eJournals mensch & pferd international 9/4

mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2017.art24d
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Sattelfest im Schulalltag

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Magdalena Bauer
Der Schulalltag stellt SchülerInnen mit schulischen Leistungsschwächen täglich vor massive Herausforderungen. Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (HFP) bietet in diesem Kontext eine große Bandbreite an Möglichkeiten, betroffene Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu fördern. Basierend auf dem Grundlagenwissen neurobiologischer Prozesse können mithilfe des Pferdes einerseits Lernvorgänge auf kognitiver Ebene aktiviert werden, andererseits sozial-emotionale Erfahrungen geschaffen werden, welche positive Auswirkungen auf den Schulalltag haben.
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154 | mup 4|2017|154-166|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2017.art24d Magdalena Bauer Schlüsselbegriffe: Schulische Leistungsschwäche, Ganzheitliche Lernförderung mit dem Pferd, Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd Der Schulalltag stellt SchülerInnen mit schulischen Leistungsschwächen täglich vor massive Herausforderungen. Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (HFP) bietet in diesem Kontext eine große Bandbreite an Möglichkeiten, betroffene Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu fördern. Basierend auf dem Grundlagenwissen neurobiologischer Prozesse können mithilfe des Pferdes einerseits Lernvorgänge auf kognitiver Ebene aktiviert werden, andererseits sozial-emotionale Erfahrungen geschaffen werden, welche positive Auswirkungen auf den Schulalltag haben. Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd als unterstützende Maßnahme für Kinder und Jugendliche mit schulischer Leistungsschwäche Sattelfest im Schulalltag Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 155 Neurobiologische Grundlagen und Ganzheitlichkeit des Lernens Das wichtigste Organ, welches uns die Fähigkeit gibt zu lernen, ist unser Gehirn. Das „Gehirn“, lateinisch „Cerebrum“, ist der Sitz unseres Bewusstseins und steuert alle überlebensnotwendigen Funktionen unseres Organismus. Es wird von etwa 10 11 (also nahezu einer Billion) Nervenzellen, sogenannten Neuronen, gebildet, welche hochkomplex miteinander vernetzt sind. Aufgeteilt in mehrere verschiedene Abschnitte sowie eine linke und eine rechte Hälfte, erfüllen die einzelnen Bestandteile unseres Gehirns verschiedenste Funktionen und Aufgaben. Je besser, intensiver und kompakter die verschiedenen Abschnitte und die zwei Hälften miteinander vernetzt sind, umso effektiver und ganzheitlicher kann ein Mensch verschiedene Lernvorgänge erfassen, abspeichern und abrufen (Schröger 2010, 67). Vereinfacht könnte man sagen, dass jedes neugeborene Kind mit einem gewissen „Pool“ an Neuronen, welche bereits im Mutterleib gebildet werden, auf die Welt kommt. Jedes Mal, wenn sich das Kind bewegt, diverse Aktivitäten ausführt, liest, schreibt oder lernt, verbinden sich die Zellen unseres Nervensystems nach höchst komplexen Mustern zu einem Netz von neuronalen Pfaden. Mit jedem Lernvorgang und jeder neuen Erfahrung, die ein Kind macht, entscheidet sich also, wo und in welchen Gehirnarealen Verknüpfungen und Vernetzungen entstehen. Wenn vorhandene neuronale Bahnungen über gewisse Zeiträume nicht (mehr) „benutzt“ werden, werden sie abgebaut und der Grad der Vernetzung wird reduziert. Im Gegensatz dazu regt eine häufige Aktivierung derselben Neuronen durch ähnliche Lernvorgänge die Bildung von Myelin an. Dies ist eine vielschichtige weiße Segmentschicht aus fetthaltigem Phospholipid, welche zweierlei Funktionen erfüllt: Zum einen beschleunigt es die Geschwindigkeit der Informationsübermittlung. Gesendete Impulse bewegen sich nicht mehr langsam, sondern können an den Neuronen entlang springen. Zum anderen dient die Myelinhülle als Schutz bereits vorhandener neuronaler Bahnungen und verlangsamt den Abbau während längerer Phasen der Nicht-Aktivierung. Somit gilt also für jede Nervenzelle: Je öfter sie benutzt wird, je mehr Myelin sie umhüllt, umso schneller geschieht einerseits die Informationsverarbeitung und umso langsamer wird andererseits die vorhandene Vernetzung wieder abgebaut. Des Weiteren hat auch das Lernen mit verschiedenen Sinnen Auswirkung auf die Intensität der Verknüpfung. Je mehr Sinne mit ein und demselben Thema konfrontiert sind, je ganzheitlicher ein Element erfahren werden kann, umso intensiver ist die Verknüpfung in unserem Gehirn (Hannaford 2013, 17 f). Anhand der oben aufgeführten Aspekte der neurobiologischen Plastizität sowie der zahlreichen vielschichtigen Verknüpfungen und Aufgabenbereiche der verschiedenen Gehirnareale dürfte klar geworden sein, dass unser „Lernen“ durch viele Aspekte beeinflusst und geprägt ist. Unser Schulsystem ist leider nach wie vor sehr häufig dadurch gekennzeichnet, dass große Mengen an Informationen als Vortrag, in mündlicher oder schriftlicher Weise, übermittelt werden. Die Sprache ist das Mittel der Wahl, um Kindern und Jugendlichen Wissen zu vermitteln. Tatsache ist jedoch, dass erfolgreiches Lernen niemals durch reine Übermittlung sprachlicher Informationen geschieht, sondern vielmehr von diversen Größen beeinflusst wird. Der erste Faktor von maßgeblicher Bedeutung in Bezug auf unsere Lernintensität sind die Art der Informationsübermittlung und die Umgebung, in der gelernt wird. Lernen sollte in einem Umfeld geschehen, das möglichst viele Sinne anspricht und aktives Handeln erfordert. Theoretische Inhalte sollten einen möglichst realen Bezug zum Leben erhalten Erfolgreiches Lernen geschieht durch vielfältige Angebote, die verschiedene Sinneskanäle ansprechen. 156 | mup 4|2017 Bauer - Sattelfest im Schulalltag und durch möglichst viele Sinne erfahren werden können. Um hierfür ein Beispiel zu nennen: Wenn im Biologieunterricht das Lebewesen „Pferd“ besprochen wird, sollte dieser Unterricht nicht rein theoretisch im Klassenraum bleiben. Optimalerweise wird eine Exkursion in einen nahegelegenen Stall ermöglicht, sodass die Lernenden das Wesen „Pferd“ mit allen Sinnen erfassen können. Bezogen auf die neuronale Bahnung im Gehirn hätte dies folgenden Vorteil: Im Stall kann das theoretische Wissen vertieft werden, allerdings werden bedeutend mehr Sinne angesprochen als im Klassenraum. Der taktile Sinn durch das Berühren des Pferdes, der olfaktorische Sinn durch die spezifischen Stallgerüche, der auditive Sinn durch die spezifischen Pferdegeräusche wie Kauen, Schnauben oder Wiehern und auch der visuelle Sinn durch die diversen optischen Anreize. Somit würde das theoretische „Konstrukt“ Pferd durch das Erleben im Stall einen realen Bezug zum Leben erhalten und durch die verschiedenen Zugänge über die unterschiedlichen Sinne wird eine intensivere neuronale Bahnung im Gehirn gesichert (Hannaford 2013, 57 f). Der zweite wichtige Aspekt, welcher nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist die sozial-emotionale Entwicklung der Lernenden. Kinder und Jugendliche, welche erfolgreich lernen sollen, müssen in der Lage sein, vertrauens- und respektvolle Beziehungen einzugehen. Eine negative Beziehung, beispielsweise zur Lehrkraft, aber auch zu MitschülerInnen führt zu negativen Erlebnissen in der Schule und damit zu körperlichen Stressreaktionen. Diese Reaktionen veranlassen den Körper dazu, vermehrte Mengen des Neurotransmitters Cortisol zu produzieren (Hannaford 2013, 67). Bei länger andauernder Produktion von Cortisol wird jedoch die Gedächtnisleistung der lernenden Kinder dahingehend beeinflusst, dass die Bildung neuronaler Bahnungen verhindert wird, oder vorhandene Vernetzungen verloren gehen (Schröger 2010, 133). Somit sind neue Lernvorgänge sowie das Abrufen von vorhandenem Wissen in emotional negativ besetzten Umgebungen nicht möglich. Im Gegensatz dazu führen positive Erlebnisse, Emotionen und Assoziationen zur vermehrten Bildung von Endorphinen, wodurch es zur Freisetzung von Dopamin, dem Belohnungserwartungstransmitter, kommt. Bei Kindern, welche Lernen mit Erfolgserlebnissen und positiven Reaktionen verknüpfen, kommt es zu besseren Lernerfolgen, da dieser Botenstoff das Auswachsen und die Neubildung synaptischer Verbindungen anregt (Hüther 2015, 107). Die besondere Bedeutung von Bewegung Über den Zusammenhang von Bewegung und schulischer Leistung gibt es bereits eine Vielzahl an durchgeführten Studien und Erfolgsnachweisen. Generell werden dabei die Auswirkungen länger- und kurzfristiger Bewegungsangebote auf verschiedene Leistungsparameter unterschieden. Im Folgenden werden zwei Studien wiedergegeben, welche über die Auswirkungen von langfristigen Bewegungsangeboten auf das schulische Leistungsverhalten Auskunft geben: 1. Review von Francois Trudeau und Roy J. Shephard (2008): Trudeau und Shephard veröffentlichten in einem Review den Zusammenhang zwischen schulischen Sportaktivitäten und schulischer Leistungsfähigkeit. Die von ihnen ausgewerteten Datenmengen bezogen sie unter anderem von den Datenbanken MEDLINE (1966-2007) und PSYCHINFO (1974-2007). Trudeau und Shephard (2008) stellten fest, dass keine Verschlechterung der schulischen Leistung bei jenen SchülerInnen eingetreten ist, die vermehrt am Sportunterricht teilgenommen haben, obwohl dies mit einer Kürzung anderer Schulfächer einherging. Körperliche Aktivität fördert Gehirnprozesse, indem sie auf Struktur und Funktion des Gehirns einwirkt. Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 157 2. Im Rahmen einer längerfristig angelegten Studie wurde von Kamijo u. a. (2011) der Effekt eines neunmonatigen Fitnesstrainings auf die Updating-Leistung von siebenbis neunjährigen Kindern überprüft: Zusammenfassend wurde festgestellt, dass körperliches Training einerseits die Leistung das Arbeitsgedächtnisses an sich verbessert, andererseits aber auch die Abrufgenauigkeit seiner Inhalte (Kamijo u. a. 2011, 1046 f). Die beispielhaft angeführten Studien sollen die Auswirkung längerfristiger Bewegungsangebote auf das schulische Leistungsverhalten verdeutlichen, wobei obige Aufzählungen keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Im Bereich der Auswirkung längerfristiger Bewegungsangebote (>6 Monate) scheint im Kontext der HFP der nennenswerteste Aspekt jener der neurobiologischen Anregung und Veränderungen zu sein. Körperliche Aktivität fördert Gehirnprozesse dahingehend, dass sie auf Struktur und Funktion des Gehirns durch Neuentwicklung und Vernetzung von Neuronen einwirkt (Kubesch 2016, 122). Hier bietet das Pferd einen entscheidenden Vorteil: Durch die Möglichkeit des Sitzens auf dem Pferderücken erhält der / die KlientIn auf dem Pferd ständig verschiedene Impulse, abhängig von der Gangart. Der Begriff „Impuls“ bezeichnet hier einen Sachverhalt, der den Körper dazu veranlasst, Muskeln anzuspannen oder zu dehnen, Gelenke und damit zusammenhängende Knochen in eine gewünschte Position zu bringen, sodass das Gleichgewicht auf dem Pferd gehalten werden kann, unabhängig davon, in welchem Setting mit dem Pferd gearbeitet wird. Durch die dauernde Ansprache der nervlichen Verbindungen von Gehirn, Nerven und Muskeln werden zahlreiche neurale Bahnen aktiviert und verknüpft. Somit wird das Netz der Neuronen, rein durch das Sitzen auf dem Pferd in verschiedenen Gangarten, vor allem im Kleinhirn und den Basalganglien aktiviert, ausgebaut und weiter verschaltet (Hartje 2009, 46; Lee u. a. 2015, 115). Bezogen auf kurzfristige Bewegungsangebote unmittelbar vor, während oder nach einem Lernvorgang geht es um unterschiedliche Aspekte der Lernförderung: Bei Ausübung einer Bewegung vor der kognitiven Leistung wird angenommen, dass die synaptische Veränderungsfähigkeit im Gehirn durch die Bewegung angeregt wird und dadurch das Konzentrationsniveau erhöht wird (Boriss 2015, 104 f). Ellemberg und St-Louis-Deschêne (2010) untersuchten anhand von 72 Jungen in zwei verschiedenen Altersklassen (sieben und zehn Jahre) die Auswirkung eines sportbetonten Programms mittels des Choice-Response-Time- Tasks, welcher unmittelbar vor bzw. nach der Aktivität durchgeführt wurde. Ergebnisse zeigten, dass die Gruppe, welche ein 30-minütiges Training absolviert hatte, im Vergleich zur Kontrollgruppe, welche 40 Minuten vor dem Fernseher verbrachten, signifikant bessere Leistungen im Bereich der kognitiven Flexibilität erbrachten (Ellemberg / St-Louis-Dêschenes 2010, 122 f). Findet eine Bewegung während des kognitiven Leistungsvorganges statt, so geht es hauptsächlich darum, alternative Lernzugänge und -kanäle zu aktivieren. Ein Fallbeispiel Iris (Name des Kindes geändert) hat Probleme mit einer bestimmtem Multiplikationsreihe. Die einzelnen Rechnungen dieser Reihe wurden gemeinsam mit den Ergebnissen auf große DIN A4 Blätter geschrieben. Die beschriebenen Blätter wurden außerhalb des Longierzirkels ausgelegt. Während des Aufwärmens im Schritt las Iris die jeweiligen Rechnungen mit den Ergebnissen vor. Nach etwa zwei Runden wurden die Papiere umgedreht und die Fachkraft fragte nach den verschiedenen Ergebnissen. Iris konnte alle zehn Rechnungen fehlerfrei aufsagen. In der nächsten Einheit erzählten sowohl Mutter als auch Tochter unabhängig voneinander, dass diese Multiplikationen, welche zuvor mit großen Schwierigkeiten verbunden waren, plötzlich einfach waren. Besonders eindrucksvoll ist folgender Satz von Iris: „Immer, wenn eine Rechnung der Viererreihe kommt, fühle ich das Pferdeschau- 158 | mup 4|2017 Bauer - Sattelfest im Schulalltag keln und auf einmal geht’s ganz einfach.“ Dies bestätigt meines Erachtens nach auf eindrückliche Weise, dass es gelungen ist, einen alternativen Lernkanal zu aktivieren. Die Sinnhaftigkeit einer Bewegung nach dem Lernvorgang wird damit begründet, dass die körperliche Aktivität die Speicherleistung begünstigen soll (Boriss 2015, 104 f). Interessant im Zusammenhang der Wirkung von Bewegung auf schulische Leistungsfähigkeit erscheint auch die Studie von Lee u. a. (2015), welche verschiedene Auswirkungen von Hippotherapie auf Kinder mit ADHS untersuchten. Unter anderem stellten sie fest, dass jene Kinder, welche an einem Hippotherapieangebot teilnahmen, einen deutlicheren Anstieg aktiver Kleinhirnareale zeigten als die der Kontrollgruppe. Diese Aussage erscheint in zweierlei Zusammenhängen interessant: Zum einen erhärtet dies die These, dass das Sitzen auf dem Pferderücken synaptische Veränderung im Gehirn hervorrufen und somit zu einer besseren neuralen Vernetzung beitragen kann. Zum anderen wirkt dies auch im Zusammenhang mit kurzfristigen Bewegungsangeboten unmittelbar im zeitlichen Kontext des Lernvorgangs, da diese angeregten Areale zu schnelleren synaptischen Anpassungen - und damit zu effektiveren Lernleistungen - fähig sind. Wenn man nun einerseits die Hintergründe neurobiologischer Lernprozesse, andererseits die verschiedenen Aspekte des ganzheitlichen Lernens sowie die Bedeutung der sozial-emotionalen Entwicklung zusammenfügt, erscheint das Pferd als Medium, welches im Bereich der Lernförderung eingesetzt werden kann, besonders geeignet, da Förderung auf verschiedensten Ebenen möglich ist. Förderung auf kognitiver Ebene Bezogen auf die Förderung der kognitiven Leistungsfähigkeit können sowohl Elemente der Vorbereitung und der Bodenarbeit sinnvoll genutzt werden als auch das Sitzen auf dem Pferd (im Voltigier- und Reitsetting). Beides scheinen Elemente mit großem Wirksamkeitsfaktor zu sein. Folgende verschiedene Aspekte sind erwähnenswert: Zum Ersten ist es während der Vorbereitung sehr einfach und ungezwungen möglich, beide Körperhälften der KlientInnen anzusprechen und somit beide Gehirnhälften zu aktivieren. Des Weiteren wird bei gezielten Putzvorgängen und bei Aufgaben, welche feinmotorische Fingerfertigkeit verlangen (Verschließen und Öffnen von Schnallen), die Augen-Hand-Koordination geschult, welche maßgebend z. B. am Schriftbild eines Kindes beteiligt ist. Der zweite Aspekt, der im Sinne der kognitiven Leistungsfähigkeit erwähnt werden soll, ist die Förderung der Raumwahrnehmung. Diese steht in unmittelbarem Zusammenhang mit höheren kognitiven Funktionen, vor allem mit der mathematischen Leistungsfähigkeit. Ein interessantes Detail: Beide Funktionen haben ihren Sitz im „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat das schönste Pferd im ganzen Land? “ Dies war das angewandte Stichwort, das Pferd möglichst sauber zu putzen. Durch diesen kleinen Slogan wurde für die notwendige Motivation gesorgt und es konnten spielerisch kleine Aufgaben in den Putzvorgang integriert werden: In beiden Händen befinden sich Bürsten, es wird immer abwechselnd mit der linken und rechten Hand geputzt; die linke Pferdeseite wird mit der linken Hand geputzt, die rechte Pferdeseite mit der rechten Hand; spiralförmiges Putzen mit einem Gummistriegel, wobei immer ein großer Kreis mit festem Druck, ein kleiner Kreis mit sanftem Druck gemacht wird … Übung zur Augen-Hand- Koordination: Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 159 Gehirn gemeinsam im Parietallappen (Schröger 2010, 95). Die Raumwahrnehmung kann in verschiedenen Settings gefördert werden. Eine Möglichkeit ist, die Jugendlichen einfache Führübungen im Sinne der Bodenarbeit laufen zu lassen und dabei kleine Hindernisse einzubauen. Ein Seitenwechsel während des Führens kann einerseits die Perspektive verändern, andererseits wiederum beide Körperhälften in die Übung integrieren. Vom Pferd aus können, je nach reiterlichen Fähigkeiten, verschiedene Geschicklichkeitsübungen wie Slalom, Einparken in einer Stangengarage, Stangen-L einerseits für Abwechslung, andererseits für die Förderung der Raumorientierung genutzt werden. Ebenso ist es möglich, im Umgang mit dem Pferd schulischen Themen einen Kontext zu geben, die im Schulalltag so nicht gesehen werden und damit das Lernen erschweren. Fallbeispiel Iris (Name des Kindes geändert) hat in Mathematik massive Probleme und verweigert sich bezogen auf Hausaufgaben, Lernmaterial etc. massiv. Im Kontext der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd wurde versucht, verschiedene mathematische Themengebiete auf anderer Ebene erfahrbar zu machen. Anstatt eine Multiplikationsreihe stumpf auswendig zu lernen, wurde berechnet, wie viele Hufnägel wohl notwendig seien, damit der Schmied vier Pferde mit je vier Hufeisen und sieben benötigten Hufnägeln pro Eisen beschlagen kann. Mit solchen kleinen Aufgaben wird der Druck, eine Aufgabe rechnen zu müssen, reduziert und dennoch werden mathematische Fähigkeiten geübt und unterstützt. Vor allem aber kann ein anderer, positiv besetzter Zugang zu einem negativ empfundenen Thema geschaffen werden. Zusätzlich kann die Koordinationsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen am Pferd gezielt und effektiv geschult werden: Übungen wie Armkreisen links und rechts, Ballspiele, Zielwürfe mit verschiedenen Materialien oder aber einfache und bekannte Übungen aus dem Voltigiersport können genutzt werden, um die Körperkoordination zu fördern (Riedel / Steinsiek 2013, 131). Aufgaben, welche das Überkreuzen der Körpermitte verlangen, können sich insofern als sinnbringend erweisen, da dies zusätzlich die Vernetzung der beiden Hirnhälften stärkt. Dieser bessere Grad der Vernetzung wiederum soll Lernleistungen positiv beeinflussen. Eine Übung, welche im Zuge der Fördereinheiten sehr beliebt war und sehr effektiv zur Schulung der Raumorientierung ist, nannte sich die „Klammeraffenübung“. Während des Aufwärmens des Pferdes im Voltigiersetting stehen die Kinder jeweils mit einer Wäscheklammer in der Mitte. Die Wäscheklammern müssen an einer bestimmten Stelle am Pferd (an der Ausrüstung des Pferdes) angebracht werden, während sich das Pferd in den verschiedenen Gangarten an der Longe bewegt. Eine mögliche Erweiterung: Der Longenführer bringt vor dem Loslaufen mit Wäscheklammern verschiedene Zahlenkärtchen am Pferd an. Nun müssen die Kinder die Zahlenkärtchen abnehmen und bis zu einer gewissen Summe addieren; anstatt des Zahlenkärtchen werden Rechnungen und (von den Rechnungen getrennt) Lösungen ans Pferd geklammert. Die Kinder / Jugendlichen klammern die Kärtchen ab, Rechnung und Lösung müssen sich finden. Übung „Klammeraffe“ zur Raumorientierung: In der HFP können schulische Themen Kontexte erhalten, die in der Schule nicht gesehen werden. 160 | mup 4|2017 Bauer - Sattelfest im Schulalltag Ein letzter Aspekt, der hier erwähnt werden soll, ist die Bewegung des Pferdes, welche unter Umständen genutzt werden kann, um alternative Lernkanäle zu aktivieren. Förderung auf sozial-emotionaler Ebene Auch die sozial-emotionale Entwicklung kann mit den verschiedenen Methoden der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd unterstützt werden. Der erste Aspekt, der hier erwähnt werden soll, ist jener des Übens gelungener Kontaktaufnahmen. Das Pferd eignet sich auf ideale Weise, Kindern eine emotional positive und angebrachte Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Aus einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis heraus wollen die meisten Kinder von sich aus Kontakt mit dem Tier aufnehmen. Dieses menschliche Bedürfnis beschrieb Edward O. Wilson bereits 1984 und prägte den Begriff der „Biophilie“ - also die grundgegebene Affinität zu Leben und Lebewesen (Prothmann 2012, 22). Aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften haben Pferde, da sie weder Reißzähne noch Krallen haben, eine grundsätzlich vertrauenerweckende Ausstrahlung, dennoch erzeugt ihre Körpergröße und ihre Kraft Respekt, manchmal auch ein wenig Angst (Gäng 2010, 22). Die Kontaktaufnahme und Beziehungsanbahnung mit dem Pferd gelingt dann, wenn sie im Rahmen eines dynamischen Prozesses erfolgt, in dem eine angemessene Distanz erprobt und ausgelotet wird. In jeder Begegnung muss der geeignete Kompromiss zwischen Nähe suchen und Abstand halten gefunden werden. Denn auch ein Pferd empfindet, ähnlich wie der Mensch, eine unvorhergesehene, unangebrachte, zu intensive Kontaktaufnahme als negativ und wendet sich ab. Wenn diese aber gelingt, lässt das Pferd jedoch schnell so viel Nähe zu, wie sie im zwischenmenschlichen Bereich bereits als intim bezeichnet werden würde. Es zeigt sein Wohlbefinden unmittelbar durch sein Ohrenspiel, Lautäußerungen wie Schnauben, entspanntes Aussehen und bietet somit ein optimales Lernfeld (Voßberg 2010, 178 f). Um aus dem entstandenen Kontakt nun Beziehungserfahrungen erlebbar werden zu lassen und Kommunikation auf verschiedenen Ebenen üben zu können, werden diverse Formen der Bodenarbeit sinnvoll genutzt. Das Kind erlebt die Wirkung seines Verhaltens durch die unmittelbare und natürliche, wertfreie Reaktion des Pferdes, und kann im Umgang mit ihm Kommunikationsformen und Präsenzstrategien üben. Eine sinnbringende Interaktion mit dem Tier entsteht dann, wenn die KlientInnen bereit sind, eigene Muster zu hinterfragen und gegebenenfalls zu unterbrechen (Schmitz 2015, 25 f). Während der Arbeit mit dem Pferd muss unerlässlicherweise die ranghöhere Position eingenommen werden. Dies verlangt ein gewisses Maß an Autorität, das dennoch ein großes Maß an Vertrauen zulässt. Hier ist eine enge Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Erziehungsberechtigten absolut notwendig, um sinnvoll fördern zu können. Sind es zum Beispiel bestimmte englische Vokabeln, mit welchen das Kind / der Jugendliche Probleme hat, wäre es eine Möglichkeit, die betreffenden Wörter groß auf DIN A4-Zettel zu drucken und gut sichtbar außerhalb des Longierzirkels auszulegen. Das Kind / der Jugendliche muss während der Aufwärmphase die betreffenden Wörter lesen (die Wörter sind auf getrennten Zetteln sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch geschrieben). Anschließend werden entweder die deutschen oder die englischen Zettel entfernt und das Kind / der Jugendliche muss die jeweilige Übersetzung beim Vorbeireiten an den liegengebliebenen Zetteln wissen. Dies ist alternativ auch möglich mit Multiplikationsreihen, Gedichtsstrophen etc. Übung zur Aktivierung alternativer Lernkanäle: Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 161 Tab. 1: Überblick über die wichtigsten Förderaspekte mit Auswirkung im kognitiven Bereich auf den Schulalltag Die KlientInnen müssen klare und kongruente Signale senden, mit denen sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollen. Auch hier antwortet das Pferd unmittelbar, indem es seinem „Leittier“ Mensch folgt oder entsprechend anders reagiert (Opgen- Rhein u. a. 2012, 7 f). Vor allem für Kinder, welche sehr introvertiert sind und sich bei Gesprächen schnell eingeschüchtert fühlen, kann die Erfahrung, dass sich ein Tier von dieser Größe auf eine Kooperation einlässt, von großer Bedeutung für das tägliche Leben sein. Auch die Arbeit auf dem Pferd dient der Anbahnung eines Dialogs und damit dem Aufbau einer Beziehung. Auf dem Pferd wird durch das Eingehen auf dessen Bewegung die eigene Dialogfähigkeit verstärkt entdeckt. Die Beziehung wird durch das unmittelbare Erleben des Einklangs der Bewegungen, vor allem im Galopp, gefordert und gefördert. Der Beziehungsdialog auf dem Pferd knüpft stark an Watzlawicks Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ an und regt ein Schlüsselprinzip früher nonverbaler Kommunikation an. Damit wird dieser nonverbale Dialog zu dem beziehungsstiftenden Element schlechthin (Schulz 2005, 22 f). Die Arbeit mit dem Pferd lässt allerdings nur dann Veränderung zu, wenn die durchführende Fachkraft die Situation mitgestaltet und aus dem Dialog zwischen Pferd und ReiterIn eine trianguläre Interaktion entstehen lässt. Unter ständiger Nutzung der Feedbackschleife, welche von dem Medium Pferd ausgeht, können alle Beteiligten von- und miteinander lernen. Die Beziehung und das Umgehen mit dem Pferd, von dem Pädagogen / der Pädagogin gezeigt, ist dabei Modell für den fairen Umgang und die wechselseitige Beziehung zueinander. Wenn das Vertrauen in diesem System wachsen soll, muss im Sinne der sachorientierten Partnerschaft miteinander kommuniziert werden. Kommt es zu Missverständnissen in der Kommunikation mit dem Pferd, müssen diese von der Fachkraft klar und sachlich aufgelöst werden (Schulz 2005, 27 f). Die Beziehungsfähigkeit kann verstärkt gefördert werden, indem der Rahmen um den Aspekt der Gruppe erweitert Zu fördernde kognitive Aspekte Fördermöglichkeiten am Boden Fördermöglichkeiten am Pferd Auswirkung auf das schulische Leistungsverhalten Förderung der Links- Rechts-Koordination  Verbesserte Vernetzung der Hirnhälften Gezieltes Verwenden beider Hände während des Putzens, beidseitiges Führen Durch alle Übungen, welche ein Überkreuzen der Mitte verlangen Je gestärkter die Verbindung beider Gehirnhälften ist, umso ganzheitlicher, effektiver der Lernvorgang Förderung der Augen- Hand-Koordination Durch den Putzvorgang an sich Durch Übungen, die eine Zielbewegung verlangen (Zielwurf, Fangen von Bällen, Anbringen von Klammern …) Die Augen-Hand-Koordination ist maßgeblich am Schreiben und am Schriftbild beteiligt Förderung der Raumwahrnehmung Bei gezielten Führübungen (über Stangen, Slalom,…) Bei verschiedenen Spielen (Anlaufen und Begrüßen des Pferdes,…), beim freien Reiten in der Halle … Die Raumwahrnehmung ist maßgeblich bei mathematischen Prozessen und Denkvorgängen beteiligt Aufbau neuronaler Netzwerke in Kleinhirn und Basalganglien Durch alle Übungen, welche gezielte Bewegung erfordern (Putzen, Hufe auskratzen …), beim Reiten durch das Sitzen an sich, verstärkt bei verschiedenen Übungen Eine gute neuronale Netzwerkausbildung erleichtert uns verschiedene Lernvorgänge 162 | mup 4|2017 Bauer - Sattelfest im Schulalltag wird. Das oben beschriebene Beziehungsdreieck wird um ein oder mehrere Kinder und eventuell Pferde vergrößert. Damit bilden sich in der Zusammenarbeit laufend neue Drei- und / oder Vielecke. Die darin entstehenden Beziehungsinhalte, Konflikte und Themen können und müssen von der Fachkraft pädagogisch aufgegriffen sowie angemessen, wiederum im Sinne der sachorientierten Partnerschaft, gestaltet werden (Voßberg 2010, 188). Solche Räume sind vor allem für Kinder mit geringer Beziehungserfahrung eine Herausforderung, bieten aber unzählige Möglichkeiten des Mit- und Voneinanderlernens. Besonders interessant wäre es im Kontext der schulischen Leistungsförderung, wenn mit den gleichen Kindern wie im Klassenverband gearbeitet werden könnte, da so ein unmittelbarer Transfer in den Schulalltag erfolgen kann. KlientInnen, welche in ihrem täglichen Leben oft Ablehnung erfahren, wie es auch schulische Probleme mit sich bringen, begegnen neuen Herausforderungen häufig stereotyp in dem Glauben, diesen nicht gewachsen zu sein. Während der Arbeit auf dem Pferd bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, diese Negativspirale des „Nicht-Könnens“ zu unterbrechen. Zumeist sind das Interesse und die Motivation des „Ich-möchte-das-Schaffen“ durch den Aufforderungscharakter des Pferdes so hoch, dass die Motivation nicht seitens der Fachkraft künstlich erzeugt werden muss. Die Selbst- Zu fördernde sozialemotionale Aspekte Fördermöglichkeiten am Boden Fördermöglichkeiten am Pferd Auswirkung auf das schulische Leistungsverhalten Positives Selbstkonzept bei Kontaktaufnahme durch unmittelbare, wertfreie Reaktionen des Pferdes Kinder mit einem positiven Selbstkonzept gehen gestärkt in den Schulalltag und in die Klassengemeinschaft Erleben von Selbstwirksamkeit Durch gezielte Bodenarbeit Beim Reiten durch eigene Einflussnahme (Hilfengebung) Selbstbewusstes Herangehen an schwierige Aufgaben, bei mündlichen Aufgaben von Vorteil Stärken des Selbstbewusstseins Durch Erleben von Selbstwirksamkeit und gelungenen Übungen (sei es im Umgang, beim Voltigieren oder beim Reiten) stärkt sich das Selbstbewusstsein Je besser das Selbstbewusstsein, umso selbstsicherer das Auftreten und Gegenübertreten bei und während Herausforderungen Verbesserte Kommunikationsfähigkeit Durch Training und Wahrnehmung der kongruenten verbalen und nonverbalen Kommunikation im Umgang mit dem Pferd Durch Aussprechen von Wunschübungen, Äußern von eventuellen Ängsten, Bedenken; Absprache mit Anderen; in gewissem Maße durch das Eingehen in den Bewegungsdialog Eine verbesserte Dialogfähigkeit erleichtert den Umgang mit Klassenkameraden sowie Situationen mit mündlichen Überprüfungen Erleben von Beziehungsfähigkeit Durch Kontaktaufnahme mit dem Pferd, vor allem während der Fürsorge Durch das Getragen- Werden, vor allem durch den entstehenden Bewegungsdialog Kinder mit positiven Beziehungserfahrungen lernen nachweislich schneller und effektiver Tab. 2: Zusammenfassender Überblick über die wichtigsten Förderaspekte im sozial-emotionalen Bereich, welche Auswirkung auf den Schulalltag haben Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 163 überwindung dieser Kinder verdient hohe Anerkennung - in einem sehr individuellen Rahmen. Bei dem einen Kind erzeugt es bereits ein Gefühl von Stolz, wenn man wahrnimmt, dass es seine Hände im Schritt vom Voltigiergurt oder Sattel lösen kann, ein anderes versucht sich im verkehrten Sitzen im Galopp. Positive Verstärkung sollte möglichst regelmäßig, auch bei kleinen Fortschritten, erfolgen und nach individuellen Leistungssteigerungen oder auch bei den jeweiligen bemühten Versuchen eingesetzt werden, sodass die KlientInnen nach und nach eine Stärkung des Selbstbewusstseins erfahren und lernen dürfen, dass sie verschiedenen Herausforderungen gewachsen sind (Kröger 2010, 104 ff). Diese Erfahrungen der Kontaktaufnahme, der Kommunikations- und damit der Beziehungsfähigkeit ist im schulischen Kontext insofern wichtig, als in einer Klassengemeinschaft und im Umgang mit Lehrkräften ständige Kontaktaufnahmen und Kommunikation gefragt sind, um positive Beziehungen gestalten zu können. Unangebrachtes Verhalten führt meistens zu Unverständnis und Ablehnung, was bei dem betroffenen Kind Stress auslöst. Des Weiteren können Kinder und Jugendliche, welche während der Arbeit mit dem Pferd Selbstwirksamkeit erfahren haben und deren Selbstvertrauen dadurch gestärkt wurde, besser mit Herausforderungen und Konflikten umgehen. All diese Aspekte fördern eine positive Einstellung gegenüber dem Schulalltag, was die Bildung der erwünschten „Glückshormone“, die den Ausbau neuer neuronaler Verbindungen unterstützen sowie das Aktivieren und Abrufen vorhandener Neuronen und Informationen erleichtert. Abschließendes Fallbeispiel Iris (Name des Kindes geändert) wurde im November 2007 geboren und ist seit ihrer Geburt an Taubheit grenzend hörbeeinträchtigt, daher wurde ihr ein Cochlea-Implantat eingesetzt. Iris wird im ersten Gespräch sowohl von ihren Eltern als auch von ihrer Klassenlehrerin als prinzipiell gute Schülerin - mit einer Leistungsschwäche in Mathematik - beschrieben. Sie charakterisieren Iris als ein eher ruhiges Mädchen, welches einen stabilen Freundeskreis hat. Gegenüber neuen MitschülerInnen oder fremden Personen sei sie schüchtern, an neue Aufgaben geht sie eher verzagt heran. Sie traut sich ihrer Lehrerin zufolge auch im schulischen Kontext weniger zu, als sie eigentlich leisten könnte. Des Weiteren hat sie laut ihrer Mutter offenkundige Gleichgewichtsprobleme, welche sich unter anderem beim Fahrradfahren deutlich zeigen. Im Kontext der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd wurde sie als prinzipiell eher ruhig, aber sehr offen erlebt. Sie ging gerne und sofort in den Kontakt mit dem Pferd, der Kontaktaufbau zur Fachkraft war anfangs zögerlich, dennoch zeigte sie sich wissbegierig und fragte nach. Auf dem Pferd war sie deutlich unsicherer, kam relativ schnell aus dem Gleichgewicht und konnte sich nur schwer ausrichten. Besonders auffällig waren ihre Probleme in der Raumwahrnehmung: Es gelang ihr kaum, vorne / hinten, links / rechts, oben / unten zu benennen. Bei Anlaufspielen und Übungen zur Raumwahrnehmung zeigte sie sichtliche Defizite. Iris Förderschwerpunkt lag zunächst auf ihrer Körperwahrnehmung. Durch verschiedene Spiele („Wie viele Hände fühlst du? “, „Setz dich hin wie ein nasser Sack, wie eine Betonmauer, wie ein Cowboy, wie ein Dressurreiter…“) sowie durch einfache Voltigierübungen gelang es, ihr Körpergefühl soweit zu schulen, dass sie gerne in den drei Grundgangarten ritt und sich zum Teil bereits auf den Bewegungsdialog einlassen konnte. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Förderung ihrer Raumorientierung. Hier wurde sowohl vom Boden als auch vom Pferd aus in verschiedenen Varianten gearbeitet. Mit Abschluss der Einheiten konnte sie ihr Pferd sicher durch einen von ihr aufgebauten Parcours bewegen. Dabei führte sie das Pferd entweder selbst oder konnte von oben aus die Richtung benennen, in welche das Pferd gehen 164 | mup 4|2017 Bauer - Sattelfest im Schulalltag sollte. Des Weiteren wurden zahlreiche mathematische „Spiele“ durchgeführt. Ein Beispiel: Am Pferd wurden verschiedene Zahlen / einfache Rechnungen angebracht. Die Kinder der Gruppe liefen hin, nahmen eine Zahlenkarte herunter und liefen in die Mitte, dabei riefen sie ihre Zahl. Alle Zahlen wurden von Iris addiert, bis eine gewisse Summe erreicht wurde oder die Fachkraft die Übung beendete. Anschließend wurde kontrolliert, ob richtig gerechnet wurde. Zusätzlich wurde versucht, mithilfe der Bewegung des Pferdes alternative Lernzugänge und spielerische Zugänge zum Thema zu schaffen (s. Fallbeispiele oben). Nach einem Semester wöchentlicher Teilnahme an der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd zur Unterstützung bei schulischer Leistungsschwäche entstanden folgende Veränderungen: Die Mutter berichtete in einem abschließend durchgeführten Interview im Juli 2016: „Iris fährt deutlich lieber mit dem Fahrrad und kann vor allem in Kurven ihren Weg besser und sicherer einhalten. (…) Bei Mathematikübungen ist sie schneller.“ Die Klassenlehrerin von Iris berichtet im Abschlussinterview (ebenfalls Juli 2016) Folgendes: „Iris bewegt sich im Turnunterricht sicherer und trifft vor allem bei Ballspielen ihr Ziel häufiger. (…) Ihre Leistung in Mathematik hat sich verbessert.“ Iris selbst erzählte, wie bereits oben im Text erwähnt, dass sie vor allem Übungen, welche wir direkt auf dem Pferd durchgeführt haben, leichter und schneller absolvieren kann. Fasst man nun die einzelnen Meinungen sowie das Ergebnis der Zeugnisnoten zusammen, so kann man Folgendes daraus schließen: Iris konnte durch die Förderung mit dem Pferd sowohl ihr Gleichgewicht als auch ihre Raumwahrnehmung verbessern. Da man aus der Hirnforschung weiß, dass die Raumorientierung und das mathematische Denken stark miteinander verknüpft sind, kann man daraus schließen, dass mit der verbesserten Raumwahrnehmung die besseren Ergebnisse im Fach Mathematik einhergehen (Schröger 2010, 95 f). Auch der zeitliche Zusammenhang, in dem in der HFP eine verbesserte Raumwahrnehmung festgestellt wurde, stimmt mit dem Zeitpunkt überein, in dem sowohl Lehrerin als auch Mutter verbesserte mathematische Leistungen feststellten. Zusätzlich scheinen die verschiedenen mathematischen Übungen, welche rund ums und mit dem Pferd durchgeführt wurden, den Spaß an der Mathematik erhöht und Druck bzw. Stress genommen zu haben. Schlussendlich konnte in Mathematik im Jahreszeugnis gegenüber dem Halbjahreszeugnis eine Notenverbesserung um einen Grad erreicht werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd zur Unterstützung bei schulischen Leistungsschwächen auf verschiedenen Ebenen sinnvoll möglich ist. Im Bereich der kognitiven Ebene können neurale Bahnungen aktiviert und besser vernetzt werden, ebenso wird die Vernetzung der beiden Gehirnhälften gefördert. Diese Aspekte haben Einfluss auf das kognitive Lernverhalten von SchülerInnen, da erhöhtes Potenzial für strukturelle Plastizität und Anpassungsfähigkeit und damit für das Vermögen zu lernen zur Verfügung steht (Kubesch 2016, 123). Des Weiteren kann für negativ besetzte Lerngebiete ein alternatives, positives Lernfeld geschaffen und somit die Motivation zu lernen gesteigert werden. Die Förderung der Raumwahrnehmung, welche in nachweislichem Zusammenhang mit dem mathematischen Denkvermögen steht, sowie der Augen-Hand- Koordination, welche am Schriftbild beteiligt ist, wirken sich ebenso positiv auf die Schulleistung aus. Die sozial-emotionalen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen unterstützen bei diversen, innerhalb des Schulalltags entstehenden Kommunikations- und Beziehungsanbahnungen und Durch gezielte Förderung ließ sich eine schulische Leistungssteigerung, gemessen an Zeugnisnoten, erzielen. Bauer - Sattelfest im Schulalltag mup 4|2017 | 165 helfen dabei, eine positive Grundstimmung zu schaffen. Das durch die Förderung mit dem Pferd gestärkte Selbstbewusstsein ist von Nutzen, wenn es darum geht, mit dennoch entstehenden Konflikten umzugehen und schulischen Herausforderungen mit weniger Stress gegenübertreten zu können. Dies soll keineswegs heißen, dass Kinder mit schulischen Leistungsschwächen zwingend Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme oder mit sozialen Kompetenzen haben. Die Förderung auf sozial-emotionaler Ebene kann jedoch ein Lernfeld darstellen, wenn Probleme auf dieser Ebene zu den schulischen Leistungsproblemen erschwerend hinzukommen oder unter Umständen ursächlich für die schulischen Probleme sind. Durch die vielfältigen Problemursachen ist eine intensive Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Bezugspersonen nicht nur wünschenswert, sondern von größter Bedeutung, um effektiv handeln zu können. Eine wünschenswerte Option wäre es, unter Umständen mit einem Teil der Klasse gemeinsam zu arbeiten oder Lehrkräfte direkt in die Arbeit mit dem Pferd einzubinden. Dies verlangt jedoch ein hohes Maß an Engagement und Unterstützung seitens der Schule und ist nicht immer möglich. Dennoch ist ein regelmäßiger, zumindest verbaler Austausch mit den Lehrkräften und Erziehungsberechtigten von zwingender Notwendigkeit, um im Bereich der schulischen Leistungsfähigkeit effektiv fördern zu können. In allen Aspekten der Förderung sind der Fachkraft, bezogen auf Kreativität und Einfallsreichtum, keine Grenzen gesetzt. Dabei muss natürlich zum einen auf die eigenen (schulischen) Fähigkeiten, zum anderen auf die Fähigkeiten der KlientInnen Rücksicht genommen werden, um Überforderung auf beiden Seiten zu vermeiden. Einige Institutionen und Schulen gibt es bereits, die mit einer solchen Form der Förderung arbeiten. Wünschenswert wäre es jedoch aus meiner Sicht, dass die Sinnhaftigkeit eines solchen Programms noch mehr anerkannt wird, sodass Förderungen wie diese noch mehr bestimmten, zu fördernden Personengruppen zugänglich gemacht würden. Einige sogenannte Lernschwächen oder Defizite würden sich durch gezielte Förderung mit dem Pferd wohl deutlich verbessern, wenn nicht sogar vermeiden lassen. Literatur ■ Boriss, K. (2015): Lernen und Bewegung im Kontext der individuellen Förderung: Förderung exekutiver Funktionen in der Sekundarstufe 1. Springer, Heidelberg, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-658-11372-8 ■ Ellemberg, D., St-Louis-Dêschenes, M. (2010): The effect of acute physical exercise on cognitive function during development. Psychology of Sport and Exercise 11, 122-126, https: / / doi. org/ 10.1016/ j.psychsport.2009.09.006 ■ Gäng, M. (2010): Heilpädagogisches Reiten. In: Gäng, M. (Hrsg.): Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. 6. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel, 21-99 ■ Hannaford, C. (2013): Bewegung: Das Tor zum Lernen. 8. Aufl. VAK, Kirchzarten bei Freiburg ■ Hartje, W. C. (2009): Therapieren mit Pferden: Heilpädagogik, Hippotherapie, Psychiatrie. Eugen Ulmer, Stuttgart ■ Hüther, G. 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