mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forum: Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit
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Martin Lasser
„Auch Pferde dürfen Fehler machen und daraus lernen!“ Schon vor mehr als 15 Jahren war ich bei einer Diskussionsrunde der Fachzeitschrift „Pferderevue“ zum Thema Stangenarbeit eingeladen. Damals waren sich alle Beteiligten einig, dass es sinnvoll und hilfreich ist, Pferde mittels Stangenarbeit zu fördern, zu unterstützen und / oder aufzuwärmen. In der Zwischenzeit habe ich mich intensiv mit dieser Arbeit beschäftigt und viele Zusammenhänge und Einsatzmöglichkeiten erkennen dürfen. Die Basis für dieses Verständnis entstand während meiner Tellington-Ausbildung für Pferde und Kleintiere. Ich persönlich denke, dass Pferde, die wie Soldaten ausgebildet werden, auch nur die Arbeit von Soldaten leisten können. Exerzieren und hunderte Wiederholungen schalten das Gehirn aus und erzeugen Befehlsempfänger, was sehr gut funktioniert, wenn viele das Gleiche machen sollen. Wenn ich allerdings ein Wesen an meiner Seite haben möchte, das mitdenkt, sich für die Herausforderungen eines Menschen mit Beeinträchtigung interessiert oder auch mal eine Aufgabe selbstständig zu Ende führt, wenn die führende Person unaufmerksam oder nicht voll fit ist, muss kreativ und abwechslungsreich trainiert werden. Diese Pferde haben mehr Gleichgewicht (geistig, seelisch, körperlich) und ein besseres Körpergefühl. Sie können ihre Kraft einschätzen und damit haushalten.
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164 | mup 4|2018|164-169|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2018.art22d Forum Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit Über den Wert von Stangen- und Bodenarbeit für Therapie-, Schul- und Sportpferde Martin Lasser „Auch Pferde dürfen Fehler machen und daraus lernen! “ Schon vor mehr als 15 Jahren war ich bei einer Diskussionsrunde der Fachzeitschrift „Pferderevue“ zum Thema Stangenarbeit eingeladen. Damals waren sich alle Beteiligten einig, dass es sinnvoll und hilfreich ist, Pferde mittels Stangenarbeit zu fördern, zu unterstützen und / oder aufzuwärmen. In der Zwischenzeit habe ich mich intensiv mit dieser Arbeit beschäftigt und viele Zusammenhänge und Einsatzmöglichkeiten erkennen dürfen. Die Basis für dieses Verständnis entstand während meiner Tellington-Ausbildung für Pferde und Kleintiere. Ich persönlich denke, dass Pferde, die wie Soldaten ausgebildet werden, auch nur die Arbeit von Soldaten leisten können. Exerzieren und hunderte Wiederholungen schalten das Gehirn aus und erzeugen Befehlsempfänger, was sehr gut funktioniert, wenn viele das Gleiche machen sollen. Wenn ich allerdings ein Wesen an meiner Seite haben möchte, das mitdenkt, sich für die Herausforderungen eines Menschen mit Beeinträchtigung interessiert oder auch mal eine Aufgabe selbstständig zu Ende führt, wenn die führende Person unaufmerksam oder nicht voll fit ist, muss kreativ und abwechslungsreich trainiert werden. Diese Pferde haben mehr Gleichgewicht (geistig, seelisch, körperlich) und ein besseres Körpergefühl. Sie können ihre Kraft einschätzen und damit haushalten. Grundsätze der Bodenarbeit Am Anfang habe ich geschrieben: „ Auch Pferde dürfen Fehler machen und daraus lernen.“ Was habe ich damit gemeint? Kinder lernen zu laufen durch das Hinfallen. Wir lernen dazu, wenn wir die Fehler, die wir machen, ausbessern und unser Verhalten sowie unsere Fähigkeiten optimieren. Wie könnte das funktionieren? Linda Tellington- Jones hat bereits vor 50 Jahren gesagt, dass Pferde über ihr Instinkt- und Reflexverhalten hinauswachsen können und ihre Intelligenz nutzen können. Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit, auf neue Situationen adäquat zu reagieren. Das bedeutet, dass ein Pferd nicht instinktiv wegspringt, wenn ein Besen in seiner Nähe umfällt, sondern sich umdreht und nachschaut, was das war. Sie werden jetzt sagen: Das kann ich mit klassischer Konditionierung auch erreichen. Ja, Sie haben recht, aber Sie müssen dabei jede neue Situation neu konditionieren. Ein Pferd, das die Chance bekommt, selbst mitzudenken, selbst Aufgaben lösen darf - mit nahezu 100 % Konzentration und nahezu 0 % Angst, Druck, Stress und Schmerz -, kann nicht nur ohne Wiederholung neue Dinge erlernen, sondern auch neue Aufgaben aufgrund der vielschichtigen neuronalen Verknüpfungen lösen. Aber Vorsicht, ich habe dann keinen Befehlsempfänger mehr an meiner Hand oder unter mei- Forum: Lasser - Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit mup 4|2018 | 165 nem Gesäß, den ich einfach zwinge, dies oder das auszuhalten. Ich habe dann einen Partner an meiner Seite, der auch mal nachfragt und eigene, oftmals auch bessere Lösungsansätze einbringt und seine Bedürfnisse auch gewahrt haben möchte. Dafür ist das Pferd gesünder, ausgeglichener, weniger schreckhaft und kooperativer. Sie brauchen weniger Tierärzte zu bezahlen sowie weniger Symptome und Untugenden zu behandeln. In der Praxis schaut das so aus, dass ich mein Pferd als Partner sehe und reinspüre, was heute die richtige Arbeit, die richtige Lernaufgabe sein könnte. Ich putze das Pferd und schau, wie es drauf ist. Ist es heute besser, Ausreiten zu gehen, Bodenarbeit zu machen, zu ttouchen, Cavalettiarbeit oder Dressurarbeit ins Training einzubauen? Wenn das Pferd sich heute gut biegt, nehme ich Seitengänge dazu, wenn es sich gut setzt, mache ich versammelnde Arbeit. Arbeite lösend über den Rücken, wenn es sich dehnen möchte, mache Zirkuslektionen, wenn es verspielt ist, und ttouche es, wenn es verspannt oder angestrengt wirkt. Oder ich biete neue Impulse mit Bodenstangen wie Labyrinth, Mikado oder Stern an (siehe Fotos), wenn es mir gelangweilt erscheint. Wenn ich ein Pferd an ein für es neues, eventuell schwieriges Hindernis heranführe und es springt weg, dann deshalb, weil es dort weg möchte. Halte ich das Pferd dann zurück, wird es noch heftiger versuchen, dort wegzukommen. Lasse ich aber das Pferd einige Meter weit weg, wird es durch seine angeborene Neugier wieder hingehen, sich vielleicht wieder erschrecken und wieder zurückkehren, bis es erkannt hat, dass es dort o. k. ist oder auch gemieden werden muss, weil es sein Leben gefährdet. Druck erzeugt Gegendruck und mit großer Angst ist es nicht möglich, zu lernen. Das Pferd schüttet Adrenalin aus und geht in den Kampfbzw. Fluchtmodus. Je höher der Adrenalinspiegel ansteigt, umso weniger Zugriff aufs Gehirn besteht, weil lange Überlegungen in Notsituationen gefährlich sein könnten. Nimmt das Pferd andererseits Futter an, ist es noch aufnahmefähig, nimmt es kein Futter, fühlt es sich nicht mehr ausreichend sicher. In der Bedürfnispyramide der Pferde steht Sicherheit vor Futter, wenn sich ein Pferd also nicht sicher genug fühlt, kann es nicht fressen. Ein voller Magen ist bei Gefahr schlecht, weil dann das Blut in der Muskulatur gebraucht und von den Verdauungsorganen abgezogen wird, dort beginnt die angedaute Nahrung zu gären und verursacht Blähungen, Koliken und Magenprobleme. Nervöse Pferde neigen mehr zu Koliken als entspannte, geerdete Pferde, egal ob sie sich selbst Stress machen oder dieser von außen zugeführt wird. Bereiter, Pfleger, Trainer - alle Personen, die länger mit einem Pferd zusammen sind, geben diesem ein Gefühl von Sicherheit oder Unsicherheit. Hier sollte sich jeder, der viel mit Pferden arbeitet, folgende Fragen stellen: Wie viel braucht ein Pferd wovon? ■ Viel Führung oder keine Führung, ■ Viel Veränderung oder keine Veränderung, ■ Viel Leistungsdruck oder kein Leistungsdruck? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte und das Maß ist voll, wenn die Gesundheit leidet bzw. der Adrenalinspiegel das Lernen behindert oder das Pferd kein Futter mehr nimmt. Mit diesen Punkten im Hinterkopf geht es dann auch schon los. Abb. 1: Stangen (Fotos: Karin Oberbichler, Bad Vöslau) 166 | mup 4|2018 Forum: Lasser - Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit 10 feste Bodenstangen, 3-5 Kegel, eine Plastikplane und ein stabiles Brett reichen, um ein Pferd geistig, seelisch und mental in Balance zu bringen, um eine positive Erfolgsspirale in Gang zu setzen. Wichtige Eckpfeiler für die Stangenarbeit, aber auch für die gesamte Ausbildung von Mensch und Tier sind: ■ Ungewohnte Bewegungen und Berührungen aktivieren das Nervensystem. Eine Übung als Beispiel: Nehmen Sie ein Blatt Papier und unterschreiben Sie darauf (keine Angst, das Blatt bleibt bei Ihnen, das ist also keine Blankounterschrift), dann nehmen Sie den Stift in die andere Hand und unterschreiben noch einmal. Was hat diese ungewohnte Handlung ausgelöst? Möglicherweise Unsicherheit oder das Ergebnis ist nicht so optimal, aber das Gehirn hat neue neuronale Verknüpfungen hergestellt und die Konzentration hat sich auf nahezu 100 % gesteigert. ■ Lernen ohne Wiederholung ist möglich und deutlich effektiver, Voraussetzung dafür ist eine hohe Konzentration nahe 100 % und die Reduzierung von Schmerz, Angst, Stress und Druck auf ein Minimum. Intelligenz schulen, anstatt auf die einfachen Reflexe und Instinkte aus Stammhirn und Rückenmark zurückzugreifen. ■ Wer immer das macht, was er immer schon gemacht hat, wird immer das bleiben, was er immer schon war! (Körperbewusstsein - Selbstbewusstsein - Selbstständigkeit) ■ Du kannst glauben, dass es funktioniert, und du kannst glauben, dass es nicht funktioniert, in beiden Fällen wirst du Recht behalten! Unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte möchte ich jetzt die Details dieser Arbeit näher beleuchten. Was kann unter anderem positiv beeinflusst werden? Balance Geistige, seelische und körperliche Balance sind immer miteinander verbunden, die eine ohne die anderen gibt es praktisch nicht. Mit anderen Worten, in einem gesunden Körper wohnen eine gesunde Seele und / oder Geist - umgekehrt genauso. Ist das eine aus der Balance, kommen auch die anderen Aspekte aus dem Gleichgewicht. Bringe ich einen Bereich in Balance, folgen auch die beiden anderen Bereiche nach. Die nächste Überlegung ergibt sich dadurch ganz zwangsläufig: „Welche Übungen bringen das Pferd bei der Stangenarbeit körperlich in Balance? “ Beispiele dafür sind: Richtungsänderungen, lange Gasse, Labyrinth, Reihen, versetzte Trabstangen und Cavaletti; der eigenen Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Ein nicht minder wichtiger Punkt ist, Balance oder Ungleichgewicht zu erkennen bzw. zu überprüfen. Die Übungen müssen auch so ausgelegt sein, dass das Pferd immer wieder einmal aus der Balance kommt, um die körpereigenen Überwachungssysteme zu aktivieren und somit rascher das gewünschte Resultat zu erreichen. Zum Beispiel mit einem Seil um den Hals des Pferdes dieses bei jedem zweiten oder dritten Schritt in dem Moment, wenn es das innere oder später auch das äußere Bein hebt, zu sich ziehen, damit das Pferd sein Bein weiter zu einem her stellen muss, um seine Balance wiederzuerlangen. Gerade das Chaos birgt ein enormes Potenzial in sich. Aus dem Chaos will sich unser System möglichst schnell wieder herausholen und ist dafür auch bereit, alte Verhaltens- und Denkmuster zu verändern. Chaos darf jedoch niemals mit Panik verwechselt werden. Panik, Stress und / oder Angst würden das Lernen behindern. Koordination Das ist die Fähigkeit, Bewegungsabläufe effektiv zu steuern. Es ist natürlich leichter, bereits in den ersten Ausbildungstagen Forum: Lasser - Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit mup 4|2018 | 167 (noch besser bereits vom Fohlenalter an, durch anspruchsvolles Gelände und abwechslungsreiche Weiden) vielfältige Bewegungsmuster auszubilden. Unser Gehirn und Nervensystem sind primär wie eine leere Festplatte oder CD. Sie werden erst durch unsere Erfahrungen codiert und so „neurologische Autobahnen“ gebildet. Einfache Bewegungsabläufe implizieren einfache Vernetzungen und somit einfache Antworten bzw. Reaktionen, selbst wenn komplexere Abläufe benötigt würden, z. B. rutschiger Boden, Ausweichmanöver im Herdenverband, anspruchsvolles Gelände, Reitergewicht beim Anreiten etc. Eine gute Übung dafür ist mit 3 Stangen oder Cavaletti leicht aufgebaut. Im Abstand von ca. 2,5 Metern (je nach Größe der Pferde abstimmen) die 3 Stangen auflegen und die Pferde im Schritt und Trab darüber reiten oder führen. Wenn die Pferde dann damit vertraut sind, auch mal mitten in den Stangen zum Schritt durchparieren oder im Schritt reinreiten und mitten drinnen antraben. Das fördert die Koordination und unterschiedliche Bewegungsabläufe. Selbstständigkeit hängt mit Selbstsicherheit ganz eng zusammen. Unser Ansinnen sollte es sein, die Pferde zu größtmöglicher Selbstständigkeit zu erziehen. Es ist zwar nett, wenn unsere Schützlinge abhängig und eng an uns gebunden sind, jedoch dürfen wir dann kein mitdenkendes Wesen an unserer Seite erwarten. Ich vergleiche das immer mit einer Mutter-Kind-Beziehung; irgendwann muss das Kind seine ersten eigenen Schritte machen dürfen, sonst wird es immer unselbstständig bleiben. Selbstständigkeit, für sich selbst einstehen zu können, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und somit auch aktiv zu denken und nicht immer hinterher zu laufen, ohne zu bemerken, wohin es eigentlich geht. Ein ganz spezielles Hindernis, um diese Eigenschaft zu fördern, ist das Mikado. Das Einzige, was vorgegeben wird, ist die Linie, wo das Hindernis überwunden wird, aber das Wie - z. B. kurze oder lange Tritte -, das soll das Pferd entscheiden bzw. lernen. Auch Hindernisreihen am durchhängenden Zügel sind für die Selbstständigkeit sehr sinnvoll. Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wie auch zum Trainer ist eine wichtige Voraussetzung, damit das Pferd mit einer offenen, forschenden Haltung an neue Dinge herangeht. Vertrauen fördere ich, indem ich die Herausforderungen so wähle und gestalte, dass das Pferd sich gefordert, jedoch nicht überfordert fühlt. Der richtige methodische Aufbau ist hierbei besonders wichtig. Klein anfangen, auch wenn die Übung bereits im letzten Training mit einem größeren Schwierigkeitsgrad bewältigt wurde. Vertrauen entsteht erst dann, wenn ich meinem Pferd vertraue. Ihm zutraue, eine Aufgabe positiv zu erledigen, was natürlich von meinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen abhängt. Falls ich selbst nicht das Zutrauen habe, bin ich gut beraten, jemand aufzusuchen, der es mir und meinem Pferd zutraut, z. B. über oder unter Plastik zu gehen. Flexibilität bedeutet, auf neue Situationen angepasst zu reagieren und dabei in seiner Mitte zu bleiben. Aufgrund dieses Trainings werden dafür die besten Voraussetzungen geschaffen. Je mehr Situationen Pferde positiv erfahren und bewältigen, umso leichter wird es, neue Herausforderungen gelassen und sicher zu meistern. Für alle Beteiligten entsteht dadurch die Basis für freudvolles Lernen. Der Trainer ist da besonders aufgefordert nachzudenken, sich immer wieder neue Kombinationen einfallen zu lassen und die angeblich so sichere, weil gewohnte Schiene zu verlassen. Aktivierung der Hinterhand Diese kann oft leichter und mit mehr Motivation mittels gezielter Übungen erreicht werden als mit oft ermüdenden Wiederholungen von Lektionen. Wie Kinder im anregenden Spiel ganz leicht und selbstverständlich Muskeln, Sehnen und das Herz-Kreislauf-System trainieren und Bewegungsabläufe lernen, können auch Pferde in dieser Hinsicht geschult werden. Hindernisse auf gebogenen Linien fördern beim Abdrücken ganz enorm das innere Hinterbein; Sprünge aus dem Trab mit enger gelegter Trabstange fördern ungleich spielerischer die Aufwölbung des Pferderückens wie auch die Hankenbiegung. Abgewandelte Caprilliprüfungen (Dressuraufgaben mit integrierten kleinen Sprüngen und Trabstangen), wo Trabstangen in unterschiedlichen Abständen, mit kleinen Touren, niedrigen Sprüngen und Übergängen kombiniert werden, fördern die Durchlässigkeit von 168 | mup 4|2018 Forum: Lasser - Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit hinten nach vorne, in der Längsbiegung und auch die mentale Durchlässigkeit. Eine weitere Möglichkeit ist, sich anbietende Geländeformationen für diese Arbeit zu nutzen und so noch mehr Abwechslung einzubauen. Rückenaktivität entsteht durch eine fleißige Hinterhand und Losgelassenheit im unteren Halsbereich. Durch die Stangenarbeit schauen die Pferde vermehrt auf den Boden bzw. auf die Stangen, wodurch der Hals und Kopf tiefer kommen, gleichzeitig heben sie die Hinterbeine höher und aktiver, was wiederum die Durchlässigkeit von hinten nach vorne verbessert; der Rücken wird aktiv und elastisch. Ungewohnte Bewegungen und Berührungen Bei der Stangenarbeit wird durch unterschiedliche Abstände, variantenreiche Parcoursgestaltung und kreative Kombinationen das Nervensystem aktiviert. Neue Impulse im Nervensystem öffnen neues Potenzial und ermöglichen effektivere Handlungen. Die ungewohnten Berührungen können zusätzlich durch Tellington TTouch eingesetzt werden. Linda Tellington- Jones hat durch das Studium der Feldenkrais- Methode (Körperarbeit für Menschen) ebenfalls klar erkannt, was alles möglich ist, wenn man seine gewohnten Muster verlässt. Das Nervensystem kann nicht mehr in den gewohnten Bahnen arbeiten und wird neue neuronale Verbindungen bilden. Je mehr neuronale Verbindungen im Gehirn bestehen, umso intelligenter wird ein Lebewesen sein und desto umfangreicher ist sein psychischer, physischer und mentaler Aktionsradius. Praktische Übungen beim Menschen: Finger bzw. Arme mal anders verschränken, Suppe mit der linken Hand essen, TTouch und / oder Buchstaben mit der Zunge auf die Wange oder Zahnfleisch schreiben … Durch die Tellington-Methode beschäftige ich mich bereits seit 15 Jahren mit der Wirkung von ungewohnten Übungen auf das Gehirn von Mensch und Tier und bin immer wieder erstaunt, welche Auswirkungen dieses Phänomen hat. Heute gibt es bereits viele Forschungsarbeiten, die beweisen, wie wichtig die Verbindung von rechter und linker Gehirnhälfte ist. Das Corpus Callosum, also die Brücke zwischen rechter und linker Gehirnhälfte, ist verantwortlich, inwieweit ein System in Balance ist oder nicht. Je mehr jemand in der linken oder rechten Gehirnhälfte lebt, umso mehr ist jemand logisch (linke Gehirnhirnhälfte) oder emotional (rechte Gehirnhälfte) orientiert. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, je durchgängiger diese Brücke ist, umso mehr befindet sich ein Organismus körperlich, geistig und emotional im Gleichgewicht. Die effektivste Stangenübung für die Verbindung von rechter und linker Gehirnhälfte ist das Abb. 2: Mikado Abb. 4: Sprünge Abb. 3: Stern Forum: Lasser - Balance für Mensch und Tier durch kreative Bodenarbeit mup 4|2018 | 169 Labyrinth. Das langsame und bewusste Durchschreiten des Labyrinths mit Halt-Paraden zu Beginn und am Ende der Übung sowie jeweils auf den geraden Linien zwischen den Wendungen verstärken die Wirkung und damit auch den Erfolg (momentan ist dieser Prozess unter Dualaktivierung sehr modern, aber in der Tellington-Methode seit mehr als 30 Jahren ein wichtiger Bestandteil). In diesem Zusammenhang gäbe es noch viel zu erklären, zu überlegen und die Anregung für jeden, sich weiter damit zu beschäftigen. Auch das Althergebrachte birgt einige dieser Gedankenansätze in sich, nur sollte es überdacht werden und nicht einfach ungeprüft übernommen werden. Ich hatte die Gelegenheit, ohne große finanzielle Mittel reiten zu lernen, und durfte selbst herausfinden, was funktioniert und was nicht so optimal funktioniert. Das Wissen rund um Pferd und Reiter ist bereits von den ganz großen Reitmeistern als umfangreich und sehr komplex bezeichnet worden, und gerade dieser Ansatz macht die Arbeit mit diesen edlen Wesen so interessant, verpflichtet uns jedoch auch zum ständigen Weiterlernen und Nachdenken. Jedes Pferd ist anders und jede Reiter-Pferd-Kombination ist individuell und kann nicht über einen Kamm geschoren werden. In diesem Sinne wünsche ich noch eine gedankenreiche Zeit und viel Spaß mit dem edlen Wesen Pferd. Einige Anregungen für Bodenstangen ■ In der langen Gasse oder im L Übergänge reiten: Trab - Galopp oder Galopp - Trab usw. Auch Rückwärtstreten in der Gasse ist eine gute Möglichkeit, ein Pferd gerade zu richten. ■ Gasse - Vorlegstange - Kreuz, von beiden Richtungen aus dem Trab, später auch im Galopp durchreiten. ■ Slalom mit Kegel und in der Mitte des Slaloms 2 Cavaletti mit 2,5 m Abstand aufbauen. ■ Galoppstangen auf gebogenen Linien einrichten. ■ Über einer Stange eine Haltparade - zuerst Stange unter dem Bauch, dann auch mit den Vorderbeinen offen über der Stange und dann auch mit dem Hinterbeinen offen über der Stange stehen lassen. Der Autor Martin Lasser staatl. gepr. Reitlehrer, Tellington-Practitioner 3, Coach Anschrift Martin Lasser · Spitalgasse 7 A-2540 Bad Vöslau · office@martinlasser.at Abb. 5: Eine Anregung für Bodenarbeit Der Stern Das Zickzack Das Labyrinth Die Wippe
