mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Editorial
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Erhard Olbrich
Editorial
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mup 3|2013 Editorial Kommunikation zwischen unterschiedlichen Spezies wird in der Natur häufig beobachtet. Kommunikation zwischen Menschen und Tieren nutzt keine Worte, sie ist nonverbal - oder in der Terminologie von Watzlawick u. a. (2000): analog. Innere Befindlichkeiten oder Impulse entsprechen dabei relativ direkt dem, was durch Bewegungen, Köperhaltungen, Mimik etc. ausgedrückt wird. Und Menschen, die über 99 % ihrer Entwicklungsgeschichte mit Tieren zusammengelebt haben, die sie in der Vergangenheit stets „lesen“ und ihr Verhalten vorhersagen können mussten, um zu überleben, verstehen sie nach wie vor - mag das auch durch kulturelle Prägungen oft überlagert sein. Monty Roberts hat „Equus“, die stille Sprache der Pferde, recht differenziert gelernt und sie uns gelehrt. Neurobiologische Forschungen haben zudem belegt, dass Menschen auf Tiefenschichten ihres Nerven- und Hormonsystems die gleichen Strukturen für grundlegende, überlebenswichtige Verhaltensweisen wie Brutpflege, aber auch für Kooperation, die Reaktion auf Gefahren oder die Verarbeitung von Stress haben, wie Säugetiere. Speziell Spiegelneuronensysteme (Rizzolatti/ Sinigaglia 2008) lassen Mitbewegungen und die Synchronisation von Bewegungen zu, machen Imitationen der eigenen und auch anderer Spezies möglich. Und hormonelle Prozesse ermöglichen Empathie und erlauben ein soziales und emotionales „Mitschwingen“ mit Lebewesen der eigenen Spezies, aber auch mit Vertrauten anderer Spezies. Dieses Mitschwingen geht oft mit geteilten Bewegungen einher. Das ist im Rahmen von tiergestützten Interventionen überzeugend belegt worden (Julius u. a. 2013). Wie so angelegte Möglichkeiten zur analogen Kommunikation und Empathie in der heilpädagogischen Förderung mit Pferden methodisch genutzt und wie sie verbessert werden können, das wird zum Thema der Pädagogik. Im Fachartikel „Unterstützte Kommunikation (UK) in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd“ von Schäffer und Struck wird dies aufgegriffen. In der analogen Kommunikation gelangen primär nonverbale körpereigene Kommunikationsformen in Interaktionen zwischen Pädagogen und Klienten, die nicht sprechen können, in unsere Aufmerksamkeit. Aber auch Pferde sind direkt daran beteiligt. Sie reagieren doch auf Verspanntheit oder Gelöstheit ihres Reiters genauso wie sie auf seine Mimik reagieren, auf die Art wie er sie fixiert, mit welchen Bewegungen er sich annähert, wie er sie berührt. Jeder Reiter hat bereits erfahren, dass sich seine eigene Sicherheit oder seine Angst dem vertrauten Pferd ohne Worte mitteilt, sei es durch minimale Berührung, durch vegetative Reaktionen, durch Laute oder Ähnliches. Das zu beachten, vor allem aber die vielfältigen körperlich übermittelten Kommunikationen in der therapeutischen Arbeit zu nutzen, ist pädagogisch außerordentlich hilfreich. Aber Ergänzungen der nonverbalen Kommunikation zwischen Pädagoge / Therapeut und Klient sind möglich, sei es durch Symbole, Grafiken, durch bekannte Gegenstände oder Bewegungen. Und nicht zuletzt sind elektronische Geräte, die akustische oder bildliche Zeichen übermitteln, nützliche Hilfen bei der Kommunikation zwischen Menschen und in begrenztem Maße zwischen Menschen und Pferden. Dies zu diskutieren ist methodisch, theoretisch und vor allem praktisch bedeutsam. Eine zweite Form der Abstimmung von Bewegungen, gegenseitigen Wahrnehmungen von Editorial Editorial mup 3|2013 Klient und Pferd, von fördernden Kooperationen zwischen beiden und in Konsequenz der Entwicklung von motorischen sowie anderen Fähigkeiten bietet der Bewegungsdialog. Basierend auf entwicklungspsychologischem Wissen um trainingssensible Perioden von Gleichgewichtsfähigkeit, Rhythmusfähigkeit, sensorischer und motorischer Orientierungsfähigkeit, der Fähigkeit zur komplexen Integration motorischer Reaktionen mit anderen motorischen, sensorischen oder sozial-emotionalen Prozessen werden im Artikel „Fördermöglichkeiten der koordinativen Fähigkeiten durch das Voltigieren im Rahmen des Grundschulsports“ von Steinsiek und Riedel konkrete Übungen und Spiele mit dem Pferd vorgestellt. Sie sind für Kinder und Jugendliche nicht nur attraktiv, es ist auch davon auszugehen, dass sie physiologische Funktionen genauso wie Sozialkompetenzen verbessern. Wie wichtig solche Aktivitäten sind, zeigt ein Blick auf die in den letzten Jahrzehnten zurückgehenden koordinativen und motorischen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Bedeutsam ist nun, dass evolutionär entwickelte und neurobiologisch nachweisbare Möglichkeiten von Menschen zur Kommunikation, zur Interaktion und Kooperation mit dem faszinierenden Lebewesen Pferd zur Entwicklung vielfältiger Fähigkeiten motivieren. Aber erst in der Verbindung von neurobiologischen Voraussetzungen mit Methoden der pädagogischen Praxis werden sie aktualisiert. Dieses Zusammenspiel zu erklären, ist ein wichtiges Thema. Wichtiger aber noch ist der Nachweis, wie neurobiologische Voraussetzungen in der heilpädagogischen und sportmotorischen Praxis zur Entwicklung von sensorischen, motorischen, kommunikativen und sozialen sowie nicht zuletzt auch von emotionalmotivationalen Prozessen beitragen. Prof. Dr. Erhard Olbrich Literatur ■ Julius, H., Beetz, A., Kotrschal, K., Turner, D., Uvnäs-Moberg, K. (2013): Attachment to pets. Hogrefe, Göttingen ■ Rizzolatti, G., Sinigaglia, C. (2008): Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. Suhrkamp, Frankfurt ■ Watzlawick, P., Beavin, J., Jackson, D. (2000): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Huber, Bern / Stuttgart/ Wien
