mensch & pferd international
2
1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2015.art11d
41
2015
72
Forum: Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd
41
2015
Mareile Günther
Viele Pädagogen fühlen sich in ihrem Handeln durch die Anwesenheit der Eltern während der Fördereinheit eingeschränkt. Kann es jedoch nicht in einigen Fällen die Aufgabe des Pädagogen sein, die Eltern mit einzubinden? Was macht Elternarbeit so bedeutend und welche Hilfen können geschaffen werden, damit sie praktikabel ist? Der vorliegende Artikel gibt eine kurze Übersicht der Frühförderung in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd unter Einbeziehung der Eltern. Die Zusammenarbeit und Finanzierung durch die Komplexleistung wird erläutert. Nach der Begründung für den Einbezug der Eltern wird eine konzeptionelle Überlegung vorgestellt, welche mit Hilfe eines Elterntypenmodells die Einbeziehung der Eltern in die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd darstellt. Die Typen werden durch Praxisbeispiele erläutert.
2_007_2015_2_0005
68 | mup 2|2015|68-75|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2015.art11d Mareile Günther Forum Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd Viele Pädagogen fühlen sich in ihrem Handeln durch die Anwesenheit der Eltern während der Fördereinheit eingeschränkt. Kann es jedoch nicht in einigen Fällen die Aufgabe des Pädagogen sein, die Eltern mit einzubinden? Was macht Elternarbeit so bedeutend und welche Hilfen können geschaffen werden, damit sie praktikabel ist? Der vorliegende Artikel gibt eine kurze Übersicht der Frühförderung in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd unter Einbeziehung der Eltern. Die Zusammenarbeit und Finanzierung durch die Komplexleistung wird erläutert. Nach der Begründung für den Einbezug der Eltern wird eine konzeptionelle Überlegung vorgestellt, welche mit Hilfe eines Elterntypenmodells die Einbeziehung der Eltern in die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd darstellt. Die Typen werden durch Praxisbeispiele erläutert. Definition Frühförderung „Frühförderung ist ein Hilfsangebot für Kinder im Säuglings-, Kleinkind- und Kindergartenalter, die eine Behinderung haben oder davon bedroht sind, und auch Eltern und andere Personen, die Elternfunktionen wahrnehmen“ (Thurmair / Naggl 2010, 13). Durch eine frühzeitige Förderung soll die drohende Behinderung abgewehrt oder vermindert werden. Wer hat ein Recht auf Frühförderung? „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist“ (§ 2 SGB IX). Demnach haben alle Kinder, welche unter einer Entwicklungsverzögerung, Lernbehinderung, körperlichen oder geistigen Behinderung leiden, ein Recht auf Frühförderung, insbesondere als schulvorbereitende Maßnahme (§ 56 SGB IX). Durch die intensive Begleitung bei der Entwicklung sollen mögliche Behinderungen frühzeitig erkannt und einer Verschlechterung von Krankheiten entgegengewirkt werden. Kinder, die noch nicht eingeschult sind, haben laut § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX ein Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Die Leistung der Frühförderung können demnach Kinder ab der Geburt bis zu ihrer Einschulung in Anspruch nehmen. Finanzierung und Kooperation durch die Komplexleistung Für die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd empfiehlt sich eine Kooperation mit einer Interdisziplinären Frühförderstelle (in der folgenden Ausführung IFF) oder einem Sozialpädiatrischen Zentrum (in der folgenden Ausführung SPZ), da der Pädagoge die Chance hat, interdisziplinär zu arbeiten und dem Kind so eine optimale Förderung bieten kann. Ein fachübergreifendes Förderkonzept entsteht, da der Pädagoge im stetigen Austausch mit Fachleuten anderer Profession (Arzt, Physiotherapeut, Ergotherapeut, Logopäde, Motopäde o. ä.) Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 69 Mareile Günther steht. Es werden Diagnosen, Förder- und Behandlungspläne in direkter Kooperation erstellt. In den regelmäßigen Fallbesprechungen werden die Förderungen reflektiert. Eine qualitativ hochwertige Arbeit entsteht innerhalb dieser Zusammenarbeit. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Fördereinheit mit dem Pferd über die sogenannte Komplexleistung (medizinischtherapeutische und heilpädagogische Fördereinheiten § 30 SGB IX; § 56 SGB IX) zu finanzieren. IFF und SPZ dürfen Komplexleistungen im Rahmen einer interdisziplinären Frühförderung anbieten (Weiss u. a. 2004, 78). Der Schwerpunkt der Leistungen liegt bei einer IFF auf der heilpädagogischen Förderung und bei einem SPZ auf der ärztlichen und medizinischtherapeutischen Unterstützung. Begründung der Einbeziehung der Eltern 1. Das Kind ist ganzheitlich in seinem System zu betrachten. Die Eltern sind in der frühen Entwicklung die präsentesten Personen für das Kind und daher ein großer Teil seines Systems. Eltern und Kind beeinflussen und verändern sich wechselseitig. Es werden vier Systemebenen der Umwelt nach Bronfenbrenner (1981) unterschieden, welche sich in Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem gliedern. Die Berücksichtigung der systemisch-ökologischen Zusammenhänge ist für die Lern- und Entwicklungsförderung unentbehrlich. Die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd und die Eltern bilden ein Mesosystem des Kindes. „Es ist der Charakter der Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensbereichen, die die Situation eines Kindes beeinflussen“ (Rumpf 2013). Demnach können Qualität und Quantität der Beziehungen zwischen den Lebensbereichen sowohl positiv als auch negativ auf das Kind einwirken. Wenn Eltern zum Beispiel mit einer Förderung ihres Kindes unzufrieden sind, kann es zu einem angespannten Verhältnis kommen, unter dem das Kind leiden könnte. Andersherum würde es von einer kooperativen, harmonischen Verbindung profitieren. 2. Eine stabile Bindungsbeziehung trägt in einer fremden Situation zu mehr Selbstsicherheit bei. Wenn das Kind eine sichere Basis mit den Eltern hat, wird es explorieren und Selbstvertrauen aufbauen (siehe Abbildung 1). Der Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung ist für eine gesunde emotionale, soziale und kognitive Entwicklung Bindungs-Explorations-Balance Bindung nähesuchendes Verhalten - Sicherheit - Stabilität - Geborgenheit - Safe place - Körperkontakt - Affektabstimmung - Trost - Emotionsregulierung Exploration - Erkundungsverhalten - Spielverhalten - Neugierverhalten - Kontakt - Kreativität - Raumeroberung - Grenzerfahrung - Bewältigung - Distanz - Problemlösung Risiko Sicherheit Abb. 1: Bindungs-Explorations-Balance nach Lier-Schehl (2013) 70 | mup 2|2015 Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd des Kindes notwendig. Sicher gebundene Kinder zeigen mehr Kompetenzen im Umgang mit anderen Kindern; sie sind kommunikativer und es fällt ihnen leichter, Beziehungen aufzubauen. Sie können sich leichter in andere Menschen hineinversetzen und ihre Gefühle besser ausdrücken (Becker-Stoll / Textor 2007, 27). Daher ist die Interaktion zwischen Kind und Bindungsperson bedeutend für die Bindungsqualität. 3. Sinnvolles Lernen wird immer durch emotionale Beziehungen unterstützt (Leyendecker 2008, 25). 4. Bei extremem oder inkonstantem Erziehungsverhalten entstehen für das Kind erschwerte Entwicklungsbedingungen. Bei extrem einseitiger Erziehung ist es dem Kind nicht möglich, eine Balance zwischen seinen Entwicklungskrisen zu schaffen (Erikson 1974, 145 f). Die Rollen müssen klar verteilt sein. 5. Erfahrungen durch angeleitete Kommunikation zwischen Eltern und Kind können auf das Alltagsleben übertragen werden. Es ist sinnvoll, die Eltern in ihrem Auftreten und Handeln pädagogisch gezielt zu unterstützen. Um dem Kind Halt geben zu können, müssen die Eltern ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kompetenz haben. Dazu gehören Struktur, Präsenz, Selbstkontrolle und Unterstützung. Struktur wird durch geregelte Tagesabläufe und klare Rollenverhältnisse innerhalb der Familie geschaffen. Regeln und Grenzen bieten dem Kind Stabilität. Präsenz zeigen Eltern durch Aufmerksamkeit, Verantwortung und Interesse. Die Eltern sollten die Fähigkeit haben, sich selbst und ihre Emotionen zu kontrollieren, um dem Kind gerecht, gradlinig und selbstbewusst gegenüberzustehen. Die eben genannten vier Kompetenzen lassen sich durch die Einbeziehung der Eltern in die Fördereinheit analysieren und bestärken (Omer 2013, 22 ff). Konzeptionelle Überlegung Jede Förderung setzt am individuellen Entwicklungsstand des Kindes an. Es können zum Beispiel Rhythmus, Reaktion, Orientierung, Gleichgewicht, Kooperation, Partneranpassung, Spannung, Entspannung, Körperwahrnehmung, Haltung, Rumpfspannung, Sozialverhalten, Emotionen und vieles mehr mit Hilfe des Pferdes gefördert werden. Die konzeptionelle Überlegung bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Einbeziehung der Eltern, welche zu den festgelegten Entwicklungszielen des Kindes beitragen soll. Bei der Förderung liegt der Fokus auf dem Kind und auf der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson. Oft ist es nur möglich, einen Elternteil in die Fördereinheit einzubeziehen, da der andere zum Beispiel in den Zeiten der Förderung arbeiten geht. Bevor eine Frühförderung mit dem Pferd zustande kommt, durchläuft das Kind ein diagnostisches Verfahren in der IFF oder SPZ, um den Entwicklungsstand festzustellen; die Eltern sind hierbei einzubeziehen. Der Förder- und Behandlungsplan wird im interdisziplinären Team besprochen, sodass auch die Fachkraft der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd über Eltern und Kind informiert ist. Wenn die Bereitschaft der Eltern zur Mitwirkung in der Förderung vorhanden ist, können ein gemeinsamer Weg und wünschenswerte Ziele in einem gesonderten Gespräch erörtert werden. Eltern und Pädagogen sollten sich einigen, um somit eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen. Elterntypen Durch die Einteilung in verschiedenen Elterntypen gelangt der Pädagoge zu einer besseren Übersicht und kann die individuelle Intervention für die Einbeziehung der Eltern gezielter planen. Die Erziehungsstile (Tausch / Tausch 1998, 332 f) Laissez Faire, sozialintegrativ und autokratisch sind nicht genau gleichzusetzen mit den Elterntypen, es lassen sich lediglich einige Parallelen feststellen. Die verschiedenen Typen der Eltern lassen sich durch Diagnoseverfahren, Erstgespräche und durch das Verhalten während der Förderung feststellen. Es wird zwischen den eingreifenden, desinteressierten, unsicheren und kooperativen Elterntypen unterschieden. Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 71 Der eingreifende Elterntyp: In der Förderung greifen Eltern oft ein, geben ihrem Kind Anweisungen und formulieren diese fordernd und nicht motivierend. Eine kooperative Interaktion zwischen Kind und Eltern gelingt nicht. Sie erwarten meist schnelle Fortschritte, was die Kooperation mit diesem Elterntyp erschwert. Oft ist der eingreifende Elterntyp mit dem autokratischen Erziehungsstil verbunden. Eltern, die ein Kind mit einer Behinderung haben, fällt es oft schwerer, dem Kind Aufgaben alleine zu überlassen, da sie es gewohnt sind ihm stetig zu helfen. Praxisbeispiel: Auch wenn der Pädagoge gerade diesen Elterntyp als unangenehm und störend empfindet, sollte er sie nicht während der Förderung wegschicken, sondern sie einbeziehen und in der Unterstützung ihres Kindes zur Selbstständigkeit begleiten. Um die Selbstwirksamkeit des Kindes zu stärken, werden Übungen praktiziert, die das Kind ermutigen, eigene Entscheidungen zu treffen und es in seiner Selbstständigkeit fördern. Außerdem müssen die Eltern lernen, sich zu distanzieren, ihrem Kind zu vertrauen und die Situationen auszuhalten. Denn nur wenn die Bezugspersonen es schaffen, sich von dem Kind loszulösen, kann es seine Selbstwirksamkeit erproben. Am Anfang jeder Förderstunde darf das Kind entscheiden, wer das Pferd wann mit welcher Bürste putzt. Dann bestimmt es, an welcher Körperstelle das Pferd geputzt wird. Durch die Anleitung der Putzsituation trifft das Kind eigene Entscheidungen. Die Eltern üben sich in Zurückhaltung. Anschließend werden in der Halle Aufgaben gestellt, welche zusammen gelöst werden. Die Eltern bekommen vier Bälle in verschiedenen Farben. Das Kind sitzt auf dem Pferd und sagt, welchen Ball die Eltern ihm zuwerfen sollen. Optional kann es auch noch den Ort bestimmen, von dem der Ball geworfen werden soll. Auf diese Weise erleben Eltern und Kind gemeinsam neue Wege der Interaktion. Der Pädagoge stellt durch seine Verhaltensweise eine Art Vorbild für die Eltern dar, sodass sie sich beispielsweise von anderen sprachlichen Formulierungen und neuen Lösungsansätzen inspirieren lassen können. Aus diesem Grund verhält der Pädagoge sich stets ruhig, lobt und bestärkt Eltern und Kind und gibt dosierte, verständliche Anweisungen. Von Rückfällen in alte Verhaltensmuster der Eltern ist auszugehen. Der Pädagoge hat die Möglichkeit, noch einmal auf die Aufgabenstellung des Spieles hinzuweisen, wenn 72 | mup 2|2015 Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd die Eltern ihrem Kind stark bestimmende Anweisungen geben wie: „Jetzt setz dich doch endlich mal gerade hin.“ oder: „Nimm doch nicht immer den grünen Ball, ich werfe dir jetzt den roten zu.“ Wenn die Eltern auf den Regelverweis nicht reagieren, kann der Pädagoge die Eltern spiegeln, indem er verbalisiert, was die Eltern tun: „Jetzt suchen Sie ja die Farbe des Balls aus, dies sollte doch Ihr Kind tun“. Es sollten reflektierende Gespräche nach den ersten fünf Förderungen stattfinden. In diesen können die Eltern und das Kind berichten, wie sie sich gefühlt haben. Den Eltern kann anhand ihrer Verhaltensänderung der Fortschritt des Kindes in Richtung Selbständigkeit und größeres Selbstbewusstsein aufgezeigt werden. Diese Erfahrungen gilt es zu verinnerlichen und zu vertiefen, damit die Eltern sie auch zu Hause anwenden können. Der desinteressierte Elterntyp: Sie zweifeln meist an der Wirkung der Förderung. Die Eltern zeigen eine Art resignierendes Verhalten. In der Erziehung neigen sie zu Passivität und Impulslosigkeit. Aufgrund dessen hat das Kind viel Spielraum für eigene Tätigkeiten, bekommt jedoch nur wenig Unterstützung der Eltern. Dieser Elterntyp ist nur schwer einzubeziehen, da der Aufbau einer Vertrauensbasis und die Bereitwilligkeit zur Mitwirkung meistens nicht vorhanden sind. Er neigt eher zum Laissez-Faire-Erziehungsstil. Praxisbeispiel: Die Mutter macht einen überlasteten Eindruck und möchte die Zeit, in der ihr Kind in der Förderung ist, zum Einkaufen nutzen. Im Erstgespräch sagt sie zum Pädagogen: „Sie sind der Experte, ziehen Sie mal Ihr Ding durch“. Sie klagt darüber, dass ihr Kind ihr nicht von der Seite weichen würde. Das Kind, welches drei Jahre alt ist, hat eine sehr enge Bindung zur Mutter und sucht auch im Erstgespräch sichtlich durchgehend ihre Nähe. Die Grundvoraussetzung für die Exploration des Kindes ist, dass es sich sicher und geborgen fühlt. Daher sollte die Bindungsperson gerade in den ersten Frühförderstunden dabei sein, da das Setting der heilpädagogischen Förderung etwas Fremdes für das Kind ist. Die notwendige Vertrauensbasis vom Kind zum Pferd kann somit besser aufgebaut werden. Da die Einbeziehung der Eltern jedoch eine gewisse Bereitwilligkeit zur Mitwirkung voraussetzt, sollte der Pädagoge der Mutter ehrlich seine Einschätzung der Situation mitteilen, ohne dabei Schuldzuweisungen anzudeuten. Er muss der Mutter Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen, um eine gute Zusammenarbeit zu gewährleisten. Der Pädagoge ist bemüht, ihr Interesse an der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd für ihr Kind zu wecken. Ist dies gelungen, gilt es auch in der weiteren Zusammenarbeit, die Mutter verstärkt zu motivieren. Durch das Setzen von kleinen, erreichbaren Zielen kommt es zu Erfolgserlebnissen bei Mutter und Kind. In der Förderung wird deutlich, dass das Kind die Anwesenheit seiner Mutter stark einfordert. Es baut die verlässliche Bindungsbeziehung zur Mutter allmählich auf, weshalb die Mutter in den ersten Stunden am Pferd mitgehen und Präsens zeigen sollte. Wenn die Mutter keine Angst vor Pferden hat, eignet sich die Führtechnik des geteilten Zügels, dies ist gut für die nahe Begleitung des Kindes. Die Rahmenbedingungen der Förderstunde bieten beiden viel Ruhe, sie können die Zeit befreit vom Alltag genießen und die Zweisamkeit positiv für ihre Interaktion nutzen. Wenn das Kind im Laufe der Förderung sicherer und aufgeschlossener wird, kann die Mutter sich in zeitlich größer werdenden Abständen aus der Situation entfernen. Denn auch das Loslösen von der Bezugsperson gehört zu der Entwicklung eines Kindes. Das Kind lernt, dass es der Bindungsperson vertrauen kann, da sie immer wiederkehrt. Das Pferd erleichtert dem Kind durch seine Wirkung dieses Ablösen von der Mutter. Die schaukelnde Bewegung sowie die Wärme, die das Pferd abgibt, erinnern an vorgeburtliche Erfahrungen. Das Pferd bietet eine verlässliche und vorhersehbare tragfähige Beziehung an und wird zu einer sicheren Basis. Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 73 Der unsichere Elterntyp: Eltern können aus verschiedenen Gründen einen sehr unsicheren Umgang mit ihrem Kind haben. Oft sind es sehr junge oder alte Eltern, Eltern mit Risikogeburten oder eigener gravierender Krankheitsgeschichte. Sie erkundigen sich oft bei den Experten, ob und wie sie sich verhalten sollen. Es fällt ihnen schwer, eigene Entscheidungen zu treffen, und sie können ihr Vorhaben oft nicht durchsetzen. Ihre Gefühle tendieren oft zu extremen Verhaltensweisen. Der Erziehungsstil ist sehr schwankend und daher schwer definierbar. Praxisbeispiel: Ein alleinerziehender Vater, der beim Erstgespräch von Müdigkeit und Erschöpfung berichtet. Er fühlt sich mit der Erziehung des Kindes überfordert, da es ständig zu Konfliktsituationen kommt. In diesen wird er oft laut und schreit das Kind an. Bei den Auseinandersetzungen schreit das vierjährige Kind und reagiert nicht. Er macht einen verunsicherten Eindruck auf den Pädagogen. Es ist abzuklären, ob der Vater durch eine weitere Person entlastet werden und somit Freiräume für sich schaffen kann. In der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd ist es wichtig, ihn immer zu bestärken und ihn zu Entscheidungen zu ermutigen. Ein nonverbales Spiel, in dem der Vater etwas vormacht, was das Kind auf dem Pferd nachahmt, kann auf ruhige Art und Weise die Kommunikation der Interaktion verbessern. Der Vater nimmt einen Ring und hängt ihn über einen Arm, ein Bein oder legt den Ring auf seinen Kopf. Er zeigt seine Autorität, indem er sich groß macht und Blickkontakt zum Kind aufnimmt. Das Kind sitzt auf dem Pferd und soll den Ring an derselben Stelle am eigenen Körper positionieren. Kommt es zu lauten, aggressiven Äußerungen oder zum Streit, ist es dem Pädagogen möglich, anhand des Befindens und Verhaltens des Pferdes für Verständnis zu sorgen. Die Frustrationstoleranz des Kindes wird gesteigert und es sollte klare Anweisungen vom Vater akzeptieren. Der Vater entwickelt im Laufe der Fördereinheiten ein selbstbestimmtes, einfühlsames aber konsequentes Verhalten gegen über dem Kind. Er kann sich besonders an der Haltung, Sprache und Problemlösungsstrategie des Pädagogen orientieren, der hier als Vorbild dient. Auch ist es möglich, Vater und Kind gemeinsam auf das Pferd zu setzen. Durch die körperliche Nähe, das Zusammenrutschen und das gemeinsame Handeln kommen sich beide näher. Wichtig ist, dass Vater und Kind gemeinsame positive Erfahrungen machen. Im Reflexionsgespräch motiviert der Pädagoge den Vater noch einmal gezielt und stärkt somit das Vertrauen in seine Fähigkeiten. Denn nur wenn der Vater selbstbewusst und sicher auftritt, wird das Kind ihn respektieren. Durch die Basis einer kommunikativen Interaktion wird die Voraussetzung für eine sichere Persönlichkeitsentwicklung geschaffen. Der kooperative Elterntyp: Kooperative Eltern lassen sich durch den Pädagogen gut in die Förderung mit dem Pferd einbeziehen. Sie möchten durch Zusammenarbeit Probleme bewältigen und handeln im Interesse des Kindes. Auch wollen sie in der Förderung ihres Kindes mitwirken und einbezogen werden. Meistens vertritt diese Art von Eltern den demokratisch-sozialintegrativen Erziehungsstil. Praxisbeispiel: Der kooperative Elterntyp wirkt von Anfang an positiv mit. Er ist bereit zur Zusammenarbeit mit dem Pädagogen und handelt bewusst und überlegt. Er zeigt sich flexibel und partnerschaftlich in der Zusammenarbeit und berichtet offen und reflektiert im Erstgespräch. Er hat ein gesundes Selbstbewusstsein und hat keine akut zu bewältigende eigene Krise. Dieser Elterntyp lässt sich gut in die Förderung integrieren. Eltern und Kind profitieren vom gemeinsamen Erleben und Handeln in der Förderung. Die Eltern stehen dem Kind während der Förderung zur Seite. Das Kind bekommt die Aufgabe, sich auf das Pferd zu stellen. Es darf sich dabei Hilfestellungen holen. Die Eltern artikulieren, dass sie da sind und dass das Kind ihre Unterstützung erfragen kann. 74 | mup 2|2015 Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd Das Kind fühlt sich sicher und kann versuchen, die Aufgabe alleine zu bewältigen. Falls es nicht gelingt, kann es seine Ressourcen aktivieren, indem es um Hilfe bittet. Das Erkennen, das Erfragen und die Beschreibung, wer dem Kind wie helfen soll, ist eine Kompetenz und ein weiterer Entwicklungsschritt. In diesem konkreten Beispiel kann die Bezugsperson das Kind motivieren, ihm Tipps geben oder eine Hand zum Festhalten reichen. Die Eltern können ihr Kind auf dem Weg zur Selbstbestimmung begleiten, indem sie es zur Selbstständigkeit ermutigen und zur Aneignung von Fähigkeiten anleiten. Eltern und Kind können zusammen deuten, wie sich das Pferd gerade fühlt. Empathie, Feinfühligkeit und Verständnis können so entwickelt werden. Die Fortschritte des Kindes sowie der Interaktion zwischen Eltern und Kind werden festgehalten. Der Pädagoge bespricht diese mit den Bezugspersonen und erfragt, ob sie Fortschritte feststellen konnten. Außerdem werden Nah- und Fernziele vereinbart. Alle Mikrosysteme sollten von der Einbeziehung der Eltern profitieren. Der Pädagoge, die Eltern selbst und vor allem das Kind sollten Nutzen daraus ziehen können. Hinsichtlich der konkreten Einbeziehung der Eltern wäre es optimal, wenn zeitgleich zur Therapie eine Kinderbetreuung der Geschwister des zu fördernden Kindes angeboten würde. Auch die Organisation von Elterngesprächsgruppen oder informierenden Elternabenden sind für die unterstützende Zusammenarbeit mit den Eltern sinnvoll. Die Übergänge der Typen sind nicht starr, sondern fließend, sie können sich je nach Lebenslage verändern. Trotz der Typisierung erfordert die Einbeziehung der Eltern ein spezifisches Eingehen auf die Lebenswelt und die Eigenheiten der Familie. Lebenswelt, Lebenslage und das allgemeine Befinden des Kindes sowie der Eltern müssen individuell vom Pädagogen wahrgenommen werden. Es müssen ein separater Raum sowie Zeiten für Gespräche geschaffen werden, um in Ruhe Vereinbarungen, Ziele, Interventionen und Reflexionen besprechen zu können. Schlussbetrachtung Es gehört zum professionellen Handeln, die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten zu erkennen, wenn die Ansprüche der Eltern die Möglichkeiten der heilpädagogischen Frühförderung mit dem Pferd übersteigen. So ist es wichtig, die Eltern zu weiterführenden Hilfen in Form von Eltern-Kind-Gruppen, Selbsthilfegruppen, Elternkursen, Familientherapeuten zu vermitteln. Dort kann speziell auf die Bedürfnisse der Eltern eingegangen werden. Die Situationsverarbeitung der Eltern oder die intensive Arbeit bei unstabilen Bindungstypen benötigt Begleitung bis hin zur psychotherapeutischen Therapie. Das Verhalten von Eltern ist oft von eigenen traditionellen und biografischen Erfahrungen geprägt. Daher sind Elternkurse und die Therapie abzugrenzen von der heilpädagogischen Frühförderung. Die konzeptionelle Überlegung hilft dabei, die Eltern mehr und bewusster in die Fördereinheit einzubeziehen. Das Konzept steckt natürlich noch in den Kinderschuhen und benötigt weiteres Fachwissen und vor allem Erfahrungen; aufgrund dessen wäre eine Evaluierung wünschenswert. Literatur ■ Becker-Stoll, F., Textor, M. (2007): Die Erzieherin-Kind-Beziehung. Zentrum von Bildung und Erziehung. Frühe Kindheit-Psychologie. Cornelsen, Berlin ■ Bronfenbrenner, U. (1981): Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Klett-Cotta, Stuttgart ■ Erikson, E. H. (1974): Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel. Klett, Stuttgart ■ Leyendecker, C. (2008): Der Weg von der Behandlung zum gemeinsamen Handeln. In: Leyendecker, C. (Hrsg.): Gemeinsam handeln statt Behandeln. Aufgaben und Perspektiven der Komplexleistung Frühförderung. Ernst Reinhardt, München. 22-33 ■ Lier-Schehl, H. (2013): Bindungs-Explorations- Balance. Lehrveranstaltung 3.2 LV1 Bindung aus Forum: Günther - Einbeziehung der Eltern in Fördereinheiten der Frühförderung mit dem Pferd mup 2|2015 | 75 entwicklungspsychologischer Perspektive. Seminarunterlagen. EFH Bochum ■ Omer, H. (2013): Die elterliche Ankerfunktion als Mittler zwischen Autorität, Autonomie und Bindung. In: Borke, J., Grabbe, M., Tsirigotis, C. (Hrsg.): Autorität, Autonomie und Bindung: Die Ankerfunktion bei elterlicher und professioneller Präsenz. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 17-40 ■ Rumpf, J. (2013): Kooperation in Erziehung und Bildung. Über die Ökologie der menschlichen Entwicklung und das Zusammenwirken von Berufspädagogen mit Eltern. In: www.rumpfs-paed.de/ Kooperation/ Oekologie.htm, 30.04.2014 ■ Tausch, R., Tausch, A. (1998): Erziehungs- Psychologie. Begegnung von Person zu Person. Hogrefe, Göttingen ■ Thurmair, M., Naggl, M (2010): Praxis der Frühförderung. Einführung in ein interdisziplinäres Arbeitsfeld. Ernst Reinhardt, München / Basel ■ Weiss, H., Neuhäuser, G. Sohns, A. (2004): Soziale Arbeit in der Frühförderung und Sozialpädiatrie. Soziale Arbeit im Gesundheitswesen. Ernst Reinhardt, München / Basel Mareile Günther Sozialpädagogin (B. A. EFH- Bochum), Trainer C Voltigieren (Leistungssport), Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd DKThR (in Ausbildung), seit 2015 Mitarbeiterin im Zentrum für Bewegung und Sport der Gold Kraemer Stiftung, Frechen Anschrift: Mareile Günther ma.guenther@gmx.net Die Autorin
