eJournals mensch & pferd international 8/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2016.art02d
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Professionelles Coaching mit Pferden

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2016
Anette Dielmann
Luise Lohkamp
Der Einsatz von Pferden für Menschen in Entwicklungsprozessen ist seit vielen Jahren bewährt. Mit Beginn der 2000er Jahre haben Pferde auch im Lernprogramm von Organisationen Einzug gehalten, etwa als Sparringspartner für Führungskräfte und Experten. Das Feedback eines Pferdes – übersetzt von einem menschen- und pferdekundigen Coach – ist hocheffizient und wirksam gerade für Führungskräfte der Top-Ebenen, die nur selten absichtsloses Feedback erhalten. Doch was ist eigentlich Coaching? Und wie kann ein Coaching-Prozess mit Pferden gestaltet werden? Im folgenden Beitrag wird diesen Fragen nachgegangen, es werden Anwendungsfelder und Methodeneinsätze aufgezeigt und pferdegestütztes Coaching an Beispielen verdeutlicht.
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4 | mup 1|2016|4-13|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2016.art02d Anette Dielmann, Luise Lohkamp Schlüsselbegriffe: Integrierte Professionalität, Professionelle Autonomie, Persönlichkeitsentwicklung, Erweiterung des beruflichen Verhaltensrepertoires, Hilfe zur Selbsthilfe, Systemische Transaktionsanalyse Der Einsatz von Pferden für Menschen in Entwicklungsprozessen ist seit vielen Jahren bewährt. Mit Beginn der 2000er Jahre haben Pferde auch im Lernprogramm von Organisationen Einzug gehalten, etwa als Sparringspartner für Führungskräfte und Experten. Das Feedback eines Pferdes - übersetzt von einem menschen- und pferdekundigen Coach - ist hocheffizient und wirksam gerade für Führungskräfte der Top-Ebenen, die nur selten absichtsloses Feedback erhalten. Doch was ist eigentlich Coaching? Und wie kann ein Coaching-Prozess mit Pferden gestaltet werden? Im folgenden Beitrag wird diesen Fragen nachgegangen, es werden Anwendungsfelder und Methodeneinsätze aufgezeigt und pferdegestütztes Coaching an Beispielen verdeutlicht. Hintergründe - Weiterbildung - Methoden Professionelles Coaching mit Pferden Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden mup 1|2016 | 5 Was ist Coaching? - Begriffsdefinition Coaching Ursprünglich bezeichnete der Begriff „Coach“ eine Kutsche, später auch den Kutscher. Die Aufgabe des Kutschers, seine Pferde zu lenken und zu leiten, wurde auf die Rolle des Coachs in Beratungskontexten übertragen (Rauen 2014). Im 19. Jahrhundert gab es „Coachs“ an Universitäten, die andere auf Prüfungen, spezielle Aufgaben und sportliche Wettbewerbe vorbereiteten. Unter Coaching wird heute die Begleitung von Menschen im beruflichen Kontext mit dem Ziel der Persönlichkeitsentwicklung und der Erweiterung des beruflichen Verhaltensrepertoires, also des Selbstmanagements, von Führungskräften und Experten verstanden. Die beiden Funktionen von Coaching, Personalentwicklung und Unterstützung im Beruf, gilt es bei Menschen zu realisieren, die in unterschiedlichen Organisationstypen und auf verschiedenen Hierarchiestufen mit Führungs- oder Expertenaufgaben betraut sind. Merkmale von Coaching-Prozessen Professionelle Coachingansätze haben die folgenden Merkmale: ■ Freiwilligkeit und der Entwicklungswunsch der Klienten sind Voraussetzungen. ■ Vertraulichkeit hat oberste Priorität. ■ Der Coach agiert aus einer Rolle, die Neutralität ermöglicht. ■ Basis ist ein tragfähiger Coaching-Vertrag, dem alle Beteiligten zustimmen können. ■ Der Vorgesetzte des Klienten kann unter Wahrung der Vertraulichkeit in bestimmte Elemente des Coaching-Prozesses eingebunden sein. ■ Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den Klienten, die Prozessverantwortung beim Coach. ■ Die Fragestellungen der Klienten werden im Kontext ihrer Fertigkeiten, ihrer Person, ihrer Interaktion mit anderen sowie ihrer Organisation behandelt, um eine ganzheitliche Bearbeitung ihrer Themen zu gewährleisten. ■ Methoden und Interventionen werden mit dem Ziel eingesetzt, die Klienten zu unterstützen, eigene angemessene Impulse und Lösungen für ihre Fragestellungen zu entwickeln (Hilfe zur Selbsthilfe). ■ Ein Coaching-Prozess besteht aus mehreren Phasen. Coaching ist keine „Allheilmethode“. Coaching macht keinen Sinn, wenn die Freiwilligkeit des Klienten nicht herstellbar ist, Coaching in erster Linie der Imageförderung dient, dem Coach Managementaufgaben übertragen werden, die Zielsetzungen des Auftrages unrealistisch oder unethisch erscheinen oder der Coach seine Neutralität nicht gewährleisten kann. Um sicherzustellen, dass im Einzelfall Coaching das passende Instrument ist, wird viel Wert auf eine gründliche Auftragsklärung gelegt. Abgrenzung verschiedener Beratungsansätze Neben Einzel-Coaching werden Gruppen- oder Team-Coaching-Maßnahmen unterschieden. Beim Gruppen-Coaching kommen Klienten zusammen, die vergleichbare Rollen innehaben, und reflektieren gemeinsam ihre Rollen-Herausforderungen. Bei einem Team-Coaching holt sich ein disziplinarisch zusammenarbeitendes Team inklusive Teamleiter Unterstützung, um sich als Team in strategischer, struktureller oder auch kultureller Hinsicht weiterzuentwickeln. Wir unterscheiden Coaching von anderen Beratungsansätzen wie Supervision, Kollegialer Beratung und Mentoring. Die Abgrenzung zur Therapie ist hierbei besonders wichtig; Therapie hat Heilung zum Ziel und kann beispielsweise mit regressiven Methoden arbeiten. Im Coaching geht es nicht um Heilung, sondern um das Erkennen von funktionalen und dysfunktionalen Mustern sowie den Umgang hiermit im beruflichen Kontext. 6 | mup 1|2016 Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden Was macht einen guten Coach aus? Ein guter Coach bringt seinem Klienten mehr Professionalität (Mohr 2008, 20 f) durch mehr Achtsamkeit, Flexibilität und Beziehungsfähigkeit, die der Klient sich zu eigen macht, wodurch er an Selbststeuerungskompetenz gewinnt. Der Coach braucht ein gut handhabbares Modell, wie Denken, Fühlen und menschliches Verhalten überhaupt und im Kontext von Organisationen funktioniert. Die Systemische Transaktionsanalyse bietet dies in idealer Form, da Verhalten, Denken und Gefühl ebenso wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftserwartungen im Beratungsansatz verbunden sind. Darüber hinaus ist die Transaktionsanalyse seit über 50 Jahren in praktischer Erprobung und Weiterentwicklung und integriert weitere beraterisch relevante Grundkonzepte (Mohr 2008, 72). Wie wird man ein guter Coach? Es gibt eine Vielzahl von Angeboten, die Professionalität als Coach versprechen. Berufsverbände wie DBVC (Deutscher Berufsverband Coaching e. V.), EASC (European Association for Supervision and Coaching), EATA / ITAA (European / International Association for Transactional Analysis) und weitere haben Standards erarbeitet. Gemeinsam ist diesen 1. als Voraussetzung ■ ein abgeschlossenes (Fach-)Hochschulstudium der Psychologie, Sozialwissenschaft, Betriebswirtschaft sowie weiterer relevanter Fachrichtungen oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem Feld, in dem Beratungswissen und -befähigung benötigt werden, außerdem ■ die Bereitschaft und Fähigkeit, sich den Anforderungen einer etwa dreibis vierjährigen Weiterbildung in anerkannten Beratungsmethoden zu stellen und 2. sich durch Theorie und Methoden, Selbsterfahrung, Lehrsupervisionen und Intervision das erforderliche Grundlagenwissen als Coach anzueignen, 3. in Form von Coaching-Stunden Berufserfahrung zu gewinnen, Unsicherheiten zu klären und durch zunehmende Integration von Theorie Professionalität zu entwickeln. Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden mup 1|2016 | 7 Je nach Vorausbildung und Berufserfahrung sollte man zwischen zwei und fünf Jahre investieren, wenn man gutes Coaching betreiben möchte; das schließt die Bereitschaft ein, sich auch nach einer Ausbildung weiter zu qualifizieren. Das A und O ist für uns eine ethisch fundierte und integrierte Haltung als Coach, die von Respekt, dem Willen zur Befähigung, Schutz, Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit in der Beziehung geprägt ist. Methoden im Coaching Die Methoden im Coaching sind vielfältig. Für die Diagnose und Lösungsentwicklung können beispielsweise transaktionsanalytische sowie systemische Methoden und Interventionen eingesetzt werden. Einzel-Coaching Je nach Thema, Vertrag und Bereitschaft des Klienten werden z. B. die folgenden Methoden eingesetzt: ■ Gespräch ■ Fragebogen ■ Rollenspiele ■ Arbeiten mit Modellen, Konzepten ■ Organisationsaufstellungen ■ Stuhlarbeit ■ Visionsentwicklung als eine Geschichte in der Zukunft: einen Tag im Jahr X ■ Bewegungsübungen ■ Experimente ■ Coaching-on-the-job ■ Arbeit mit Pferden Team-Coaching Unabhängig vom Einsatz einer Methode ist die oberste Prämisse in Team- Coachings, dass die Führungskraft gestärkt und nicht geschwächt wird. Das bedeutet, dass der Coach den Prozess zwar anleitet, aber die Führung weiterhin bei der Führungskraft belässt. Die Notwendigkeit, die Führungskraft des jeweiligen Teams zum Führungshandeln einzuladen, ist bei der Auswahl der Methode relevant. Je nach Thema, Vertrag und Bereitschaft des Klienten werden z. B. die folgenden Methoden eingesetzt: ■ Rückblick in die Vergangenheit auf Flipchart ■ Visionsentwicklung ■ Teamaufstellungen ■ Zielvereinbarungen unter Moderation der Führungskraft ■ Konfliktmoderation im Team ■ Feedback ■ Outdoor-Elemente, beispielsweise die Arbeit mit Pferden Coachingmethode: Lernen mit Pferden Pferde eignen sich grundsätzlich als „Co-Coach“, sofern gewisse Voraussetzungen gegeben sind: ■ Die eingesetzten Pferde müssen mindestens grundausgebildet (z. B. gut halfterführig), mit dem Menschen vertraut und von so guter Gesundheit sein, dass sie die abverlangte Leistung willig und freudig erbringen können. ■ Sie sollten artgerecht aufgezogen und gehalten werden, da sie nur dann ihr kommunikatives Geschick voll ausbilden und ihr arttypisches Verhaltensrepertoire entwickeln können; beides Faktoren von großer Bedeutung für den Einsatz im Coaching. Unter einer artgerechten Aufzucht und Haltung wird in diesem Kontext die vollumfängliche Erfüllung der Grundbedürfnisse aller Pferde nach Licht, Luft, Bewegung und sozialen Kontakten, wie sie etwa durch die Gruppen-Auslaufhaltung gewährleistet wird, verstanden. ■ In Größe und Kaliber sind Extreme zu vermeiden; vorteilhaft sind Pferde von mittlerer 8 | mup 1|2016 Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden Größe und Kaliber, da sie bei Pferde-Unkundigen Vertrauen erwecken und einen Umgang auf Augenhöhe ermöglichen. Allzu große und schwere (Kaltblut), sehr kleine und leichte (Mini-Shetty) oder ausgesprochen schreckhaft-temperamentvolle Pferde sind wenig geeignet, letztere auch aus Sicherheitsgründen. ■ Vorteilhaft ist es, wenn der Coach auf in Alter (jung / alt), Geschlecht (Wallach / Stute) und Temperament/ Charakter (fleißig-vorauseilend bis phlegmatisch-unmotiviert) unterschiedliche Pferde zurückgreifen kann, um im Coaching-Prozess verschiedene Situationen durchspielen zu können und den Klienten mit unterschiedlichen „Sparringspartnern“ zu konfrontieren. ■ Eine spezielle Ausbildung ist nicht vonnöten, die Pferde sollten allerdings mit vielen Bodenarbeitstechniken vertraut sein. ■ Ungeeignet sind kranke, müde / erschöpfte Pferde, zum Austreten oder überdurchschnittlich starkem / häufigem Scheuen neigende Individuen sowie dem Menschen gänzlich desinteressiert oder völlig respektlos (Umrennen …) begegnende Pferde. Aus Sicht der Autorinnen eignen sich vielseitig und sachkundig ausgebildete Islandpferde und Quarter Horses besonders gut für Coaching- Maßnahmen. Beispiel 1: Einzel-Coaching mit Pferden Der Klient, der einen Tag „Leadership Coaching am Pferd“ gebucht hat, arbeitet in einem dienstleistenden Unternehmen. Er ist erfolgreich in seinem Job, findet sich selbst zu gutmütig und möchte an seiner Klarheit und Durchsetzungsfähigkeit arbeiten. In einer Übung soll der Klient das Pferd am Seil langsam und schnell führen, um dann anschließend zu stoppen. Das Pferd soll freiwillig folgen und genau dann stoppen, wenn der Klient es vorgibt. In dieser Übung zeigt sich ein frappierender Unterschied in der Führungsarbeit des Klienten bei den beiden eingesetzten Pferden. Während er bei der jungen Stute mit klaren Signalen führt, das Pferd ihm freiwillig folgt und problemlos auf sein Signal hin stoppt, zeigt sich ein völlig anderes Bild bei der älteren Stute. Sie folgt dem Klienten eher unwillig und lässt sich unmotiviert hinterherzerren. Zunächst passt sich der Klient dem Tempo des Pferdes an. Auf meine Frage, wer gerade führt, antwortet er: „Das Pferd“. Daraufhin probiert er, das Pferd zu aktivieren, indem er es mit körperlicher Kraft zieht. Dieses wird keineswegs schneller, das Ganze sieht anstrengend und wenig elegant aus. Auf meine Frage, wie es ihm gehe, antwortet der Klient: „Ich bin genervt und frustriert. Was ich auch tue, es klappt nicht. Genauso fühle ich mich oft im Job: Ich will nur das Beste für meine Mitarbeiter, passe mich ihren Wünschen an. Und wenn ich sie dann mal brauche, muss ich ziehen und zerren und nichts passiert. Am Ende bin ich immer enttäuscht.“ Spannend hierbei ist der Unterschied in der Klarheit der Führungsrolle zwischen der jungen und der älteren Stute. In der Coachingeinheit zwischen den Pferdeübungen möchte der Klient das Thema Gutmütigkeit und dessen Wurzeln in seiner Historie beleuchten. Er beschreibt, wie er früh seinen Vater verloren und als einziger Sohn emotionale Verantwortung für die Mutter übernommen hat. So hat er früh gelernt, sich eher an den Bedürfnissen und Wünschen der Bezugsperson zu orientieren und sich in der Verantwortung selbst zu überfordern. Hier kann das Konzept der psychologischen Spiele hilfreich sein, um die sich beim Klienten zeigende Dynamik zu beschreiben. Die Definition von Spielen nach Berne (1970, 57) lautet: „Ein Spiel besteht aus einer fortlaufenden Folge verdeckter Komplementär-Transaktionen, die zu einem ganz bestimmten voraussagbaren Ergebnis führen.“ Mit Spielen sind in der Transaktionsanalyse dysfunktionale Kommunikationsmuster gemeint. Die Spieler verhalten sich während eines Spieles gemäß ihrem Lebens-Skript und bestätigen sich ihr Bild über sich selbst, die Welt Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden mup 1|2016 | 9 oder den anderen. Spiele ergeben sich aus ungelösten symbiotischen Beziehungen, bei denen jeder Spieler sowohl sich selbst als auch den Mitmenschen abwertet. Ein Spiel ist der Versuch, eine ungesunde Symbiose aufrechtzuerhalten oder eine Reaktion gegen eine Symbiose. Bereits Karpman (1968) beschreibt mit der Theorie des Dramadreiecks Rollen und Dynamiken psychologischer Spiele. Alle drei Rollen (Verfolger-, Opfer- und Retterrolle) sind durch die Abwertungen der in Beziehung-Tretenden bestimmt. Der Klient erkennt, dass er früh gelernt hat, gegenüber seiner Mutter eine Retterrolle zu übernehmen. Sie hat auf einer lebenspraktischen Ebene zwar die Familie mit ihm und seinen beiden Schwestern erfolgreich organisiert, auf einer emotionalen Ebene aber fühlte sie sich hilflos, schwach und vom verstorbenen Mann alleingelassen. Der Klient hat in der Retterrolle viel Bestätigung und Zuwendung bekommen, sich allerdings in der emotionalen Verantwortung für die Mutter auch stark überfordert. Da der Klient seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse eher unterdrückt, hat er wenig Erfahrung damit gemacht, diese zu äußern und sich zu erfüllen, besonders wenn er Menschen um sich hat, die ihm wichtig oder die bedürftig sind. Hier zeigt sich die Parallele zu der Pferdeübung: Bei der jungen Stute hat der Klient keine Hemmungen, in Führung zu gehen und seine Ziele zu verfolgen. Bei der älteren Stute - der Mutter der Jüngeren - nimmt der Klient unbewusst die Retterrolle ein. Er schont sie und vernachlässigt dabei seine eigenen Ziele. Dies hat zur Folge, dass das Pferd selbst beginnt, Führung zu übernehmen und sein eigenes Tempo einschlägt. Für einen kurzen Moment entsteht der Eindruck, dass der Klient in die verfolgende Position wechselt, indem er am Pferd zerrt und es verärgert hinter sich herschleift. Dies nur sehr kurz, deutlich ist dann der Wechsel in die Opferrolle. Hier gibt der Klient seiner Frustration und Hilflosigkeit Ausdruck. Er berichtet, dass er dieses Gefühl sehr gut kenne. Am Ende würden seine Erwartungen, irgendwann doch auch mal mit seinen Wünschen „dran“ zu sein, nie erfüllt, sodass er enttäuscht resignieren würde. Meist steige er dann in der Opferrolle aus der Situation aus und bestätige sich so sein Nicht-o. k.-Sein. Zudem zeigt sich in der Pferdeübung, dass der Klient dem älteren Pferd keine klaren Grenzen aufzeigt und dieses daraufhin beginnt, Grenzen früher und deutlicher zu überschreiten, indem es gar nicht mehr anhält und dem Klienten quasi in die Hacken läuft. Es stumpft regelrecht ab. Dies ist eine wichtige Information für den Klienten. Übertragen auf seine berufliche Führungsrolle schildert er, dass er seine Mitarbeiter seit Jahren kennt. Sie schätzen und mögen ihn. In schwierigen Situationen nimmt er viel Rücksicht auf sie, lockert Grenzen und ist großzügig. Er fühlt sich häufig von ihnen ausgenutzt, da sie im Gegenzug keine seinen Erwartungen entsprechende Leistung zeigen und für Ausgleich sorgen. Außerdem sorgt er sich, dass er auf Dauer Respekt in der Führungsrolle verliert. Auch hier wird ihm der Rollenwechsel von der Retterin die Opferrolle bewusst. Zum Ende der Coachingeinheit entscheidet der Klient, dass er lernen möchte, sich selbst wichtig zu nehmen und mit seinen Wünschen und Zielen anderen zuzumuten. Die Erfahrung, die der Klient in dieser Arbeit mit dem Pferd machen konnte, war, dass die Führungsbeziehung nicht erschwert wird, wenn er sich zumutet und fordert, sondern dass Beziehung hierdurch erst wirklich entstehen und wachsen kann. Beispiel 2: Team-Coaching mit Pferden Bei Team-Coaching-Maßnahmen mit Pferden liegt der Fokus auf der Vitalität und der Entwicklung von Teams. Pferde können in Team-Coachings in Die Erfahrung war, dass Beziehung wirklich entstehen und wachsen kann. 10 | mup 1|2016 Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden zweierlei Hinsicht hilfreich sein: Sie dienen als Partner für Teamaufgaben und sie eignen sich als Spiegel von Verhaltensweisen, Rollen und Dynamiken im Team. ■ Die Teilnehmer bewältigen Aufgaben im Team und reflektieren sich bezüglich der strategischen, strukturellen und kulturellen Erfolgsfaktoren von Teamarbeit. ■ Sie erkennen typische Rollen, die sie in ihrem Team einnehmen, prüfen diese auf ihre Tauglichkeit und erproben alternative Rollen- und Verhaltensweisen. ■ Sie erleben, wie Führung in ihrem Team funktioniert und besprechen gegenseitige Erwartungen zwischen Führungskraft und Team. ■ Sie reflektieren persönliche Stärken und deren Wirkung im Team. ■ Sie können dieses Team-Erlebnis mit den Pferden nutzen, um sich als Team besser kennenzulernen und Freude am gemeinsamen Tun zu erfahren. Eine Methode, mit der die Autorinnen gerne arbeiten, ist die Schatzsuche im Wald. Bei dieser werden Unterteams pro Pferd gebildet. Jeweils ein Begleiter aus dem Beraterteam ist für die Sicherheit von Mensch und Pferd sowie für die Beobachtung der Kleingruppe zuständig. Jede Kleingruppe muss Aufgaben mit dem Pferd bewältigen, beispielsweise das Pferd rückwärts um einen Baum herumführen, ohne das Pferd zu berühren. Je nach definiertem Erfolgskriterium gewinnt eine Gruppe und es herrscht die Überzeugung, dass die Gruppen miteinander konkurrieren. Am Ende aber kann der Schatz nur gemeinsam gefunden werden. So deutlich vorher die typischen Teamrollen und Stärken der einzelnen Teammitglieder in den Kleingruppen werden, so geht es jetzt um die Fähigkeit, als Gesamtteam zu agieren. Auch das Thema Führung wird hier besonders sichtbar. Es gibt Teams, die stark darin sind, in Kleingruppen zu agieren, aber im Gesamtteam an Kraft verlieren, da der aktuelle Teamleiter nicht wirklich als Führungsperson agiert und versucht, viel operative Arbeit selbst hinzubekommen. In anderen Teams versagt die Kommunikation untereinander, wenn es darum geht, gemeinsam Aufgaben zu erledigen. Die Team-Dynamiken, die sich in der Pferdearbeit zeigen, sind sehr unterschiedlich. Wichtig ist, sich am Tag nach der Pferdearbeit mindestens einen halben Tag mit dem Team zu nehmen, um die Erfahrungen und Beobachtungen auszuwerten. Folgende Aspekte sind hierbei relevant: Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren, Rollen im Team, Führung im Team, die Geschichte der Zusammenarbeit (Phasen, Verhaltensmuster, Dynamiken). Hier gilt es, den Transfer auf die alltägliche Zusammenarbeit des Teams herzustellen. Aufbauend auf dieser Arbeit mit Pferden und der nachfolgenden Reflexion haben Teams die Möglichkeit, erfolgsrelevante Absprachen und Spielregeln im Team zu vereinbaren. Beispiel 3: Skript-Arbeit im Coaching mit Pferden „Skript“ ist ein zentrales Konzept aus der Systemischen Transaktionsanalyse, einer Methode der Humanistischen Psychologie, die eine wichtige Basis unserer Arbeit ist. Mit dem Begriff „Skript“ wird ein unbewusstes Programm im Sinne eines Drehbuches beschrieben, nach dem eine Person lebt. Die Arbeit mit dem Skript macht auch im Coaching-Prozess sehr viel Sinn. Sie greift typische Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens auf, die einerseits als Ressourcenpool genutzt werden können, andererseits den Klienten mit den Möglichkeiten des Heute einschränken. Die Funktion der Skript-Arbeit ist, Die Team-Dynamiken, die sich in der Pferdearbeit zeigen, sind sehr unterschiedlich. Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden mup 1|2016 | 11 Elemente des Skripts bewusst(er) zu machen und so Veränderungen zu ermöglichen. Eine Klientin schildert eine Situation mit einem Kollegen, die sie immer noch sehr beschäftigt, obwohl sie erledigt ist. Sie begründet dies mit ihrer Erfahrung aus der Ursprungsfamilie, sich als Störfaktor zu fühlen und aktiv sein zu müssen, damit andere sich wohlfühlen. Ihr Anliegen ist, dieses „Päckchen“ leichter zu machen. Heute will sie üben, abzuwarten und zu beobachten. Nach dem Eingangsgespräch gehen die Klientin und der Coach zu den Pferden und beobachten diese, der Coach erläutert typische Ausdrucks- und Verhaltensweisen der Tiere, rassespezifische Kennzeichen der Islandpferde, Dynamiken in der Stuten- und Wallachherde. Ziel ist es, aus dem Abstand Vertrauen aufzubauen: zu sich selbst, zu den Pferden, zum Coach als Übersetzer dessen, was das Pferd seinem Kommunikationspartner aktuell nonverbal mitteilt und was Signale des Kommunikationspartners (Mensch oder Pferd) für das Pferd in dieser Situation und seinem Bezugsrahmen bedeuten. Anschließend holt der Coach die zwei Partner aus ihren Paddocks, den Wallach Dagur und die Stute Flo, und bindet sie zum Putzen an. Die Teilnehmerin schaut nicht lange zu, sondern will direkt selbst aktiv werden. Der Coach erläutert, was sie zu ihrem Schutz über den Umgang mit dem Pferd in dieser Situation wissen muss und lässt sie dann putzen. Sehr schnell wird der Wallach unruhig und signalisiert, dass es ihm zu viel ist. Der Coach macht die Klientin darauf aufmerksam, interpretiert seine Körpersprache als Unsicherheit und sein Bedürfnis nach Klarheit und Stabilität im Kontakt. Sie wird nachdenklich, gibt das Putzzeug zurück und will vorerst weiter beobachten. Nach einiger Zeit möchte sie die Stute putzen. Sie geht deutlich langsamer vor, beobachtet die Reaktionen des Pferdes, hinterfragt ihre Wahrnehmungen beim Coach. In der anschließenden Übung nimmt sie erneut Kontakt zu Dagur auf. Er bewegt sich frei in einem Teil der Reithalle. Ihre Aufgabe lautet, sich seine Aufmerksamkeit zu verschaffen und so lange wie möglich zu halten. Wenn sie zufrieden ist mit dem Kontakt, soll sie die Übung von sich aus beenden und sich in einen anderen Teil der Reithalle begeben. Sie bewegt sich vorsichtig-forsch auf ihn zu, und er schaut sie einen Moment mit gespitzten Ohren an, wendet sich dann ab. Sie folgt ihm, um sich bemerkbar zu machen - keine Reaktion. Sie gibt auf und dreht sich schon weg, um den Ring zu verlassen, als Dagur nun seinerseits umkehrt und ihr folgt, was sie erst bemerkt, als der Coach sie darauf aufmerksam macht. In der anschließenden Auswertung resümiert sie, dass sie sich nur schwer von dem Gedanken lösen kann, was sie als Nächstes tun muss. Sie ist so damit beschäftigt, dass sie Signale des Der Coach erläutert typische Ausdrucks- und Verhaltensweisen der Tiere. 12 | mup 1|2016 Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden Pferdes, sein Verhalten, das der Coach als Unsicherheit übersetzt, aber auch Geschenke der Aufmerksamkeit nicht registriert. Sie erinnert sich an Erzählungen davon, wie sie sich als Kind stundenlang allein mit einem Bindfaden in einer Ecke sitzend beschäftigen konnte. Bei Führübungen am Nachmittag geht es um das gemeinsame Erreichen von Zielen: Eine sich vom Schwierigkeitsgrad her steigernde Wegstrecke ist gemeinsam zurückzulegen und das anvisierte Ziel zu erreichen. Die Klientin bewältigt die Übung mit Dagur bravourös: Sie fokussiert ihr Ziel, vergewissert sich seiner Aufmerksamkeit; ein klares „Auf geht’s! “ und die zwei marschieren los. Sie wiederholt die Aufgabe einige Male und kommt dann zufrieden zurück. Sie resümiert, diese Situation sei ihr sehr vertraut. Sie weiß, wie sie Ziele anvisiert, eine klare Richtung vorgibt und ihr andere dann auch folgen. Dagur folgt ihr nicht nur, er geht auf gleicher Höhe mit ihr. Er spürt ihre Zielstrebigkeit und geht „eigenverantwortlich“ mit. Die gleiche Aufgabe führt sie später mit der Stute Flo durch. Flo ist ein sehr zugewandter Typ Pferd. Im Gegensatz zu Dagur sucht sie den Kontakt zum Menschen, vergewissert sich immer wieder. Sie geht anfänglich willig mit, hält dann aber den in der Übung geforderten Abstand nicht ein, drängt in der Kurve ab, die Teilnehmerin lässt es geschehen. Schließlich kontrolliert die Stute auf sehr charmante Weise den Weg. Die Teilnehmerin lässt sich einnehmen von Flos Beziehungsangeboten und sieht die Kehrseite der Medaille nicht. Anschließend konfrontiert der Coach sie damit: „ … andererseits lässt Du Dich abdrängen, siehst Du das auch? “ Ihr fällt es wie Schuppen von den Augen: „Stimmt, ich war wieder in meiner Bindfadenecke.“ Dankbar dafür, dass sie Beziehungsangebote erhält, gibt sie - ohne bewusste Entscheidung - ihren Weg auf und lässt sich vom Beziehungspartner „manipulieren“. Beim abschließenden Spaziergang wird ihr klar, dass sie es immer wieder geschehen lässt, sich abdrängen zu lassen. Sie stellt Verbindung zu ihrem „Päckchenthema“ her: Wie sollen die Päckchen weniger werden, wenn sie sich ohne Gegenwehr noch weitere aufdrängen lässt? Damit hat sie ihr Thema für weitere Einheiten im Coaching-Prozess definiert: „Ich übe, in aller Klarheit bei meinem Weg zu bleiben.“ Die Arbeit mit dieser Klientin wird fortgesetzt, am Ende lässt sich feststellen: Die Pferde haben ihre Problemlösungsfähigkeit erweitert und einen Beitrag zu ihrer Autonomie geleistet, indem sie sie die Begrenztheit ihres Verhaltensmusters direkt erleben ließen. Sie haben die Klientin unmittelbar und gleichzeitig wertschätzend mit ihrem zentralen Coaching-Thema - sich einlassen auf Beziehungen und sich vertreten in der Beziehung - in Kontakt gebracht. Dieses Thema hat eine hohe Bedeutung für sie, es beeinflusst ihre Professionalität als Beraterin direkt. Resümee Der Einsatz von Pferden als „Co- Coach“ in Einzelsowie Teamsettings und für verschiedene Zielsetzungen hat sich als besonders effektiv erwiesen. Pferde sind im Kontakt mit Klienten neutrale, vorurteilsfreie Beziehungspartner und geeignet, das Verhalten von Klienten in Beziehungen zu spiegeln und dem Coach so eine weitere abwertungsfreie Rückmeldung zu ermöglichen. Pferde agieren im Hier und Jetzt und völlig frei von den Erwartungen, Einschränkungen und Bedürfnissen, die Klienten sonst im beruflichen (Führungs-)Alltag erleben. In der Arbeit mit Pferden wird ein schützender Rahmen geschaffen, in dem Klienten nicht nur das eigene Verhalten analysieren und reflektieren, sondern Alternativen entwickeln und angstfrei erproben können. Menschen begegnen Pferden meist offen und positiv, die Coaching-Arbeit mit Pferden wird als etwas Wertvolles, Besonderes emp- Die Pferde haben ihre Problemlösungsfähigkeit erweitert und einen Beitrag zu ihrer Autonomie geleistet. Dielmann, Lohkamp - Professionelles Coaching mit Pferden mup 1|2016 | 13 funden. Dies trägt sicher dazu bei, dass Coaching mit Pferden aus unserer Erfahrung besonders nachhaltig wirkt. Erfolgsfaktoren sind auf Seiten des Coachs ein hohes Maß an beraterischem Know-how über Menschen in Organisationsdynamiken sowie pferdespezifischem Wissen. Kommt beides zusammen, werden für alle Beteiligten berührendnachhaltige Lernprozesse möglich. Literatur ■ Berne, E. (1970): Spiele der Erwachsenen. Rowohlt, Reinbek ■ Deutscher Berufsverband Coaching e. V. (Hrsg.) (2007): Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung Coaching als Profession, Kompendium mit den Professionsstandards des DBVC, DBVC Geschäftsstelle, Osnabrück ■ Karpman, S. (1968): Fairy Tale and Script Drama Analysis. Transactional Analysis Bulletin 7, 39-43 ■ Mohr, G. (2008): Coaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse. EHP, Bergisch-Gladbach ■ Rauen, C. (2014): Coaching. 3. Aufl. Hogrefe, Göttingen Die Autorinnen Anette Dielmann Selbständige Organisationsberaterin, Coach, Trainerin seit 1994, Fortbildung in körperorientierter Psychotherapie mit dem Pferd (Monika Mehlem), Schwerpunkte ihrer Arbeit beziehen sich auf die Einbindung von Pferden in Coaching-Prozesse sowie die Ausbildung von TA-Trainees im In- und Ausland (TSTA-O). Luise Lohkamp Dipl.-Psychologin und Lehrende Transaktionsanalytikerin (TSTA-O), Beraterin, Trainerin, Coach in der SL CONSULT GmbH, Fortbildung in körperorientierter Psychotherapie mit dem Pferd (Monika Mehlem). Anschriften Anette Dielmann · Business Manufaktur · Kölchenstr. 19 D-67655 Kaiserslautern · info@anette-dielmann.de www.business-manufaktur.de Luise Lohkamp · SL CONSULT GmbH Eppendorfer Landstraße 9 · D-20249 Hamburg luise.lohkamp@sl-consult.de · www.sl-consult.de