eJournals mensch & pferd international 6/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2014.art11d
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2014
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Recht & Sicherheit: Aspekte des Pferdeführens

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Alexandra Danninger
Reinhard Mantler
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Führen und Folgen als Resultat einer eindeutigen, auf Vertrauen und Respekt basierenden Kommunikation zwischen Mensch und Pferd. Wer gut führt und leitet, dem wird gefolgt. Diese Tatsache ist in der Pferde- und Menschenwelt identisch. Einen Unterschied gibt es: Pferde als Herden- und Fluchttiere folgen nur demjenigen, der für ihre Sicherheit sorgen kann und dem sie deshalb den nötigen Respekt entgegenbringen. In der freien Wildbahn ist die Leitstute dafür verantwortlich, das Überleben der Herde bei der Flucht vor Gefahren und der Nahrungssuche zu sichern. Der Leithengst hat die Aufgabe der Verteidigung gegen fremde Hengste.
2_006_2014_2_0007
Recht & Sicherheit Aspekte des Pferdeführens Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Führen und Folgen als Resultat einer eindeutigen, auf Vertrauen und Respekt basierenden Kommunikation zwischen Mensch und Pferd. Wer gut führt und leitet, dem wird gefolgt. Diese Tatsache ist in der Pferde- und Menschenwelt identisch. Einen Unterschied gibt es: Pferde als Herden- und Fluchttiere folgen nur demjenigen, der für ihre Sicherheit sorgen kann und dem sie deshalb den nötigen Respekt entgegenbringen. In der freien Wildbahn ist die Leitstute dafür verantwortlich, das Überleben der Herde bei der Flucht vor Gefahren und der Nahrungssuche zu sichern. Der Leithengst hat die Aufgabe der Verteidigung gegen fremde Hengste. Rollenverteilung in der Mensch-Tier-Beziehung Beim therapeutischen Einsatz von Pferden bedeutet das die notwendige Übernahme der Leitstutenfunktion durch den Menschen. Voraussetzung ist ein ausgewogenes Verhältnis von Respekt und Vertrauen, wobei der Weg dorthin sehr abhängig von den Individuen ist, die aufeinander treffen. Ranghohe Pferde werden die Vertrauensfrage an den Menschen immer wieder stellen - nicht aus Bosheit, sondern weil es ihre natürliche Bestimmung ist. Sie müssen die Leitstute immer wieder auf ihre Verantwortung prüfen, um eventuell selbst die Leitfunktion und somit den Schutz der Herde zu übernehmen. Sind Vertrauen und Respekt ausgewogen, ist eine sehr verständnisvolle und achtsame Beziehung zwischen Mensch und Pferd möglich. Über die Emotion zur Interaktion Gerade die therapeutische Arbeit bedient sich aller Facetten des Lebewesens Pferd. Es ist von Bedeutung, welchen Körperbau und welche Bewegung das Tier hat, wie ausgeglichen es in seinem Wesen ist und wie interessiert am Kontakt zu Menschen. Gerade diese offene Neugier und das bereitwillige, geduldige Interesse machen einen großen Teil der therapeutischen Wirkung der Pferde aus - es spricht unsere Emotionen an. Diese Emotionen, das sich „gefühlsmäßige Bewegen“, ist die Basis der Motivation, mit dem Pferd in Kontakt zu treten, für es zu sorgen, mit ihm zu interagieren, sich von ihm tragen und beflügeln zu lassen. Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, so angenommen zu werden, wie er ist. Dieses Bedürfnis erfüllen die Pferde durch ihr unvoreingenommenes, völlig wertfreies Sein. Voraussetzung ist ein gesundes Pferd, das einen achtsamen Umgang mit Menschen gelernt hat und das durch die Anwesenheit einer vertrauenswürdigen Bezugsperson die nötige Sicherheit hat. Die Fohlen Alexandra Danninger, Reinhard Mantler 76 | mup 2|2014|76-79|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378/ mup2014.art11d lernen von ihren Müttern, welche Situationen Gefahr bedeuten. In der Therapiesituation muss der Pferdeführer diese Rolle übernehmen, um dem Pferd einen angstfreien Umgang mit ungewohnten Situationen zu ermöglichen. Je vertrauensvoller die Beziehung zwischen Pferd und den in der Therapie verantwortlichen Personen ist, desto besser kann das Pferd mit kranken Menschen in Beziehung treten. Ein Beispiel aus der Praxis Bei der Therapie einer Gruppe Erwachsener einer psychosozialen Tagesbetreuungsstätte ergab sich eine sehr berührende Situation. Eine 72-jährige, kleine, sehr zurückhaltende Frau äußerte ihre Ängste vor dem großen Pferd und war auch nicht im Stande, es zu berühren. Nachdem sie andere Gruppenmitglieder dabei beobachtet hatte, wie sie das Pferd am Führstrick selbständig bewegen konnten, versuchte auch sie es. Die Frau musste nicht in körperlichen Kontakt mit dem Pferd treten, um mit ihm in Interaktion zu kommen. Zu Beginn war sie durch ihre Angst stark in ihrer Bewegung und ihrem Blickfeld eingeschränkt. Das Verhalten des Pferdes war der Situation förderlich - es hielt den für die Frau so wichtigen körperlichen Abstand von ca. einem Meter, folgte völlig synchron ihren Schritten und hielt die Position an ihrer Seite. Nach drei Runden in der Reithalle beendete die Frau das Führen und verabschiedete sich vom Pferd durch Streicheln am Hals. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass auch Führen durch eine völlig ungeübte Person möglich ist, wenn die Gesamtsituation für das Pferd ausgeglichen ist. In diesem Fall war die Bezugsperson für das Pferd anwesend und mit ihrer Aufmerksamkeit beim Pferd, gab aber keinerlei Kommandos an das Tier. Das Pferd konnte sich völlig auf die Bedürfnisse der älteren, ängstlichen Frau einlassen. Im Therapiealltag gibt es unterschiedliche Konstellationen von Mensch-Pferd Beziehungen bezüglich der vorab beschriebenen Rollenverteilung: 1. Der Therapeut hält ohne Pferdführer die konstante Verbindung zum Pferd, während er mit dem Patienten am Pferd arbeitet. Das stellt gerade bei einer vielfältigen Therapie mit Gangart- und Tempowechseln, mit Richtungsänderungen und Verwendung zusätzlicher Therapiematerialien eine große Herausforderung dar. Es setzt eine starke Bindung voraus, die das Pferd auf kleinste Signale des Therapeuten reagieren lässt. Ebenso muss die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch vom Therapeuten als Pferdeführer so gut trainiert sein, dass er 90 % seiner Aufmerksamkeit dem Patienten widmen und auch in Problemsituationen die Verantwortung für Patient und Pferd tragen kann. 2. Steht dem Therapeuten ein Pferdeführer zur Seite, ist der Idealfall eine harmonische Zusammenarbeit. Jeder der Beiden kennt seinen eigenen Verantwortungsbereich und nimmt diesen wahr. Der Pferdeführer ist in engem Kontakt zum Pferd mit einem offenen Auge und Ohr zum Therapeuten. Der Therapeut kann sich auf den Pferdeführer verlassen und somit ganz dem Patienten widmen. Voraussetzung dafür ist, dass der Pferdführer nicht nur das Pferd sicher und genau führen kann. Er sollte auch die Notwendigkeit der Maßnahmen, die der Therapeut anwendet, zumindest ansatzweise verstehen, um bestmöglich unterstützen zu können. Bei der Recht & Sicherheit: Danninger, Mantler - Aspekte des Pferdeführens mup 2|2014 | 77 78 | mup 2|2014 Recht & Sicherheit: Danninger, Mantler - Aspekte des Pferdeführens Arbeit mit erwachsenen, schwer körperbehinderten Menschen sollte dem Pferdeführer z. B. klar sein, dass schon kleinste Tempo- oder Richtungsänderungen einen Gleichgewichtsverlust des Patienten bedeuten können. Hier müssen die vom Therapeuten gewünschten Kommandos exakt ausgeführt werden, um den Bewegungsinput des Pferdes für den Patienten optimal zu nutzen. Weitere Qualitäten eines guten Pferdeführers Der Pferdeführer sollte eine Vorstellung verschiedener (cerebraler) Bewegungsstörungen haben, um eventuelle Reaktionen des Pferdes richtig zu deuten und darauf zu reagieren. Ebenso wichtig ist es, dass er persönliche Erfahrung mit körperlichem Ausdruck und Äußerungen schwerstbehinderter Menschen hat. Das Empfinden von Angst oder Unsicherheit kann sich auf das Pferd übertragen. In der Praxis wird in diesem Fall die routinierte Therapeutin (vielleicht sogar unbewusst) die Verantwortung für die Gesamtsituation übernehmen. Das heißt aber, dass der Pferdeführer für das Pferd nicht mehr die absolute Leitfunktion hat. Er kann nur noch die mechanische Tätigkeit des Führens am Zügel oder der Longe übernehmen. Dieses feine Detail kommt im Normalfall nicht zum Tragen - vor allem bei routinierten Therapiepferden. In Stresssituationen allerdings kann es gravierende Folgen haben. Wenn beispielsweise der Therapeut und das Kind auf dem Pferd sitzen und das Pferd gerät durch Angst oder Überforderung in Stress, kann der Pferdeführer nicht die nötige Führung übernehmen. Der Therapeut ist in seiner Verantwortung für das Kind und in seiner Position am Pferderücken in seinem Handlungsspielraum bezüglich Interaktion mit dem Pferd stark eingeschränkt. In Therapiezentren stehen den Therapeuten oft mehrere Pferde zur Verfügung. Hier ist die Arbeit mit Pferdeführern besonders wichtig, da Mensch und Tier bekannter Weise nicht von vorne herein die gleiche „Sprache“ sprechen. Der ansässige Pferdeführer kennt die unterschiedlichen Charakterzüge der Tiere und diese wiederum seine Kommandos. „Sprache“ der Tiere verstehen Je besser ein Pferdführer oder Therapeut die allgemein verständliche Sprache der Pferde in Bezug auf körperliche und emotionale Äußerungen kennt, desto schneller kann er sicher und harmonisch mit den Tieren arbeiten. Sensible, lebendige Pferde verstehen in kürzester Zeit die ihnen vertraute Kommunikation. Anders als der Hund leben Pferde mit ihren Artgenossen. Viele Verhaltensmuster im Umgang mit Menschen werden konditioniert; in Form von Training auf bestimmte Kommandos unter Strafe oder Belohnung. Pferde leben aber den größten Teil ihrer Zeit mit anderen Pferden zusammen, wo diese Konditionierung nicht existiert. Hier wird nach klaren Regeln der Körpersprache in Verbindung mit natürlichen Regungen wie Hunger, Angst oder Triebverhalten gelebt. Dies scheint der Grund dafür zu sein, warum wir Menschen lernen sollten, Recht & Sicherheit: Danninger, Mantler - Aspekte des Pferdeführens mup 2|2014 | 79 die „Sprache“ der Pferde zu verstehen und nicht den umgekehrten Weg zu gehen. Fazit Die Qualitäten, die einen guten Pferdeführer ausmachen - ob Therapeut selbst oder Hilfsperson - sind vielfältig. Eine solide Grundausbildung in Führtechniken, Zaumzeug und Hilfszügelkunde, Anatomie und Bewegungslehre des Pferdes, Bahnfiguren und Ausgleichsgymnastik ist die Basis, das Handwerkszeug. Auf diese Basis baut der Teil der Zusammenarbeit mit dem Partner Pferd auf, der vorab beschrieben wurde. Erst eine verbindliche, gut verständliche Kommunikation mit diesen Tieren macht den möglichst gefahrfreien, vielfältigen und lebendigen Einsatz der großen Fluchttiere in der Therapie möglich. 2014 startet in Österreich die erste umfassende Fortbildung zum Pferdeführer in Form eines Jahreskurses. Die Autoren Alexandra Danninger Ergotherapeutin, Behindertenreitwart, Leitung der Sektion und Fortbildungsleitung „Ergotherapie mit Pferd“ im OKTR; arbeitet seit 1995 ergotherapeutisch mit dem Pferd in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit HPV und Hippotherapeuten. Reinhard Mantler Einer der führenden horse-man-ship Trainer in Europa; Berater und Coach für Führungskräfte; Besitzer des Reinhard Mantler horse-manship center. Anschriften: Alexandra Danninger · Neubau 13 · A-3592 Röhrenbach alexandra.danninger@gmx.net · www.verein-pegasus.at Reinhard Mantler · Oberwolfern 7 · A-4493 Wolfern info@pferdundmensch.at · www.pferdundmensch.at