendung zu leiten. Er beruht in erster Linie auf den grundsätzlichen Werten der allgemeinen Sicherheit und des Wohlergehens der Klienten. Nichtbeachtung dieses Kodex kann zum Ausschluss aus dem Verband oder zum Verlust der EAGALA Zertifizierung führen. Der therapeutische Prozess Auf der Weide hat sich das Bild mittlerweile wieder verändert. Die Gruppenmitglieder halten sich an den Händen fest, und bewegen sich langsam in einer quer laufenden Reihe auf die Gruppe der Pferde zu. Susanne H. befindet sich in der Mitte dieser Reihe, ihre Schritte sind langsamer. Sie blickt mit den anderen Teilnehmern in Richtung Hindernis. Die Pferde bewegen sich langsam, Schritt für Schritt, auf dieses zu, welches von der Gruppe umgebaut wurde und nicht mehr so wackelig ist. Zu Beginn erschien es unmöglich, nun passiert es, ein Pferd nach dem anderen übertritt das 166 | mup 4|2012 Forum: Parent - Pferdeunterstützte Psychotherapie Hindernis, gefolgt von der Menschenkette. Die Teilnehmer jubeln, die Pferde gesellen sich zu ihnen. Dies wirft folgende Fragen auf: „Was hat das alles gebracht? “ „Inwiefern handelt es sich hierbei um Therapie? “ Theoretische Grundlagen Bei der Aufgabengestaltung ist darauf zu achten, dass erfahrungsbedingtes Lernen ermöglicht wird. Sie soll Parallelen zum Leben der Teilnehmer widerspiegeln. Durch das bewusste Verwenden von Metaphern wird den Teilnehmern ermöglicht, die Erfahrungen und das Erlernte in ihren Alltag zu übertragen. EAP wird am deutlichsten durch den Prozess der metaphorischen Übertragung definiert. Dieser kommt vor, wenn parallele Prozesse in einer bestimmten Lernsituation analog zum Lernen in einer anderen, jedoch ähnlichen Situation stattfinden. Weiterhin hilfreich erweist sich die Möglichkeit, dass Teilnehmer sich ihre eigenen internen Repräsentationen schaffen, womit bewusste und unbewusste Prozesse stimuliert werden, sowie die Möglichkeit, psychologisches Material mit einem reduzierten Niveau der Abwehrmechanismen zu erreichen. Bei Susanne H. und ihrer Gruppe wurde die Metapher eines „großen Problems ihres Lebens“ verwendet. Sie wurde gebeten, dies bildlich darzustellen. In ihrer Gedankenwelt wird so die aufgebaute Barrikade zu einem repräsentativen Problem, das zu vermeiden ist. Ihre Reaktion auf dieses Problem kommt in ihrer Körpersprache zum Ausdruck, auf das wiederum die Pferde reagieren. Nur durch ein Umdenken und Ändern der eigenen Verhaltensweisen war es möglich, die Pferde ohne andere Hilfsmittel über dieses Hindernis zu bewegen. Nach Beendigung der Aufgabe findet ein weiterführendes Gespräch statt. „Verarbeitung“ bedeutet, dass das Behandlungsteam die Gruppenteilnehmer durch gezielte Fragen anregt, Bedeutung, Reflexion und Verständnis dem Erlebten zuzuordnen. Grundlagen der gezielten Fragen sind die gemachten Beobachtungen der Gruppe beim Ausführen der Aufgabe, und was aus diesen Beobachtungen gewonnen wird. Beobachtet wird die Körpersprache der Teilnehmer und das Verhalten der Pferde. Um das Beobachtete einzuordnen, wird ein Schema verwendet, das speziell von EAGALA entwickelt und patentiert wurde (SPUD’S). Bei dem Verarbeitungsgespräch werden die wichtigsten Beobachtungen aus diesen Kategorien vorgetragen. Ziel ist es zu erfahren, was, wie, oder ob die Teilnehmer diese wahrgenommen, und gegebenenfalls interpretiert haben. Zu beachten ist, dass es bei diesem Prozess um die Gedankenwelt der Klienten geht, nicht die eigenen Zielvorstellungen. Die Fragestellung erfolgt also vom Standpunkt des „Wissen Wollens“, nicht des Belehrens. Schlussfolgerungen und Interpretationen werden nicht angeboten. Somit wird den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Lösungen zu ihren Problemen nicht nur zu identifizieren, sondern auch klarer zu erkennen. Bei der Verarbeitung des Erlebten erzählt Frau H. offen, dass sie Angst davor hatte, das Hindernis zu übersteigen. So wie im Leben hat sie auch in der Gruppe nicht um Hilfe gebeten, sondern versucht, die Pferde alleine zu bewegen. Das gallopierende Pferd wurde dem Sohn gleichgesetzt, mit dem sie sich überfordert fühlt. Die entscheidende Veränderung war, dass sie ange- Forum: Parent - Pferdeunterstützte Psychotherapie mup 4|2012 | 167 fangen hat, auf die Vorschläge der Gruppenmitglieder einzugehen, und das Hindernis stabiler zu bauen. Auf die Frage, wie sie dies auf ihr Problem im eigenen Leben anwenden könne, antwortete sie, dass sie öfter um Hilfe bitten und mehr an sich glauben könnte, denn sie hat es ja auch hier geschafft. Erst nachdem die eigene Unsicherheit abgelegt wurde, sind die Pferde ruhig mitgegangen. Das Hindernis war nun kein Problem mehr. Literatur ■ EAGALA (1999): Fundamentals of EAGALA Model Practice. 1st edition, Utah ■ Greenwald, A. J. (2001): The effect of a therapeutic horsemanship program on emotional disturbed boys. ETD Collection for Pace University, New York ■ Hayden, A. J. (2005): An exploration of the experiences of adolescents who participated in equine facilitated psychotherapy: A resiliency perspective. An unpublished doctoral dissertation. Alliant International University, San Diego, Ca. (UMI No. 3156902) Die Autorin Ilka Parent Dipl.-Psych. / LPC (NC, TX, USA), Inhaberin von Minds-n-Motion, LLC, arbeitet seit 2006 nach dem EAGALA Modell, Verfasserin verschiedener EAP Programme, die unter anderem für traumatisierte Soldaten oder Jugendgruppen entwickelt wurden, seit ihrer Rückkehr nach Deutschland (Juni 2011) ist sie die EAGALA Netzwerk Koordinatorin für Deutschland Anschrift: Ilka Parent · Minds-n-Motion, LLC · Porrbacherstr. 15a D-66879 Steinwenden / Obermohr · 0171-4173971 ilka.parent@mindsnmotion.net · www.mindsnmotion.net