eJournals mensch & pferd international 5/3

mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft im Ganztagsangebot einer Förderschule

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Nadja Molitor
Der sich gerade im Ausbau befindliche Ganztagsschulbereich bietet auch für Angebote der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP) viele Möglichkeiten. Welche organisatorischen und versicherungsrechtlichen Aspekte im Vorfeld bedacht sein sollten, soll im Folgenden am konkreten Beispiel einer "Reit-AG" zusammengetragen werden.
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144 | mup 3|2013|144-148|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Recht & Sicherheit Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft im Ganztagsangebot einer Förderschule Überlegungen zu versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Der sich gerade im Ausbau befindliche Ganztagsschulbereich bietet auch für Angebote der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP) viele Möglichkeiten. Welche organisatorischen und versicherungsrechtlichen Aspekte im Vorfeld bedacht sein sollten, soll im Folgenden am konkreten Beispiel einer „Reit-AG“ zusammengetragen werden. Die „Reit-AG“ im Ganztagsangebot einer Schule mit den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache Die „Reit-AG“ entstand auf Initiative eines Schulleiters einer Förderschule in Rheinland-Pfalz. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt zwischen Förderschule und Pferdebetrieb. Die Reitstallbesitzerin hat die Autorin als Fachkraft für Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd mit der Durchführung beauftragt. Von Seiten der Schule wurde mit ihr ein Vertrag über freie Mitarbeit im Rahmen des Projekts „Ganztagsschule in neuer Form“ abgeschlossen; sie erhält für jede geleistete Zeiteinheit ein Honorar. Der Betrag für die Pferde- und Hallennutzung wird über Elternbeiträge finanziert und geht direkt an die Reitstallbesitzerin. Die „Reit-AG“ findet einmal wöchentlich vormittags während der Schulzeit im nahe gelegenen Reitstall statt. Die Auswahl, welche Schüler an dem Angebot teilnehmen können, treffen die Lehrer der Förderschule in Absprache mit der Reitpädagogin. Versicherung der Teilnehmer und der Reitpädagogin Da es sich bei dieser „Reit-AG“ um eine schulische Veranstaltung im Rahmen des Ganztagsschulangebotes handelt, besteht ein gesetzlicher Unfallschutz sowohl für die Schüler als auch für die Reitpädagogin (Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz 2003, 12). Bei einem Unfall (z. B.: eine Schülerin quetschte sich die Hand beim Herausholen des Therapiepferdes aus dem Offenstall am Tor und begab sich danach in ärztliche Behandlung) besteht die Pflicht, den Unfall möglichst zeitnah dem Unfallversicherungsträger zu melden (GUV 2006, 13). Aufgabe der Reitpädagogin ist es hierbei, die Schule unmittelbar über den Unfallhergang zu informieren, damit ein Unfallbericht verfasst werden kann. Das Schulsekretariat verfügt über entsprechende Formulare und übernimmt in der Regel das Weiterleiten und Verwalten der Unfallberichte. Darüber hinaus sollte individuell genau abgeklärt werden, ob ein weitergehender Versicherungsschutz benötigt wird, beispielsweise in Form einer Reitlehrerhaftpflichtversicherung, die das Risiko des Therapeutischen Reitens miteinschließt. Gedanken zur Aufsichtspflicht Zunächst ein Auszug aus der Schulordnung für die öffentlichen Realschulen Plus, Integrierten Gesamtschulen, Gymnasien, Kollegs und Abendgymnasien (übergreifende Schulordnung) vom 12. Juni 2009 Nadja Molitor Recht & Sicherheit: Molitor - Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft mup 3|2013 | 145 zur Klärung des Begriffes „Aufsicht“ aus Sicht der Schulen: § 36 Aufsicht (1) „Die Schülerinnen und Schüler unterliegen während der Unterrichtsstunden, der Pausen und Freistunden, während der Teilnahme an sonstigen schulischen Veranstaltungen sowie während einer angemessenen Zeit vor und nach diesen schulischen Veranstaltungen der Aufsicht der Schule. Das Gleiche gilt für die vor Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsende in der Schule entstehenden Wartezeiten der Schülerinnen und Schüler im Rahmen der allgemeinen Schülerbeförderung. (2) Die Aufsicht kann durch die Schulleiterin oder den Schulleiter, die Lehrkräfte und die sonstigen mit der Aufsicht betrauten Personen - das können Eltern, die sich dazu bereit erklärt haben, und auch Schülerinnen und Schüler sein, die von der Schule mit der Wahrnehmung besonderer Aufgaben betraut wurden - ausgeübt werden. An die Weisungen dieser Personen sind die Schülerinnen und Schüler gebunden. (3) Die Schülerinnen und Schüler dürfen während der Schulzeit das Schulgelände nur mit Erlaubnis einer Lehrkraft verlassen; in Pausen und Freistunden ist Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II das Verlassen des Schulgeländes erlaubt.“ Im Fall der „Reit-AG“ werden die Schüler vom Schulleiter oder einem Lehrer der Schule mit einem Kleinbus zum Reitstall gefahren und nach Ende der Einheit wieder abgeholt. Das bedeutet, von dem Moment an, wenn die Schüler aus dem Bus steigen und der Schulleiter wegfährt bis zu dem Moment, wenn sie zur Rückfahrt wieder in den Bus steigen, übernimmt die Reitpädagogin die Aufsichtspflicht über die Gruppe. Zweck der Aufsicht ist es, sowohl Schüler vor Schäden zu bewahren als auch zu verhindern, dass sie andere Personen oder Dinge schädigen (GUV 2006, 27). Die Reitpädagogin sollte stets darauf bedacht sein, alles Mögliche getan zu haben, um Schaden von den Schülern abzuwenden und dies im Notfall auch belegen können. Die Aufsicht ist kontinuierlich, aktiv und präventiv zu führen (Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz 2003, 11). Kontinuierlich meint dabei, dass die Aufsicht während der gesamten Einheit ununterbrochen ausgeübt werden muss. Da es nicht möglich ist, immer alle Schüler im Blick zu haben, sollen sich diese zumindest durch die Anwesenheit der Reitpädagogin beaufsichtigt fühlen. Ist die Reitpädagogin doch einmal gezwungen, den Ort der Aufsichtsführung zu verlassen, muss sie alle ihr zumutbaren Vorkehrungen treffen, um für die Zeit ihrer Abwesenheit Gefahren für oder durch die Schüler abzuwenden (GUV 2006, 29). Aktive Aufsicht bedeutet, dass es nicht ausreicht, wenn die Reitpädagogin vor Gefahren warnt, sondern sie muss im Rahmen des ihr Zumutbaren und Möglichen, Vorkehrungen für den Fall treffen, dass ihre Anweisungen nicht befolgt werden. Dies bedeutet z. B. auch, Verbote durchzusetzen (GUV 2006, 29). Präventiv schließlich meint umsichtiges und vorausschauendes Handeln der Reitpädagogin. Man sollte sich stets überlegen, woraus Gefahren entstehen könnten und wie man diese abwenden kann (beispielsweise Warnung eines Reiters vor tiefhängenden Ästen bei einem Waldausritt) (GUV 2006, 30). 146 | mup 3|2013 Recht & Sicherheit: Molitor - Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft Versicherung der für die heilpädagogische Förderung genutzten Pferde Eine wichtige Unterscheidung bei der Haftungslage bei Unfällen mit dem Pferd ist nach Scholzen (2009, 189), ob das Pferd als Nutztier oder als Luxustier eingesetzt wird. Die im Beispiel der „Reit-AG“ für das Projekt zur Verfügung stehenden Pferde gehören der Reitstallbesitzerin und werden als Schulpferde im Reitbetrieb eingesetzt. Damit dienen sie der Berufs- oder Erwerbstätigkeit des Halters und gelten als Nutztiere. Die Pferde sind als Schulpferde versichert (Tierhalterhaftpflichtversicherung), zusätzlich wurde die Versicherungsgesellschaft über den Einsatz der Pferde im Therapeutischen Reiten informiert und dies entsprechend versichert. Ansprechpartner in versicherungsrechtlichen Fragen und weitere wichtige sicherheitsrelevante Bestimmungen Bei der Planung eines Angebotes im Bereich der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in Kooperation mit einer Schule können sich immer wieder viele versicherungsrechtliche Detailfragen und Unklarheiten ergeben. Zur Klärung dieser Fragen kann es sehr nützlich sein, der Reitpädagogin zur Verfügung stehende Ansprechpartner aufzulisten. Das können beispielsweise Schulleiter, Reitstallbesitzer, Vertreter der verschiedenen Versicherungsgesellschaften, bei denen das Projekt betreffende Versicherungen abgeschlossen wurden, sein. Im Fall der „Reit-AG“ bestand auch die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt, der eine Reitbeteiligung an einem der im Reitstall untergestellten Pferde unterhielt, zu Rate zu ziehen. Er hat als eines seiner Spezialgebiete „Pferderecht“ und berät u. a. zu rechtlichen Fragen bei Pferdekauf, Ankaufsuntersuchungen, Tierarzthaftung, Tierhüterhaftung, Tierhalterhaftung, Reitanlagenhaftung, Reitlehrerhaftung, Reitunfall und Tierhaftpflicht. Eine weitere wichtige Frage, die man sich bei der Planung eines Angebotes in der HFP stellen sollte ist, welche sicherheitsrelevanten Bestimmungen es zu beachten gilt, um gegebenen Versicherungsschutz nicht zu verlieren. Dazu gehört, dass die Schüler eine geprüfte Reitkappe und geeignete Kleidung tragen sollten, z. B. Stiefel oder feste, knöchelhohe Schuhe. Alternativ oder ergänzend sollten Bügelkörbchen eingesetzt werden, um ein Durchrutschen und Hängenbleiben im Bügel zu verhindern. Zur Reitkappenpflicht heißt es in einem Infoblatt der FN zum Thema haftungsrechtliche Folgen des Reitens ohne Helm: „Ein Reitlehrer, der nicht dafür sorgt, dass seine Reitschüler einen adäquaten Helm tragen, ist wegen dieses Unterlassens schadensersatzpflichtig. Diese Frage ist bereits höchstrichterlich entschieden“ (Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. 2009). Wichtig ist auch die korrekte und sichere Ausrüstung des Pferdes; so sollte es beim Reiten, Longieren oder bei der Bodenarbeit mit Trense oder Knotenhalfter ausgestattet sein. Für die Einheiten sind jeweils geeignete Pferde auszuwählen. „Gerade auch im Bereich der Förderung und Therapie mit Pferden muss insbesondere auf das Interieur der ausgewählten Pferde und auf deren Erfahrung und bisherigen Einsatz in diesem speziellen Bereich geachtet werden“ (Scholzen 2009, 190). Menke (2011, 83) weist daraufhin, dass es für einen sicheren Umgang mit dem Pferd unabdingbar ist, Verhaltensregeln aufzustellen. „Zu diesen Verhaltensregeln zählen bestimmte Do’s und Don’ts, die der Therapeut seinen Klienten von der ersten Therapiestunde an vermitteln und natürlich selbst auch einhalten sollte“. So ist es beispielsweise wichtig, den Schülern entsprechend ihrer Auffassungsgabe Kenntnisse über Reaktionsweisen und Verhalten des Pferdes zu vermitteln, z. B. dass das Pferd ein Fluchttier ist und deshalb im Umgang mit ihm alle seinen Fluchtinstinkt auslösenden Verhaltensweisen (wie z. B. Schreien und Herumrennen) unterlassen werden sollten. Um bei Unfällen kompetent Erste Hilfe leisten zu können, sollten die Kenntnisse der Reit- Recht & Sicherheit: Molitor - Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft mup 3|2013 | 147 lässt; dass der Besitzer die Pferde ihren Bedürfnissen entsprechend (Tierschutzgesichtspunkte) hält und behandelt) ■ bei der Nutzung der Reithalle bzw. des Reitplatzes oder der Stallungen? (z. B. dass die Halle zu der festgelegten Zeit genutzt werden kann und in ordnungsgemäßem Zustand ist; dass Gefahrenquellen in Halle, Hof und Stallungen beseitigt bzw. abgesichert sind, also die Verkehrssicherungspflichten erfüllt sind) ■ zwischen der Reitpädagogin und weiteren Personen und / oder Institutionen? (z. B. schriftliche Arbeitsverträge zwischen Reitpädagogin und Schule). Es ist wichtig, die eigene rechtliche und versicherungstechnische Situation im Detail mit Blick auf das Setting der HFP mit Fachleuten zu besprechen, damit man nicht von falschen Gegebenheiten ausgeht oder sich Versicherungslücken ergeben, die einen im „Falle eines Falles“ teuer zu stehen kommen können. pädagogin in diesem Bereich regelmäßig aufgefrischt werden. Ebenso ist dafür Sorge zu tragen, dass bei allen Teilnehmern an der HFP ein ausreichender Tetanusimpfschutz vorhanden ist. Film- und Fotoaufnahmen von Klienten Sollen im Rahmen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Film- und / oder Fotoaufnahmen der Klienten gemacht werden, setzt dies das Einverständnis der Klienten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter (in der Regel Eltern) voraus. Die Einverständniserklärung sollte in schriftlicher Form erfolgen und den Verwendungszweck der Aufnahme beinhalten. Überlegungen zur Schweigepflicht Alle zur Durchführung der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd nötigen Informationen über die einzelnen Kinder (z. B. bezüglich Diagnosen, Allergien, Medikamenteneinnahme, also gesundheitlichen Besonderheiten und Verhaltensauffälligkeiten) sind vertraulich zu behandeln und unterliegen der Schweigepflicht (Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz 2003, 13). Im Rahmen der HFP zustande kommende „Verträge“ Abschließend lässt sich sagen, dass es sehr sinnvoll sein kann, sich einen Überblick über im Rahmen des Settings der HFP zustande kommende „Verträge“ (mündlich oder schriftlich) zu verschaffen. Welche Verträge entstehen zwischen ■ dem Reitpädagogen und den Schülern bzw. ihren Eltern? (z. B. Sorgfalt im Umgang mit den Kindern, Wahrnehmung der Aufsichtspflicht und der Schweigepflicht, Förderung der Kinder) ■ der Reitpädagogin und dem Besitzer der genutzten Pferde? (z. B. dass geeignete Pferde für die Einheit zur Verfügung stehen; dass die Reitpädagogin im Umgang mit den ihr anvertrauten Pferden die nötige Sorgfalt walten Die Autorin Nadja Molitor Diplom-Pädagogin, staatlich geprüfte Fachkraft für heilpädagogische Förderung mit dem Pferd, beschäftigt in einer Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe Anschrift: Nadja Molitor · In der Krähwiese 14 D-66687 Wadern · na-mo@gmx.de 148 | mup 3|2013 Recht & Sicherheit: Molitor - Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als Arbeitsgemeinschaft Literatur ■ Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) (Hrsg.) (2006): Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für Schülerinnen und Schüler. Eigendruck, München ■ Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (2009): Haftungsrechtliche Folgen des Reitens ohne Helm. Infoblatt. In: www.pferd-aktuell.de/ shop/ index.php/ cat/ c111_Juristische-Belange- Versicherung.html, 22.2.2013 ■ Menke, D. (2011): Das kleine 1x1 der Sicherheit in der Therapie mit dem Pferd. mensch & pferd international 2, 83-84 ■ Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz (PZ) (Hrsg.) (2003): Arbeitsgemeinschaften und Projekte an Ganztagsschulen : Leitfaden für außerschulische Fachkräfte. Eigendruck, Bad Kreuznach ■ Scholzen, H.(2009): Pferde im Einsatz in Förderung und Therapie - Luxustiere oder Nutztiere? Rechtliche Hintergründe zu Haftungsfragen (deutsches Recht). mensch & pferd international 4, 189-193 Recht für die Soziale Arbeit w a 3., überarb. Aufl. 2012. 189 Seiten. 3 Tab. UTB-S (978-3-8252-3841-4) kt 2010. 243 Seiten. UTB-S (978-3-8252-3368-6) kt 2010. 243 Seiten. 3., überarb. Aufl. 2012. 189 Seiten. 3 Tab. Anzeige