mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forum: Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder
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Verena Wolfrum
Konstanze Krüger
Das Projekt: Viele Flüchtlinge kommen aus Kriegsgebieten zu uns nach Deutschland in der Hoffnung, hier ein neues Leben in Frieden beginnen zu können. Ein Großteil von ihnen hat Schreckliches erlebt und mit diesen Erinnerungen zu kämpfen. Auch ist es nicht einfach, in einem fremden Land mit einer fremden Kultur Fuß zu fassen, sich zu integrieren und neue Freundschaften zu schließen.
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mup 2|2017|65-69|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2017.art11d | 65 Forum Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder - ein Projekt der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen Verena Wolfrum, Konstanze Krüger Das Projekt Viele Flüchtlinge kommen aus Kriegsgebieten zu uns nach Deutschland in der Hoffnung, hier ein neues Leben in Frieden beginnen zu können. Ein Großteil von ihnen hat Schreckliches erlebt und mit diesen Erinnerungen zu kämpfen. Auch ist es nicht einfach, in einem fremden Land mit einer fremden Kultur Fuß zu fassen, sich zu integrieren und neue Freundschaften zu schließen. Vor allem die Kinder leiden stark unter diesen Umständen. Die erlebte Traumatisierung kann ihre altersgemäße Gehirnentwicklung stark beeinträchtigen (Yorke u. a. 2011, 2013). Da sie diejenigen sind, die die Sprache leichter erlernen, müssen sie oft eine Mitverantwortung für ihre Eltern übernehmen und ihnen zum Beispiel bei Behördengängen helfen. Doch dazu sind sie meist nicht in der Lage. Es sind Kinder, die Gewalt innerhalb und außerhalb ihrer Familien erlebt (Schultz 2007), oft eine unglaubliche Odyssee durchlebt haben, um nach Deutschland zu kommen, um hier mit vielen weiteren Problemen konfrontiert zu werden. Sie können all diese Erlebnisse nicht vergessen und müssen lernen, sie zu verarbeiten (Yorke u. a. 2011, 2013). Und schließlich wollen sie doch einfach eines: wieder Kinder sein. Genau an diesem Punkt kommen die Pferde ins Spiel (Klüwer 2005; Brooks 2006; Schultz 2007; Yorke u. a. 2011, 2013). Die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen hat im Studiengang Pferdewirtschaft ein Projekt gemeinsam mit dem Psychosozialen Netzwerk für die Therapie von traumatisierten Flüchtlingen (PNTF) in Nürtingen ins Leben gerufen. Das Anliegen des Projektes ist es, traumatisierte Flüchtlingskinder mithilfe von Pferdegestützter Therapie einen Weg ins „normale“ Leben zurück zu zeigen (Schultz 2007; Yorke u. a. 2011, 2013). Pferde sind gutmütige und äußerst sanfte Lebewesen. Sie sind gerecht und ohne Vorurteile. Dem Therapeuten steht das Pferd als Co-Therapeut zur Seite und weist deutlich wie kein anderes „Medium“ auf den Grad der Traumatisierung der Flüchtlingskinder hin (Anderson u. a. 1999; Keeling u. a. 2009; Yorke u. a. 2011, 2013). Besonders für Kinder, die in anderen Therapieformen nicht aus sich heraus gegangen sind, keinen Kontakt zum Therapeuten aufnahmen und nicht begannen, von ihren Ängsten zu berichten, hofft das Projekt auf die Unterstützung der Pferde (Klüwer 2005; Keeling u. a. 2009; Krueger 2010). Den Flüchtlingskindern sollen die Pferde helfen, sich wieder zu öffnen, von traumatisierenden Erlebnissen zu erzählen und wieder Vertrauen zu gewinnen (Mehlem 2005; Schultz 2007; Yorke u. a. 2011). Vertrauen in das Pferd, in die Therapeuten und auch in sich selbst (Klüwer 2005; Brooks 2006; Burgon 2011). Die Therapieeinheiten sind neben der Nutzung der „Eisbrecherfunktion“ des Pferdes (Krueger 2010) und der Verarbeitung des Erlebten auch dazu da, um die Kinder aus ihrem oft nicht einfachen Alltag herauszuholen. Der Kontakt zu Pferden tut vielen Menschen gut (Hama 66 | mup 2|2017 Forum: Wolfrum, Krüger - Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder u. a. 1996; Yorke u. a. 2011, 2013). So sollen auch die Flüchtlingskinder durch Pferdegestützte Therapie und der Unterstützung von Heilpädagogen und Psychotherapeuten die Möglichkeit erhalten, zu neuer Stabilität in ihrem Leben zu finden (Klüwer 2005; Schultz u. a. 2007). Zumindest eine zeitlang soll es möglich sein, dass sie all ihre Sorgen und Probleme vergessen können und einmal nur das tun, was ihnen Spaß macht (Mehlem 2005; Yorke u. a. 2013). Das Pferd als Partner und Freund zu gewinnen ist eine wichtige Erfahrung für traumatisierte Kinder. Plötzlich haben sie einen treuen und starken Gefährten an ihrer Seite, der ihnen Schutz und Zuversicht gibt (Mehlem 2005; Yorke u. a. 2011). Allerdings sind Therapiepferde, auch wenn sie besonders sanftmütig und gelassen sind, immer noch Pferde und somit Fluchttiere. Die Kinder müssen ihre Aggressionen kontrollieren, sich gleichzeitig durchsetzen und Verantwortung übernehmen, wenn sie das Pferd zur Kooperation motivieren wollen (Klüwer 2005; Hausberger u. a. 2008; Keeling u. a. 2009; Krueger 2010). Haben sie das geschafft, stellt das eine enorme Stärkung des Selbstvertrauens dar (Mehlem 2005; Brooks 2006; Schultz u. a. 2007; Burgon 2011). Mit dem Projekt soll Flüchtlingskindern geholfen werden, einen Zugang zu einem neuen Leben zu finden. Es soll ihnen die Möglichkeit geben, durch die Therapie mit den Pferden ihre schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten und wieder neues Vertrauen in sich, aber auch in ihre Umwelt zu gewinnen (Schultz u. a. 2007; Burgon 2011; Yorke u. a. 2011, 2013). Die Therapie Die Therapie muss auf jedes Kind individuell abgestimmt werden. Zunächst finden die Therapieeinheiten in Form von Gruppentherapien statt. Mehrere Flüchtlingskinder nehmen gemeinsam mit einheimischen Kindern an den Therapieeinheiten teil. Hierbei soll vor allem die altersgemäße Sprachentwicklung Abb. 1: Gemeinsam mit den Helfern lernen die Kinder auch die wichtigen Grundlagen rund um das Thema Pferd. Abb. 2: Die Pferde ermöglichen es den Kindern neuen Mut zu fassen. Forum: Wolfrum, Krüger - Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder mup 2|2017 | 67 und das Miteinander, sowie die Integration gefördert werden (Yorke u. a. 2013). Bevor es an das Reiten geht, lernen die Kinder, was zum Reiten alles dazugehört. Dabei geht es nicht nur um die Ausrüstungsgegenstände, sondern auch um die Fütterung und Pflege ihrer vierbeinigen Freunde. Ziel ist neben der Erweiterung des sprachlichen und fachlichen Horizonts der Kinder auch (Yorke u. a. 2013), dass sie sich an die neue Umgebung und die neuen Menschen gewöhnen, zur Ruhe kommen und sich dort wohlfühlen (Hama u. a.1996). Erst dann geht es mit der Arbeit am Pferd los. Die Kinder sollen ihre neu erworbenen Kenntnisse nun anwenden, sich gegenseitig helfen und auch untereinander Freundschaften knüpfen. Wichtig ist, dass alle Kinder eine Aufgabe zugeteilt bekommen, die sie ausführen können. So sollten vor allem auch zurückhaltende Kinder nicht „vergessen“, sondern integriert werden. Die Einheiten laufen sehr spielerisch ab. Es muss darauf geachtet werden, dass die Kinder nicht überfordert werden (Mehlem 2005). Jedes Kind darf in seinem Tempo lernen und verstehen (Brooks 2006). Nach dem gemeinsamen Putzen und Satteln dürfen die Kinder endlich abwechselnd ein paar Minuten auf dem Pferderücken sitzen. Hierbei werden mit dem Therapeuten auf jedes Kind individuell angepasste Übungen durchgeführt. Nach dem Reiten wird das Pferd gemeinschaftlich wieder abgesattelt und gefüttert. Die Kinder sollen neben Selbstvertrauen auch lernen, Verantwortung zu übernehmen. Sie sollen sich gegenseitig und auch die Tiere respektieren lernen (Burgon 2011), denn das ist in ihrem Leben und in der Gesellschaft unerlässlich. Je nach dem Grad der Traumatisierung der Kinder ist auch eine Einzeltherapie möglich und eventuell nötig (Mehlem 2005). Hierbei konzentrieren sich die Therapeuten auf die individuellen Traumata ihrer kleinen Patienten. Sie sollen das Vertrauen fassen, sich anderen Menschen wieder öffnen zu können, Bindungen zu Pferden und Menschen aufzubauen (Yorke u. a. 2011) und den Mut aufbauen, sich an neue Dinge heranzuwagen (Mehlem 2005; Burgon 2011). Der Beginn des Projekts Bereits bei einer Kick-Off Veranstaltung des Projekts Ende Oktober konnte man den positiven Einfluss der Pferde in den leuchtenden Kinderaugen erkennen. Studierende der Hochschule Nürtingen holten gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern die Flüchtlingskinder mit ihren Familien ab und brachten sie zum Hippotherapiezentrum Scharnhausen. Dort wurden Ponys gemeinsam geputzt und gesattelt, bevor es auf den großen Reitplatz ging, auf dem ein „Trail“ für die Pferde und Reiter aufgebaut war. Geführt von Betreuern des Hippotherapiezentrums und Studierenden konnten die Flüchtlingskinder, je nachdem was sie sich zutrauten, Pferde führen, sich auf einem Pferd sitzend führen lassen oder die Hindernisse des „Trails“ zu Fuß mit den Pferden oder auf einem Pferd ausprobieren. So mussten sie mit ihren Ponys zum Beispiel durch ein Tor mit Flatterbändern oder über eine Wippe gehen oder reiten. Waren sie zunächst noch schüchtern und zurückhaltend, tauten sie im Laufe der Einheiten zusehends auf. Kinder die Abb. 3: Auf dem Rücken der Pferde fällt es den Kindern leichter, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und gemeinsam mit den Therapeuten einen Weg in ein neues Leben zu finden. 68 | mup 2|2017 Forum: Wolfrum, Krüger - Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder zunächst wenig Notiz von dem neuen Umfeld nahmen, entwickelten sich zunehmend zu lebhaften Kindern, und Kinder, die im schulischen Alltag und in der Kunsttherapie aggressiv auf ihr Umfeld reagieren, fügten sich fröhlich und friedlich in das Setting ein. Manche Kinder öffneten sich und begannen spontan von traumatischen Erlebnissen zu berichten, z. B. mit der Frage ob die Ponys, wenn sie ähnliches wie die Kinder erlebt hätten, wohl ebenso empfunden hätten. Die positive und friedliche Stimmung während des heilpädagogischen Reitens wurde besonders von den anwesenden Psychotherapeuten und Kunsttherapeuten zur Kenntnis genommen. Es wurden gemeinsam Spiele gespielt und Live-Musik von einer aus Flüchtlingen bestehenden Band gehört, bevor es am Nachmittag für die Familien wieder zurück nach Hause ging. Die Studierenden sowie die Therapeuten stellten einstimmig fest: die erste Zusammenführung der Kinder und Pferde war ein voller Erfolg. Inzwischen haben die regelmäßigen, wöchentlichen heilpädagogischen Einheiten Pferdegestützter Therapie begonnen. Das Projekt ist damit nach eine achtmonatigen Vorarbeitsphase in die aktive Phase gestartet. Die Aufgabe der Studierenden Die Studierenden des Studiengangs Pferdewirtschaft, die dieses Projekt ins Leben gerufen haben, wollen in erster Linie helfen, den Flüchtlingskindern eine Option aufzubauen, ihre Traumata zu bewältigen. Nachdem ein regionales Netzwerk mit Therapeuten für Pferdegestützte Therapie, Psychologen, Kunsttherapeuten, Lehrern und Flüchtlingshelfern im Süden von Stuttgart aufgebaut wurde, übernehmen die Studierenden die Funktion der Schaltzentrale, um therapiebedürftige Kinder an freie Therapieplätze zu vermitteln. Neben dieser Aufgabe kümmern sie sich um die Einwerbung und Verwaltung von Mitteln, um die Öffentlichkeitsarbeit und um ganz praktische Aspekte, wie z. B. den Fahrdienst und die Unterstützung der Therapeuten bei der Betreuung der Kinder. Literatur ■ Anderson, M. K., Friend, T. H., Evans, J. W., Bushong, D. M. (1999): Behavioral assessment of horses in therapeutic riding programs. Appl. Anim. Behav. Sci. 63, 11-24, https: / / doi.org/ 10.1016/ s0168-1591(98)00237-8 ■ Brooks, S. M. (2006): Animal-assisted psychotherapy and equine-fasciliated psychotherapy. In: Webb, N. (Hrsg.): Psychotherapy and Equine Facilitated Psychotherapy. Guilford Press, New York, 196-217 ■ Burgon, H. L. (2011): Queen of the world: experiences of at-risk young people participating in equine-assisted learning / therapy. Journal of Social Work Practice, 25, 165-183, https: / / doi. org/ 10.1080/ 02650533.2011.561304 ■ Hama, H., Yogo, M., Matsuyama, Y. (1996): Effects of stroking horses on both humans’ and horses’ heart rate responses. Jpn Psychol Res. 38(2), 66-73, https: / / doi. org/ 10.1111/ j.1468-5884.1996.tb00009.x ■ Hausberger, M., Roche, H., Henry, S., Visser, E. K. (2008): A review of the human-horse relationship. Appl. Anim. Behav. Sci. 109, 1-24, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.applanim.2007.04.015 Die Autorinnen Verena Wolfrum Studentin im fünften Semester Pferdewirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen Geislingen. Mitarbeit im Projekt „Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder“. Prof. Dr. Konstanze Krüger Professorin für Pferdehaltung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen Geislingen. Anschrift Prof. Dr. Konstanze Krüger · Verena Wolfrum Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen Geislingen · Pferdewirtschaft · Neckarsteige 6-10 D-72622 Nürtingen · konstanze.krueger@hfwu.de http: / / www.projekt-pferdegestuetzte-therapie.de Forum: Wolfrum, Krüger - Pferdegestützte Therapie für Flüchtlingskinder mup 2|2017 | 69 ■ Keeling, L. J., Jonare, L., Lanneborn, L. (2009): Investigating horse human interactions: The effect of a nervous human. Vet J 181, 70-71, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.tvjl.2009.03.013 ■ Klüwer, C. (2005): Zur Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie. Versuch einer theoretischen Besinnung auf grundlegende Möglichkeiten zwischen Mensch und Pferd. In: DKThR (Hrsg.): Die Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie. FN, Warendorf ■ Krueger, K. (2010): „Erfasst das Pferd die menschliche Psyche“. In: Dettling, M., Opgen- Rhein, C., Kläschen, M. (Hrsg.): Pferdegestützte Therapie bei psychischen Erkrankungen, Schattauer, Stuttgart, 40-51 ■ Mehlem, M. (2005): Angst und Pferd - Wege zur Bewältigung und Integration von Ängsten mit Hilfe der Pferde. In: DKThR (Hrsg.): Psychotherapie mit dem Pferd - Beiträge aus der Praxis. FN, Warendorf, 20-37 ■ Schultz, P. N., Remick-Barlow, G. A., Robbins, L. (2007): Equine-assisted psychotherapy: a mental health promotion / intervention modality for children who have experienced intra-family violence. Health & Social Care in the Community, 15, 265-271, https: / / doi. org/ 10.1111/ j.1365-2524.2006.00684.x ■ Yorke, J., Adams, C., Coady, N. (2011): Therapeutic Value of Equine-Human Bonding in Recovery from Trauma. Anthrozoös 21, 17-30, https: / / doi.org/ 10.2752/ 089279308X274038 ■ Yorke, J., Nugent, W., Strand, E., Bolen, R., New, J., Davis, C. (2013): Equine-assisted therapy and its impact on cortisol levels of children and horses: a pilot study and meta-analysis. Early Child Development and Care 183, 874- 894, https: / / doi.org/ 10.1080/ 03004430.2012. 693486 S T A U F E N - B U C H H A N D L U N G Marktstraße 31• 73033 Göppingen Tel. 71 61 / 74175 • Fax 0 71 61 / 1 3743 www.staufen-buch.de Email: staufen-buch@t-online.de Marianne Gäng/ Turner (Hg.) Mit Tieren leben im Alter 978-3-497-01757-7 19,90 e Zito/ Martin Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen 978-3-7799-3393-9 12,95 e Anzeige_MPU1/ 8_1_16 27.01.2017 20: 27 Uhr Seite 1 Anzeige
