eJournals mensch & pferd international 9/4

mensch & pferd international
2
1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2017
94

Praxistipp: Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd

101
2017
Hedwig Daute
Während schon in der Antike Übungen mit einem Reifen, z. B. der Reifenlauf, zur Förderung der Geschicklichkeit durchgeführt wurden, trainierten die Ureinwohner Nordamerikas ihre Jugend auf spielerische Art und Weise mit dem Reifen in den überlebensnotwendigen Jagdtechniken. Im 19. Jahrhundert war der Reifen als Kinderspielzeug gang und gäbe. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es ruhig um das Spielzeug und heutige Fitness-Gerät. Ende der 1950er- / Anfang der 1960er-Jahre erlebte der Reifen als Hula-Hoop eine Wiedergeburt und führte neben einem riesigen Absatz der zuerst in Amerika, dann auch in Deutschland gefertigten Kunststoffreifen, neben den phantasievollsten Bewegungskreationen auch zu regelrechten Dauer-hula-hoopen-Wettbewerben. Nach dem Abebben dieser Welle kommt es nun immer mehr zum Wiedereinsatz in den verschiedensten Sparten von Sport und Spiel. Nicht ohne Grund: der Reifen ist leicht, preiswert und jederzeit einsetzbar.
2_009_2017_004_0185
mup 4|2017|185-190|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2017.art27d | 185 Hedwig Daute Praxistipp Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Während schon in der Antike Übungen mit einem Reifen, z. B. der Reifenlauf, zur Förderung der Geschicklichkeit durchgeführt wurden, trainierten die Ureinwohner Nordamerikas ihre Jugend auf spielerische Art und Weise mit dem Reifen in den überlebensnotwendigen Jagdtechniken. Im 19. Jahrhundert war der Reifen als Kinderspielzeug gang und gäbe. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es ruhig um das Spielzeug und heutige Fitness-Gerät. Ende der 1950er- / Anfang der 1960er-Jahre erlebte der Reifen als Hula-Hoop eine Wiedergeburt und führte neben einem riesigen Absatz der zuerst in Amerika, dann auch in Deutschland gefertigten Kunststoffreifen, neben den phantasievollsten Bewegungskreationen auch zu regelrechten Dauer-hula-hoopen-Wettbewerben. Nach dem Abebben dieser Welle kommt es nun immer mehr zum Wiedereinsatz in den verschiedensten Sparten von Sport und Spiel. Nicht ohne Grund: der Reifen ist leicht, preiswert und jederzeit einsetzbar. Von Anfang an setze ich den Reifen auch in meiner heilpädagogischen Voltigiergruppe ein; er bringt Abwechslung, Motivation und reichlich sportmotorisches und koordinatives Training. In der Gruppe sind in wechselnder Besetzung bis zu acht Kinder mit leichten, mittelschweren und schweren Beeinträchtigungen körperlicher und / oder geistiger Herkunft. Die Beeinträchtigungen reichen von unterschiedlich gravierenden Störungen aus dem Autismus-Spektrum über genetische Störungen mit Beeinträchtigungen der sensorischen Fähigkeiten (Körperwahrnehmung, Sehen und Hören) und allgemeinen Entwicklungsverzögerungen, ADHS sowie Angststörungen bis hin zu sozial-emotionalen Auffälligkeiten. Neben dem grundlegenden Beziehungsaufbau zu den Kindern, je nach Entwicklungsverzögerung häufig erst zum Pferd und dann über das Pferd zu mir, soll die Gruppe den Rahmen bieten für eine Kommunikation der Teilnehmer untereinander und ein gemeinsames spielerisches Agieren und freudvolles Bewegen. Den Einstieg bietet dabei die Kommunikation über Körper-Bewegung. Dafür eignet sich - neben zahlreichen anderen Hilfsmitteln - auch der Hula-Hoop-Reifen ganz hervorragend. Im Folgenden wird eine Auswahl an Möglichkeiten vorgestellt: Nach einem allgemeinen Aufwärmprogramm - wie vor jeder Stunde - lassen sich die Anforderungen und die Spannung in dieser Phase mithilfe mehrerer Reifen steigern: 186 | mup 4|2017 Praxistipp: Daute - Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Übung 1 Acht Reifen werden nahtlos, jeweils zwei neben- und vier hintereinander, auf den Boden gelegt und bilden somit eine Art Koordinationsleiter, durch die sich die Kinder auf unterschiedlichste Weise gehend, laufend und hüpfend, vorwärts, rückwärts oder seitwärts hindurchbewegen - der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt (siehe Abb. 1 und Abb. 2). Übung 1 mit Variationen Zur Steigerung der Anforderung werden alle Reifen in einer Reihe sich hälftig überlappend gelegt. Nach frei zu wählenden Versuchen, bei der Durchquerung keinen Reifen zu berühren, steht als Ziel, ohne Zwischenhüpfer zwei- oder einbeinig durch die Reihe zu hüpfen. Das ist für die meisten Kinder eine hohe Anforderung, sodass es dabei auch jede Menge Spaß gibt und viele Assoziationen zu Häschen- und Känguru-Hüpfen aufkommen (siehe Abb. 3). Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Praxistipp: Daute - Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 4|2017 | 187 Dann geht’s aufs Pferd: Übung 2 Das Pferd wird im Schritt longiert, eine Person sitzt auf dem Pferd, die anderen Gruppenmitglieder laufen - möglichst gleichmäßig verteilt - innen (eher die kleineren) und außen mit. Ein Hula-Hoop-Reifen wird von innen nach außen über den Reiter weitergegeben und zurück, bis alle den Reifen mal gehabt haben und einige Runden gelaufen sind. Zur Abwechslung kann der Reiter den Reifen hinter dem Rücken weitergeben und das Ganze auch im Rückwärtssitz absolvieren. So bleibt die „Bodentruppe“ in Bewegung. Die Übung motiviert, fördert die Gemeinschaft sowie Aufmerksamkeit und je nach Position die Gleichgewichtsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Kopplungs- und Umstellungsfähigkeit wie auch die räumliche Orientierungsfähigkeit (siehe Abb. 4, 5 und 6). Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 188 | mup 4|2017 Praxistipp: Daute - Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Wir fahren fort mit weiterführenden Übungen auf dem Pferd: Übung 4 Das Pferd wird im Schritt longiert. Eine Person sitzt vor- oder rückwärts auf dem Pferd und hält einen Reifen mit beiden Hän- Übung 3 Das Pferd wird im Schritt longiert, eine Person sitzt auf dem Pferd (vor- oder rückwärts), die übrigen Gruppenmitglieder positionieren sich möglichst gleichmäßig außen um den Longenzirkel. Bis auf eine Person haben alle einen Hula-Hoop-Reifen in der Hand. Die Person auf dem Pferd hat nun die Aufgabe, sich einen Reifen von einer Person zu nehmen und ihn an die Person ohne Reifen weiterzugeben. Das Spiel wird einige Runden fortgesetzt, bis möglichst alle Außenstehenden mal einen Reifen gehabt und abgegeben haben. Um mehr Bewegung in das Spiel zu bringen, bekommt die Person, die ihren Reifen abgegeben hat, die Aufgabe, einmal um den Longenzirkel herumzulaufen, bis sie wieder an der alten Position angelangt ist. Bei dieser Variante werden praktisch dieselben kognitiven und sportmotorischen Fähigkeiten gefördert wie bei Übung 2. Bei fortgeschrittenen Gleichgewichtsfähigkeiten und weitgehender Gruppendisziplin lässt sich diese Übung auch im Trab und Galopp durchführen. Das bringt deutlich Schwung und ein wenig Rasanz in die Übung und bringt eine hohe Motivation mit sich - vorausgesetzt alle (vor allem auch der / die Übungsleiter) behalten einen guten Überblick über die Situation. den - symmetrisch aufgeteilt - senkrecht vor dem Gesicht. In aufrechter Körperhaltung führt sie eine Seitneigung abwechselnd zu beiden Seiten durch. Der mit erhobenen Armen gehaltene Reifen unterstützt die aufrechte Dehnungshaltung und dient zur räumlichen Orientierung und Kontrolle über die korrekt ausgeführte Übung (Frontalebene). Die Seitneigung fördert die seitliche Rumpfdehnung und das Gleichgewichtsgefühl. Da sich die Person durch die Seitneigung jeweils aus dem Gleichgewicht bringt und die optimale mittige Gleichgewichtsposition immer wieder finden muss, ist diese Übung als Gegenerfahrung auch sehr gut zur Korrektur von Haltungsfehlern und asymmetrischen Sitzpositionen einsetzbar (siehe Abb. 7). Übung 4 Variation Weiter geht’s in der Transversalebene: Die Person hält mit gleicher Position der Hände am Reifen diesen waagerecht über dem Kopf, in aufrechter Haltung mit aus-, aber nicht durchgestreckten Armen. Nun führt sie eine Drehung zu beiden Seiten durch, dabei sollten der Reifen möglichst in derselben waagerechten Postition über dem Kopf verbleiben und die Abb. 7 Abb. 8 Praxistipp: Daute - Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 4|2017 | 189 Arme nicht absinken. Die Förderungseffekte sind praktisch die gleichen wie bei der vorigen Übung, lediglich in der anderen Körperebene. Die Bewegungen bei beiden Übungen sollten stets möglichst langsam und gleichmäßig, angeglichen an den Rhythmus der Pferdebewegung erfolgen. Somit wird auch gleichzeitig das Körpergefühl für die Pferdebewegung und die Rhythmisierungsfähigkeit geschult (siehe Abb. 8). Übung 5 Wir erhöhen allmählich die Geschwindigkeit der Übung, das erfordert mehr Geschicklichkeit und Konzentration: Die Person - vor- oder rückwärts auf dem Pferd sitzend - führt den Reifen um den Körper herum (siehe Abb. 9). Dabei sollten der Rumpf unter leichter Körperspannung weiter aufrecht und die Beine an gleicher Position bleiben. Es geht auch zu zweit etwas… Übung 6 Zwei Personen sitzen auf dem Pferd, entweder beide vorwärts oder eine vorwärts und eine rückwärts, erschwerend kann auch eine Person auf dem Hals sitzen. Sie fassen zusammen einen Reifen mit möglichst gleichmäßigem Handabstand und halten ihn wie in Übung 4 Variation möglichst hoch und waagerecht über ihre Köpfe. Ziel ist es, auf die Bewegung der anderen Person jeweils achtend, sie fühlend, auf sie eingehend (möglichst ohne verbale Absprache), mit dem Reifen gemeinsam Drehungen nach links und nach rechts zu machen. Dies sollte möglichst geruhsam und rhythmisch und ohne nenneswerte Abweichung des aufrecht gehaltenen Rumpfes geschehen. Neben den bereits erwähnten koordinativen Fähigkeiten wird hierbei besonders die achtsame und einfühlsame Körperkommunikation geübt (siehe Abb. 10 und 11). Das fiel den Zwillingsbrüdern P. und B. (acht Jahre alt und beide ADHS) anfangs nicht so Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 190 | mup 4|2017 Praxistipp: Daute - Hula-Hoop in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd leicht! Als beide vorwärts auf dem Pferd saßen, ertönten gegenseitige Vorwürfe, der eine würde den anderen aus dem Gleichgewicht drücken. Erst beim Rücken-an-Rücken sitzen konnten sie sich darauf einlassen, sich auf die Haltung und die Bewegung des Reifens zu konzentrieren und gemeinsam zu agieren, was ihnen dann schließlich gelang. Übung 7 Für den achtjährigen I. (frühkindlicher Autist), der erst seit einigen Stunden zur Gruppe kommt, war der Reifen, nach dem von ihm mit Freude aufgenommenen Pferdekontakt, eine erste Begegnung mit einem fremden Gegenstand. Er ließ sich die Freude am Reiten auf Semeles Rücken (am liebsten rückwärts) in keiner Weise dadurch nehmen, dass wir ihn mit dem Reifen „eingekreist“ haben. In die Hand nehmen wollte er ihn allerdings nicht…noch nicht. (siehe Abb. 12). Zur Erleicherung der Begleitung und damit wir mehr grade Linien gehen können, arbeiten wir hier auch mit dem Langzügel. Die Autorin Hedwig Daute Fachärztin für Orthopädie (nach Tätigkeit an der Sportklinik Hellersen eigene Praxis in Lüdenscheid bis 2010) mit den Schwerpunkten Chirotherapie, Akupunktur, psychosomatische Grundversorgung, Trainerin A Reiten (FN), Übungsleiterin Prävention (Ergänzungsqualifikation «Gesundheitssport mit Pferd»), Trainerin C Voltigieren (FN), Dozententätigkeit am Institut für Sportwissenschaft Dortmund, am Institut für „Social management and equine assistet therapy“ der Steinbeis-Hochschule-Berlin in Vechta sowie beim Pferdesportverband Westfalen, langjährige Mitarbeit in verschiedenen Ressortgruppen des Pferdesportverbands Westfalen. Anschrift Hedwig Daute · Dwarsweg 32 · D-26810 Westoverledingen rgs@daute.org Abb. 12