eJournals mensch & pferd international 6/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings

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Yvonne Haßlinger
Sarah Kless
Ob Konzentrationsstörung, -schwäche oder diagnostiziertes AD(H)S, diese Kinder brauchen Unterstützung, um ihre Konzentration wieder auf sich selbst und auf bestimmte Aufgaben lenken zu können. Krowatschek u. a. (2011) entwickelten aus diesen Gründen ein Programm - das "Marburger Konzentrationstraining (MKT)". Dieses schulische Training gibt den Kindern Werkzeuge an die Hand, um zu lernen, wie man die eigene Konzentration zentrieren und halten kann. Um herauszufinden, welche interessanten Wirkungsweisen solch ein Konzentra­tionstraining auf dem Pferderücken mit sich bringt, wurde in einem Pilotprojekt das Marburger Konzentrationstraining (MKT) zu einem Pferdegestützten Konzentrationstraining (PKT) modifiziert. Dieser Artikel beschreibt, inwieweit die Anwendung eines modifizierten Pferdegestützten Konzentrationstrainings (PKT) in der reittherapeutischen Praxis nützlich sein kann und gibt hilfreiche Tipps für die Umsetzung.
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Yvonne Haßlinger, Sarah Kless 104 | mup 3|2014|104-114|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2014.art14d Schlüsselbegriffe: Marburger Konzentrationstraining, pferdegestütztes Konzentrationstraining, Konzentrationsfähigkeit Ob Konzentrationsstörung, -schwäche oder diagnostiziertes AD(H)S, diese Kinder brauchen Unterstützung, um ihre Konzentration wieder auf sich selbst und auf bestimmte Aufgaben lenken zu können. Krowatschek u. a. (2011) entwickelten aus diesen Gründen ein Programm - das „Marburger Konzentrationstraining (MKT) “. Dieses schulische Training gibt den Kindern Werkzeuge an die Hand, um zu lernen, wie man die eigene Konzentration zentrieren und halten kann. Um herauszufinden, welche interessanten Wirkungsweisen solch ein Konzentrationstraining auf dem Pferderücken mit sich bringt, wurde in einem Pilotprojekt das Marburger Konzentrationstraining (MKT) zu einem Pferdegestützten Konzentrationstraining (PKT) modifiziert. Dieser Artikel beschreibt, inwieweit die Anwendung eines modifizierten Pferdegestützten Konzentrationstrainings (PKT) in der reittherapeutischen Praxis nützlich sein kann und gibt hilfreiche Tipps für die Umsetzung. Modifizierung des Marburger Konzentrationstrainings für den Einsatz in der Reittherapie Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings Yvonne Haßlinger, Sarah Kless Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings mup 3|2014 | 105 Das Marburger Konzentrationstraining von Krowatschek u. a. (2011) Das Marburger Konzentrationstraining ist ein schulisches Trainingsprogramm zur Aufmerksamkeitsförderung bei Kindern. Für Grundschulkinder ist das Training als Gruppentraining konzipiert. Die Kinder können so die Konzentration in einer alltagsrelevanten Situation, meist direkt in der Schule, einüben. Zielgruppe Hilfreich ist dieses Training für Kinder, die sich leicht ablenken lassen, die noch nicht selbstständig arbeiten können, die wenig Selbstvertrauen haben, durch Misserfolge demotiviert sind, in mehreren schulischen Bereichen Auffälligkeiten zeigen oder deren Frustrationstoleranz zu niedrig ist (Krowatschek u. a. 2011). Struktur und Aufbau des MKT Das MKT sieht einen „Kurs“ mit sechs Trainingseinheiten von jeweils 75 Minuten vor. Die Gruppengröße variiert zwischen drei und acht Kindern. Durchgeführt wird das Training mit vier Kindern von einem zertifizierten Trainer, ab fünf Kindern ist es sinnvoll, eine zusätzliche Begleitperson einzusetzen. Dazu sind zwei bis fünf Elternabende von jeweils 60 Minuten vorgesehen. Methoden des MKT Verbale Selbstinstruktion Einer der wichtigsten Bestandteile des MKT ist das Selbstinstruktionstraining. Hierbei lernen die Kinder, wie sie ihre Konzentration selbst steuern können. Es gelingt den Kindern besser, sich zu konzentrieren, wenn sie zunächst jeden Schritt laut benennen, bevor sie ihn ausführen. Durch das Aussprechen eines jeden noch so kleinen Schrittes wird die Konzentration des Kindes auf diese benannte Sache fixiert. Zum Beispiel: „Ich nehme den Stift in meine rechte Hand und schreibe in die linke obere Ecke des Blattes meinen Namen.“ Positive Verstärkung Damit erfolgreich gelernt werden kann, ist es wichtig, positive Verstärker einzusetzen. Beim MKT werden soziale Verstärker durch den Trainer sowie materielle Verstärker, z. B. durch Verstärkerpläne, eingesetzt. Der Trainer legt sein Augenmerk auf das erwünschte Verhalten und lobt das Kind zeitnah. Damit wird auch Kindern, die nicht einschätzen können, was von ihnen erwartet wird, Regeln und Struktur vermittelt. Indem der Trainer die anderen Kinder ebenfalls bei jedem positiven Verhalten lobt, nehmen diese eine Vorbildfunktion gegenüber den noch zu unterstützenden Kindern ein. Ignorieren mit positivem Modell Die Verstärkerpläne haben für die Kinder einen höheren Anreiz als das soziale Lob. Es können pro Phase, die mit Belohnungssystem gekennzeichnet sind, drei Punkte erreicht werden. Zeigt ein Kind unerwünschtes Verhalten, wird in diesem Moment ein anderes Kind, das positives Verhalten zeigt, gelobt und mit Zusatzpunkten belohnt. Damit nimmt das belobigte Kind wieder eine Vorbildfunktion ein, was das Kind mit inadäquatem Verhalten zur Verhaltensmodifikation motivieren soll. Sollte ein Kind im Training mit besonders deplatziertem Verhalten auffallen, kann das „Time out“ eingesetzt werden. Hierfür ist es wichtig, folgende Schritte zu beachten: Das Kind wird kurz angesprochen und erhält ein Handzeichen: ■ Ein Finger bedeutet die erste Verwarnung. ■ Der zweite Finger bedeutet die zweite Verwarnung. ■ Mit dem dritten Finger wird dem Kind signalisiert, dass es nun für eine Auszeit den Raum verlassen muss. Der Trainer sollte darauf achten, dem Kind für sein Störverhalten keine weitere besondere Zuwendung zukommen zu lassen. 106 | mup 3|2014 Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings Ablauf und Phasen des MTK 1. Dynamische Übung Die dynamische Übung zu Beginn des Trainings dient dem Spannungsabbau sowie dem Einüben von Regeln und Strukturen. Für diese Übung soll ein geeignetes Spiel ca. fünf bis 10 Minuten durchgeführt werden. Ziel ist es, durch grobmotorische Übungen die Atmung zu verbessern. Ebenso fördern sie das soziale Lernen und den Beziehungsaufbau. Durch die Bewegung wird der Sauerstoffaustausch und somit die Konzentrationsfähigkeit gefördert. Um einen positiven Einstieg ins Training zu gewährleisten, sollte die dynamische Übung den Kindern Freude bereiten. 2. Entspannung Da das Einlassen auf die Entspannungsübung den Kindern oft Schwierigkeiten bereitet, wird das Verhalten in dieser Phase durch Punktevergabe nach dem Belohnungssystem positiv beeinflusst. Im MKT werden Übungen aus dem Autogenen Training durchgeführt, die sich an dessen Grundstufe orientieren. Meist in Geschichten eingebettet, führen sie die Kinder in der Gruppe zur Ruhe. 3. Inneres Sprechen 1 In der ersten Stufe des Inneren Sprechens wird mit Hilfe von Arbeitsblättern das laute Selbstinstruieren eingeübt. Dies geschieht durch das Fortsetzen eines vorgegebenen Musters mittels eines Arbeitsblattes, wobei die Kinder jeden Teilschritt vorher laut benennen sollen. Diese Phase dauert ca. 15 bis 20 Minuten und wird ebenfalls mit Punkten im Verstärkerplan belohnt. 4. KIM-Spiel Der Name KIM-Spiele geht auf die literarische Figur des jungen Kim in dem gleichnamigen Roman von Rudyard Kipling zurück. Gemeint sind Aufgaben, die sowohl die Wahrnehmung als auch das Kurzzeitgedächtnis und die Merkfähigkeit trainieren. Diese Phase dauert ebenfalls 15 Minuten. 5. Inneres Sprechen 2 In dieser Arbeitsphase des 2. Inneren Sprechens wird ebenfalls die Selbstinstruktion trainiert. Der Ablauf ist wie beim Inneren Sprechen 1, wobei differenzierte Arbeitsblätter eingesetzt werden. Dauer ca. 15 bis 20 Minuten. 6. Freies Spiel Das Freie Spiel ist die letzte Phase des MKT, dafür sollten ca. zehn Minuten eingeplant werden. Hierfür werden den Kindern attraktive Spiele zur Förderung der Reaktionsfähigkeit und Geschicklichkeit angeboten. Dabei wird viel Wert auf angemessene Umgangsformen gelegt. Modifizierung des Marburger Konzentrationstrainings für die Reittherapie Phasen des Pferdegestützten Konzentrationstrainings (PKT) Die Phasen des PKTs unterscheiden sich nur wenig von der des Marburger Konzentrationstrainings. Es wurde zur Einstimmung im Pferdestall ein Begrüßungsritual hinzugefügt, und wegen der ausreichenden Bewegung an der frischen Luft während des gesamten Trainings wurde das „Freie Spiel“ durch ein Abschlussritual ersetzt. Die Umsetzung der einzelnen Phasen wurde für die Arbeit mit dem Pferd modifiziert. Eine Einheit des Pferdegestützten Konzentrationstrainings beinhaltet folgende Ablaufstruktur: ■ Begrüßungsritual ■ Dynamische Übung ■ Entspannung durch TTouches ■ Inneres Sprechen 1 ■ KIM-Spiele ■ Inneres Sprechen 2 (Denk-Kärtchen) ■ Abschlussritual / Verstärkerplan (Leckerli-Karte) Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings mup 3|2014 | 107 Transferleistung Während der Trainingseinheiten des MKT arbeiten die Kinder beim „Inneren Sprechen“ meistens mit einem Arbeitsblatt. Somit ist der Transfer des Erlernten auf Unterrichtsmaterialien der Schule leicht zu vollziehen. Um den Transfer des Erlernten vom Pferderücken aus in das Klassenzimmer zu gewährleisten, kommen beim PKT „Denk-Kärtchen“ zum praktischen Einsatz. Mit Hilfe dieser sechs Teilschritte soll das Kind lernen, wie es strukturiert eine ihm gestellte Aufgabe bearbeiten kann. In der Phase des Inneren Sprechens 2 erarbeiten sich die Kinder die Aufgabenstellung anhand der Denk-Kärtchen am und auf dem Pferd. Jeder einzelne Schritt wird laut ausgesprochen, laut „überdacht“ und somit innerlich strukturiert. Um den Transfer in die Schule bzw. Hausaufgabensituation zu gewährleisten, ist es sinnvoll, die Eltern über die Anwendung der Denk-Kärtchen zu informieren und deren richtigen Einsatz bei den Hausaufgaben anzuregen. Im besten Fall ist eine Kooperation mit der Schule und den Pädagogen möglich, damit die Denk-Kärtchen auch im Unterricht ihren Einsatz finden. Pädagogisches Handeln mit dem Verstärkerplan „Leckerli-Karte“ Pädagogisch wird beim PKT wie auch beim Marburger Training mit dem „direkten Lob“, dem „Time out“ und dem „Igno- Abb. 2: Leckerli-Karte Abb. 1: Denkkärtchen 108 | mup 3|2014 Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings Lieber Kinder, ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin (Name des Therapiepferdes) und freue mich sehr, dass ihr mit mir gemeinsam ein „Konzentrationstraining“ machen wollt. Wisst ihr, Kinder, ich bin ganz schön vergesslich. Neulich, als der Hufschmied da war, da habe ich doch tatsächlich vergessen, dass ich eigentlich vier Beine habe und wollte den vierten Huf nicht mehr hergeben, weil ich dachte, wir sind schon fertig. Da hat meine Besitzerin ganz schön mit mir geschimpft. Das fand ich voll doof. Kann doch mal passieren…Aber letztens hab ich mich wirklich über mich selbst geärgert, ich hab vergessen, wo ich meinen Lieblingsapfel hingetragen habe. Bis ich ihn wiedergefunden hatte, hatte sich schon eine Stallmaus daran bedient. Meine Besitzerin sagt auch immer, dass ich mich besser konzentrieren soll, wenn wir ausreiten, weil ich immer über Steine stolpere. Weil ich aber nicht so genau weiß, wie das gehen soll mit diesem „Konzentrieren“, habe ich euch eingeladen. Ich bin mir sicher, gemeinsam finden wir das heraus, und Ppppssssst, ganz geheim! Hört mal her: Ich hab gesehen, dass (Name Therapeutin) geheime Kärtchen für euch hat. Ich glaube, das sind Spickzettel, mit denen man sich wie verzaubert auf einmal konzentrieren kann (Denk-Kärtchen). Vielleicht könnt ihr mir dann auch helfen, dass ich meine Leckerli nicht immer verlege? ! Ich hab doch immer so einen Hunger, vielleicht könnt ihr auch ein paar Leckerli für mich erarbeiten? (Leckerli-Karte). Nun wünsche ich Euch ganz viel Spaß, ich schreibe Euch bald wieder einen Brief! (Hufabdruck) rieren mit positivem Modell“ interveniert. In der reittherapeutischen Praxis hat sich der Einsatz des Verstärkerplanes „Leckerli-Karte“ als sinnvolles methodisches Instrument erwiesen. Jedes Kind erhält zu Beginn des PKT seine persönliche Leckerli-Karte. Nach klar formulierten Regeln kann sich jedes Kind Leckerli für das Therapiepferd erarbeiten. Diese Karte soll als motivierender Anreiz für die „Arbeitsphasen“ (Entspannung, Inneres Sprechen 1+2) dienen. Bereits bei mittelmäßiger Mitarbeit eines Kindes wird die Höchstpunktzahl von drei Karotten pro Phase vergeben. Die Kinder, die sich über ihr persönliches Konzentrationsniveau hinaus angestrengt haben oder durch besondere Mitarbeit auffallen, erhalten eine Zusatzkarotte. Zeigt ein Kind unangemessenes Verhalten, werden dennoch keine Karotten weggestrichen. Stattdessen werden Zusatzkarotten an die anderen Kinder verteilt, um das negativ auffallende Kind zur Verhaltensänderung zu ermutigen (siehe „Ignorieren mit positiven Modell“). Zur visuellen Intensivierung des Erlebten dürfen die Kinder in der Abschlussphase die erarbeiteten Karotten ausmalen und erhalten echte Leckerli zum Verfüttern an das Therapiepferd. Während aller Phasen des PKT wird mit dem „direkten Lob“ gearbeitet, d. h., mit viel positivem Verstärken, um das Selbstwertgefühl der Kinder zu kräftigen. Verpackt man nun die ganze Methodik des PKT noch in eine schöne Pferdegeschichte, haben die Kinder das Gefühl, etwas ganz Wichtiges zu tun und erleben damit ihre Selbstwirksamkeit auf eine positive Art und Weise. Ablauf des Pferdegestützten Konzentrationstrainings Oft haben sich Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten eine andere Art und Weise erarbeitet, um mit Leistungsdruck umzugehen und Misserfolge zu kompensieren. Diese Verhaltensoriginalität steht den Kindern im sozialen Umfeld jedoch oft stark im Wege. Deshalb ist es im Training wichtig, die soziale Komponente nicht außer Acht zu lassen und das PKT in einer Kleingruppe von drei bis vier Kindern in mindes- Beispiel für eine Einstiegsgeschichte des PKT: Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings mup 3|2014 | 109 tens sechs bis acht Einheiten von jeweils 90 Minuten anzubieten. Die Anzahl der Kinder variiert hier zum MKT, da aus Sicherheitsgründen wegen des Lebewesens „Pferd“ und um allen Teilnehmern gerecht zu werden, die Gruppengröße absichtlich kleiner gewählt wurde. Ebenfalls zeigte sich in der Praxis, dass beim PKT in die Kleingruppe von drei bis vier Kindern nur ein diagnostiziertes ADHS-Kind aufgenommen werden sollte, damit die Atmosphäre nicht zu unruhig wird. Um den Kindern eine Übersicht über die einzelnen Phasen zu verschaffen, bietet es sich an, mit Symbolschildern zu arbeiten. Diese zeigen die einzelnen Phasen an und machen die Kinder auf die Belohnungsübungen (Leckerli-Karte) aufmerksam. Jedem Kind wird nach Beendigung der Belohnungsphase direkt mitgeteilt, wie viele Belohnungskarotten es sich für diese Einheit verdient hat, da sonst bis zum Abschlussritual mit der Leckerli-Karte zu viel Zeit verstrichen und der Zusammenhang für die Kinder nicht mehr gegeben ist. Nach einem gemeinsamen Begrüßungsritual empfiehlt es sich, die Kinder zunächst einmal in die Bewegungsphase ohne das Pferd zu entsenden (Dynamische Übung). Dieses Bewegungsspiel soll die Kinder von allem angesammelten Stress befreien und sie auf die nächste Phase vorbereiten. Um gemeinsam mit dem Pferd dann in die Entspannung zu kommen, hat sich die Methodik von Linda Tellington-Jones als hilfreich erwiesen. Durch die sogenannten TTouches (Tellington- Jones 2007), die die Kinder selbst am Pferd ausführen dürfen, werden die Tore für alle Teilnehmer zur Entspannung geöffnet (eine genauere Erläuterung finden Sie im Praxisbeispiel). In der nächsten Phase „Inneres Sprechen 1“ wird das Pferd zusammen mit den Kindern geputzt. Dabei leitet der Reittherapeut die Kinder an, alle Putzbewegungen, die am Pferdekörper ausgeführt werden, so detailgetreu wie nur möglich auszusprechen und im Anschluss auszuführen. Daraus kann auch ein lustiges Putzspiel entstehen mit dem Ziel, dass danach das Pferd komplett gesäubert ist. Durch diese sinnvolle Tätigkeit am Pferd erscheint den Kindern diese neue Art und Weise zu sprechen nicht befremdlich. Auch beim Abb. 3: TTouch 110 | mup 3|2014 Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings Trensen und Satteln wird jeder Schritt durch das selbstinstruierte Sprechen vorstrukturiert. Ist das Pferd nun zum Reiten vorbereitet, geht es in der nächsten Phase auf dem Pferderücken darum, „Merk- und Wahrnehmungsspiele“ durchzuführen (KIM-Spiele). Hierbei sind der Phantasie des Reittherapeuten keine Grenzen gesetzt (siehe Praxisbeispiel). Nach dieser auflockernden Einheit geht es noch einmal in die Arbeitsphase zum „Inneren Sprechen 2“, bei dem die Kinder einen Pferdebrief mit einer Aufgabe erhalten, die sie gemeinsam mit Hilfe der Denk-Kärtchen lösen sollen. Zum Abschluss geht es zurück an die Putzstange. Die Reflexion findet mit Hilfe der Leckerli-Karte statt. Die Kinder malen die er- Um den Kindern eine Übersicht über die einzelnen Phasen zu verschaffen und sie auf die Belohnungsphasen aufmerksam zu machen, empfiehlt es sich, mit Symbolschildern zu arbeiten. Begrüßungsritual: In der Kreismitte werden alle Hände aufeinander gelegt und gemeinsam wird der Schlachtruf gerufen: „Konzentriert geht's wie geschmiert! “ Dynamische Übung: Die Dynamische Übung sollte auf einer Freifläche ohne das Pferd stattfinden, damit die Kinder genügend Platz haben, sich auszutoben, ohne auf das Pferd Rücksicht nehmen zu müssen. „Max sagt“ Alle Kinder stehen zusammen im Kreis und müssen Max alles nachmachen. Der Spielführer ist Max, und nur was Max sagt, darf nachgemacht werden. D. h., beginnt der Spielführer seinen Satz mit „Max sagt: Alle im Kreis hüpfen! “, dann müssen es alle Mitspieler ihm gleich tun. Sagt er aber dann: „Und jetzt alle hinsetzen! “ ohne „Max sagt“ zu Beginn des Satzes, dürfen die Kinder es nicht nachmachen. Ein sehr lustiges Spiel, bei dem genaues Hinhören gefragt ist! Entspannung durch TTouches: → Belohnungsphase! Linda Tellington-Jones entwickelte eine Methode, bei der durch sanfte Berührungen Verspannungen gelöst werden können und es zu einer tiefen Entspannung kommen kann - sowohl bei dem, der die „Massagegriffe“ ausführt, als auch bei dem, der sie erhält. Genaues Hintergrundwissen über diese Arbeit verschafft die empfehlenswerte Lektüre des Buchs „Tellington Training für Pferde - Das große Lehr- und Praxisbuch“. Um einen kleinen Einblick zu erhalten, wird ein TTouch von Linda Tellington-Jones beschrieben, dieser lässt sich im PKT zusammen mit den Kindern am Pferd gut anwenden: „Lecken der Kuhzunge“ Dieser Touch beginnt an der Bauchnaht des Pferdes, z. B. an der Stelle, an der sich der Sattelgurt befindet. Die Handfläche liegt komplett auf dem Fell auf und die Fingerspitzen berühren die Bauchnaht. Die Hand wird dann mit sanftem Druck in Richtung Bauchmitte nach oben geführt. Währenddessen dreht sich die Hand langsam auf dem Pferdefell, so dass die Fingerspitzen nun nach oben Richtung Widerrist zeigen. In etwas schnellerem Tempo wird die Bewegung über die Rückennaht des Pferdes ausgestrichen (Tellington-Jones 2007, 197). Praxisbeispiel für eine Einheit des Pferdegestützten Konzentrationstrainings Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings mup 3|2014 | 111 Steht man sich hierbei am Pferd gegenüber und beginnt unten gleichzeitig, kann man bei gleichem Tempo oben über dem Pferderücken miteinander „abklatschen“. Diese Variation macht den Kindern besonders viel Spaß. Wichtig ist, dass in dieser Phase nicht gesprochen werden sollte. Die Kinder sollen Ruhe erfahren können. Jedem Kind wird direkt nach Beendigung der Phase mitgeteilt, wie viele Belohnungskarotten es sich für diese Einheit verdient hat. Inneres Sprechen 1: → Belohnungsphase! Putzspiel Das Pferd steht zum Putzen bereit angebunden an der Putzstange. Die Kinder verteilen sich um das Pferd herum. Ein Kind darf beginnen und spricht aus, mit welcher Bürste es wie und wie oft putzen möchte. Zum Beispiel „Ich nehme den grünen Striegel in die linke Hand und putze am Hals des Pferdes zehnmal von links nach rechts.“ Alle Kinder machen es gleichzeitig nach. Dann ist das nächste Kind an der Reihe. Ziel des Spieles ist es, dass, nachdem alle Kinder dran waren, das ganze Pferdefell geputzt ist und keine Stelle doppelt geputzt wurde. Wichtig ist hierbei das selbstinstruierte laute Sprechen der Kinder, jeder Schritt soll benannt werden. Jedem Kind wird direkt nach Beendigung der Phase mitgeteilt, wie viele Belohnungskarotten es sich für diese Einheit verdient hat. KIM-Spiel: Merkgymnastik an der Longe Ein Kind sitzt auf dem Pferd mit drei farbigen Ringen in der Hand. Die anderen Kinder laufen dem Pferd auf dem Longenkreis hinterher. Das Kind auf dem Pferd macht drei Bewegungsübungen vor, z. B. „Rechter Arm hoch mit gelben Ring, dann linker Arm zur Seite mit blauem Ring, verbeugen.“ Die Kinder, die hinterher laufen, halten ebenfalls gleichfarbige Ringe in den Händen und machen alles nach, was der Reiter vormacht. Danach wird der Reiter gewechselt. Das nächste Kind muss zunächst die drei Übungen des Vorgängers nachturnen und danach selbst drei Übungen anhängen. Wieder erfolgen Reiterwechsel und Nachturnen der vorherigen Übungen, dazu das Erfinden von neuen Übungen usw. Hier ist die Merkfähigkeit gefragt. Abb. 4: Merkgymnastik Inneres Sprechen 2: → Belohnungsphase! (Denk-Kärtchen) Pferde-Aufgaben-Brief: „Liebe Kinder, ihr müsst mir unbedingt helfen! Da ich ja immer meine Leckerli verlege und ich so vergesslich bin, habe ich mir extra einen Zettel geschrieben, worauf steht, wo mein geheimes Leckerli-Versteck ist. Damit den Zettel niemand anderes lesen kann, habe ich ihn in ganz viele Einzelteile gerissen …leider bekomme ich den Satz nun selbst nicht mehr in die richtige Reihenfolge. Könnt ihr vielleicht mit Hilfe der Denk-Kärtchen diesen Satz wieder zusammensetzen? Eure Aufgabe lautet also: Findet gemeinsam mit Hilfe der Denk-Kärtchen heraus, wie mein Satz lautet. Klammert die einzelnen Worte in der richtigen 112 | mup 3|2014 Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings arbeiteten Karotten aus und verfüttern die entsprechende Anzahl realer Karotten als Verabschiedung an das Pferd. In der letzten Trainingseinheit des Gesamtprojektes erhält jedes Kind einen persönlichen Abschiedsbrief im Namen des Therapiepferdes. In diesem wird der Schwerpunkt auf die Stärken des Kindes sowie die Entwicklung der Konzentration während des Trainings gelegt. Der Brief soll auch wertschätzende Rückmeldung über noch bestehende Lernfelder des Kindes enthalten und es weiter ermutigen und motivieren. Konzentrationstraining in der reittherapeutischen Praxis Tiere im Allgemeinen sind ein großer Motivator für Kinder. Dies macht sich auch das PKT zunutze. Dass viele Menschen vom Pferd fasziniert sind, liegt u. a. an der Theorie der „archaischen Wurzeln“, die sich auf die sogenannte „Biophiliehypothese“ stützt. Der Motivationsgedanke spielt im Bereich der Konzentration eine besonders große Rolle, da Konzentration zielgerichtete Motivation ist. Doch nicht nur die Motivation, die vom Pferd auf das Kind übergeht, sondern auch das Identi- Reihenfolge mit Wäscheklammern an meine Mähne und lest sie mir laut vor. Viel Glück dabei und herzlichen Dank! Euer (Pferdename)“ Abb. 5: Pferdesatz 1 Abb. 6: Pferdesatz 2 Satzbeispiel: „Meine Leckerli verstecke ich immer hinter der Heuraufe rechts! “ Hier ist besonders darauf zu achten, dass die Bearbeitung der Aufgabe unter genauem Einsatz der Denk-Kärtchen stattfindet und kein Schritt übersprungen wird. Das selbstinstruierte Sprechen wird nun im Team angewendet, die Kinder erklären sich gegenseitig die Aufgabe. Ein besonderes Augenmerk sollte der Trainer hier auf die Strukturierung und Ruhe der Aufgabenbearbeitung legen, damit jedes teilnehmende Kind das Vorgehen nachvollziehen und in seinen Denkvorgängen verfolgen kann. Jedem Kind wird direkt nach Beendigung der Phase mitgeteilt, wie viele Belohnungskarotten es sich für diese Einheit verdient hat. Abschlussritual/ Verstärkerplan: (Leckerli-Karte) Im Stall wird das Pferd angebunden. In entspannter Atmosphäre erhält jedes Kind seine Leckerli-Karte und es werden Stifte ausgeteilt. Jeder darf die Gesamtzahl seiner verdienten Karotten auf der Leckerli-Karte ausmalen und erhält im Anschluss echte Leckerli zum Verfüttern an das Therapiepferd. Die Kinder werden verabschiedet Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings mup 3|2014 | 113 fizieren mit der Geschichte des „vergesslichen Pferdes“ trägt dazu bei, dass sich das Kind verstanden und angenommen fühlt und die Problematik der Konzentrationsschwierigkeit aus dem Fokus genommen wird. Durch das Pferd steht die sinnvolle Aufgabenerfüllung und nicht die therapeutische Absicht im Vordergrund. Das Pferd fungiert als „Eisbrecher“ im Bereich der sozialen Kompatibilität in der Kleingruppe. Die Kinder müssen im PKT als Gruppe zusammenarbeiten und interagieren, da es um ein Lebewesen geht und nicht um ein lebloses Arbeitsblatt. Der Vermittlungspartner Pferd unterstützt hierbei positiv die Gruppendynamik. Durch viele Misserfolge in schulischen Lernprozessen und damit verbundener negativer Selbstwahrnehmung fehlt es den Kindern oft an Empathie für das Gegenüber. Die Kinder lernen im PKT, Verantwortung für ein anders Lebewesen zu übernehmen und bilden damit ihr Einfühlungsvermögen aus. Beim MKT ist der Verstärkerplan so ausgelegt, dass jedes Kind „für sich selbst“ Punkte erarbeitet. Der Schwerpunkt beim PKT wird bei der Leckerli-Karte wieder auf das Pferd gelenkt. Die Kinder möchten dem Pferd Leckerli füttern, weil sie ihm behilflich sein und etwas Gutes tun möchten. Und egal, wie viele Karotten das Kind errungen hat, ob es nun neun oder elf Leckerli sind, das Pferd schenkt jedem Kind dieselbe positive Zuwendung. Sowohl in der Schule als auch im privaten Umfeld werden Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten als „auffällig“ abgestempelt und haben große Mühe, diese Rolle wieder zu verlassen. Das Pferd verschafft durch seine Neutralität die Möglichkeit für einen Rollenwechsel. Da das Pferd in seinen Rückmeldungen völlig wertfrei ist und immer wieder neue Chancen gibt, steht das Kind nicht unter ständigem Leistungsdruck, spürt aber trotzdem, dass es in seiner Persönlichkeit mit all seinen Verhaltensoriginalitäten angenommen ist. Diese „tierische Art von Kritik“ ist einfacher wahr- und anzunehmen. Um das Selbstwertgefühl der Kinder zu stabilisieren, ist es sinnvoll, die gefestigte Struktur des Negativkreislaufes zu durchbrechen und die Kinder durch ein besonderes Erlebnis aus ihrem Alltag herausholen. Diese besondere Begegnung mit dem Pferd wird in Erinnerung bleiben und in den Alltag mitgenommen. Das leidige Thema „Konzentration“ kann dadurch wieder positiv besetzt werden und bietet somit einen motivierenden Anreiz für den Alltag. Durch den Einsatz der Denk-Kärtchen ist die Möglichkeit zu Transferleistungen in die Hausaufgaben- oder Schulsituation gegeben, solange diese auch außerhalb des PKT eingesetzt werden. Darauf sollte der Reittherapeut explizit hinweisen. Oft wird die Konzentrationsspanne der Kinder überschätzt. Kinder im Alter zwischen fünf bis sieben Jahren können im Normalzustand die Konzentration ca. 15 Minuten zielgerichtet halten (Beyer 2007). Um diese Spanne auszudehnen, wird angeraten, z. B. in der Hausaufgabensituation der Kinder gelegentlich eine kurze Pause für Bewegung einzulegen. Bewegung im Allgemeinen hilft den Kindern, Stress abzubauen und eignet sich damit, prophylaktisch Konzentrationsproblematiken entgegenzuwirken. Hierbei macht sich das Pferdegestützte Konzentrationstraining die Dreidimensionalität des Pferdes zunutze. Selbstwert des Kindes Frustrationstoleranz Kritik Leistungsdruck Kompensierung durch Verhaltensoriginalität Misserfolg Abb. 7: Selbstwert des Kindes stärken (Haßlinger 2014) 114 | mup 3|2014 Haßlinger, Kless - Entwicklung eines Pferdegestützten Konzentrationstrainings Das Pferd trägt durch bestimmte Bewegungsanreize dazu bei, dass der Klient sich innerlich von „unnötigem Ballast“ befreien kann. Die Interaktion zwischen Kind und Pferd erleichtert den Einstieg in die eigentliche Arbeit mit den Werkzeugen des Marburger Trainings. Man benötigt eine gewisse Zentrierung der Gedanken, um aufmerksam sein zu können. Etwas zentrieren kann man nur, wenn es im Gleichgewicht steht. Aus einer ganzheitlichen Betrachtungsweise heraus, auf welcher das PKT basiert, muss auch der Mensch mit sich im Gleichgewicht sein, um sich zentrieren und somit optimal konzentrieren zu können. Ohne das Gleichgewicht kann man sich nicht auf dem Pferderücken halten. Gleichgewichtsübungen auf dem Pferd erscheinen somit ein sehr passendes Instrument für die gezielte Förderung der Konzentration. Abschließend sei erwähnt, dass die Arbeit mit einem Konzentrationstraining nach dem Marburger Modell nicht nur pferdegestützt modifizierbar ist, sondern sich auch auf andere Tiere übertragen lässt. Literatur ■ Beyer, G. (2007): Konzentrationstraining - So optimieren Sie Ihre Gedächtnisleistung. mvg, München ■ Krowatschek, D., Krowatschek, G., Reid, C. (2011): Marburger Konzentrationstraining (MKT) für Schulkinder. Borgmann, Dortmund ■ Tellington-Jones, L. (2007): Tellington Training für Pferde - Das große Lehr- und Praxisbuch. Kosmos, Stuttgart Die Autoren Yvonne Haßlinger Verwaltungsfachangestellte, Jugend- und Heimerzieherin mit Berufserfahrung im vollstationären Heimbereich und Kindertageseinrichtungen, Waldorfpädagogin, Leiterin eines Waldorfkindergartens, geprüfte und zertifizierte Reittherapeutin (equimotion, Luxemburg). Sarah Kless Erzieherin mit Leitungs-, Kindergarten-, Hort- und Grundschulerfahrung, geprüfte und zertifizierte Reittherapeutin (IPTh, Konstanz), geprüftes und zertifiziertes Therapie- und Pädagogik-Hunde-Team, zertifizierte Trainerin für das Marburger Konzentrationstraining, Dipl.-Legasthenie- und Dyskalkulie- Trainerin i. A. Anschriften: Yvonne Haßlinger Panoramaweg 12 · D-74255 Roigheim aeitsch@googlemail.com Sarah Kless Gartenstr. 10 · D-74219 Möckmühl-Züttlingen sarah_kless@web.de