eJournals mensch & pferd international 7/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Praxistipp: Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd?

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2015
Kristina Schmitz
Im Bereich der allgemeinen (heil)pädagogischen Förderung kommen Fachkräfte mit Menschen mit verschiedensten Entwicklungsrückständen und Verhaltensproblemen in Kontakt. Dabei spielt fast immer die Förderung von emotionalen und sozialen Entwicklungsbereichen eine Rolle, die mehr oder weniger im Vordergrund stehen. Oftmals müssen die Personen einen achtsamen und adäquaten Umgang mit sich selbst und anderen lernen.
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Kristina Schmitz Praxistipp Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Bausteine zur Visualisierung von emotionalen und sozialen Motiven Im Bereich der allgemeinen (heil)pädagogischen Förderung kommen Fachkräfte mit Menschen mit verschiedensten Entwicklungsrückständen und Verhaltensproblemen in Kontakt. Dabei spielt fast immer die Förderung von emotionalen und sozialen Entwicklungsbereichen eine Rolle, die mehr oder weniger im Vordergrund stehen. Oftmals müssen die Personen einen achtsamen und adäquaten Umgang mit sich selbst und anderen lernen. Im Rahmen der beruflichen Tätigkeit in einer heilpädagogischen Tagesstätte in München ergab sich die Möglichkeit, als Abschlussprojekt zur staatlich geprüften Fachkraft für heilpädagogische Förderung mit dem Pferd eine Kleingruppe von drei Kindern mit auffälligem Verhalten im Alter von dreizehn Jahren zu leiten. In diesem Rahmen wurden mit Schwerpunkt auf der emotionalen und sozialen Entwicklung, Bausteine zur Visualisierung ihrer individuellen emotionalen und sozialen Motive (Was bewegt die Kinder? Was treibt sie an? ) entwickelt. Dem Leitbild einer bedürfnisorientierten Förderung hinsichtlich einer selbstbestimmten Lebensführung des Einzelnen entsprechend, wurde der Fokus auf die Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmer gelegt. Denn die Fähigkeit zur persönlichen Zielsetzung trägt zu einer befriedigenden Lebensgestaltung bei: Durch Zugang zu den eigenen Wünschen und Bedürfnissen und deren bewusster Einbeziehung in den Prozess kann Selbstwirksamkeit erlebt werden, das Selbstvertrauen wachsen und das gesamte Selbstkonzept gestärkt werden. Infolgedessen kommt der Teilnehmer besser in Einklang mit seinen emotionalen und sozialen Belangen. In der HFP bietet das Beziehungsdreieck von Teilnehmer, Pferd und Pädagoge ein optimales Lernfeld für eine gelungene emotionale und soziale Entwicklung, oft fehlt in diesem Förderbereich jedoch das entsprechende prozessbegleitende, pädagogische Handwerkszeug. Daher wurden Bausteine entwickelt, welche die Kinder gezielt dazu anregen, sich intuitiv auszudrücken, die eigene Befindlichkeit zu erleben und festzuhalten. Diese Übungen sind einfach, präzise sowie anregend zugleich und leicht in die Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd integrierbar. Durch das pädagogische Feedback ist es möglich, eine verantwortungsvolle Prozessgestaltung zu übernehmen und dem Einzelnen eine Entwicklung im eigenen Tempo zu ermöglichen. Die Bausteine können an das kognitive Niveau der Teilnehmer angepasst werden und somit einem breiten Teilnehmerspektrum zur Verfügung gestellt werden. Entstanden sind sechs konkrete, gebrauchsfertige Anwendungsbeispiele mit Variationsmöglichkeiten, die im Folgenden erläutert werden. Die Zielkarte Um mit den Teilnehmern eine Zielvorstellung zu entwickeln und sie zur Wahrnehmung eigener Wünsche anzuregen, werden sie aufgefordert, ihre Zielvorstellung mit dem Pferd zu notieren (Was möchtest du mit dem Pferd ermup 2|2015|79-83|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2015.art13d | 79 80 | mup 2|2015 Praxistipp: Schmitz - Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd reichen? ). Der Pädagoge stellt einfache Moderationskarten und Stifte zur Verfügung, sodass vor einer Einheit direkt am Stall die Gelegenheit zur Bearbeitung gegeben werden kann. Es ist hilfreich, dies vor Ort durchzuführen, da der Bezug zum Pferd präsent ist. Die Karten behält der Pädagoge bis zur späteren Reflexion am Ende der Einheiten. Das geflügelte Wunschpferd Zur Differenzierung der eigenen Zielvorstellung oder des eigenen Wunsches bezüglich des Pferdes werden die Teilnehmer aufgefordert, das symbolische Wunschpferd zu beschriften; hierzu stellt der Pädagoge vor- oder nachbereitend eine Kopiervorlage und Stifte zur Verfügung. Die Flügel bieten Platz für den Wunsch in Bezug auf das Pferd, der Rücken für das Benennen erforderlicher Hilfsmittel bzw. Helfer und die Beine für das Benennen der eigenen Fähigkeiten. Auf diese Weise verinnerlichen die Teilnehmer, was ihnen „Flügel verleiht“, was sie dazu brauchen und was sie bereits können. Die bildliche Darstellung hilft dabei, die Informationen einfacher abzuspeichern und abzurufen. Für Teilnehmer, die kognitiv dazu in der Lage sind, kann außerdem unterschieden werden, was jeweils vom Pädagogen, vom Pferd oder von der Gruppe benötigt wird. Je nach Stand der geistigen Entwicklung fallen auch die Antworten mehr oder weniger differenziert aus. Es ist außerdem möglich, für geistig oder motorisch beeinträchtigte Teilnehmer das Ausfüllen nach Absprache zu übernehmen, indem sie sich durch ihre Kommunikationsmöglichkeiten mitteilen (Gebärden, Gesten, Laute,…). Das eigene Wunschbild Um die Teilnehmer in ihrem Lern- und Selbsterfahrungsprozess weiter zu unterstützen, kann man optional auch ein eigenes Wunschbild anfertigen lassen. Das eigene Bild dient in dem Fall als Ressource und starke Motivationshilfe in Bezug auf die persönliche Zielsetzung. Es kann z. B. nach einer Einheit zur Vorbereitung auf die nächste gestaltet werden. Die Teilnehmer werden aufgefordert zu malen, wie in ihrer Vorstel- Abb. 1: Ein Platz zum Schreiben Abb. 2: Moderationskarten Abb. 3: Beispiel einer Zielkarte Praxistipp: Schmitz - Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 81 lung die Umsetzung des Ziels bzw. Wunsches mit dem Pferd aussieht. Dazu müssen lediglich ein leeres Blatt Papier und Stifte zur Verfügung gestellt werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Wahl der Stifte und Farben, der Platzierung der Gegenstände und Personen sind unbegrenzt. Die Gestaltung des Bildes verrät dem Pädagogen darüber hinaus, unter entwicklungspsychologischen Aspekten, viel über den Entwicklungsstand und die Verfassung der Teilnehmer. Die Skala im Kopf Zur unmittelbaren Unterstützung beim Ausprobieren der Übungen mit oder auf dem Pferd soll die Einschätzung der eigenen Befindlichkeit ermöglicht werden. So lernen die Teilnehmer ihr Befinden und ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und erhalten eine Handlungsorientierung (Was fühlt sich gerade gut an? Was muss verändert werden, damit es sich für mich gut anfühlt? …). Der Teilnehmer wird dazu aufgefordert, sich eine imaginäre Skala von eins bis zehn vorzustellen und daran einzuschätzen, wie es ihm in der Situation mit dem Pferd geht. Es bestehen zahlreiche Variationsmöglichkeiten hinsichtlich der Fragestellung, z. B. „Wie groß ist deine Angst bei der Übung? “ oder „Wie zufrieden warst du heute mit dir? “. Durch diese Erfahrung kann die Selbstwirksamkeit gefördert werden und bei einer gelungenen Übung das Selbstvertrauen gesteigert werden. Abb. 4: Das geflügelte Wunschpferd Urheberin Abb. 4 + 5: Anouk Duddey Abb. 5: Beispiel: ausgefülltes Wunschpferd Abb. 6: Beispiel eines Wunschbildes 82 | mup 2|2015 Praxistipp: Schmitz - Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Für kognitiv schwache Teilnehmer eignet sich eine optische Skala, die sich handlich im Kartenformat einlaminieren lässt und z. B. mit einem Karabinerhaken am Gurt befestigt werden kann, um sie griffbereit zu haben. Die Zahlen von eins bis zehn können farblich abgesetzt (z. B. von rot zu grün) oder durch Smileys ergänzt werden, um die Negativ-Positiv-Spanne zu symbolisieren. Für stark orientierungslose Teilnehmer können auch Gefühlskarten mit Bildern oder Wörtern zu Rate gezogen werden, um ein passendes Gefühl auszuwählen und in einem späteren Schritt zu reflektieren, wie ausgeprägt dieses Gefühl ist. Bei allen Materialien, die am Pferd eingesetzt werden, ist eine Gewöhnung an die Gegenstände Voraussetzung.  Schön war: Schade war: Das habe ich von meinem Ziel erreicht: Das habe ich neu gelernt:  ZIEL Abb. 9: Wegstation 2 Die Wegstationen Im Verlauf der verschiedenen Einheiten erleben die Teilnehmer viele Entwicklungsschritte auf dem Weg zur ihrer individuellen Zielerreichung. Um ihnen eine Prozessreflexion zu ermöglichen und einen Perspektivwechsel anzuregen, kann der Pädagoge Kopiervorlagen mit markierten Wegstationen und Stifte aushändigen. Die Teilnehmer sollen dann z. B. sowohl positive als auch negative Erfahrungen in der HFP notieren. Es kann ergänzt werden, wie viel vom Ziel bereits erreicht wurde oder welcher Wunsch noch offen ist. Sinnvoll ist es, Fragestellungen anzubieten, z. B. „Was war schön? “, „Was war schade? “, „Was wünsche ich mir? “. Auf diese Weise verinnerlichen die Teilnehmer, was sie bereits selbst erreicht haben. Diese Aufgabe eignet sich als Etappenblitzlicht oder Abschlussreflexion (z. B. in Kombination mit der anfangs formulierten Zielkarte). Das Pony-Painting Zur Schlussreflexion eignet sich auch das Schaffen eines besonderen Erlebnisses, bei dem der direkte Kontakt zum Partner Pferd und ggf. zu den anderen Teilnehmern gestärkt wird. Beim Pony-Painting werden die Teilnehmer aufgefordert, das Pferd mit wasserlöslicher Fingerfarbe zu bemalen. Die sinnliche Erfahrung vertieft das Gefühl der Verbundenheit  Schön war: Schade war: Das wünsche ich mir:  Abb. 7: Skala mit Karabiner Abb. 8: Wegstation 1 Praxistipp: Schmitz - Entwicklungshilfen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 83 und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Das Pferd als Bedeutungsobjekt steht dabei im Mittelpunkt. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, welche Körperstellen ausgespart werden sollen. Hilfreich ist außerdem, sich ein Thema zu überlegen, z. B. „helle und dunkle Gefühle“. Beispiel: Abschließend können positive Assoziationen und schöne Erlebnisse mit dem Pferd festhalten werden. Es ergeben sich vielfältige Variationsmöglichkeiten durch thematische Schwerpunkte (gab es z. B. ein Gruppenthema? ), durch die Verwendung von Symbolen oder Worten, oder durch die Bedeutung von Farben usw. Im Laufe des Projekts hat sich bestätigt, dass die Teilnehmer dankbar waren - einerseits für eine Unterstützung im Ausdrucksverhalten und andererseits für die Beachtung der individuellen Wünsche und Bedürfnisse. Sie profitierten im Bereich der Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit und lernten darüber hinaus, sich in diesem Setting auch in anderen Situationen für ihre Belange einzusetzen oder vermehrt Rücksicht auf andere zu nehmen. Die Kinder haben ein Gespür dafür entwickelt, was ihnen gefällt und was nicht. Somit konnte sowohl die emotionale als auch die soziale Entwicklung positiv gefördert werden. Außerdem konnten sie mit Stolz auf ein eigenes Ziel und den Weg zur Zielerreichung zurückblicken. Dieser Weg ist anhand der Materialien auch für Dritte nachvollziehbar. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Teilnehmer die Angebote immer im Rahmen ihrer Möglichkeiten gestalten und diese zum Teil in sehr einfachen Denkmustern bewältigt werden. Grundsätzlich sind alle Bausteine variabel einsetzbar und basieren auf einfachen pädagogischen Interventionsformen zur Selbsteinschätzung, die gestaltungstherapeutisch überarbeitet wurden. Die Bausteine bieten dem Pädagogen eine Möglichkeit, die Ressourcen der Teilnehmer aufzudecken und eine verantwortungsvolle, individuelle Prozessgestaltung zu übernehmen. Kristina Schmitz Dipl.-Pädagogin, Trainer C Reiten (FN), staatl. gepr. Fachkraft in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (DKThR). Anschrift: Kristina Schmitz Fritz-Meyer-Weg 4 · D-81925 München Die Autorin Abb. 10: Pony-Painting