eJournals mensch & pferd international 10/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2018.art14d
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Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd

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Mone Welsche
Der vorliegende Beitrag thematisiert das Konstrukt des Selbstkonzeptes als Zieldimension der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP). Nach einem Überblick zu Aufbau und Entwicklung des Selbstkonzeptes und dessen Bedeutung für die menschliche Entwicklung wird der Frage nachgegangen, wie HFP durchgeführt werden sollte, um Prozesse der Selbstkonzeptentwicklung und -aktualisierung gezielt unterstützen und günstig beeinflussen zu können. Dazu werden sportwissenschaftliche und bewegungspädagogische Erkenntnisse aufgegriffen. Abschließend werden einige diagnostische Instrumente für den Einsatz im Kindes- und Jugendalter kurz vorgestellt, um das Selbstkonzept und mögliche Veränderungen innerhalb einer HFP erfassen zu können.
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104 | mup 3|2018|104-112|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2018.art14d Mone Welsche Schlüsselbegriffe: Selbstkonzept, Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd, Bewegungspädagogik, Sportwissenschaften, diagnostische Instrumente Der vorliegende Beitrag thematisiert das Konstrukt des Selbstkonzeptes als Zieldimension der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP). Nach einem Überblick zu Aufbau und Entwicklung des Selbstkonzeptes und dessen Bedeutung für die menschliche Entwicklung wird der Frage nachgegangen, wie HFP durchgeführt werden sollte, um Prozesse der Selbstkonzeptentwicklung und -aktualisierung gezielt unterstützen und günstig beeinflussen zu können. Dazu werden sportwissenschaftliche und bewegungspädagogische Erkenntnisse aufgegriffen. Abschließend werden einige diagnostische Instrumente für den Einsatz im Kindes- und Jugendalter kurz vorgestellt, um das Selbstkonzept und mögliche Veränderungen innerhalb einer HFP erfassen zu können. Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 3|2018 | 105 Förderung des Selbstkonzeptes in der HFP In der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP) und verwandten Konzepten wird die Verbesserung des Selbstkonzeptes als ein Ziel des Angebotes angegeben (vgl. Horstmann 2010, 75; Haberer / Ploppa 2013, 20). Häufig wird das Selbstkonzept als Zieldimension allerdings nicht explizit genannt, sondern Synonyme verwendet oder Teilbereiche thematisiert. So formuliert Schulz (2005, 22) handlungsleitende Fragen für die heilpädagogische Arbeit mit und auf dem Pferd und benennt in diesem Zusammenhang Ziele wie „sich besser verstehen lernen“ und die Entwicklung „eigene(r) Dialogfähigkeit“. Darüber hinaus begründet sie den Einsatz des Pferdes als Medium, u. a. um Erfahrungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbststeuerung, Bewegung sowie soziale Verhaltensweisen zu fördern (Schulz 2005, 29). Sturm (2014, 63) sieht in der HFP eine „vielversprechende Möglichkeit, selbstbezogene Informationen zu erlangen“. Das Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. benennt in seinem Flyer (DKThR 2016) zur HFP die Vermittlung von Selbsterfahrungen, auf der Website (DKThR 2017) die Stärkung des Selbstwertgefühls und das Erlernen einer angemessenen Selbsteinschätzung als Ziele, welche nicht nur durch den Umgang mit dem Pferd und der pädagogischen Fachkraft, sondern auch durch die Erfahrungen in der Gruppe erreicht werden können. Auch im Modell von Baum (2005, 71) werden Teilbereiche des Selbstkonzeptes als Interventionsziele aufgezählt. Stauffer (2006) geht der Frage der Selbstkonzept- und Selbstwertförderung in der HFP im Gespräch mit ReittherapeutInnen nach und zeigt, dass die HFP nach Meinung der Befragten viele Möglichkeiten bietet, beide Aspekte günstig zu beeinflussen. Betont wird die Möglichkeit, Erfolgserlebnisse zu haben, sowohl durch die Tatsache, dass sich ein großes Tier führen, putzen und reiten lässt, als auch durch Übernahme von Verantwortung, die Erfüllung sinnvoller Tätigkeiten (Versorgung des Pferdes), die Prüfung der eigenen Willenskraft im Umgang mit dem Pferd und das Erlernen anspruchsvoller Lektionen mit dem Pferd. Hervorgehoben werden allerdings auch die Zuwendung und Spiegelung, die Menschen durch Pferde erfahren, sowie die Förderung der Körperwahrnehmung. Neben der Beziehung zum Pferd sprechen die befragten Fachkräfte darüber hinaus die hilfreichen Rückmeldungen der anderen TeilnehmerInnen für die Entwicklung des Selbstkonzeptes und die Förderung des Selbstwertes an. Hier hebt eine Therapeutin ein gutes Gruppenklima als Voraussetzung hervor, um Verstärkung und Unterstützung durch die Gruppe zu erhalten. Horstmann (2010, 87 f) fasst die Potenziale der Selbstkonzeptförderung in der HFP wie folgt zusammen: ■ Der Mensch erfährt die Akzeptanz der eigenen Person durch das Pferd. ■ Leistungen können erbracht werden, was zu einem Gewinn von Zutrauen in eigene Fähigkeiten führt. Stauffer (2006, 35) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Erfahrungen im Umgang mit dem Pferd oft „bestandenen Mutproben“ gleichen würden. ■ Erfolg und Misserfolg sind an den Reaktionen des Pferdes direkt erkennbar. ■ Die Interaktion mit dem Pferd fördert eine realistische Selbsteinschätzung. Als besonders bedeutsam für die Selbstkonzeptförderung hebt Horstmann (2009, 98) das echte und direkte Feedback hervor, das durch das Pferd gegeben wird. Studien unterschiedlichen Formats haben bereits die positiven Auswirkungen der Aktivitäten ‚Reiten‘ im weitesten Sinne auf das Selbstkonzept untersucht, so z. B. Capova und Lipfert (2012) über Reiten im Schulsport oder Kiewit und Pahmeier (2009) über Reitferien für Mädchen. Mit direktem Bezug zur HFP zeigen Horst- 106 | mup 3|2018 Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd manns (2009, 138) Ergebnisse signifikante Verbesserungen des globalen Selbstkonzeptes von Kindern mit psychomotorischen Auffälligkeiten im Vergleich zur Kontrollgruppe. Winkler und Beelmann (2013, 12) kommen in ihrer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche „mit einer Kombination aus emotionalen Problemen, Selbstwertproblemen und Verhaltensstörungen“ besonders von pferdegestützter Therapie zu profitieren scheinen. Diese kurze Übersicht verdeutlicht, dass die Selbstkonzeptförderung ein relevantes Thema in der HPF darstellt. In der Literatur finden sich hingegen kaum konkrete Hinweise, wie sich das Selbstkonzept innerhalb der HFP gezielt fördern lässt. In der Auseinandersetzung mit dieser Frage wird in den nachfolgenden Abschnitten in einem ersten Schritt ein theoretischer Abriss zum Gegenstand ‚Selbstkonzept‘ gegeben. Ein weitgehend anerkanntes Modell wird vorgestellt, um die Struktur des Konstruktes zu verdeutlichen. Die Bedeutung des Selbstkonzeptes für die Entwicklung des Menschen wird skizziert. Bewegungswie beziehungsorientierte Aspekte werden hervorgehoben und für die HFP relevante Erkenntnisse aus der Selbstkonzeptforschung vorgestellt. Anschließend wird auf Überlegungen eingegangen, wie eine Verbesserung des Selbstkonzeptes durch die HFP erreicht werden kann, ob und, wenn ja, welche spezifischen Aspekte in der Förderung berücksichtigt werden sollten. Abschließend werden kurz Möglichkeiten der Diagnostik für Kinder- und Jugendliche vorgestellt, bevor ein Fazit den Beitrag schließt. Das Selbstkonzept Das Selbstkonzept bildet einen Eckpfeiler in der Entwicklung des Menschen und hat einen elementaren Einfluss auf die Lebensbewältigung. Wie Menschen handeln, welche Ziele sie sich stecken, ob sie sich Herausforderungen stellen oder diese lieber vermeiden und wie sie in Beziehung treten, hängt maßgeblich von ihrem Selbstkonzept ab. Es stellt die Basis für die Entwicklung von Selbstvertrauen dar, hat Einfluss auf die zukunftsorientierten Erwartungshaltungen, die Selbstwirksamkeitsüberzeugung und so auch auf den Umgang mit Leistungsanforderungen (Zimmer 2012, 66). Ein positives Selbstkonzept zeigt sich vor allem in der Überzeugung, Herausforderungen bewältigen zu können - und steht damit in einem engen Zusammenhang zur Selbstwirksamkeitsüberzeugung -, aber auch in der allgemeinen Zufriedenheit mit sich selbst. Damit gilt ein stabiles und positives Selbstkonzept als wichtige psychosoziale Gesundheitsressource und ist ein bedeutsames Ziel pädagogischer Angebote über die Lebensspanne (Stiller / Alfermann 2008, 14). In der Literatur finden sich verschiedene Begriffe, die Teilbereiche des Selbstkonzeptes beschreiben oder synonym verwendet werden, wie z. B. Selbstbild, Selbstmodell oder -theorie, Selbstwert oder Identität (Zimmer 2012, 51; Eggert et al. 2003). In dem vorliegenden Beitrag beziehe ich mich auf die weitgehend anerkannte Definition nach Mummendey (2006, 7) und das in der Selbstkonzeptforschung dominierende Modell nach Shavelson et al. (1976). Mit Mummendey (2006, 7) lässt sich das Selbstkonzept als „Gesamtheit der auf die eigene Person bezogenen Beurteilungen und Bewertungen eines Individuums, also die Gesamtheit der Einstellungen zu sich selbst“ definieren. Grundsätzlich wird in zwei Komponenten unterschieden: a) das Selbstbild als kognitive Komponente, welches das Wissen über sich selbst als Beschreibung der neutralen Merkmale der eigenen Person ermöglicht (Aussehen, Fähigkeiten, Stärken etc.) und b) das Selbstwertgefühl als emotional-affektive Komponente, also die Bewertung eben dieser Merkmale (Zimmer 2012, 52; Stiller / Alfermann 2008, 17). Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 3|2018 | 107 Shavelson et al. (1976) beschreiben ein hierarchisch gegliedertes und mehrdimensional strukturiertes Modell (Abb. 1), das als entwicklungsfähig gilt und abhängig vom Alter unterschiedliche Strukturen und Ausdifferenzierungen aufweisen kann. Auf der obersten Ebene steht das globale oder allgemeine Selbstkonzept, welches als relativ stabil angesehen wird. Diesem werden das akademische und nicht-akademische Selbstkonzept untergeordnet, die wiederum in weitere Dimensionen ausdifferenziert werden. Für die vorliegenden Überlegungen ist das nichtakademische Selbstkonzept relevant, das in die Dimension des sozialen, emotionalen und physischen Selbstkonzepts unterteilt wird. Auch diese können in weitere Teilbereiche aufgesplittet werden. Mit abnehmender Hierarchieebene gelten die Konzepte als leichter beeinflussbar, da sie zunehmend situationsspezifischer werden (Stiller/ Alfermann 2008, 17). Informationen zur Bildung des Selbstkonzeptes entstehen durch a) Prozesse der Selbstwahrnehmung; dazu gehören Sinneswahrnehmungen, die in und durch Bewegung entstehen sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen, also eigenständige Interpretationsleistungen durch Beobachtung und Bewertung des eigenen Verhaltens, und Folgerungen aus den Vergleichen mit Anderen und b) direkte und indirekte Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld (Alfermann / Stiller 2003, 469; Zimmer 2012, 61). Körper-, Bewegungs- und Beziehungserfahrungen stellen demnach grundlegende Informationsquellen zur Entwicklung und Aktualisierung des Selbstkonzeptes dar. Positive Muster der Kausalattribution, d. h., Erfolge werden auf eigenes Können zurückgeführt, gelten als Voraussetzung für eine positive Veränderung des Selbstkonzeptes (Zimmer 2012, 73). Das Selbstkonzept bildet sich im Kindesalter und wird über die Lebensspanne durchgehend aktualisiert. In der frühen Kindheit besteht es in erster Linie aus Dimensionen, die für Kinder leicht zu beobachten sind, z. B. körperliche Merkmale wie groß oder klein (Mummendey 2006, 94), aber auch bestimmte sichtbare Fähigkeiten wie z. B. schnell oder langsam rennen oder gut klettern können. Im Grundschulalter scheinen die motorischen Fähigkeiten als Teil des physischen Selbstkonzeptes besonders bedeutsam für die Selbstwahrnehmung und die Selbstbewertung zu sein. Mit zunehmendem Alter nimmt die Differenzierung zu. Das globale Selbstkonzept gilt mit Eintritt in das Erwachsenenalter als relativ stabil. Allerdings wird es durchgehend den Erfahrungen und Veränderungen, die sich im Laufe des Lebens und in bestimmten Lebensphasen zu unterschiedlichen Dimensionen ergeben, angepasst. Das Selbstkonzept aus einer bewegungspädagogischen Perspektive Nach Fischer (2009, 56) kommt dem Körper über die Lebensspanne eine besonders tragende Bedeutung für das Selbstkonzept zu, da dieser „immer - physisch wie psychisch - an der Nahtstelle zwischen Globales Selbstkonzept Neutrale Merkmale der eigenen Person Bewertung der eigenen Merkmale als Selbstwertgefühl Akademisches SK Nicht-akademisches SK Soziales SK Physisches SK Emotionales SK Peers Familie / Bekannte State Ärger Freude … Bewegungskompetenz Körperliche Erscheinung … Abb. 1: Die Struktur des nicht-akademischen Selbstkonzeptes (angelehnt an Alfermann / Stiller 2003) 108 | mup 3|2018 Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Person und Außenwelt (steht)“. Zimmer (2012, 74) schreibt diese Bedeutung der Bewegung zu: „Sie [die Bewegung, Anm. der Verf.] gibt dem Kind den Stand seiner Beziehung zur Umwelt wieder, zeigt ihm, inwieweit es erfolgreich auf die Umwelt einwirken und Veränderungen bewirken kann.“ Mit Funke-Wienekes (2010) Verständnis von Bewegung als Handlung mit einer instrumentellen, sensiblen, symbolischen und sozialen Funktion lässt sich die Relevanz von Bewegungs- und Körpererfahrungen für das Selbstkonzept konkretisieren und erweitern. Die Bewegungsebene lässt sich demnach nicht nur als motorische Fähigkeiten (instrumentelle Funktion: Was kann ich und was kann ich nicht? ) und körperliche Merkmale (Wie sehe ich aus, was gehört zu mir? ) im physischen Selbstkonzept des Shavelsonschen Modells verankern. Bewegungshandeln ist auch eine relevante Informationsquelle für die Entwicklung und Aktualisierung des emotionalen und sozialen Selbstkonzeptes, wie die folgenden Fragen zur Verdeutlichung der sensiblen, symbolischen und sozialen Funktion von Bewegung zeigen: ■ Wie nehme ich mich und meine Umgebung wahr? (sensible Funktion) ■ Kann ich meine Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse nonverbal verständlich ausdrücken? Und wenn ja, wie? (symbolische Funktion) ■ Kann ich Beziehungen zu anderen Menschen gestalten, und wie tue ich das? (soziale Funktion). Für den pädagogischen Kontext liegt hier ein Argument für die Förderung von Bewegungserfahrungen über die verschiedenen Funktionen vor, um selbstkonzeptrelevante Erfahrungen zu vermitteln. Das Selbstkonzept aus einer beziehungsorientierten Perspektive Informationen aus der Perspektive der relevanten Anderen, ob enge Bezugsperson oder andere wichtige Menschen aus dem näheren Umfeld, haben Einfluss auf die Entwicklung und Aktualisierung des eigenen Selbstkonzeptes. Über die Lebensspanne sind diese Rückmeldungen bedeutsam. Im Kleinstkindalter sind die Bezugspersonen, in der Regel die Eltern und die engere Familie, die zentralen Beziehungspartner. Durch diese Beziehungserfahrungen entstehen Bindungsmuster sowie ein internales Arbeitsmodell, die Auswirkungen auf Teilbereiche des Selbstkonzeptes, wie z. B. das Selbstvertrauen, und auf die zukünftige Art und Weise der Beziehungsgestaltung haben (Grossmann / Grossmann 2012). Mit zunehmendem Alter wird die Zahl der potenziell wichtigen Beziehungen, die sich z. B. zu Bezugspersonen in den Bildungseinrichtungen (ErzieherInnen, LehrerInnen) und zwischen Gleichaltrigen oder anderen nahestehenden Menschen entwickeln, größer. Die Annahme der besonderen Bedeutung von Beziehungserfahrungen für die Entwicklung des Menschen bildet sich neben den Erkenntnissen der Bindungsforschung in Martin Bubers philosophisch-anthropologischen Überlegungen zum personalistischen Menschenbild besonders eindrücklich ab. Bubers (1979, 37) Aussage „Der Mensch wird am Du zum Ich“ beschreibt seinen Grundgedanken zum dialogischen Prinzip. Demnach hat der Mensch den Wunsch nach Verbundenheit und braucht die Begegnung mit Anderen. Diese Begegnung sieht Buber als Dialog, der von Anteilnahme und Gegenseitigkeit geprägt sein soll. Nur im sozialen Austausch, in dem beide Partner aufeinander einwirken, kann der Mensch sich als personales Wesen selbst verwirklichen und als eigene Einheit finden. Für den pädagogischen Kontext liegt hier ein Argument für die Förderung von Beziehungserfahrungen vor , um relevante Erfahrungen zur Förderung des Selbstkonzepts zu vermitteln. Positive Rückmeldungen, die in und aus Beziehungs- Bewegungs- und Beziehungserfahrungen sind bedeutsam für die Förderung des Selbstkonzepts. Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 3|2018 | 109 erfahrungen entstehen, können bei positiver Attribuierung im Selbstkonzept verankert und so korrigierend zu vorherigen negativen Erfahrungen wirken. Erfahrungen der direkten Begegnungen, sei es im Beziehungsdreieck KlientIn - Pferd - PädagogIn oder in einer Gruppe mit Peers, bieten besonders wertvolle Möglichkeiten, selbstkonzeptrelevante Rückmeldungen zu ermöglichen. Zusammenhang von Selbstkonzept und physischer Aktivität In der Selbstkonzeptforschung wird sich aus sportwissenschaftlicher Perspektive schon seit einigen Jahren mit der Frage befasst, inwieweit sportliche Aktivität Einfluss auf das Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl haben kann (s. zusammenfassend Conzelmann / Hänsel 2008). Forschungsergebnisse zeigen, dass das Selbstkonzept durch Bewegung verbessert werden kann und sportliche Erfolgserlebnisse im weitesten Sinne ein positives Selbstkonzept begünstigen. Besonders deutliche Effekte auf das Selbstwertgefühl zeigten sich bei positiv erlebten physischen Aktivitäten bei Kindern, Jugendlichen und älteren Erwachsenen. Allgemein scheint sich abzubilden, dass Personen mit vorher negativer Einschätzung zum Selbstwert und Körperbild in hohem Maße von physischen Aktivitäten durch Selbstwertsteigerung und positive Effekte auf das Selbstkonzept profitieren (Stiller / Alfermann 2008). Über die Frage, wie groß der sportliche Aspekt in der HFP sein sollte oder könnte und ob er mit der Beziehungsorientierung gleichzusetzen wäre, lässt sich sicherlich streiten. In vielen Förderungen wird dieser allerdings fester Bestandteil der Stunden sein, denn sobald sich KlientInnen auf dem Pferd anstrengen, z. B. beim Traben oder Galoppieren aber auch bei herausfordernden Voltigierübungen wie der Mühle, kann von sportlicher Aktivität gesprochen werden. Für die HFP weisen die skizzierten Erkenntnisse aus der Sportwissenschaft darauf hin, dass neben Selbstwirksamkeits- und korrigierenden Beziehungserfahrungen auch in den eher sportlichen Aktivitäten wertvolle Möglichkeiten der Selbstkonzeptförderung liegen können. Förderung des Selbstkonzeptes in der HFP - mögliche Umsetzungsformen Wie sollte nun eine HFP gestaltet sein, um zielgerichtet die Prozesse der Selbstkonzeptentwicklung und -aktualisierung günstig beeinflussen zu können? Hinweise lassen sich aus der Bewegungs- und Sportwissenschaft übernehmen. Zimmer (2012), Quante (2010) sowie Wagner und Alfermann (2006) geben Empfehlungen, wie die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes im Rahmen eines psychomotorischen oder sportlich orientierten Angebotes gefördert werden kann. Diese decken sich in weiten Teilen mit den Befragungsergebnissen von Stauffen (2006) und der Darstellung des Potenzials von Horstmann (2010) und bieten wertvolle Ergänzungen, die sich ohne weitere Anpassungen für die HFP übernehmen lassen: ■ Atmosphäre von Sicherheit und Akzeptanz schaffen ■ breite Übungsgelegenheiten zum Erleben des Körpers, in Bewegung, der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit, der Ausdrucksfähigkeit und sozialer Aspekte bieten ■ Eigenaktivität und Selbsttätigkeit fördern ■ Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen ■ große Handlungsspielräume ermöglichen ■ vielfältige Rückmeldungen ermöglichen ■ erreichbare Aufgaben und Ziele, die umgehend zu Erfolgserlebnissen führen, formulieren ■ positive Bekräftigungen, Wertschätzung, Lob und Ermunterung durch AnleiterIn und Gruppenmitglieder geben ■ individuelle Einschätzung statt Vergleiche mit Anderen fördern 110 | mup 3|2018 Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd Für Fachkräfte der HFP werden diese Hinweise möglicherweise als Grundlagen der eigenen Praxis bekannt und damit nicht neu sein. Der Wert dieser Referenz liegt meines Erachtens darin, dass a) Hinweise für die Förderung des Selbstkonzeptes gegeben werden, die sich in so konkreter und kompakter Form in der HFP Literatur nicht finden lassen, und b) sich aus diesen Hinweisen konkrete Implikationen für die HFP Praxis ergeben. Sollte die Förderung des Selbstkonzeptes zentrales Thema der Intervention sein, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden: ■ Spiele oder Aktivitäten, die die Entwicklung von Sicherheit und Akzeptanz nicht nur zur Fachkraft und zum Pferd, sondern auch in Beziehung zur Gruppe fördern, sollten Bestandteil der Intervention sein. ■ Die Fachkraft sollte über Grundlagen der pädagogischen Arbeit mit Gruppen verfügen. ■ Leistungssituationen , die von KlientInnen selbst gewählt und bewältigt werden können, bieten Herausforderungen, die zu Kompetenzerleben führen. ■ Der sportliche Aspekt (z. B. Wie viele Runden Trab schaffst du wohl? ) bietet hier besonders ergiebige Möglichkeiten. Konkret formulierte Tages- oder Monatsziele machen die Leistung transparent und können die Motivation unterstützen. ■ Aktivitäten über alle Funktionen der Bewegung sollten angeboten werden, um vielfältige Aspekte des Selbstkonzeptes zu fördern. ■ Eine Struktur, die Eigenaktivität und Selbstbestimmung fördert, in der KlientInnen soweit wie möglich selbst bestimmen können, was und wie sie etwas tun, unterstützt Prozesse der Selbstkonzeptentwicklung. Hier bieten sich offene Aufgabenstellungen an, für die individuelle Lösungswege gefunden werden können und aber auch Mitbestimmung bei der Auswahl der Aktivitäten. ■ Feedback sollten nicht nur vom Pferd, sondern auch von der Fachkraft und aus der Gruppe gegeben werden. Diese sollten wertschätzend sein, aber auch die tatsächlichen Fähigkeiten der KlientInnen abbilden. ■ Die Reflexion der individuellen Leistungen mit den KlientInnen ist hilfreich, um nachvollziehen zu können, wie das Zustandekommen der Leistung erklärt wird (Attribution). Diagnostische Instrumente zur Erfassung des Selbstkonzeptes Um die Veränderung des Selbstkonzeptes oder seiner Teilbereiche bzw. untergeordneten Konzepte zu überprüfen, eignen sich verschiedene Instrumente. Im folgenden Abschnitt werden einige kurz vorgestellt, die auch in der HFP für Kinder und Jugendliche eingesetzt werden können. Instrumente für den Erwachsenenbereich werden z. B. bei Mummendey (2006) zusammenfassend beschrieben oder können in der Testzentrale (www.testzentrale.de) nachgelesen werden. ■ Das diagnostische Menü zur Erfassung des Selbstkonzeptes bei Vor- und Grundschulkindern mit dem Pferd wurde von Sturm (2014) entwickelt. Es basiert auf dem „Selbstkonzeptinventar“ von Eggert, Bode und Reichenbach (2003), ist ein förderdiagnostisches Instrument und kann als solches sowohl im Einzelals auch Gruppensetting eingesetzt werden. Das Menü bietet verschiedene Möglichkeiten, Aspekte des Selbstkonzeptes zu erfassen. Da es kein Test ist, gibt es keine durchschnittliche Durchführungsdauer. ■ Die deutsche Version der Selbstkonzeptskalen von Harter (Asendorpf/ van Aken 1993) liegt für die 1. und 2. Klasse als Bildversion und ab der 3. Klasse als Fragebogenversion vor. Die vier Skalen der kognitiven Kompetenz, sportli- Welsche - Selbstkonzeptförderung in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd mup 3|2018 | 111 chen Kompetenz, Peer Akzeptanz und Mutterakzeptanz werden mit jeweils 6 Items erfasst. Es ist eine Einzelals auch eine Gruppendurchführung möglich, die zwischen 15-30 Minuten dauern sollte. ■ Die Aussagenliste zum Selbstwertgefühl (ALS) wird für Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 15 Jahren eingesetzt (Schauder 2011). Die Items sind mit insgesamt 18 Aussagen für die Bereiche Schule, Freizeit, Familie und Heim (für Kinder, die nicht bei den Eltern leben) formuliert. Es ist eine Einzelals auch eine Gruppendurchführung möglich, die 15-30 Minuten dauert. ■ Der Bildertest zum sozialen Selbstkonzept (BSSK) von Langfeldt und Prücher (2004) wird für Kinder der 1. und 2. Schulklasse eingesetzt. Auch hier ist eine Durchführung im Einzel- oder Gruppensetting möglich, die etwa 20 Minuten braucht. Fazit Die Förderung des Selbstkonzeptes stellt eine zentrale Zieldimension der HFP dar, auch wenn dies in der Literatur nicht immer konkret benannt wird. Bewegungs- und Beziehungserfahrungen sind grundlegende Informationsquellen zur Entwicklung und Aktualisierung sowohl des physischen Selbstkonzeptes als auch der emotional-sozialen Dimensionen. In einzelnen Forschungsprojekten konnten bereits positive Effekte von Aktivitäten rund um und auf dem Pferd auf das Selbstkonzept nachgewiesen werden. Mit Blick auf die Selbstkonzeptforschung zum Zusammenhang zwischen einer positiv erlebten sportlichen Aktivität und dem Selbstkonzept stellt sich die Frage, inwieweit der sportliche Aspekt in der HFP stärker betont werden sollte, um das Selbstkonzept in der HFP zu fördern. Hinweise für die Gestaltung der HFP mit dem Schwerpunkt ‚Selbstkonzeptförderung‘ lassen sich nur vereinzelt aus Publikationen zur HFP ableiten. Erkenntnisse und Impulse aus der Bewegungspädagogik und Sportwissenschaften bieten wertvolle Anregungen und Ergänzungen, um das Selbstkonzept und seine Teilbereiche auch in der HFP zielgerichtet zu fördern. Verschiedene diagnostische Instrumente ermöglichen die Erfassung des Selbstkonzeptes oder einzelner Teilbereiche im Kindes- und Jugendalters und bieten sich zur Überprüfung der Auswirkungen der HFP an, um sich im Sinne der Evidenzbasierung mit der Frage der Wirksamkeit und auch der Qualitätssicherung auseinanderzusetzen. Literatur ■ Alfermann, D., Stiller, J. 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Herder, Freiburg Die Autorin Prof. Dr. Mone Welsche Professorin für Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter, Arbeitsschwerpunkte Bewegungs- und Körperorientierte Methoden in Sozial- und Heilpädagogik, Katholische Hochschule Freiburg, Reitwartin FN Anschrift Prof. Dr. Mone Welsche · Katholische Hochschule Freiburg Karlstr. 63 · D-79104 Freiburg · mone.welsche@kh-freiburg.de