mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2015.art05d
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Neue Möglichkeiten der Finanzierung im Therapeutischen Reiten
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Rita Hölscher-Regener
Das Thema der Finanzierung ist für alle, die im Bereich des Therapeutischen Reitens tätig sind, besonders aber für die selbstständig Tätigen, immer wieder von großem Interesse, denn Idealismus und Engagement sind zwar sehr gute Vorraussetzungen für unsere Arbeit, aber leider kann man sich davon nicht ernähren! Aus diesem Anlass wird in diesem Artikel zum einen das Thema „Kostenübernahme des Heilpädagogischen Reitens für Kinder im Vorschulalter“ noch einmal aufgenommen, zum anderen wird auf einige andere Möglichkeiten hingewiesen, die eine Finanzierbarkeit des Therapeutischen Reitens möglich machen können. Bereits in der Ausgabe 2 / 2009 wurde seinerzeit zu dem Thema „Kostenübernahme im Vorschulalter“ anhand eines Dortmunder Falls berichtet und auf die Möglichkeiten, die sich durch die Eingliederungshilfe und hier durch die § 53 / 54 Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) in Verbindung mit § 55 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) ergeben, aufmerksam gemacht.
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mup 1|2015|27-30|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2015.art05d | 27 Rita Hölscher-Regener Recht & Sicherheit Neue Möglichkeiten der Finanzierung im Therapeutischen Reiten Hinweise zur Beantragung und Durchsetzung Das Thema der Finanzierung ist für alle, die im Bereich des Therapeutischen Reitens tätig sind, besonders aber für die selbstständig Tätigen, immer wieder von großem Interesse, denn Idealismus und Engagement sind zwar sehr gute Vorraussetzungen für unsere Arbeit, aber leider kann man sich davon nicht ernähren! Aus diesem Anlass wird in diesem Artikel zum einen das Thema „Kostenübernahme des Heilpädagogischen Reitens für Kinder im Vorschulalter“ noch einmal aufgenommen, zum anderen wird auf einige andere Möglichkeiten hingewiesen, die eine Finanzierbarkeit des Therapeutischen Reitens möglich machen können. Bereits in der Ausgabe 2 / 2009 wurde seinerzeit zu dem Thema „Kostenübernahme im Vorschulalter“ anhand eines Dortmunder Falls berichtet und auf die Möglichkeiten, die sich durch die Eingliederungshilfe und hier durch die § 53 / 54 Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) in Verbindung mit § 55 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) ergeben, aufmerksam gemacht. Das damals zitierte Urteil aus Bayreuth vom 18.5.2006 (AZ B 5 K 04.1222) machte deutlich, dass das Heilpädagogische Reiten (in Abgrenzung zur Hippotherapie) eine besondere Form der Eingliederungshilfe speziell für Kinder im Vorschulalter ist. Hierin hieß es, dass der konkrete Hilfebedarf eines Kindes in Form des Heilpädagogischen Reitens auch nicht durch die gleichzeitige Gewährung anderer Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie, Psychomotorik etc.) gedeckt wird. Dieses Urteil ist inzwischen rechtskräftig und sollte deshalb meines Erachtens deutlich mehr genutzt werden, um eine Kostenübernahme für Vorschulkinder , die gemäß §53 Abs. 1 SGB XII durch eine Behinderung im Sinne des §2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, zu erwirken. Notwendig ist dazu eine entsprechende Antragstellung durch die Eltern des betroffenen Kindes beim zuständigen Sozialamt der Kommunen oder Kreise. Entsprechende Antragsformulare, aus denen die Daten des betroffenen Kindes und seiner Eltern hervorgehen, sind leicht zu entwickeln. Eine Entbindung der Schweigepflicht gehört in der Regel ebenso zur Antragstellung wie ein aktuelles ärztliches Gutachten, das Vorsorgeheft des Kindes, ein Bericht des Kindergartens und die Stellungnahme des Reitpädagogen mit entsprechenden Förderzielen für das Kind. Sinnvoll ist es, den Eltern zu raten, persönlich beim entsprechenden Sozialamt vorstellig zu werden, um evtl. auftretende zusätzliche Fragen gleich beantworten zu können. Außerdem werden die Kosten bei Zusage ab der Antragstellung übernommen. In der Regel erfolgt nach der Antragstellung einige Zeit später eine Vorladung zum entsprechenden Gesundheitsamt, welches das Kind noch einmal begutachtet und den entsprechenden Bericht dem Sozialamt wiedervorlegt. Aufgrund der Stellungnahme des Gesundheitsamtes entscheidet das Sozialamt über den Antrag der Eltern. 28 | mup 1|2015 Recht&Sicherheit: Hölscher-Regener - Neue Möglichkeiten der Finanzierung im Therapeutischen Reiten Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Kreise oder Kommunen, die bisher mit solchen Antragstellungen keine Erfahrungen gemacht haben und den aktuellen juristischen Stand nicht kennen, den Antrag zunächst ablehnen. Das sollte die Eltern nicht davon abhalten, die entsprechenden Möglichkeiten eines Widerspruchs zu nutzen (in der Regel innerhalb eines Monats), die gesetzlich vorgeschrieben sind. Auch hier sollten der Reitpädagoge bzw. die Einrichtung unterstützend tätig werden und bei der Formulierung des Widerspruchs helfen. Sollte auch der Widerspruch abgelehnt werden, ist nur noch eine Klage vor dem zuständigen Sozialgericht möglich. Eltern, die eine Rechtsschutzversicherung haben, können Kosten in der Regel darüber geltend machen. Der Autorin ist aber in jüngster Zeit kein Fall bekannt, wo die Richter nicht zu Gunsten der betroffenen Kinder und deren Eltern entschieden hätten, sodass dieses Risiko einer Ablehnung durchaus zu tragen ist. So geschehen in jüngster Zeit vor dem Sozialgericht Dortmund am 11.9.2013 Az.: S 42 SO 19 / 12 und im August 2014 vor dem Sozialgericht Düsseldorf unter dem Az.: S 42 SO 500 / 13. Im ersten Fall handelte es sich um ein Kind mit Down-Syndrom, welches eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % hatte. Da im Gesetz steht, dass heilpädagogische Leistungen immer an schwerstbehinderten und schwerst-mehrfachbehinderten Kindern erbracht werden, ging das Gericht davon aus, dass dies hier der Fall sei. Zudem ging aus dem Bericht der Reitpädagogin hervor, dass das heilpädagogische Reiten für die Klägerin im Hinblick auf motorische Fähigkeiten erfolgreich war, zudem auch eine Förderung des Selbstwertgefühls erreicht werden konnte. Die Stadt Dortmund erklärte sich im Wege des Anerkenntnisses daraufhin bereit, die bislang angefallenen Kosten zu übernehmen. Im zweiten Fall erteilte die zuständige Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf den richterlichen Hinweis, dass danach zu differenzieren ist, ob das Ziel der Maßnahme auf die Teilhabe in der Gesellschaft, also im pädagogischen / sozialen Bereich liege oder aber außerhalb der Eingliederungshilfe im medizinischen / krankengymnastischen Bereich. Der vom Kreis Mettmann erfolgte ablehnende Bescheid an die Eltern wurde daraufhin aufgehoben und die Kosten wurden rückwirkend erstattet. Grundsätzlich sieht das Sozialgesetzbuch IX auch für ältere Kinder / Menschen verschiedene Teilhabeleistungen vor. Dies betonte zuletzt auch Dr. Harry Fuchs Düsseldorf (www. harry-fuchs.de) in seinem Vortrag anlässlich der Interdisziplinären Fachtagung des DKThR im März 2014 in Frechen. Auch Martina Steinke (Bochum) (www.sozialrechtbochum.de) referierte in einem Vortrag, organisiert vom Arbeitskreis „Der behinderte Mensch“ in Dortmund, zu diesem Thema und wies insbesondere auf das Beantragen von Assistenz und Sachleistungen sowie auf die Form eines persönlichen Budgets (§ 55 Abs. 7 SGB IX) hin. Gerade durch die Einführung der Inklusion werden diese im Gesetz verankerten Rechte stärker in den Vordergrund gerückt. Die Schwierigkeiten liegen hier momentan noch in der Umsetzung und Berücksichtigung, nicht in dem nicht Vorhandensein rechtlicher Grundlagen. Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung des Therapeutischen Reitens liegt sicherlich auch in den zusätzlichen Betreuungsleistungen für Menschen mit erheblichem Betreuungsbedarf gem. § 45 b SGB XI: Recht&Sicherheit: Hölscher-Regener - Neue Möglichkeiten der Finanzierung im Therapeutischen Reiten mup 1|2015 | 29 Pflegeversicherte mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf können bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gem. § 45 b SGB XIO für zusätzliche Betreuungsleistungen einen Zuschuss beantragen. Zusätzliche Betreuungsleistungen erhält, wer zu folgendem Personenkreis gehört: ■ Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie ■ Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, aber bei denen keine Pflegestufe vorliegt, mit demenzartigen Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Zusätzliche Betreuungsleistungen werden auf Antrag von der zuständigen Pflegekasse gewährt. Je nach Umfang des erheblichen Betreuungsbedarfs erhalten anspruchsberechtigte Personen einen Grundbetrag für Betreuungsleistungen in Höhe von 100 € monatlich oder bei erhöhtem Bedarf 200 € monatlich. Die Höhe des Anspruchs wird von der Pflegekasse auf Empfehlung des MDK im Einzelfall festgelegt. Der Betrag ist zweckgebunden und kann verwendet werden für qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen, die dem Versicherten mit der Inanspruchnahme von ■ Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflege, ■ zugelassenen Pflegediensten oder ■ der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangeboten , wie z. B. Betreuungsgruppen für Demenzkranke, Familienentlastende Dienste etc. entstehen. Hier kann auch im Bereich des Therapeutischen Reitens angesetzt werden, indem sich z. B. eine Einrichtung bemüht, die Anerkennung als niedrigschwelliges Hilfe- und Betreuungsangebot zu erhalten. Den Weg für eine Anerkennung als niedrigschwelliges Hilfe- und Betreuungsangebot im Einzelnen zu beschreiben, würde an dieser Stelle zu weit führen, ist aber im Internet nachlesbar z. B. unter „recht nrw“ z. B. https: / / recht.nrw.de/ lmi/ owa/ br_bes_text Neben dieser offiziellen Anerkennung als Anbieter niedrigschwelliger Leistungen liegt die Erfahrung vor, dass Eltern diese Betreuungsleistungen für ihre Kinder auch zur Durchführung des Therapeuti- 30 | mup 1|2015 Recht&Sicherheit: Hölscher-Regener - Neue Möglichkeiten der Finanzierung im Therapeutischen Reiten schen Reitens nutzen können, indem der Anbieter ihnen eine Rechnung schreibt, in der das Angebot „Heilpädagogische Förderung mit Pferd mit Pflege und Betreuung“ aufgeführt ist. Pflege und Betreuung wird gewährleistet z. B. durch die Begleitung zu Toilettengängen, Hilfe zur notwendigen Bekleidung, Hilfe bei der Durchführung und Begleitung der Arbeit mit und auf dem Pferd etc. Diese Rechnung reichen die Eltern dann bei der zuständigen Pflegekasse ein und bekommen den Betrag dann ggf. erstattet. Sinnvoll ist diese Maßnahme besonders dann, wenn Eltern ihren Anspruch nicht durch z. B. Betreuung in Ferienfreizeiten, regelmäßige Besuche etc. ausgeschöpft haben. Für größere Einrichtungen interessant ist der Hinweis, dass die Krankenkassen durch die Gesetzgebung seit dem Jahr 2000 einen erweiterten Handlungsrahmen in der Primärprävention und betrieblichen Gesundheitsförderung haben. Dadurch ist es den Krankenkassen möglich, den Gesundheitszustand der Versicherten unter deren aktiver Beteiligung zu verbessern und gesundheitlichen Beeinträchtigungen frühzeitig entgegenzuwirken, anstatt sie kostenintensiv zu kurieren. Auch hier können im Bereich des Therapeutischen Reitens Projekte entwickelt werden, die in diesen Rahmen passen, z. B. bewegungsorientierte Angebote mit dem Pferd bei Übergewicht von Kindern, Programme zur Steigerung des Selbstwertgefühls mit Hilfe des Pferdes bei psychisch belasteten Kindern etc. Seit dem 1.1.2014 werden Präventionskurse und Anbieter bundesweit zentral und kassenartübergreifend geprüft. Anbieter von Präventionsmaßnahmen profitieren vom zentralen und einheitlichen Prüfverfahren, da eine einmalige und kostenfreie Zertifizierung des Anbieters und Kurses für alle kooperierenden Krankenkassen gilt. Weitere Informationen sind unter www.vdek. com / vertragspartner / Praevention / zentrale_ pruefstellenpraevention.html und im Leitfaden Prävention 2010 (GKV Spitzenverband 2010) zu finden. Literatur ■ GKV Spitzenverband (2010): Leitfaden Prävention. In: http: / / www.gkv-spitzenverband.de/ media/ dokumente/ presse/ publikationen/ GKV_ Leitfaden_Praevention_RZ_web4_2011_15702. pdf, 20.9.2014 ■ https: / / recht.nrw.de/ lmi/ owa/ br_bes_ text? anw_nr=2&gld_nr=2&ugl_nr=216&bes_id=10 994&aufgehoben=N&menu=1&sg=0, 20.9.2014 ■ www. harry-fuchs.de, 20.9.2014 ■ www.sozialrecht-bochum.de, 20.9.2014 ■ www.vdek.com/ vertragspartner/ Praevention/ zentrale pruefstellenpraevention.html, 20.9.2014 Rita Hölscher-Regener Dipl. Sozialarbeiterin, Trainer B Reiten, Trainer C Voltigieren, Reit- und Voltigierpädagogin (DKThR), seit 1993 freiberufliche Tätigkeit in der HFP in eigener heilpädagogischer Praxis, Lehrbeauftragte des DKThR, Sprecherin der Arbeitsgruppe HFP des DKThR. Anschrift: Rita Hölscher-Regener Leierweg 24 · D-44137 Dortmund hoelscher-regener@web.de Die Autorin
