eJournals mensch & pferd international 6/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2014.art21d
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Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen

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Rainer Wohlfarth
Erhard Olbrich
Sabine Baumeister
Das komplexe und vielschichtige Thema Qualität wird in diesem Beitrag aus der Perspektive tiergestützter Interventionen betrachtet. Es soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung Qualität im Bereich tiergestützter Therapie zukommt und welche Qualitätsstandards wichtig und sinnvoll sind. Die vorgestellten Qualitätskriterien werden im Sinne von „Open Source“ verstanden, sodass diese an die jeweiligen (spezies-) spezifischen Bedingungen angepasst und daher auch für pferdegestützte therapeutische und pädagogische Interventionen angewendet werden können.
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Rainer Wohlfarth, Erhard Olbrich, Sabine Baumeister 156 | mup 4|2014|156-165|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2014.art21d Schlüsselbegriffe: Qualität, Qualitätskriterien, tiergestützte Intervention, Strukturqualität, Prozessqualität, Ergebnisqualität, Planungsqualität Das komplexe und vielschichtige Thema Qualität wird in diesem Beitrag aus der Perspektive tiergestützter Interventionen betrachtet. Es soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung Qualität im Bereich tiergestützter Therapie zukommt und welche Qualitätsstandards wichtig und sinnvoll sind. Die vorgestellten Qualitätskriterien werden im Sinne von „Open Source“ verstanden, sodass diese an die jeweiligen (spezies-) spezifischen Bedingungen angepasst und daher auch für pferdegestützte therapeutische und pädagogische Interventionen angewendet werden können. Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen mup 4|2014 | 157 Die besonderen Voraussetzungen tiergestützter Interventionen fordern ein hohes Maß an Kompetenz, fachlicher Qualität und Verantwortung sowie Identifikation mit der Tätigkeit; Kriterien, die zusammengefasst im alltäglichen Sprachgebrauch oft als „gute Arbeit“ bezeichnet werden. Der Begriff „gute Arbeit“ wird wiederum meist im Zusammenhang mit „hoher“ oder „guter“ Qualität verwendet. Wenn etwas nicht gelingt, spricht man von „schlechter Qualität“. Doch was kennzeichnet gute Arbeit? Was bedeutet hohe Qualität? Qualitätsstandards sollen daher ein Mindestniveau professionellen Handelns in einem spezifischen Handlungsfeld definieren. Die Diskussion über Qualität kann so genutzt werden, um innerhalb des Feldes der tiergestützten Interventionen intensiver und zielgerichteter über fachliche Standards nachzudenken. Es ist erfreulich, dass im Bereich der tiergestützten Therapie in den letzten Jahren mehrere Versuche gemacht wurden, Qualitätsstandards zu definieren (u. a. Schwarzkopf/ Olbrich 2006; Otterstedt 2007; Kläschen 2011; Wohlfarth u. a. 2012; Lindau-Bank 2013; Lauber-Karres / Heselhaus 2013). Diese Entwicklung beinhaltet jedoch auch eine besondere Schwierigkeit: Das Feld der tiergestützten Interventionen ist durch eine ausgeprägte Heterogenität der Angebots- und Finanzierungsstrukturen wie auch der Akteure gekennzeichnet. Wenn nun alle diese Akteure eigene Qualitätsstandards entwickeln und publizieren, können gegenüber möglichen (Kosten-) Trägern und Institutionen weder der Bedarf, die Zielgruppen, die Inhalte, die Methodik noch die Wirksamkeit tiergestützter Maßnahmen sinnvoll begründet werden. Aufgrund dieser Tatsache wäre es von großer Wichtigkeit, dass die unterschiedlichen Akteure sich auf gemeinsame Qualitätsstandards verständigen. Die Internationale Gesellschaft für tiergestützte Therapie (ISAAT), die Europäische Gesellschaft für tiergestützte Therapie (ESAAT) sowie der Berufsverband für tiergestützte Therapie, Pädagogik und Fördermaßnahmen als maßgebliche Akteure haben nun gemeinsame Qualitätsstandards erarbeitet (Wohlfarth / Olbrich 2014). Diese Qualitätskriterien wurden im Sinne von „Open Source“ entwickelt, somit können sie beliebig verbreitet und genutzt werden. Es gibt für ihre - nicht kommerzielle Nutzung - keine Beschränkungen. Wichtig ist dabei, dass die Qualitätskriterien so ausgelegt sind, dass sie an die jeweiligen (spezies-)spezifischen Bedingungen tiergestützten Arbeitens angepasst werden können. Dadurch ist es möglich, diese bereits erarbeiteten Qualitätskriterien auch für die pferdegestützte therapeutische und pädagogische Intervention anzuwenden und - wo immer notwendig - an die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen, die sich aus der Arbeit mit Pferden ergeben, anzupassen. Im Folgenden sollen die Grundzüge dieser Qualitätskriterien dargestellt werden. Warum Qualitätsstandards? Die Notwendigkeit für die Entwicklung von Qualitätsstandards für tiergestützte Interventionen ergibt sich aus mehreren Gründen: In der Vergangenheit ist eine vielfältige Landschaft von tiergestützten Projekten mit unterschiedlichsten Interventionsformen entstanden. Diese Projekte wurden aufgrund konkreten Bedarfs- und Problemlagen in therapeutischen und pädagogischen Einrichtungen entwickelt und basierten im Wesentlichen auf dem Engagement einzelner Personen und Gruppen. Die Entwicklung dieser Projekte und Interventionsformen erfolgte zumeist nicht auf der Basis von Qualitätsstandards. Diese können jedoch eine hilfreiche Grundlage und einen Orientierungsrahmen für die Planung und Durchführung von qualitativ hochwertigen Projekten darstellen; sie schaffen auch die Voraussetzung für Beurteilbarkeit und Vergleichbarkeit. Für die Interessenten wie für Institutionen ist die gewachsene Landschaft tiergestützter Initiativen, Projekte und Interventionen schwer überschaubar. Es ist für Außenstehende kaum möglich, ein spezifisches Projekt oder Ange- 158 | mup 4|2014 Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen bot zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund gab es immer wieder Anfragen an ESAAT und ISAAT, Qualitätskriterien zu entwickeln, die für die Einschätzung bestehender Projekte und Angebote bzw. für deren Vergleichbarkeit verwendet werden können. Um Entscheidungsträgern fachliche Kriterien für die Beurteilung von Angeboten an die Hand zu geben, sind Qualitätsstandards eine wichtige Grundlage. Sie sollen auch dazu dienen, einen sinnvollen und effektiven Mitteleinsatz zu gewährleisten. Für viele Akteure im Feld tiergestützter Interventionen ist gute Arbeit zu leisten ein zentrales Element des professionellen Selbstverständnisses. Qualitätsstandards bieten diesen Anbietern die Möglichkeit, sich von anderen zu unterscheiden. Doch auf einen weiteren, für uns sehr wesentlichen Punkt, sei hier verwiesen: Die Entwicklung und Sicherung von Qualitätsmaßstäben tiergestützter Interventionen ist insbesondere wichtig für die Tiere, die wir bei dieser Arbeit einsetzen. Daher müssen bei der Diskussion um die Qualität tiergestützter Interventionen immer tierethische Überlegungen einfließen und, wenn wir es mit dem Schutz der Tiere ernst meinen, sogar die Grundlage bilden (Zamir 2006; Serpell u. a. 2010). Kritikpunkte Tiergestützte Interventionen haben in den letzten Jahren in der sozialen, pädagogischen, psychologischen und therapeutischen Arbeit viel Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden, sie haben aber auch Skepsis ausgelöst. Auf berechtigte Kritik (Wohlfarth / Olbrich 2014) stoßen: ■ Personen, die nur ein geringes methodisches, theoretisches und fachliches Wissen für ihre Arbeit mit Klienten und Tieren mitbringen; ■ Projekte und Einrichtungen, die Tiere unter fraglich erscheinenden Bedingungen halten, ausbilden und einsetzen; ■ Projekte, die Voraussetzungen und Bedingungen tiergestützter Arbeit nicht einhalten, seien es strukturelle Voraussetzungen wie etwa die bauliche und technische Ausstattung oder administrative, organisatorische oder gesetzliche Bedingungen; ■ Personen, bei denen tierethische Überlegungen nicht im Vordergrund stehen. Wie definiert sich Qualität? Der Begriff „Qualität“ wird in unterschiedlichen Kontexten verwendet, er hat viele, auch missverständliche Bedeutungen bekommen. Die Qualität tiergestützter Interventionen ist in einem allgemeinen Sinn gegeben, wenn erwünschte Wirkungen erreicht und unerwünschte Wirkungen vermieden werden. Spezifischer fordern zum Beispiel Wohlfarth u. a. (2012): ■ Ergebnisse tiergestützter Interventionen müssen eindeutig den Interventionsprozessen zugeschrieben werden können (Effektivität). ■ Im Mittelpunkt tiergestützter Interventionen stehen die Klienten (Klientenorientierung). ■ Tiergestützte Interventionen können unerwünschte Wirkungen haben (z. B. Unfälle, Nebenwirkungen, Komplikationen, Übertherapie). Diese sind zu vermeiden (Klientensicherheit). ■ Das Wohlergehen der Tiere muss stets sichergestellt sein (Tierwohl, Tierethik). ■ Veränderungen, die durch tiergestützte Intervention erreicht werden, sollten erfasst und bewertet werden (Evaluation). ■ Tiergestützte Intervention hat sich am jeweiligen aktuellen Kenntnisstand zu orientieren, ihre Qualität sollte weiter entwickelt werden (Qualitätsentwicklung). Qualitätsdimensionen Um den umfassenden Begriff „Qualität“ zu differenzieren und damit näher bestimmbar zu machen, wird herkömmlich zwischen Struktur-, Prozess-, Ergebnis- und Pla- Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen mup 4|2014 | 159 nungsqualität unterschieden. Auch wir werden unsere weiteren Ausführungen anhand dieser Differenzierung vornehmen: Unter Strukturqualität werden die personelle, finanzielle und technische Ausstattung sowie die administrativen, gesetzlichen und organisatorischen Bedingungen verstanden. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Durchführung von Interventionen, Maßnahmen und Projekten, deren Koordinierung und Klientenorientierung. Die Ergebnisqualität umfasst die der tiergestützten Intervention zuzuschreibenden Veränderungen des Gesundheitszustandes, der Lebensqualität, der persönlichen Ressourcen, der Persönlichkeitsentwicklung oder auch der Zufriedenheit der Klienten. Die Planungsqualität bezieht sich u. a. auf die Frage, ob der Bedarf für tiergestützte Interventionen sachlich erhoben und die Bedürfnisse der Zielgruppe bzw. der Zielpersonen erfasst sind, ob die Vorerfahrungen aus anderen Projekten berücksichtigt und die wissenschaftlichen Grundlagen aufbereitet wurden, und ob die Intervention theoriegestützt entwickelt wurde. Besonderheiten in der tiergestützten Arbeit Tiergestützte Intervention basiert auf einer Verbundenheit zwischen Angehörigen verschiedener Spezies, sie geht über das übliche therapeutische, pädagogische und soziale Umgehen von Menschen mit Menschen hinaus und bezieht Tiere ein. Dieser Ansatz erfordert einige Spezifika, welche hier nur kurz angerissen werden können (Wohlfarth / Olbrich 2014). Tiergestützte Intervention erfordert ethologisches Wissen um andere Spezies, deren artgerechte Haltung und um gelingende Formen der Kommunikation und Interaktion mit diesen; sie verlangt eine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, also eine einfühlende Zuwendung zu anderen Lebewesen; sie erfordert die Beachtung biologisch-evolutionärer physiologischer wie sozialer und psychologischer Prozesse in ihrem Zusammenspiel; sie ist primär salutogenetisch orientiert und besitzt als Basis die Beziehungs- und Prozessgestaltung im Beziehungsdreieck Klient - Tier - Bezugsperson / Fachperson. Eine positive Wirkung eines Tieres ergibt sich nur dann, wenn eine konstante, intensive, positive und partnerschaftliche Beziehung zwischen (Säuge-) Tier und Bezugsperson vorliegt und für Klienten erfahrbar wird. Die Qualitätsdimensionen Im Folgenden werden die vorgehend genannten Aspekte der jeweiligen Qualitätsdimensionen näher beschrieben. Die Darstellung orientiert sich an den von Wohlfarth / Olbrich (2014) ausführlich beschriebenen Qualitätskriterien. Tiergestützte Therapie verlangt eine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Planungsqualität (Konzeptqualität) Bei der Planung tiergestützter Interventionen müssen ihre Ziele genau bestimmt werden, geeignete Tiere müssen ausgewählt, vorbereitet und gezielt ausgebildet werden. Mögliche Zielgruppen, Zugangswege und Interventionsmethoden müssen dargelegt werden. Planungsqualität umfasst zudem einen detaillierten Zeit- und Arbeitsplan, eine Beschreibung der Umsetzungsbedingungen - also der besonderen Gegebenheiten vor Ort - sowie eine Auflistung sämtlicher zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen. Es werden also alle Bedingungen beschrieben und analysiert, welche das geplante Vorhaben beeinflussen können. Damit soll sichergestellt werden, dass tiergestützte Interventionen tatsächlich die projektierten Ziele erreichen können. Planungsqualität betrifft bei tiergestützten Interventionen in besonderer Weise den Einsatz der Tiere. Überlegungen zur Auswahl, Haltung und Ausbildung der Tiere sind daher wichtig. Welche Tiere in welchem Arbeitsbereich eingesetzt werden, welche Talente sie hierfür mitbringen und welche positiven Erfahrungen oder Wirkungen ihr Einsatz für Klienten und Tiere mit sich bringen 160 | mup 4|2014 Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen soll, ist zu bedenken. Darüber hinaus sind Dauer und Häufigkeit der tiergestützten Einsätze darzustellen und vorsorglich Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass Tiere überfordert werden. Kriterien von Planungsqualität sind daher: ■ die klare Ausrichtung auf eine spezifische Zielgruppe, ■ gezielte Auswahl, Ausbildung sowie ein auf die Bedürfnisse abgestimmter Einsatz der Tiere, ■ eine detaillierte Begründung der Bedarfslage, ■ die Darstellung der konkreten Bedürfnisse der Zielgruppe, ■ die Beschreibung der Interventionsmethoden, der Dokumentationsform und der beabsichtigten Evaluation und ■ eine Darstellung, wie Nachhaltigkeit und Transfer gesichert werden. Eine spezifische Weiterbildung in tiergestützter Therapie ist unverzichtbar. Strukturqualität Personelle Voraussetzungen Welche wesentlichen Voraussetzungen sollten seitens der durchführenden Personen gegeben sein? Personen, die tiergestützte Interventionen durchführen, sollen in der Regel eine abgeschlossene pädagogische, soziale oder therapeutische Universitäts-, Fachhochschul- oder Fachschulausbildung und / oder eine bei einer anerkannten privaten Ausbildungsinstitution absolvierte therapeutische, pädagogische oder soziale Ausbildung besitzen. Sie müssen zudem eine berufsbegleitende Weiterbildung in Tiergestützter Pädagogik und Tiergestützter Therapie bei einem von der International Society of Animal-Assisted Therapy (ISAAT) anerkannten Institut oder nach von der European Society of Animal-Assisted Therapy (ESAAT) ab dem Jahre 2011 geforderten Ausbildungsstandards absolviert haben oder eine andere, vergleichbare Weiterbildung nachweisen. Diese Personen sollen sich regelmäßig fachspezifisch im Umfang von mindestens 16 Stunden in zwei Jahren inklusive Inter- und / oder Supervision fortbilden. Tiergestützt arbeitende Personen müssen sich zusätzlich zu ihrer Weiterbildung in tiergestützter Therapie / Pädagogik regelmäßig in tierbzw. speziesspezifischen Aus- und Weiterbildungen fortbilden. Darüber hinaus ist die Einstellung der tiergestützt arbeitenden Personen von großer Wichtigkeit. Um diesen Beruf sinnvoll auszuüben, braucht es nach unserer Ansicht zusätzlich das nötige „Herzblut“ und Freude an der Arbeit mit den Klienten sowie mit den eingesetzten Tieren. Voraussetzungen für den Einsatz der Tiere Pädagogen und / oder Therapeuten sollten im Wissen um die Anforderungen der Einsätze, der erwünschten Effekte, aber auch der möglichen Gefährdungen geeignete Tiere auswählen. Es sind ausschließlich Tiere einzusetzen, die aufgrund ihrer Biographie erwarten lassen, dass sie die erforderlichen Talente besitzen oder entwickeln können. Bei der Auswahl geeigneter Tiere stützen sich Fachpersonen, welche tiergestützte Interventionen durchführen, auf ■ ethologisches Wissen, ■ individuelle Erfahrung mit dem einzelnen Tier und ■ natürliche Sympathie zu Tieren und Ehrfurcht vor dem Leben. Ein Risiko ist, dass die eigene hohe Motivation, tiergestützt zu arbeiten, manchmal den professionellen Blick auf die tatsächliche Tier-Mensch-Be- Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen mup 4|2014 | 161 ziehung verhindert. Dadurch kann es vorkommen, dass Tiere eingesetzt werden, welche nicht für den tiergestützten Einsatz geeignet oder talentiert sind. Daher ist eine Überprüfung des Verhaltens des Mensch-Tier-Teams in therapeutischen / pädagogischen Situationen durch eine weitere Fachperson angezeigt (Graf 2014). Haltung und Beförderung von Tieren Die Bestimmungen der nationalen Tierschutzgesetze müssen strikt beachtet und eingehalten werden. Eine Erlaubnis zum Halten von Tieren nach landesspezifischen Tierschutzgesetzen ist notwendig (Sachkundenachweis). Jedoch sollten die Haltungsbedingungen von Tieren, welche in tiergestützten Interventionen eingesetzt werden, deutlich über die grundlegenden Bestimmungen des Tierschutzgesetzes hinausgehen (Prinz 2009). Konkrete Hinweise geben Merkblätter zur Haltung der verschiedenen Tierarten, die von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (www. tierschutz-tvt.de) zusammengestellt worden sind. Auf das Wohl des Tieres im Einsatz ist kontinuierlich zu achten. Hierzu gehören unter anderem adäquater Transport, Vorhandensein von Futter und Wasser, Vorhandensein von Schlaf- und Ruheplatz sowie Rückzugsmöglichkeiten, rechtzeitiges Erkennen von Belastungssignalen, rechtzeitiger Schutz des Tieres. Tierärztliche Kontrollen des Tieres und eine Dokumentation seiner gesundheitlichen Versorgung sollen im Tierbestandsbuch dokumentiert sein. Versicherung und Recht Klienten, Personal, Besucher und Tiere müssen haftpflichtrechtlich abgesichert sein. Die Grundzüge des Haftungsrechtes müssen bekannt sein. Grundsätzlich müssen ausreichende Betriebs-Haftpflichtversicherungen abgeschlossen sein. Die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind klar zu benennen, daher muss die Organisationsform und -struktur der jeweiligen Institution festgelegt sein. Dabei ist die Integration der tiergestützten Interventionen in die jeweilige Institution darzulegen. Prozessqualität Konzeption und Methoden: Tiergestützt arbeitende Fachpersonen sollen beschreiben können, nach welchen Konzepten und mit welchen Methoden sie aufgrund ihrer beruflichen pädagogischen, therapeutischen beziehungsweise ihrer allgemein sozial fördernden Ausbildung arbeiten. Sie sollten zudem Konzeption und Methodik ihrer tiergestützten Arbeit beschreiben und theoretisch begründen können. Indikation: Ebenso erscheint bedeutsam, dass die Indikation einer tiergestützten Intervention erläutert werden kann. Es sollte dargelegt werden können, warum bei einem Klienten eine tiergestützte Intervention einen deutlichen Mehrwert erbringt, sodass der Einsatz eines Tieres gerechtfertigt ist. Klienten: Die Einwilligung der Klienten (eventuell der Angehörigen oder gesetzlicher Betreuer) bei erkannter Indikation von Tiergestützten Interventionen muss eingeholt werden; eine Ablehnung ist zu respektieren. Ziele der Arbeit: Es ist zu fordern, dass eine klare Zielplanung vorliegt, welche den Entwicklungsstand des einzelnen Menschen, seine lebenspraktischen, sozialen, emotionalen, psychomotorischen, kognitiven und sensitiven Kompetenzen (Ressourcen) berücksichtigt. Nach Möglichkeit sollte dabei die Verbindung zwischen therapeutischem / pädagogischem Konzept, avisiertem Ziel, angewandter Methode und erwarteten Wirkungen dargelegt sein. Screening, Basis- und Verlaufsdokumentation: Zu Beginn eines Programms bzw. einer Maßnahme oder Intervention sollte ein kurzes Screening durchgeführt werden, um Vorlieben von Klienten für bestimmte Tiere ebenso wie Ängste davor und Ablehnung zu erkennen. Eine Basisdokumentation dient dem Ziel, die für den weiteren 162 | mup 4|2014 Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen Verlauf der Intervention relevanten Grundinformationen festzuhalten, sodass jederzeit darauf zurückgegriffen werden kann. Durch eine Verlaufsdokumentation werden die Ziele und die damit verbundenen Maßnahmen reflektiert, denn ein qualitativ hochstehender pädagogischer oder therapeutischer Prozess ist durch eine kontinuierliche Reflexion über die avisierten Ziele und eine adaptive Anpassung der Ziele gekennzeichnet. Die (Verlaufs-) Dokumentation muss auch eine Einschätzung des Verhaltens des Tieres umfassen. Mensch-Tier-Beziehung: Die Prozessqualität tiergestützter Interventionen ist entscheidend von der Mensch-Tier-Beziehung abhängig. Eine positive Wirkung eines Tieres ergibt sich nur dann, wenn eine konstante, intensive, positive und partnerschaftliche Beziehung zwischen Tier und Bezugsperson vorliegt. Die bloße Anwesenheit eines Tieres hat noch keinen Vorhersagewert für den Verlauf einer Intervention. Wie gut eine Intervention abläuft, ist insbesondere abhängig von der Fachperson, dem ausgewählten Tier, deren Beziehung zueinander sowie zum Klienten. Folgende weitere Kriterien erscheinen unter anderem wesentlich: genaue Planung, wie das Tier in die Arbeit integriert werden soll; tierspezifische Zielbestimmungen der Intervention; klare Verhaltensregeln im Umgang mit dem Tier; Maßnahmenplan für den Fall, dass ein Tier in der Sitzung überfordert ist und aus der Arbeit herausgenommen werden muss. Hygiene: Wissen um Kontraindikationen tiergestützter Interventionen oder zeitweiliger Sperren für einzelne Klienten muss vorhanden sein und berücksichtigt werden. Ein Hygieneplan muss vorliegen. Mögliche Gefährdungen sollten bekannt sein und müssen beachtet werden. Schriftliche Hinweise zum Umgang mit Kontraindikationen müssen vorliegen. Risikobewertung und Risikomanagement Die Bedeutung des Risikomanagements ergibt sich vor allem aus den haftungsrechtlichen Konsequenzen tiergestützten Arbeitens. Sie werden oft unterschätzt (Thiel 2014). Möglichen Risiken für Klienten sind ■ Unfälle aufgrund von Gefahrenstellen, wie sie zum Beispiel auf einem Bauernhof oder einem Spielplatz passieren können; ■ Verletzungen, die unmittelbar oder mittelbar durch das Tier verursacht werden können; ■ Infektionen oder Allergien, die vom Tier übertragen beziehungsweise ausgelöst werden. Möglichen Risiken kann durch die Einhaltung folgender Maßnahmen vorgebeugt werden: ■ eine umfassende Gesundheitsfürsorge für das Tier; ■ die Einhaltung der Hygienevorschriften - hierzu müssen die Hygienerisiken, die von Tieren ausgehen, bekannt sein und abgeschätzt werden können (Schwarzkopf 2011; Rabinowitz / Conti 2010); ■ die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen des Arbeitssicherheitsgesetzes und der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften; ■ eine schriftliche Regelung, welche Klienten nicht für tiergestützte Interventionen in Frage kommen; ■ die schriftliche Festlegung von Kontraindikationen tiergestützter Interventionen (Schwarzkopf 2011). Auch die vom Menschen ausgehenden Gefährdungen für das Tier müssen bekannt sein und berücksichtigt werden. Nicht nur Tiere können Menschen verletzen, sondern auch Menschen Tiere. Misshandlungen von Tieren durch Kinder und Jugendliche stellen ein oftmals unterschätztes Risikopotential dar (Ascione u. a. 2010). Hier gilt es für den Schutz der Tiere zu sorgen. Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen mup 4|2014 | 163 Für jegliche tiergestützte Intervention muss ein Notfallplan - für Mensch und Tier - vorhanden sein, nach dem bei Unfällen gehandelt werden kann. Ergebnisevaluation Ergebnisqualität kann für das Feld der tiergestützten Interventionen bestimmt werden als messbare Veränderung des professionell und (soweit möglich) selbst eingeschätzten Gesundheitszustandes, der Lebensqualität und der Zufriedenheit eines Klienten. Je nach Einsatzbereich können sehr unterschiedliche Verfahren zur „Messung“ der Ergebnisqualität herangezogen werden (Sanders / Beywl 2006). Folgende Kriterien sind ganz allgemein zur Beurteilung der Ergebnisqualität wertvoll (Heß / Roth 2001): ■ Zielerreichung: Ist das anvisierte Ziel erreicht worden? ■ Zufriedenheit: Ist aufseiten des Klienten, aber auch aufseiten der Fachkraft für tiergestützte Intervention die Maßnahme zufriedenstellend verlaufen? ■ Emotionale Entlastung: Wurde durch die tiergestützte Intervention eine Entlastung im Bereich der Emotionen erreicht? ■ Erweiterung und Flexibilisierung des Handlungsrepertoires: Hat die Handlungskompetenz des Klienten zugenommen und hat er hier an Flexibilität gewonnen? ■ Zunahme an Bewusstheit/ Verantwortung: Ist die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung gewachsen? Nimmt der Klient sie jetzt bewusster wahr? ■ Einstellungsänderung: Hat sich die grundlegende Einstellung des Klienten verändert? Ist er in der Lage, durch die veränderte Perspektive Lösungswege zu finden, sofern Probleme nicht durch einfaches Handeln zu lösen sind? Weitere bedeutsame Ziele tiergestützter Interventionen können eine erhöhte Lebensqualität, eine positive Persönlichkeitsentwicklung, eine gelingende Sozialisation oder allgemein eine verbesserte Lebenssituation sein (Oberholzer 2003). Relevanz für die pferdegestützte Arbeit Diese hier beschriebenen Qualitätsdimensionen für tiergestützte Interventionen lassen sich auch auf die pferdegestützte Arbeit anwenden. Spezifizierungen, genaue Ausformulierungen und Anpassungen an die besonderen Anforderungen bei der Arbeit mit Pferden sollen und müssen durch die Akteure selbst vorgenommen werden. Hier gibt es bereits von unterschiedlichen Akteuren erarbeitete Ansätze und Leitlinien, die in diesem Rahmen weiterentwickelt werden könnten (Kläschen 2011; Lindau-Bank 2013). Qualitätskriterien bieten die Möglichkeit einzuschätzen, ob man „gute Arbeit“ leistet. Die beschriebenen Qualitätskriterien (ausführlich in Wohlfarth / Olbrich 2014) sollen zunächst einmal den Anbietern selbst die Möglichkeit bieten zu beurteilen, ob und inwieweit ihre Arbeit die Qualitätskriterien tiergestützter Intervention erfüllt, sie also „gute Arbeit“ leisten. In einem weiteren Schritt können sie die Grundlage für Intervision und Supervision bilden. Dabei sollen die Ergebnisse der Beurteilung und Evaluation dazu genutzt werden, die eigene Qualität tiergestützten Arbeitens kontinuierlich zu verbessern. In einem späteren, dritten Schritt können die Kriterien dazu dienen, eine Zertifizierung durch ein noch zu bestimmendes Gremium von Gutachtern zu erreichen. Letztlich werden sie jedoch auch dazu beitragen, dass die Angebote im Bereich tiergestützter Interventionen anhand fachlicher Kriterien beurteilt werden können. Dies erscheint wichtig und zielführend auf dem Weg zu einer Professi- 164 | mup 4|2014 Wohlfarth, Olbrich, Baumeister - Qualitätsstandards tiergestützter Interventionen onalisierung der Arbeit. Diese Professionalisierung mittels gemeinsamer Qualitätskriterien ist unabdingbare Voraussetzung, um die Wirksamkeit tiergestützter Interventionen sinnvoll begründen zu können und zu einer möglichen Anerkennung durch Kostenträger zu gelangen. Literatur ■ Ascione, F., McCabe, M., Phillips, A., Tedeschi, P. (2010): Animal abuse and developmental psychopathology: recent research, programmatic and therapeutic issues and challenges for the future. In: Fine, A. H. (ed.): Handbook on Animal-Assisted Therapy. Academic Press, San Diego, 357-400, http: / / dx.doi. org / 10.1016 / B978-0-12-381453-1.10018-2 ■ Graf, P. (2014): Verhaltenstests für die Interieurbeurteilung von Pferden. Mensch und Pferd international 1, 52-61, http: / / dx.doi. org / 10.2378 / mup2014.art08d ■ Heß, T., Roth, W. 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Als Fellow des Institute of Gerontology in Los Angeles stieß er 1983 erstmals auf tiergestützte Interventionen in Altenheimen. In Verbindung mit dem Kuratorium Deutsche Altershilfe versuchte er, die dort gemachten Erfahrungen in Deutschland zu verbreiten. Er regte Studien zur sozialen Unterstützung durch Tiere, zur Stärkung der sozial-emotionalen Kompetenz von alten Menschen, von Kindern und Menschen mit Behinderungen an, arbeitete aber vor allem theoretisch und in der Lehre über die Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung und deren salutogenetischen Effekte. Sabine Baumeister Dipl.-Kaufmann, Trainerin, Tomatis Therapeutin, zertifizierte Reittherapeutin, verantwortliche Leiterin der Weiterbildung zum Reittherapeuten / Reitpädagogen bei equimotion in Luxemburg, Vorstandsmitglied der ESAAT - European Association for Animal Assisted Therapy sowie der AAAT asbl Luxembourg (Verein für tiergestützte Therapie). Anschriften: Dr. Rainer Wohlfarth · Freiburger Institut für tiergestützte Therapie Zum Litzfürst 8a · D-79194 Gundelfingen rainer@tiere-begleiten-leben.de Prof. Dr. Erhard Olbrich Am Marktweg 24 · D-42781 Haan-Gruiten erhard.olbrichneu@gmail.com Sabine Baumeister · Equimotion Institut für Weiterbildung 4B, Duerfstrooss · L-6858 Münschecker sbaumeister@audio-lingua.lu Die Autoren