eJournals mensch & pferd international 7/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2015.art23d
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Kunst und Pferd

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Claudia Baldeo
Renate Waas
Das Projekt Kunsttherapie und pferdegestützte Therapie mit Flüchtlingskindern wurde vom Zentrum für interkulturelle Psychotherapie Ankyra (Diakonie Flüchtlingsdienst) entwickelt und umgesetzt. Der Artikel gibt einen Einblick in die grundlegenden theoretischen Hintergründe und beschreibt den praktischen Ansatz in Bezug auf die Wirkfaktoren in der Kombination von Kunsttherapie und pferdegestützter Therapie. Die Arbeit mit nonverbalen Interventionsmethoden, die Verfügbarkeit einer großen Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten und die vielfältigen Möglichkeiten zum positiven Beziehungsaufbau sind einige der Themen, die in diesem transkulturellen Therapieansatz beschrieben werden.
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136 | mup 4|2015|136-143|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2015.art23d Claudia Baldeo, Renate Waas Schlüsselbegriffe: Flüchtlingskinder, Asylsuchende, sequentielle Traumatisierung, interkultureller Ansatz, Arbeit über kulturelle Barrieren hinaus, ressourcenorientierte Therapie Das Projekt Kunsttherapie und pferdegestützte Therapie mit Flüchtlingskindern wurde vom Zentrum für interkulturelle Psychotherapie Ankyra (Diakonie Flüchtlingsdienst) entwickelt und umgesetzt. Der Artikel gibt einen Einblick in die grundlegenden theoretischen Hintergründe und beschreibt den praktischen Ansatz in Bezug auf die Wirkfaktoren in der Kombination von Kunsttherapie und pferdegestützter Therapie. Die Arbeit mit nonverbalen Interventionsmethoden, die Verfügbarkeit einer großen Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten und die vielfältigen Möglichkeiten zum positiven Beziehungsaufbau sind einige der Themen, die in diesem transkulturellen Therapieansatz beschrieben werden. - ein transkultureller Ansatz in der Therapie mit Flüchtlingskindern Kunst und Pferd Fotos: Iris Ullmann Baldeo, Waas - Kunst und Pferd mup 4|2015 | 137 Im Jahr 2009 führte das Zentrum für interkulturelle Psychotherapie Ankyra - Diakonie Flüchtlingsdienst - das erste Projekt Reittherapie für Flüchtlingskinder durch (Bericht in MuP 2 / 2010 von Baldeo / Schlichtmeier). Seit nun elf Jahren bietet Ankyra als Einrichtung des Diakonie Flüchtlingsdienstes dolmetscherunterstützte, kultursensible und traumaspezifische Psychotherapie sowie medizinische und psychiatrische Begleitung und Konsultation für Flüchtlinge und Asylwerber* in Tirol an. Die Anforderungen an die psychotherapeutische Arbeit im Flüchtlingsbereich waren von Anfang an groß und stiegen stetig. Die individuellen Tragödien der Asylsuchenden, Flucht und Trauma mit ihren sozialen und gesellschaftlichen Implikationen forderten auch das Team von Ankyra immer wieder heraus, konzeptionell zu reflektieren und sich zu verändern. In diesem fortlaufenden Entwicklungsprozess konnte das Projekt „Reittherapie mit Flüchtlingskindern“ seine Bedeutung bewahren und etablierte sich nach der ersten Durchführung im Jahr 2009 als fixer Bestandteil der Angebote von Ankyra. Rückblick Das Konzept wurde mit Augenmerk auf traumaspezifischen Konzeptionen stabilisierend (Butollo u. a. 1988, 226), ressourcen- und erlebnisorientiert (Petzold 1993, 264) aufgebaut. Der theoretische Rahmen der „sequentiellen Traumatisierung“ (Becker 2006, 188) und von „Flucht als sequentielle Traumatisierung“ (Becker 2006, 192) erlaubte eine nicht pathologisierende, nicht diagnosenzentrierte Anamnese der Kinder. Psychophysische Entspannung, Förderung von Selbstheilungspotenzialen, Raum für Selbst- und Fremdwahrnehmung, Anregung zu Achtsamkeit - um nur einige Zielsetzungen zu nennen - konnten in der Arbeit mit dem Pferd, in der Berührung mit der Natur und dem Lebendigen, jenseits kultureller und sprachlicher Barrieren realisiert werden. Im Rahmen von gestalttherapeutischen Grundprinzipien (Butollo u. a. 1988, 49) wie Beziehungsorientiertheit und Arbeit am Hier und Jetzt war der Anspruch handlungsleitend, den Kindern einen ganzheitlichen Ausdrucksrahmen zu bieten, in dem abgespaltene Erfahrungen im Fühlen-Denken-Handeln wieder in Korrespondenz gebracht werden konnten. Entwicklung Im Jahr 2013 wurde das Projekt erstmals um das Element der Kunsttherapie erweitert. Der neue Ansatz sollte nochmals den Moment der Veränderung und „Reorganisation des Selbst“ (Butollo u. a. 1988, 91) auch für Kinder in angemessener Form kommunizierbar machen. Dies auch unter Berücksichtigung, dass die am Projekt teilnehmenden Flüchtlingskinder die deutsche Sprache auf unterschiedlichen Niveaus beherrschten und deren emotionaler Ausdruck den Therapeuten und Reittherapeuten fremd bleiben musste. Die Fragen, die sich durch diese Erweiterung ergaben, umfassten u. a. die zeitliche Struktur des Projekts, die Exploration mit Material und kreativen Formaten, das Erstellen eines Anforderungsprofils an das neu zu gestaltende Team sowie die Tauglichkeit des Reithofes für die geplante inhaltliche Erweiterung. Das Ergebnis des Pilotprojektes führte zu einer grundsätzlichen Neustrukturierung des Projektes, bei dem aufgrund einer Evaluation folgende Aspekte berücksichtigt werden sollten: ■ Das Element der Kunsttherapie sollte als eigenständiges Verfahren in die inhaltliche Zielsetzung des Reittherapieprojektes eingeflochten werden. ■ Die zeitlichen Rahmenbedingungen des Projektes sollten so gestaltet werden, dass die kunsttherapeutischen Interventionen als eigenständige Prozesse wirksam werden können. * „Asylwerber“ - in Österreich gebräuchlich für Asylbewerber (D) bzw. Asylsuchende (CH) Fotos: Iris Ullmann 138 | mup 4|2015 Baldeo, Waas - Kunst und Pferd ■ Die Interaktion zwischen Reittherapie und Kunsttherapie sollte in der Durchführungsphase am Reithof sowohl inhaltlich wie methodisch synchronisiert werden. ■ Die strukturellen Rahmenbedingungen sollten räumliche Vielfalt bieten, in der Pferd und Kunst sich abwechselnd interaktiv begegnen oder sich eigenständig entfalten können. ■ Das Team sollte den Anforderungen eines Therapieprojektes mit der speziellen Zielgruppe entsprechen und die Bereitschaft zum interdisziplinären Dialog zwischen u. a. Psychotherapie, Reittherapie und Kunsttherapie als dynamisches Element des Konzeptes befürworten. Vorbereitung Im Winter 2013 wurden die Vorbereitungen für das neu konzeptionierte Kunst- und Reittherapieprojekt für Flüchtlingskinder gestartet. Das Projekt bewarb sich erfolgreich bei einem Reithof (Reitstall Gnadenwald) mit bereits eingebundener reittherapeutischer Infrastruktur. Die Anlage verfügte über eine Halle, eine kleinere „Spielhalle“ und zwei Reitplätze. Um den Hof herum waren unterschiedliche Erholungsräume inklusive eines großen Stüberls mit Küche. Der Betrieb umfasste auch Sportreiten, allerdings wurde für die Projektzeiten die gesamte Anlage zur Verfügung gestellt. Die vier Therapiepferde des Hofes entsprachen allen Erfordernissen und wurden mit angemietet. In Kooperation mit dem Institut für Kunsttherapie und Lebensberatung KG konnten zwei Kunsttherapeutinnen in Ausbildung für eine qualifizierte Erweiterung des Teams gewonnen werden. Die Qualitätssicherung wurde von der Institutsleiterin in Form von projektbegleitender Supervision für ihre Ausbildungskandidatinnen übernommen. Für den Bereich der Kunsttherapie wurde eine eigenständige und tragende Rolle im Projekt konzipiert. In Anlehnung an die dokumentierte Prozessgestaltung im Pilotprojekt 2013 wurde den Kunsttherapeutinnen die Aufgabe der Gruppenbildung für das Team und die Kinder vor Beginn der Tätigkeiten am Reiterhof sowie die Gestaltung des Projektendes als Veranstaltung im Zentrum Ankyra, übertragen. Die Planung der Interaktion zwischen psychotherapeutisch orientierter Reittherapie und Kunsttherapie stellte die größte Herausforde- Baldeo, Waas - Kunst und Pferd mup 4|2015 | 139 rung dar. Das Konzept der „Triangulierung“ bot vielschichtige Korrelationsmöglichkeiten. In der Psychologie beschreibt Triangulierung das Hinzutreten eines Dritten zu einer Zweierbeziehung. Diese Konstellation ist Element der pferdeunterstützten Therapie, in der das Pferd als dritte Partei die herkömmliche therapeutische Dyade durchbricht und als Übergangsobjekt bzw. Intermediärobjekt (Rahm u. a.1993, 423) für seelische Inhalte dient. In der Kunsttherapie wird die Ebene zwischen Therapeut und Klient durch die Gestaltung erweitert. Die Hinzunahme der Kunst ergibt in der Triangulierung eine dritte Ebene, die es dem Klienten ermöglicht, ohne Worte schwierige Lebensumstände zu bearbeiten und sich wirksam zu entlasten. Sowohl in der Kunsttherapie als auch in der Reittherapie werden im Beziehungsdreieck Interventionen auf sachlicher, emotionaler und thematischer Ebene (Schleehauf 2010, 64) zwischen allen Akteuren ausgetauscht, auch in Form komplexerer sozialer Gruppendynamiken. Die Präsenz dieses hinzukommenden Dritten - Pferd / Gestaltung - ist von sinnlicher Art, denn sie ist gegenständlich, visuell und haptisch wahrnehmbar. Um sie dreht sich das hauptsächliche Geschehen und Verstehen (Dannecker 2010, 127). Als relevante Gemeinsamkeiten therapeutischen Handelns wurden weiter hervorgehoben ■ der Schwerpunkt der nonverbalen Kommunikationsfähigkeit; ■ die kulturelle Allgemeingültigkeit des Mediums, womit zwischen den Kulturen eine verbindende Sprache geschaffen wird (Breuer-Umlauf, 2010); ■ die Arbeit in einem wertfreien, vorurteilsfreien Gestaltungs- und Bewegungsdialog; Abbildung 1: Triangulierung Triangulierung Kind Kind Pferd Psychotherapeut Bild Kunsttherapeut Wahrnehmung  Eindruck  Ausdruck 140 | mup 4|2015 Baldeo, Waas - Kunst und Pferd ■ die Aktivierung von Handlungskompetenzen; ■ das Erschaffen neuer Erlebnisinhalte, die Förderung von Potenzialen und Ressourcen; ■ die Intervention „Hinter dem Widerstand“ als geschützter Zugang zu traumatischen Inhalten. Nachdem eine grundsätzliche methodisch-inhaltliche Kompatibilität für die Zielformulierungen gefunden worden war, konnte der zeitliche Rahmen so angepasst werden, dass Themenblöcke für jeden Termin formuliert wurden, die jeweils eine kunsttherapeutische und eine reittherapeutische Ausführungsform hatten. Die Themenblöcke wurden so gestaltet, dass das Element Kunst und das Element Pferd bei jedem Termin abwechselnd im Vordergrund bzw. im Hintergrund blieben. So wurde definiert, welches Medium zur Umsetzung eines Themenziels methodisch geeigneter erschien. Klar definiert war auch, dass die Pferde sowie die kreativen Medien für die Kinder immer als Bestandteil des Gesamtgeschehens wahrnehmbar sein sollten. Durchführung Nach der Ausschreibung für das Projekt im Juni 2014 wurden 9 Kinder im Alter zwischen sieben und dreizehn Jahren aus verschiedenen Flüchtlingsheimen in Tirol in die Gruppe aufgenommen. Kriterien für die Teilnahme waren ein von den Eltern und / oder vom Betreuungspersonal der Heime wahrgenommener psychotherapeutischer/ pädagogischer/ ergotherapeutischer Bedarf der Kinder. Im Rahmen von Elterngesprächen wurden Stammdatenblätter der Kinder erstellt, in denen wesentliche Problembereiche und Ressourcen der Kinder dokumentiert wurden. Die Zeitstruktur wurde auf insgesamt acht Termine à drei Stunden festgelegt. Beginn und Abschluss der Gruppe fanden in den Räumlichkeiten des Zentrums Ankyra statt, die anderen Termine wurden am Reithof durchgeführt (siehe Tab. 2). Das Therapeutenteam bestand aus drei Reittherapeuten mit Assistenten und zwei Kunsttherapeuten. Fazit Das Projekt Reittherapie mit Flüchtlingskindern konnte sich inhaltlich entwickeln dank des Engagements des Teams, der Konstanz der Vermittlungspartner und der Beständigkeit in der Nachfrage der Flüchtlingskinder und deren Familien, am Angebot teilnehmen zu Tab. 1: Stammdaten Gruppenprofil Anfragen 14 Aufnahme 9 Mädchen 3 Buben 6 Alter zwischen 7 und 13 Jahren Kinder mit körperlicher Behinderung 2 Kinder mit Entwicklungsstörung 1 (ICD 10, F83) Herkunftsländer Russ. Föderation: 7 Armenien: 2 Aufenthaltsstatus Asylwerber: 9 Wohnsituation Flüchtlingsheim: 9 in Österreich seit 2010: 1 2012: 3 2013: 5 Deutschkompetenz mittel-sehr gut: 8 Gebärdensprache: 1 Anamnese: Depressive Einbrüche, nächtliches Aufschreien, Albträume, Angstphantasien, Unruhe, Zornausbrüche, Scham, diagnostizierte Traumasymptomatik, Retraumatisierung nach Silvesterböller, eingeschränkte soziale Kontakte, gemindertes Selbstwertgefühl, Aggressivität, Überforderung, psychische Belastung / Traumasymptomatik bei mind. einem Elternteil, Gewalt in der Familie Ziele / Wünsche der Eltern: abschalten, rauskommen aus dem Heim, sich freuen, Erholung, alles mitmachen können, Kontakt zu anderen Kindern finden, sich öffnen, entspannen können, gruppenfähiger werden, Vorbild an anderen Kindern finden, Stabilisierung, Förderung, Strategien zur Angstbewältigung lernen, selbständiger werden, Kontakt zu Tieren erleben, ruhige Beziehungen erleben, wieder reiten können, Freude an Pferden leben Baldeo, Waas - Kunst und Pferd mup 4|2015 | 141 wollen. Rückmeldungen der Eltern ergaben eine beobachtbare Nachhaltigkeit der Intervention, das Angebot wurde vom Betreuungspersonal der Heime nach jeder Ausschreibung als sinnvoll und individuell wirksam beschrieben. Diese Entwicklungen im Projekt Kunst- und Reittherapie waren aufgrund der Vielfalt der Variablen schwer zu dokumentieren. Mit Hilfe der Fotodokumentation konnten Einblicke in den Prozessverlauf sowohl der Gruppe wie auch von einzelnen Kindern ergänzend zu den Protokollen festgehalten werden. Dieses Material zu evaluieren wäre erstrebenswert und könnte als Bestandteil des Projektes 2015 in Betracht gezogen werden. Das Zusammenspiel zwischen Reittherapie und Kunsttherapie wurde von den Kindern gut angenommen. Jedes Kind zeigte einen individuellen Zugang zu den unterschiedlichen Reizen, konnte und durfte sich unterschiedlich stark von dem Pferd oder der Kunst angesprochen fühlen. Vor allem in den Bildern wurden traumatische Erfahrungen der Kinder sichtbar, diese Dynamik wurde durch das Gruppengeschehen getragen. Die Einheiten mit dem Pferd entfalteten ihren restaurativen Charakter auf der Beziehungsebene. Im Zusammenspiel wurden Selbstheilungsfaktoren mit Nachhaltigkeitspotenzial aktiviert. Das Kunst- und Reittherapieprojekt 2015 ist in Vorbereitung. Kinder aus Armenien, Bangladesch, Syrien, der Ukraine sowie Staatenlose werden daran teilnehmen und das Projekt mit ihren Erfahrungen bereichern. Literatur ■ Baldeo, C., Schlichtmeier, V. (2010): Reittherapie für Flüchtlingskinder. Mensch und Pferd international 2, 52-62, http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ mup2010.art04d ■ Becker, D. (2006): Die Erfindung des Traumas - verflochtene Geschichten. Psychosozial, Freiburg ■ Breuer-Umlauf, M. (2008): Kunsttherapie bei traumatischer Kindheit - Migrations- und Flüchtlingskinder. In: Martius, P., von Spreti, F., Henningsen, P. (Hrsg.): Kunsttherapie bei psychosomatischen Störungen. Urban & Fischer, München ■ Butollo, W., Krüsmann, M., Hagl, M. (1998): Leben nach dem Trauma. Über den therapeutischen Umgang mit dem Entsetzen. J. Pfeiffer, München ■ Dannecker, K. (2010): Psyche und Ästhetik. Die Transformation der Kunsttherapie. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin ■ Petzold, H. (1993): Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden für eine schulenübergreifende Psychotherapie. Klinische Theorie. Junfermann, Paderborn ■ Rahm, D., Otte, H., Bosse, S., Ruhe-Hollenbach, H. (1993): Einführung in die Integrative Therapie. Grundlagen und Praxis. Junfermann, Paderborn ■ Schleehauf, K. (2010): Wege und Möglichkeiten in der pädagogisch-therapeutischen Arbeit mit dem Medium Pferd für Mädchen mit Gewalterfahrung. Dissertation, Technische Universität Berlin Die Autorinnen Claudia Baldeo Psychologin, Psychotherapeutin, Supervisorin, angestellte Psychotherapeutin im Zentrum für interkulturelle Psychotherapie Ankyra - Diakonie Flüchtlingsdienst, Reittherapeutin SG-TR. Renate Waas Kindergartenpädagogin, Dipl. Kinder-, Jugend- und Erziehungsberaterin, Dipl. Lebensberaterin, Dipl. Mal- und Gestaltungstherapeutin, Systemisch- Kunsttherapeutische Supervisorin, Obfrau MOMITAS - MObile MIgranten TAgesStruktur. Anschriften: Claudia Baldeo · Renate Waas Zentrum Ankyra · Müllerstrasse 7 · A-6020 Innsbruck office@aequisenses.at · info@kunsttherapie-tirol.at www.diakonie.at/ fluechtlingsdienst www.kunsttherapie-tirol.at 142 | mup 4|2015 Baldeo, Waas - Kunst und Pferd Tab. 2: Prozessverlauf im Überblick Termin 1, Gruppenraum ANKYRA Termin 2, Gruppenraum ANKYRA Termin 3, am Reithof Termin 4, am Reithof Teambildung Kinder Teambildung Gesamtteam und Kinder Teambildung „Wir“ und Pferde Spüren, Vertrauen, Stabilität Themen Kennenlernen der Kinder untereinander, Gruppendynamik erfassen, Gemeinschaft bilden Kennenlernen Kinder und Gesamtteam, Gemeinschaft bilden, Kleingruppen vorplanen Kontakt, Begegnung mit Pferden und ihrem Lebenskontext, Umgang mit Wesen Pferd kennen lernen Schärfung der Selbst- und Fremdwahrnehmung, Sich und den Anderen spüren, Vertrauen zu sich und dem Anderen aufbauen Methodischer Schwerpunkt Kunsttherapie Kunsttherapie Reittherapie Kunsttherapie und Reittherapie Aktivitäten Reittherapie Keine leitende Psychotherapeutin und Reittherapeutin anwesend Pferde- und Stallbedarfsartikel als Einleitung zu Pferden präsentieren, Material kreativ erkunden lassen, Fotos der Pferde als Vorbereitung für den Erstkontakt benützen Hofrunde, Orientierung schaffen, den Kontext mit allen Sinnen wahrnehmen und erfassen lassen, Kennenlernen, Aussuchen des Therapieponys, Holen und Putzen anleiten, auf Sprache der Pferde sensibilisieren, Sicherheitsverhalten implementieren Die Reittherapie ist der zweite Programmpunkt im Termin, übernimmt die Themen des Spürparcours und überträgt sich auf das Führen und das geführte Reiten. Der Balanceparcour wird mit Unterstützung des Pferdes gemeistert, das Vertrauen durch Reiten unter einer Decke oder mit verbundenen Augen ausprobiert. Spüren, wie das Pferd sich bewegt und den eigenen Körper in Schwingung spüren, wird erkundet. Kompetenzerfahrung durch Führen wird stärkend aufgenommen. Aktivitäten Kunsttherapie Kreativmaterial erkunden, T-Shirts und Stofftaschen bemalen, mit Regenbogen als Gruppensymbol experimentieren Grosse Kartonplatten werden mit Symbol Regenbogen, Umrisse der Hände aller Anwesenden und Kreativmaterial gestaltet. Die Fotos der Pferde und Tiersticker werden eingeflochten. Einzelarbeit und ineinandergreifende Gestaltung werden angeleitet Ein Basteltisch unmittelbar neben dem Putzplatz bietet Material, um für Pferde und sich selbst Schmuck zu gestalten. Die Kunsttherapeutinnen geben praktische Hilfe, wie das Material angefertigt und am Pferd angebracht werden kann. Es wird ein Spürparcour in der Reithalle aufgebaut. Schachteln mit unterschiedlichem Material (Gras, Kies, Fell) werden barfuss begangen, sinnlich erfasst. Bereiche mit Balanceaufgaben werden mit verbundenen Augen und geführt begangen. Betreuer und Kinder nehmen gleichwertig teil, Erwachsene und Kinder vertrauen und führen gleichermassen. Modulation von Reizen und Kommunikationsmöglichkeiten werden im Spürparcour erforscht Wechselwirkung Symbol Regenbogen soll als Bogen verbindend, in der Farbenvielfalt kulturübergreifend über das ganze Projekt präsent sein (T-Shirts und Stofftaschen als durchlaufende Projektkleidung und Utensil) Betreuerteam und Kinder finden eine gemeinsame Sprache über die kreative Tätigkeit. Ausdruck mit Form und Farben um sich darzustellen. Die freie, phantasierte Begegnung mit dem Pferd lässt die Kinder sich und ihre Bezugswünsche zum Pferd zeigen. Interventionsmöglichkeiten für einzelne Kinder werden deutlicher. Das „Wir-Gefühl“ wird durch das gemeinsame Hoferkunden durchgehend aufrecht gehalten. Die Integration der Pferde in die Gruppe geschieht in der Wechselwirkung zwischen Pferdearbeit und Schmücken. Das Schmücken unterstützt die Kinder, ihre eigene Form/ Tempo für die Annäherung zum Pferd zu bestimmen. Sich und das Pferd schmücken wird zu einem individuellen Einstiegsritual Kind-Pferd. Den Kindern werden unterschiedlichste Zugänge zu Selbst- und Fremdwahrnehmung geboten. Der bewegte Kreativteil eröffnet die Wahnehmung des eigenen Leibes noch ohne den zusätzlichen Aufforderungscharakter des Pferdes. Die Ausrichtung ist noch nach Aussen, im sicheren Bereich der Gruppe. Die Einheiten mit dem Pferd vertiefen die Erfahrung durch das sinnlichleibliche Wechselspiel, es werden tiefere Ebenen des Spürens eröffnet. Die Wiederholung auf verschiedenen Erfahrunsebenen fördert Erfassen/ Verstehen auf der Bewusstseinsebene. Baldeo, Waas - Kunst und Pferd mup 4|2015 | 143 Termin 5, am Reithof Termin 6, am Reithof Termin 7, am Reithof Termin 8, Gruppenraum ANKYRA „Ich“ Ausritt Wohlfühlwelt mit dem Pferd Erinnerung Themen Entwerfen eines positiven Selbstbildes Entspannung, Pflege persönlicher Bezüge, Gemeinschaft leben, Therapeutinnen können Interaktion individueller gestalten Rückblick auf das gemeinsam Erlebte gestalten, das Erlernte mit und rund ums Pferd nochmals erleben und zeigen, Wertschätzung erfahren und geben, Abschied nehmen Nachspüren, den guten Abschluss finden Methodischer Schwerpunkt Kunsttherapie Reittherapie Kunsttherapie und Reittherapie Kunsttherapie Aktivitäten Reittherapie Im Vordergrund steht eine Kreativübung für die die Pferde als Helfer dienen. Die Kinder führen die Pferde in die Halle, wo sie reitend mit ihrem Helferpferd wiederholt Papierstreifen von einer Wäscheleine holen. Sie reiten zu ihrem Körperbild und wechseln das Setting. Das Pferd wird anschliessend zum fertigen Ich-Bild geführt. Die erworbenen Kompetenzen Holen- Putzen-Satteln der Pferde werden von den Kindern fast selbständig durchgeführt. Das Reiten und Führen wird von den Kindern abwechselnd absolviert und kann für das Sammeln von Naturobjekten auch den Betreuern übergeben werden. Der Erlebnisraum Natur wird mit dem Pferd erkundet, das Wesen Pferd neu entdeckt. Es wird ein Parcours mit sechs Stationen aufgebaut, jede Station greift Elemente der Tagesthemen vom Projekt auf. Balancieren mit Hilfe des Pferdes - Thema Kontakt, Vertrauen. Slalomreiten - Thema Stabilität,Vertrauen, Kommunikation. Bälle in Kübel zielen - Balance, Stabilität, Körperbewusstsein. Süssigkeiten pflücken - Sammeln, Versorgen. Eine Fotoshow aus drei der Reittherapietermine wird mit den Kindern angeschaut. Als Abschlussgeschenk bekommt jedes Kind eine personalisierte Fotokollage. Aktivitäten Kunsttherapie An der Gassenwand wird für jedes Kind ein Plakat geklebt. Darauf werden die Körperumrisse aufgezeichnet. Anleitung ist, die bunten Papierbögen in der Halle als Collagematerial zu holen und die Körperumrisse mit Papier und Farben zu gestalten. Das Thema „Ich“ darf frei ausgeführt werden, Anleitung ist sprachlich schwierig. Das Pferd ist Helfer und Gefährte „seines“ Kindes. Keine Kunstherapeutin anwesend. Basteltisch und Kreativmaterial stehen der Gruppe zur Verfügung, um beim Ausritt gesammeltes Material dekorativ zu gestalten. Dieses wird von den Kindern mitgenommen. Station 5, Übung 6: Malen vom Pferd aus - jedes Kind fügt Farbstriche auf einen grossen Karton an der Hallenwand bei, bis der Regenbogen entsteht. Reitend ein Hufeisen übernehmen, dieses wird im Abschluss mit Wollfäden umwickelt. Eine Vertrauensübung mit Gummiseil konsolidiert alle Anwesenden nochmals als Gruppe. Bretter mit den Unterschriften des Betreuerteams werden von den Kindern geschmückt, es entsteht ein letztes Gemeinschaftswerk, das die Kinder mitnehmen können. Die Kunsttherapeutinnen schenken den Kindern Regenbögen aus Fimo. Wechselwirkung In dieser Themensequenz interagieren Kunst und Pferd auf verschiedenen Ebenen. Kind und Pferd arbeiten als Team für die Aufgabe, dabei werden erworbene Kompetenzen gestärkt. Im Prozess der kreativen Selbstdarstellung fungiert das Pferd als emotionale Stütze, als Intermediärobjekt. Trotz Abwesenheit der Kunsttherapeutinnen soll die Kreativität als Element der Gruppensprache präsent bleiben. Der Bezug zu den abwesenden Personen als Teil der Gemeinschaft soll durch das „Hinterlassene“ positiv spürbar sein. Der Abschlussparcours integriert alle Elemente der Kunst- und Reittherapie. Der Wechsel von einem Medium zum anderen ist fliessend, Kunst und Pferd werden von den Kindern als Einheit wahrgenommen und beansprucht. Die Bandbreite der Ausdruckmöglichkeiten bietet Raum für Individualität in der Gemeinschaft. Der Abschluss leitet über vom leiblich-sinnlichen Bewegungsdialog in die kreative Distanzierung. Hiermit werden wesentliche Wirkfaktoren der therapeutischen Arbeit mit Kunst und Pferd aufgegriffen. Die Symbolkraft des Pferdes und der künstlerischen Gestaltung werden von jedem Kind inividuell geformt und internalisiert.