eJournals mensch & pferd international 8/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2016.art26d
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Praxistipp: Ideen für ein regelmäßiges Therapiepferdetraining

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Annette Gomolla
Die Anforderungen an die Ausbildung von Therapiepferden sind hoch. Ist das Pferd einmal ausgebildet und im Therapieeinsatz, müssen die körperlichen und psychischen Fähigkeiten erhalten bleiben. Außerdem gibt natürlich keinen Stillstand, die Entwicklung und Veränderung des Pferdes muss von der Fachkraft mit beachtet werden.
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164 | mup 4|2016|164-167|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2016.art26d Annette Gomolla Praxistipp Ideen für ein regelmäßiges Therapiepferdetraining Die Anforderungen an die Ausbildung von Therapiepferden sind hoch. Ist das Pferd einmal ausgebildet und im Therapieeinsatz, müssen die körperlichen und psychischen Fähigkeiten erhalten bleiben. Außerdem gibt natürlich keinen Stillstand, die Entwicklung und Veränderung des Pferdes muss von der Fachkraft mit beachtet werden. Neben dem Ausgleich im Gelände - wünschenswert einbis zweimal pro Woche - steht die gymnastizierende Arbeit reiterlich, an der Longe oder Langzügel alle drei Tage auf dem Plan. So wäre bereits an fünf Tagen in der Woche Zeit für Ausgleichsarbeit und Aufrechterhaltung der körperlichen Konstitution aufzubringen. In vielen Einrichtungen der Pferdegestützten Therapie ist es sicherlich schon eine Herausforderung, dies für alle Pferde zu gewährleisten. Wie sieht es nun mit dem besonderen Training für die Therapie aus? Wie kann das Therapiepferd kontinuierlich, dennoch zeitsparend und dabei effektiv für den Einsatz mit Klienten vorbereitet bleiben? Ein Tipp ist, die Vorbereitung auf die Tageseinheiten mit dem Training zu kombinieren oder auch Sequenzen in die Gymnastizierungs- und Konditionsarbeit mit einzubinden. Therapiepferde sollten vor ihrem täglichen Einsatz in Kontakt mit dem Therapeuten / Pädagogen gelangt sein. Damit ist kein „Ablongieren“ gemeint, sondern die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zwischen den Beziehungspartnern und die Möglichkeit für den Reittherapeuten / -pädagogen, die Tagesform des Pferdes einzuschätzen. Dieser tägliche Kontakt kann für das kontinuierliche Training genutzt werden. Damit es realistischerweise in den Tagesablauf in der Therapie eingebunden werden kann, darf es nicht zu lang sein, 20 Minuten sind völlig ausreichend. Welche Inhalte sollten im kontinuierlichen Therapiepferdetraining noch in den Fokus genommen werden? ■ Aufmerksamkeit des Pferdes weiter schulen Dass ein Therapiepferd seine Aufmerksamkeit möglichst lange auf den Menschen ausrichten kann, ist das A und O in der Therapiepferdeausbildung. ■ Interaktionsfähigkeit mit dem Menschen ausbauen und aufrechterhalten und die feine Abstimmung in der Kommunikation fördern Das Pferd soll Signale des Menschen erkennen und möglichst fein darauf reagieren können. Umgekehrt muss aber vor allem auch der Mensch die Reaktionen und das Verhalten des Pferdes erkennen und verstehen, damit gute Interaktion auch in der Therapie funktionieren kann. So ist es ein Lernprozess - vonseiten des Pferdes wie auch des Menschen. ■ Vertrauen zwischen Pferd und Mensch fördern Das Pferd soll in Trainingssituationen immer wieder die Erfahrung machen, dass es auf den Menschen als Leittier vertrauen kann. Der Mensch bringt es immer wieder in neue Situationen (z. B. bei neuem Material) und das Pferd merkt, dass es dabei gelobt wird und keine Angst erleben muss. Sinnvoll sind Übungen, die das Selbstvertrauen des Pferdes steigern. ■ Materialgewöhnung aufrechterhalten oder an neue Materialien heranführen Pferde müssen kontinuierlich in der Gewöhnung an Reize bleiben. Thera- Praxistipp: Gomolla - Ideen für ein regelmäßiges Therapiepferdetraining mup 4|2016 | 165 piematerialien sollten immer wieder im Training einbezogen werden, damit die Adaption an diese Reize erhalten bleibt. ■ Beweglichkeit und Koordination des Pferdes verbessern In der Therapie ist es wichtig, dass sich das Pferd in seiner Körperlichkeit wohlfühlt - sensorisch integriert ist, wie auch wir Menschen. Daher sind alle Koordinations- und Beweglichkeitsübungen wichtig, damit das Pferd eine gute Körperkoordination hat und seinen Körper kennt. Wichtig ist es, die kurzen Trainingseinheiten optimal zu nutzen und für das Pferd interessant zu gestalten. In der Regel steht bei dem Therapiepferdetraining die Bodenarbeit im Vordergrund. Sie kann mit Reitsequenzen, z. B. Halsringreiten, Reiten an der Gebissloszäumung und anderem ergänzt werden. Folgende Grundsätze sollten im Training beachtet werden ■ Immer loben und motivieren, positive Verstärkung nutzen und nicht strafen (dadurch kann jegliche Motivation für die Interaktion mit dem Menschen geschädigt werden! ) ■ „Abschnauben“ des Pferdes als Spannungsabbau unterstützen durch die sofortige Herausnahme von Druck in dem Moment ■ Sobald das Pferd kaut und leckt, jeglichen Druck rausnehmen und loben ■ Kopfabsenken nach schwierigen Situationen als Entspannung einsetzen ■ Nur kurze Übungsphasen, in diesen aber die gesamte Aufmerksamkeit des Pferdes einfordern ■ Keine Langeweile, keine Überforderung - stets angemessene Forderung und rechtzeitig aufhören ■ Emotionale Bindung zwischen Pferd und Mensch durch gemeinsames „Abschnauben“ und „Fellpflege“ (Pferd kraulen, nicht klopfen! ) 20-minütige Trainingseinheiten Phase 1: Konzentrationsaufbau (drei bis fünf Minuten) Aufmerksamkeitslenkung auf den Menschen und Motivationsaufbau zur Mitarbeit: Diese erste Phase kann bereit am Stall begonnen werden beim Aufhalftern und auf dem Weg zum Arbeitsviereck. Aufgabenbeispiel: Aufmerksamkeitsausrichtung auf den Menschen, korrektes Aufhalftern mit abgesenktem Kopf, Stop-and-go, Slalom, Seitwärtstreten lassen, Rückwärtsrichten Abb. 2: Auf dem Weg zum oder in einer ersten Runde auf dem Reitplatz können auch schon ein paar wenige Tritte seitlich gefordert werden, wenn dies dem Aufmerksamkeitsaufbau dient. Abb. 1: Auf dem Weg vom Stall zum Arbeitsviereck wird die Aufmerksamkeit des Pferdes immer wieder auf den Menschen zurückgelenkt. Mensch und Pferd sollen sich in dieser ersten Phase aufeinander fokussieren. 166 | mup 4|2016 Praxistipp: Gomolla - Ideen für ein regelmäßiges Therapiepferdetraining der Aufstiegstreppe steht; Stangen-L oder Stangen-Stern; kleine Sequenz freies gemeinsames Laufen oder Springen; geführte Galopp-Arbeit; bei Schritt- und Trab-Passagen immer wieder verschiedene Führpositionen einnehmen; kleine Zirkuslektionen (Abb. 4, 5 u. 6) Phase 2: Aktivierung und Spannungsabbau, Lösungsphase (drei bis fünf Minuten) Das Pferd soll, auf dem Arbeitsviereck angekommen, nachdem es sich schon in Phase 1 auf den Menschen einstellen musste, eine Lösungsphase erhalten. Das Pferd ein wenig in Bewegung zu bringen und gegebenenfalls bestehende Anspannungen körperlich abbauen zu können, ist hierbei besonders wichtig. Dabei sieht der Therapeut auch noch einmal besonders gut, in welcher Tagesverfassung sich das Pferd befindet. Ist es angespannt, sollte der Reittherapeut/ -pädagoge ihm durch Trab- oder Galoppsequenzen und gemeinsames Schnauben zum Spannungsabbau verhelfen. Aufgabenbeispiel: erhöhtes Tempo, häufige und kurze Tempiwechsel am besten in der Distanz am Leitseil Gemeinsames lockeres Traben (siehe Abb. 3) kann zum Spannungsabbau und zur Lockerung beitragen. Hier ist es wichtig, dass das Pferd auf Abstand trabt. Sehr gut, wenn das Pferd dabei abschnaubt Phase 3: Hauptphase (fünf bis zehn Minuten) In der Hauptphase rücken vor allem Koordination, Beweglichkeit, Kommunikation und Interaktion sowie Materialgewöhnung in den Mittelpunkt. Diese Phase ist besonders kreativ zu gestalten. Ein kleiner Parcours, der später auch in der Therapie gebraucht wird, kann genutzt werden; Stangenaufgaben und Cavalettis sowie ein oder zwei Materialstationen sollten aufgebaut sein und abwechslungsreich durchlaufen werden. Zwischendurch kann man immer eine kleine Ruhepause einlegen, vor allem zwischen unterschiedlichen Aufgabentypen. Aufgabenbeispiel: Materialstation mit Schwungtuch und eine weitere mit Bällen, an denen das Pferd spielerisch mit dem Material konfrontiert wird, dazwischen immer wieder Lockerung durch kleine Trabsequenzen; Aufstiegstreppe miteinbeziehen und dort eine „Ruhestation“ einbauen, sodass das Pferd gerne an Abb. 3: Gemeinsames lockeres Traben Abb. 5: Station „Aufrechterhaltung an Material Ball“, die aufmerksame Beobachtung durch das Pferd ist dabei wünschenswert. Abb. 4: Treten über den Stangen-Stern, hierbei muss das Pferd besonders gut achtgeben und wird in seiner Trittsicherheit und Koordination geschult. Praxistipp: Gomolla - Ideen für ein regelmäßiges Therapiepferdetraining mup 4|2016 | 167 Phase 4: Entspannungsphase (ca. drei Minuten) Die letzte Phase dient der Entspannung des Pferdes und der Vertiefung der Beziehung zwischen Reittherapeut/ -pädagoge und Pferd. Aufgaben sind hierbei einfaches gemeinsames Gehen im Schritt und langsamen Trab, gemein- Abb. 8: Der Mensch macht Fellpflege beim Tier durch Kraulen zur Vertiefung der Beziehung und Förderung des Wohlbefindens beim Pferd. Abb. 7: Gemeinsames Gehen im gleichen Tempo fördert die Beziehung und ist ein wichtiges Trainingselement für die therapeutische und pädagogische Arbeit. Abb. 6: Vor der Aufstiegstreppe ist die Ruhesituation, in der vom Pferd nichts verlangt wird. So wird die Treppe für das Pferd positiv besetzt. Die Autorin Dr. rer. nat. Annette Gomolla Dipl.-Psychologin, Erwachsenenbildung (M. A.), Studium der Psychologie in Konstanz, Promotion im Bereich der klinischen Kinderpsychologie und Psychotraumatologie an den Universitäten Bremen und Konstanz, Master-Studium Erwachsenenbildung an der TU Kaiserslautern, arbeitet seit über zehn Jahren am Institut für Pferdegestützte Therapie (IPTh) in der Fort- und Weiterbildung von Reittherapeuten, -pädagogen und Hippotherapeuten, in eigener Praxis therapeutische Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit unterschiedlichen Störungsbildern, 1. Vorsitzende des Berufsverbandes für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen e. V., Geschäftsführung des Forschungszentrums GREAT zur wissenschaftlichen Erforschung der Pferdegestützten Interventionen. Anschrift Dr. Annette Gomolla · Bruder Klaus Str. 8 D-78467 Konstanz · A.Gomolla@ipth.de sames Abschnauben sowie Fellpflege für das Pferd, d. h. Kraulen an der Kruppe oder anderen vom Pferd bevorzugten Stellen (Klopfen ist nicht sinnvoll, sondern das Nachahmen „pferdischer“ Verhaltensweisen bei der Fellpflege) (Abb. 7 u. 8). Dies ist ein sinnvoller Abschluss für das Training, kann aber auch besonders bei möglichen überstandenen Angst- oder Stresssituationen des Pferdes auch in den anderen Phasen mit einbezogen werden. Auf die besondere Situation des einzelnen Pferdes sollte immer geachtet werden, auf seine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und seine individuellen Lernziele, die in die einzelnen Trainingsphasen mit eingebaut werden können.