mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2018.art15d
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Forum: Svens Abschied - pferdegestützte Palliativbegleitung
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Roswitha Zink
Sophie Knapp
Wir wurden gebeten, einen Artikel über palliative Begleitung von Patienten mit dem Pferd zu verfassen. 15 Jahre innige Erfahrungen in diesem Feld brachten uns vor immer neue Herausforderungen, weil einfach ZU VIEL gesagt werden will. Daher sollte dieser Artikel aus vier Teilen bestehen. Erstens die unmittelbare Begleitung eines Jungen, der letzten Frühling verstorben ist. Zweitens einen Artikel über die Begleitung seiner Schwester und drittens einen Artikel über die Arbeit mit seiner verwaisten Mutter. Der vierte Artikel müsste von der Begleitung von Kindern sterbender Eltern und deren Trauern handeln und den vielen Möglichkeiten, die Trauerbegleitung mit Pferden bietet. Der Fokus für diesen Text ist der konzentrierte Weg eines jugendlichen Burschen. In Ausschnitten versucht die Beschreibung, ihm persönlich und fachlich bei der pferdegestützten palliativen Psychotherapie zu folgen. Dieser Artikel ist in Anlehnung an die Traueraufgaben (Worden 2011) in folgende Abschnitte gegliedert: Verlust als Realität, den Schmerz durchleben, Neuorientierung und sich anpassen an die Möglichkeiten. Der Abschnitt Scham, Würde und Stolz kennzeichnet die spezifische Ausrichtung der Psychotherapeutischen Begleitung am Lichtblickhof e.motion. Auf dem Weg zu einem Todesbegriff ist ein Abschnitt, in dem die fachliche Einordnung der Vorstellungen zum Tod an das Lebensalter des Kindes angepasst, diskutiert werden. Ein greifbares Bild dieser Arbeit soll für Fachleute und Interessierte neue Sichtweisen ermöglichen. Abschiednehmen und Epilog schließen als Kapitel den Artikel ab; nicht erschrecken, sondern motivieren sollen diese Einblicke.
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mup 3|2018|113-124|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2018.art15d | 113 Roswitha Zink, Sophie Knapp Forum Svens Abschied - pferdegestützte Palliativbegleitung Wir wurden gebeten, einen Artikel über palliative Begleitung von Patienten mit dem Pferd zu verfassen. 15 Jahre innige Erfahrungen in diesem Feld brachten uns vor immer neue Herausforderungen, weil einfach ZU VIEL gesagt werden will. Daher sollte dieser Artikel aus vier Teilen bestehen. Erstens die unmittelbare Begleitung eines Jungen, der letzten Frühling verstorben ist. Zweitens einen Artikel über die Begleitung seiner Schwester und drittens einen Artikel über die Arbeit mit seiner verwaisten Mutter. Der vierte Artikel müsste von der Begleitung von Kindern sterbender Eltern und deren Trauern handeln und den vielen Möglichkeiten, die Trauerbegleitung mit Pferden bietet. Der Fokus für diesen Text ist der konzentrierte Weg eines jugendlichen Burschen. In Ausschnitten versucht die Beschreibung, ihm persönlich und fachlich bei der pferdegestützten palliativen Psychotherapie zu folgen. Dieser Artikel ist in Anlehnung an die Traueraufgaben (Worden 2011) in folgende Abschnitte gegliedert: Verlust als Realität, den Schmerz durchleben, Neuorientierung und sich anpassen an die Möglichkeiten. Der Abschnitt Scham, Würde und Stolz kennzeichnet die spezifische Ausrichtung der Psychotherapeutischen Begleitung am Lichtblickhof e.motion. Auf dem Weg zu einem Todesbegriff ist ein Abschnitt, in dem die fachliche Einordnung der Vorstellungen zum Tod an das Lebensalter des Kindes angepasst, diskutiert werden. Ein greifbares Bild dieser Arbeit soll für Fachleute und Interessierte neue Sichtweisen ermöglichen. Abschiednehmen und Epilog schließen als Kapitel den Artikel ab; nicht erschrecken, sondern motivieren sollen diese Einblicke. Verlust als Realität Sven ist 14 Jahre alt und er will vieles wissen, „nur“ nichts vom Tod. Seine Kindheit drehte sich um den Kampf gegen Krebs. Klinik, durchhalten, Mut finden, Behandlungen ertragen, Dissoziation und Alphazustand üben, immer weitermachen und tapfer sein. So Wie ein kleiner Kaiser steht er - aufgequollen vom Cortison, dicklich und ungeschickt - neben seiner Mutter, die gebeugt und ausgezehrt versucht, gute Laune zu versprühen. „Spiderman“: Sein Gesicht blitzt auf, wenn er diesen Namen hört. Sven hat Wutausbrüche, die so weit gehen, dass er sich den Katheter bei der Therapie im Spital herausreißt und ruhiggestellt wird. Natürlich ist er längst zu alt für solche Figuren und dennoch ist Spiderman der einzige, der seit seiner Kindheit verlässlich DA ist, von seiner Mutter abgesehen, von der man das ja selbstverständlich erwarten wird dürfen! ? Da wäre auch noch Iris. Ihr würde ein eigener Artikel gebühren, denn sie ist ein Kind, das an der Seite von Sven unter sehr besonderen Ausnahmebedingungen aufwächst. Sie bekommt bei e.motion ihre EIGENE Therapeutin und ihr EIGE- NES Therapiepferd. Immer wenn Sven zum Reiten gebracht wird, hat auch Iris jemanden NUR FÜR SICH. 1.4.2015 114 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied tun als wäre nichts, aber dann doch ganz reflektiert und „erwachsen“ verstehen, was Ärzte sagen und irgendwann wieder normal in die Schule gehen. Dort Außenseiter sein, gemobbt werden, und den Schutz von Erwachsenen suchen. Die Einzige, die all die Jahre mit ihm spielte, ist seine 9-jährige Schwester Iris. „Palliation“ (lateinisch) heißt „mit einem Mantel umhüllen“, aber auch „verbergen“. Es ist den unermüdlichen Bemühungen mutiger Pioniere zu verdanken, dass sich der Umgang mit Tod und Sterben gewandelt hat (Kast 1994). Der Tod war sehr lange ein großes gesellschaftliches und medizinisches Tabu, wurde verborgen und die Anforderungen, palliativ tätig zu sein, passten nicht in die kurativ ausgerichtete moderne Medizin. Dies ist auch für PferdetherapeutInnen wichtig. Es muss ein neuer Begriff von „Heilung “ wachsen. Heute gibt es tolle Hospiz- und Palliativstationen sowie mobile Angebote. Die palliative Versorgung ist „die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste Priorität besitzt“ (Aulbert et al. 2012, 2). Viele aktuelle Papers thematisieren die große Belastung aller Beteiligten in dieser Phase und die Verbesserung der Lebensqualität, aber auch die lebensverlängernde Hilfe, welche die palliative Begleitung leisten kann (Sitte / Thöns 2010). In diesem Kontext mehr pferdegestützte Interventionen zu implementieren, erscheint mir SEHR wertvoll und wir hoffen, viele Menschen dafür zu begeistern. Vorab das Wichtigste: Wie kann man als TherapeutIn objektiv und belastbar bleiben in Momenten des tiefsten Schmerzes und lebensbedrohlicher Panik? Wir denken, wichtig dabei ist, in tiefer Demut immer neu über die Grenzen zu gehen und SIE zu bewahren: die glitzernde Würde. Die heilpädagogische, psychologische und psychotherapeutische Begleitung von Menschen, die eine begrenzte Lebenserwartung haben, stellt besondere Herausforderungen an die professionellen Helfer. Therapie mit dem Pferd ist hier in vieler Hinsicht eine große Chance, eine Freude und Anlass neuer Perspektiven für die betroffenen Menschen. Ganz wichtig ist, pflegende und trauernde Angehörige miteinzubeziehen, auch für sie therapeutisch tätig zu werden. Selbstverständlich ist gerade für diesen hochsensiblen Bereich der Begleitung von Menschen mit großer und größer werdender gesundheitlicher Einschränkung fachliche Ausbildung, medizinisches und psychologisches Wissen unumgänglich. Es gibt hervorragende Palliative Care-Lehrgänge, die wir jedem sehr ans Herz legen. „Jokki ist mein Freund, da bin ich mir sicher, aber bist du mein FREUND? ! “ Ich denke lange nach, während ich neben Sven hertrotte. Sven ist in Fahrt: „Bist du auch nur für mich DA, weil du Geld bekommst? Liegt es an mir? Wer will mit einem todkranken Jungen, der sich selbst im Spiegel kaum ertragen kann, befreundet sein? “ Ich muss an Svens Traurigkeit denken, darüber, dass seine ganze Kindheit über nie jemand ohne Mitleid mit ihm spielte. Es war nicht seine Einbildung, es war Realität. Selbst die Freundschaften, die er im Spital oder bei Therapieprojekten wie e.motion knüpfte, waren von kurzer Dauer. Er hat ein Riechfläschchen mit Lavendel für das Gefühl von Freundschaft eintrainiert, das er meist an seinem Hosenbund trägt, aber es wirkt nicht genug. Es braucht Bestätigung und wiederholte Beweise. „JA, ich bin dein Freund, so gut ich kann! “ sagte ich bestimmt und war mir glasklar über die damit verbundene Verantwortung! Sven drückte seine Nase in Jokkis Mähne, lugte zu mir: „Können wir galoppieren? “, und das taten wir. 23.9.2016 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied mup 3|2018 | 115 Den Schmerz durchleben Svens Lebensaufgaben sind nicht „normal“, er ist Kind, wenn er Spiderman ist, aber er IST AUCH: die Ohnmacht, wenn er sein Versagen spürt, und er ist ein weiser ALTER Mann, wenn er in der Reflexion diesen TEXT schreibt. Auch wenn man viel Erfahrung mit dieser Patientengruppe hat, ist es eine sehr zerbrechliche Lebensphase, in der jede Handlung großes Gewicht hat. Unheilbar kranke Menschen sind fragiler und fordernder. Sie sind sich bewusst, dass ihnen die Zeit davonläuft und brauchen schnell und liebevoll das Maximum an Mitmenschlichkeit. Sven will niemanden belasten, nur Jokki mutet er sich bedingungslos zu. Dies eröffnet mir die Möglichkeit, als „sprachlicher Teil von Jokki“ zu vermitteln. An einem Tag am Hof beobachtete Sven das Sterben einer Maus, die von den Katzen erwischt wurde. Er ist verzweifelt, will die Katze töten. Es ist hart, aber in der Literatur klar: Kinder müssen teilhaben am Tod. „Nur so können adäquate Strategien im Umgang mit Trauer gewonnen und erfahren werden“ (Everding 2005, 61). „Das Abschiednehmen“ wird „durch ein überhöhtes technisch-medizinisches Vertrauen umso problematischer, wenn es an eigenem Selbstvertrauen fehlt“ (Franz 2014, 45). Aus Mangel an Bewältigungsstrategien wird über das Thema Tod beharrlich geschwiegen, wodurch es Jugendlichen und Kindern kaum möglich ist, eine adäquate Umgangsweise oder Trauerkultur zu erlernen. Dabei erlangt ein Kind umso mehr Sicherheit, „je offener und unbelasteter es seine ganz persönlichen Erfahrungen machen darf“ (Unverzagt 2004, 35). Spiderman ist so ein geniales Idol, weil er auch in seinen Filmen „indirekte Begegnungen mit dem Tod, die zu keiner unmittelbaren und persönlichen Auseinandersetzung“ führen, ermöglicht (Franz 2004, 47). Die „mediale Todesflut“, der Kinder heute ausgesetzt sind, lehrt sie früh ausreichende Distanzierung, aber auch Gleichgültigkeit beim Tod anderer, während reale Erfahrungen mit Todkranken fehlen (Everding 2005, 22). Für Sven muss nun der Brückenschlag zwischen Fiktion und Wirklichkeit gelingen. Folge dieser gegensätzlichen Entwicklungen ist zum einen die eigene Verunsicherung und angstbesetzte Vorstellung dem Tod gegenüber, andererseits die Unfähigkeit, mit trauernden Menschen umzugehen: Trauernde vereinsamen und werden gemieden, distanzieren sich selbst und geraten in Abb. 1 (Quelle: Hediger / Zink 2017, 95) Computerreflexion von Sven: „Damals im Spital, als ich kapiert hab, dass ich sterb, hat das begonnen. Solange ich wüte, bin ich Spiderman, aber wenn der Kampf gegen diese Wut endet, dann ist es, wie wenn ein Kampf an einem Abgrund endet, dann stürze ich mit meiner ganzen Superhelden- KRAFT hinab in ein unendliches, haltloses schwarzes LOCH. Ich bin dann nicht mehr ICH und mein Körper wird „es“. „ES“ muss sich krümmen und wilde Dämonen zwingen mich aufzugeben. Saugen meine Seele aus dem Körper, dann ist da nur mehr Dunkelheit.“ 12.6.2017 116 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied einen „Zirkel der Isolierung und Angst“ (Kast 1994, 15), der sie der Welt entfremdet. Der „Aufruf zum liebevollen Mittragen“ (Kast 1994, 15) wird von der Umgebung oftmals missverstanden und ignoriert. Das Pferd und die Therapeutin können dem entgegenwirken, vor allem durch Holding- und Containing-Qualität (Bowlby 2016, Fonagy 2015): Sie nehmen Gefühle auf, verinnerlichen sie, geben sie modifiziert zurück und vermitteln Konstanz und Halt. Dies kann eine Hilfe in der „Verdauungsarbeit“ unerträglicher Gefühle sein, wenn die Ich-Stärke gerade niedrig ist, und unterscheidet sich vom Arbeiten mit dem Pferd als Projektionsfläche unbewusster Gefühle (Bion 1992, Winnicot 1979). Sigmund Freud prägte 1916 den Begriff „Trauerarbeit“ (Freud 1982). Dieser bezeichnet den Verarbeitungsprozess des Trauernden und seines Umfeldes. Selbst unheilbar krank zu sein ist auch harte Arbeit. Der, der man dachte, dass man einmal sein wird, stirbt und neue Ideen, wie man die bleibende Zeit gut gestaltet, brauchen viel Mut. Eine vorübergehende, immer wiederkehrende depressive Verstimmtheit, die Konfrontation mit den schmerzlichen Gefühlen sind unverzichtbar: „Nur wenn sich der Trauernde mit den Ereignissen vor und nach dem Todesfall [in unserem Fall der unheilbaren Krankheitsdiagnose] beschäftigt und seine Erinnerungen [an den Verstorbenen] rekapituliert, löse sich nach und nach die „libidinöse Bindung“ zu der nahe stehenden Person“ (Stroebe et al. 2005, 31). Sven muss sich von seiner Zukunft lösen, das ist schwer. Er muss neue Konzepte entwerfen, wie er seinen Weg in Hoffnung und Zuversicht leben kann. Kast (1994, 13) betrachtet Trauer als „psychischen Prozess von höchster Wichtigkeit“, um ein neues „Selbst- und Weltverständnis“ zu entwickeln. Trauer kann nur verarbeitet und überwunden werden, wenn sie durchlebt wird. Gemeinsam aushalten, dass wir alle endlich sind, hilft (Herbert 1999, 8). Diagnosen unheilbarer Erkrankung sind Verlusterlebnisse, oft traumatische und akute Krisen. Das erfordert therapeutisches Wissen über Krisenintervention und Traumata. Eine Krise ist der „Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und dem Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern“ (Sonneck 2000, 16). Zur Stabilisierung des Selbstbildes in einer akuten Krisensituation ist Svens Text großartig, denn er benennt seine Panik und hilft sie zu externalisieren. Auch seine übergroße Wut ist ein Zeichen, dass er dringend Hilfe braucht, diese Lebenssituation zu meistern. In der palliativen Begleitung gilt der notfallpsychologische Grundsatz: Das sind normale Reaktionen eines normalen Menschen auf ein nicht normales Ereignis. (Bengel 2004, 64). Eines der prägendsten Gefühle, die für den Großteil der Familien zutreffen, ist das große Bedürfnis nach Rückzug und Schutz. Die Härte und das Urteil, das von der Welt ausgeht, die vielen Empfehlungen, die ihnen entgegengebracht werden, die Bemühung GESUND zu werden, Hoffnung, Zuversicht, die Konzentration auf immer kleinere Abschnitte, das Hier und Jetzt als magische Formel und dann der „Endweg“ - all das braucht Zeit, Hinwendung, Schutz und Halt. Scham, Würde, Stolz Tiere und der Umgang mit Pferden zeigen auf, dass man „etwas kann“, geben Würde, nehmen Scham. Fachlich kann das wunderbar aufgelistet werden und die Idee der Salutogenese erzählen. Jeder Mensch bewegt sich auf einem Kontinuum zwischen gesund und krank, solange er lebt (Antonovsky 1979). „Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit“ (Antonovsky 1997, 35f) sind maßgeblich, damit in einem Menschen das Gefühl von Gesundheit entstehen kann. Grawe (2004, 22) formte aus Antonovskys Theorie seine Konsistenztheorie, in der jeder Mensch vier Grundbedürfnisse verfolgt: Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied mup 3|2018 | 117 Orientierung/ Kontrolle, Lustgewinn/ Unlustvermeidung, Bindung, Selbstwerterhöhung/ -schutz. Pferde unterstützen in herausragender Form genau diese Bestrebungen: „1. Zusammenhänge verstehen“ (Grawe 2004, 22) ist viel einfacher, wenn man sie aus Pferdesicht betrachtet. „2. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen“ (Grawe 2004, 22) lassen sich kaum eindrücklicher erleben wie mit und auf dem Pferd, ebenso kann auch „die Machtbalance in Beziehungen“ (Grawe 2004, 22) im Umgang mit Pferden spielerisch wieder mehr ins Lot geraten. „3. Der Glaube an den Sinn des Lebens“ (Grawe 2004, 22) eröffnet sich glasklar in der Verantwortlichkeit für ein Tier. Es gibt immer etwas zu tun, zu erzählen und zu überlegen. Grawe (2004) geht von einem übergeordneten Grundbedürfnis nach Stimmigkeit (er nennt es Konsistenz und Kongruenz) aus, was das Gleiche meint wie das übergeordnete Streben nach Kohärenz als Basisstreben der Salutogenese. „Der Sinn für Kohärenz ist angeboren, das Kohärenzgefühl entsteht durch Beziehungen, durch zwischenmenschliche Kommunikation. Deshalb ist Kommunikation im sehr weiten Sinne das entscheidende Instrument zur Anregung bzw. Erzeugung von Kohärenzgefühl“ (Grawe 2004, 35). Hier wären mehr Studien für die therapeutische Arbeit mit Pferden nötig. Im Bereich unheilbar kranker Kinder und eingeschränkter verbaler Mitteilungsmöglichkeiten eignet sich der Kommunikationsfluss u. a über Klopfen auf den Gurt oder das Fell, Augenaufschlag oder Fokus, Ganzkörper-Spannung, Tippen auf Symbolkarten oder ein einfacher Sprachcomputer (z. B. GoPro). Bei e.motion wird unterstützte Computerschreibkommunikation für Menschen nach Schlaganfällen, Hirntumoren oder bei sekundärem Sprachverlust eingesetzt, das ‚Sich-ausdrücken-Können‘ ist eine sehr wichtige Glückserfahrung und die Reflexion der pferdegestützten Intervention über ein passendes Medium ganz essenziell für die heilsame Wirkung. Gut gegliederte Stunden mit ausreichend vorbereiteter Erlebnis- und Reflexionsphase helfen der Integration, Nachhaltigkeit und Heilungskraft. Sich anpassen an die Möglichkeiten Die Hinwendung und Anteilnahme, das Nicht-Zurückschrecken als TherapeutIn vor Leid und Chaos wirkt, und es scheint noch mehr zu wirken, wenn es von 500 kg Pferd untermauert wird - das Gefühl angenommen zu sein, geborgen zu sein, aber auch ernst genommen zu werden. Trauer und palliative Arbeit sind auch sehr eng mit der Traumatherapie verwoben. Das Bewusstsein, dass die meisten schwerkranken Menschen akute Traumata erleben Es ist bitter kalt. Sven ist in „seine“ Decke eingewickelt und hat drei Wärmflaschen zwischen sich, seiner Jacke und der Decke. Wir reiten mit Jokki durch den glitzernden Winterwald. Auch wenn er schon groß ist, haben wir ihm unseren Geschichtenbär geliehen, der nimmt jede Stunde alle Geräusche und einen freundlichen Kraftsatz von mir auf, kann aber auch coole Lieder, die Sven liebt, abspielen und er kann ihn zu Hause so oft er will abspielen, indem er die Pfote drückt. Inzwischen hat er eine riesige Sammlung an „Pferdegeschichten“. Da sind Geräusche vom Lagerfeuer, die knarrende Stalltüre, das Kauen der Pferde bei der Abendfütterung, u. v. m. zu hören. Svens schwere Atemgeräusche durch die Maske zeugen davon, dass er kaum Kraft hat, diese Schönheit der Natur wahrzunehmen. Sven ist sehr dünn, die Bestrahlung setzt ihm zu, dicke schwarze Augenringe kennzeichnen markant sein Gesicht. Wenig scheint von dem dicklichen Cortison-Jungen übrig zu sein und er ist mehr ein „Hauch“ von einem Menschen. Seit drei Jahren treffen wir uns einmal die Woche mit Jokki. Neben diesen regelmäßigen Einheiten kommt Sven zusätzlich zweimal in den Ferien eine ganze Woche auf den Lichtblickhof. Die Termine bei den Pferden sind große Ziele, eine Priorität, nach der sich medizinische Therapie richtet. Wir haben uns seit dem ersten Treffen, an dem Sven ausschließlich getobt hat, sehr persönlich kennengelernt. Wir haben Verantwortung füreinander getragen und Sven hat sich in all seiner Verzweiflung den Pferden und anderen Kindern zugemutet und viele besondere Abenteuer dafür geschenkt bekommen. Er übt täglich die Erinnerung und das Eintauchen in realitätsangelehnte Pferdeabenteuer. 14. Dezember 2016 118 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied und welche Wucht diese für unseren Körper haben, sollte immer allgegenwärtig sein. „Traumata führen zu einer völligen Neuorganisation der Wahrnehmungen im Geist und im Gehirn. Sie verändern nicht nur, wie wir denken und womit wir uns dabei befassen, sondern auch unsere Denkfähigkeit selbst. Wir haben festgestellt, dass es durchaus sinnvoll ist, Traumatisierten zu helfen, ihre Erlebnisse in Worte zu fassen, dass allein dies aber in der Regel nicht ausreicht. Die Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, verändert nicht zwingend die automatischen physischen und hormonellen Reaktionen eines weiterhin hypervigilanten Körpers, der in der bangen Erwartung verharrt, zu jedem beliebigen Zeitpunkt angegriffen oder verletzt werden zu können. Eine wirkliche Veränderung kann nur stattfinden, wenn der Körper lernt, dass die Gefahr vorüber ist und er wieder in der gegenwärtigen Realität lebt. Unsere Bemühungen, Traumata zu verstehen, haben uns dazu veranlasst, nicht nur über die Struktur des Geistes, sondern auch über die Prozesse, durch die der menschliche Geist geheilt werden kann, anders als bisher zu denken“ (Van der Kolk 2015, 32). Dieses Zitat verdeutlicht die Wucht, die Diagnosen oft hinterlassen und untermauert den Bedarf körperorientierter Therapieangebote. Die Verletzung, die eine unheilbare Erkrankung auch für die Seele eines Menschen bedeuten kann, ist ein Verweis darauf, dass wir in der Trauer und Sterbebegleitung die stabilisierenden, integrierenden und emotionsregulierenden Techniken der Traumatherapie nutzen müssen - für den Weg in Richtung Tod. Um Meister zu werden im Reich des Humors, in der Phantasie, der Regulation der Physiologie und Emotion. All das geschieht bei Sven in der Pubertät. Sie ist eine „Entwicklungsperiode, in der die Sexualentwicklung wieder aufgenommen wird, die inzestuösen Bindungen aufgelöst werden sollen und in der der Jugendliche seine Identität als Erwachsener im Bereich der Sexualität, der Objektbeziehungen und in den sozialen Rollen entwickeln und festigen muss […] (Identitätsbildung, soziale Anpassungsvorgänge, etc.)“ (Schuster / Springer-Kremser 1997, 118). In Svens Fall ist diese Entwicklungsphase massiv beeinträchtigt und überlagert, was aber nicht heißt, dass er keinen Wunsch verspürt, ein „normaler Jugendlicher“ zu sein, und uns als Therapeuten aufmerksam sein lässt auf seine Identitätsbildungs- und Loslösungsproblematik. Bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Erkrankung liegen meist zusätzlich andere psychische Probleme vor. Färbungen, die schon immer da waren werden stärker, Komorbiditäten treten in den Vordergrund. Angststörungen, Essstörungen, Svens Bett ist wie ein Schrein von Bildern, Symbolen und Postern. Mit diesen Abenteuern beklebt, bietet sein Nachttisch kaum mehr Platz, so viele bunte Steine und gebastelte Waffen und andere „greifbare“ Lichtblickhof- Erinnerungen liegen hier allzeit EINSATZBE- REIT. Eingewickelt ist er in „seine“ Decke. Das ist ein Bettüberzug, den er mit mir, Jokki, Kater Tintenfuß und Hund Leonie auf dem Sommercamp bei e.motion gedruckt hat. Es sind original Hand-, Pfoten- und Hufabdrücke darauf, die dazu einladen, sich mit den Tieren zu verbinden, indem man die eigene Hand in Jokkis Farb-Huf legt. Mein Besuch in seiner Wohnung ist geprägt von der Traurigkeit, dass er an diesem Tag zu schwach zum Reiten ist. Jetzt aber, wo er mir seine Sammlung zeigt, strahlt er. Er zieht das Log-Buch samt seiner Karabinersammlung hervor. Verheißungsvoll zeigt er mir ein Miniatursymbol auf einer Schrumpffolie wo ER und Jokki über den Bach reiten. „Weißt du noch die Flussüberquerung? “ fragt er. „Weißt du diese sprühenden Wassertropfen auf meiner Wange, als ich den gemalten „Panikstein“ versenkte - das stelle ich mir vor, wenn es zu arg ist. Ich rieche Moos, ich höre die Hufe auf der Holzbrücke! Und DU hast mir zugetraut, den Fluss ganz allein zu queren.“ Seine Stimme wird mit jedem Wort leiser, kaum verständlich, er fasst zur Sauerstoffmaske, hält sie sich in unkoordinierten Bewegungen über Nase und Mund. Es ist unmöglich, keine Gänsehaut zu bekommen neben ihm, so viel Würde und SELBER MACHEN strahlt er aus. Ich spüre meine WUT auf das Schicksal, versinke still in Gedanken, bleibe einfach. Nach einer halben Minute reißt mich seine klare laute Stimme aus meiner Besinnung: „GANZ ALLEIN MIT JOKKI“, sagt er und klickt ein paar Mal mit dem Karabiner, während seine Augen zwinkernd funkeln. Warum sind es immer die gefährlichsten Situationen, die so viel Glück erzeugen? Meine Gedanken an die „Flussüberquerung“ sind weniger romantisch. Ich wusste, dass ich, wenn ich einen Wutanfall von Sven vermeiden will, zustimmen muss. Ich wusste, dass es mehr als riskant ist und keine Versicherung dieser Welt das deckt, ein schwerkrankes Kind, allein über einen Fluss, okay, mit einem sehr erfahrenen Pferd, aber dennoch…Hektisch watete ich in Schuhen und Hose hinter den beiden her, mein Puls bis in den Kopf…und dann sah ich ihn STRAHLEN mitten im Fluss. Als ich sie eingeholt hatte, war ein Sprühregen vom Wasserfall herübergeweht und die Sonne brach sich in seinen blonden Haaren. Es war ein magischer Moment, weil es das letzte Mal war, dass Sven so richtig MEGA-glücklich war, sich vollkommen „eins“ fühlte mit sich, der Welt und versöhnt. Ich reiße mich aus den Gedanken. „Du bist sehr mutig Sven! “, sage ich und er nickt, während er sanft einschläft. Hausbesuch Februar 2017 Abb. 2 (Quelle: Hediger / Zink 2017, 108) Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied mup 3|2018 | 119 Mutismus, Impuls- und Affektkontrollprobleme, dissoziative Phänomene und suizidale Gedanken sind gut und sorgsam abzuklären, aber auch „normal“ im Prozess dieser übergroßen Herausforderungen. Hier sind Grenzen der Therapie mit dem Pferd allein gegeben. Die Therapie muss in Zusammenarbeit mit einer Helferkonferenz durchgeführt werden. Neben dem Kontakt zum Netzwerk, das dieses Kind trägt, ist es wichtig, als Therapeutin mit dem Pferd sicherzustellen, dass man die Konstanz für das Kind über einen langen Zeitraum aufrechterhalten kann. Bei ohnehin schwindenden Entwicklungs-/ Zeitressourcen ist ein Therapeuten- oder Pferdewechsel sehr belastend. Wärme, Rhythmus und Konstanz, Rituale und alle Dinge, auf die man sich VERLASSEN KANN, haben Priorität! für die Seele eines Menschen bedeuten kann, ist ein Verweis darauf, dass wir in der Trauer und Sterbebegleitung die stabilisierenden, integrierenden und emotionsregulierenden Techniken der Traumatherapie nutzen müssen - für den Weg in Richtung Tod. Um Meister zu werden im Reich des Humors, in der Phantasie, der Regulation der Physiologie und Emotion. All das geschieht bei Sven in der Pubertät. Sie ist eine „Entwicklungsperiode, in der die Sexualentwicklung wieder aufgenommen wird, die inzestuösen Bindungen aufgelöst werden sollen und in der der Jugendliche seine Identität als Erwachsener im Bereich der Sexualität, der Objektbeziehungen und in den sozialen Rollen entwickeln und festigen muss […] (Identitätsbildung, soziale Anpassungsvorgänge, etc.)“ (Schuster / Springer-Kremser 1997, 118). In Svens Fall ist diese Entwicklungsphase massiv beeinträchtigt und überlagert, was aber nicht heißt, dass er keinen Wunsch verspürt, ein „normaler Jugendlicher“ zu sein, und uns als Therapeuten aufmerksam sein lässt auf seine Identitätsbildungs- und Loslösungsproblematik. Bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Erkrankung liegen meist zusätzlich andere psychische Probleme vor. Färbungen, die schon immer da waren werden stärker, Komorbiditäten treten in den Vordergrund. Angststörungen, Essstörungen, Svens Bett ist wie ein Schrein von Bildern, Symbolen und Postern. Mit diesen Abenteuern beklebt, bietet sein Nachttisch kaum mehr Platz, so viele bunte Steine und gebastelte Waffen und andere „greifbare“ Lichtblickhof- Erinnerungen liegen hier allzeit EINSATZBE- REIT. Eingewickelt ist er in „seine“ Decke. Das ist ein Bettüberzug, den er mit mir, Jokki, Kater Tintenfuß und Hund Leonie auf dem Sommercamp bei e.motion gedruckt hat. Es sind original Hand-, Pfoten- und Hufabdrücke darauf, die dazu einladen, sich mit den Tieren zu verbinden, indem man die eigene Hand in Jokkis Farb-Huf legt. Mein Besuch in seiner Wohnung ist geprägt von der Traurigkeit, dass er an diesem Tag zu schwach zum Reiten ist. Jetzt aber, wo er mir seine Sammlung zeigt, strahlt er. Er zieht das Log-Buch samt seiner Karabinersammlung hervor. Verheißungsvoll zeigt er mir ein Miniatursymbol auf einer Schrumpffolie wo ER und Jokki über den Bach reiten. „Weißt du noch die Flussüberquerung? “ fragt er. „Weißt du diese sprühenden Wassertropfen auf meiner Wange, als ich den gemalten „Panikstein“ versenkte - das stelle ich mir vor, wenn es zu arg ist. Ich rieche Moos, ich höre die Hufe auf der Holzbrücke! Und DU hast mir zugetraut, den Fluss ganz allein zu queren.“ Seine Stimme wird mit jedem Wort leiser, kaum verständlich, er fasst zur Sauerstoffmaske, hält sie sich in unkoordinierten Bewegungen über Nase und Mund. Es ist unmöglich, keine Gänsehaut zu bekommen neben ihm, so viel Würde und SELBER MACHEN strahlt er aus. Ich spüre meine WUT auf das Schicksal, versinke still in Gedanken, bleibe einfach. Nach einer halben Minute reißt mich seine klare laute Stimme aus meiner Besinnung: „GANZ ALLEIN MIT JOKKI“, sagt er und klickt ein paar Mal mit dem Karabiner, während seine Augen zwinkernd funkeln. Warum sind es immer die gefährlichsten Situationen, die so viel Glück erzeugen? Meine Gedanken an die „Flussüberquerung“ sind weniger romantisch. Ich wusste, dass ich, wenn ich einen Wutanfall von Sven vermeiden will, zustimmen muss. Ich wusste, dass es mehr als riskant ist und keine Versicherung dieser Welt das deckt, ein schwerkrankes Kind, allein über einen Fluss, okay, mit einem sehr erfahrenen Pferd, aber dennoch…Hektisch watete ich in Schuhen und Hose hinter den beiden her, mein Puls bis in den Kopf…und dann sah ich ihn STRAHLEN mitten im Fluss. Als ich sie eingeholt hatte, war ein Sprühregen vom Wasserfall herübergeweht und die Sonne brach sich in seinen blonden Haaren. Es war ein magischer Moment, weil es das letzte Mal war, dass Sven so richtig MEGA-glücklich war, sich vollkommen „eins“ fühlte mit sich, der Welt und versöhnt. Ich reiße mich aus den Gedanken. „Du bist sehr mutig Sven! “, sage ich und er nickt, während er sanft einschläft. Hausbesuch Februar 2017 120 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied Kinder und Jugendliche trauern anders als Erwachsene. Die Trauerreaktionen sind in jedem Entwicklungsalter von zahlreichen Einflüssen und Faktoren abhängig (z. B. bisher Erlebtes, Erziehung, Entwicklung, Persönlichkeit, Alter) (Bogyi 2012). Das Re-Grieving-Phänomen (Bogyi, 2012) beschreibt, dass der Trauerprozess mit jedem Entwicklungsschritt immer wieder neu aufgenommen werden muss. Kinder und Jugendliche sind angewiesen auf Bezugspersonen und Unterstützung. Der Trauerrhythmus ist sprunghaft, unberechenbar und punktuell. Auf dem Weg zu einem Todesbegriff Erstaunlich ist, dass wir in unserer Praxis erleben, dass Pferde sogar bei Patienten mit Ticks oder sehr verändertem körpersprachlichen Ausdruck den intentionalen Gehalt der nonverbalen Kommunikation von den „sinnenthobenen“ Bewegungen mühelos unterscheiden können, wenn sie daran gewöhnt wurden, keine Angst solchem Verhalten gegenüber zu haben. Vermutlich funktioniert dies über Wahrnehmen der Atem- und Herzfrequenz, des Hautwiderstandes und der Ausdünstung (D´Anielloet al. 2017). Der sanfte Wechsel von Rhythmus und Impuls, der jeder körpersprachlichen Interaktion zugrunde liegt, ist geprägt von Synchronie, Symmetrie und dem Wechsel von harmonischen, abgestimmten und disharmonisch herausfordernden Momenten (Hediger / Zink 2017, 74). Der melodische Klang der Interaktion zwischen Pferd und Patient ist ein heilsames Erlebnis für Patientin und Therapeutin. Diese Stunde mit Sven geht mir sehr unter die Haut, ich erinnere mich genau an den Spiderman-Sven, der mit mir so oft über seine Angst vor diesem „Endzustand“ teilte. ER hatte ganz ein eigenes Todeskonzept, er glaubte, dass er langsam mehr und mehr in seine Phantasie abgleiten und dort weiterleben wird. Sven will noch EINMAL zu den Pferden. Er wird liegend in einem Krankenwagen zu uns gefahren und in unser Krankenbett transferiert. Es ist noch kühl und leichter Wind geht. Die Mutter ist sehr ängstlich, dass Sven eine Lungenentzündung bekommt, daher rollen wir rasch in den beheizten, vorbereiteten Innenraum. Jokki wartet aufgeregt, er mag Kontakte am Krankenbett und schnüffelt aufgeregt zu Svens Hand. Sven hebt sie und greift seine warmen weichen, weißen Nüstern an. Hält inne, spürt den Atem von Jokki ein- und ausströmen. Jokki schnaubt, Sven erschrickt und lacht dann. „Bitte kann ich reiten? “ sagt er. Ich sehe das Entsetzen in den Augen der Mutter und die Überraschung. Sven hat seit Tagen keinen Wunsch mehr geäußert, kaum mehr gesprochen, schon gar keinen ganzen Satz. Jede Kommunikation ist so kurz, weil er sofort einschläft, aus Kraftmangel kaum mehr ein Wort hinter das andere reiht. Ich sage Sven, dass es besser wäre, wenn wir das für nächste Woche vereinbaren, weil wir heute gar nicht vorbereitet sind. Die Mutter sieht erleichtert aus. Sven rückt mit seinem Gesicht zu Jokkis Nase und lächelt. Jokki ist ruhig und konzentriert. Seine Mimik zuckt, sein Augenaufschlag ändert sich mehrmals, seine Nüstern bewegen sich in kleinen schnellen Abfolgen. Was er wohl denkt? Wir holen ein Heupolster, das sind genähte Polster, die man mit Heu befüllen und mit nach Hause oder ins Spital nehmen kann. Ich fordere Sven auf, daran zu riechen, er scheint abwesend, greift aber sehr aktiv nach Jokki, wenn dieser seinen Kopf wegbewegt. So verweilen wir. Dann wird die Atmung rasselnder… Die Mutter kommt und saugt Svens Lunge ab. Sven wehrt sich, der Mutter rinnen die Tränen über die Backen. Ich schweige respektvoll und habe so tiefe Demut vor diesen beiden besonderen Menschen, Hochachtung für jeden pflegenden Angehörigen. Es ist eine so dünne Linie und maximale Hingabe ist gefragt, vor allem in diesen zerbrechlichen Phasen, wo bereits ein Windhauch alles aus dem Lot bringt. 21. März 2017 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied mup 3|2018 | 121 Das Abschiednehmen Die Wirkung von Pferden auf Menschen ist noch nicht ausreichend, aber zumindest weitgehend beforscht. Eine Übersicht über Wirkgruppen und Studien findet man bspw. bei Hediger und Zink (2017). Die Arbeit mit dem Pferd bietet die Möglichkeit, mit dem Patienten AUF oder NEBEN dem Tier zu interagieren. Das macht für PatientInnen und Angehörige oft einen großen Unterschied. Aus unserer praktischen Erfahrung ist die „Wirküberzeugung“ ein wichtiger Faktor, der Menschen heilt; diese ist generell viel höher bei der Arbeit AUF dem Pferd. Bei schwerkranken Menschen mit dem Pferd hat die Sicherheit des Pferdes oberste Priorität, z. B., dass die Pferde so weit wie möglich vorhersagbares Verhalten zeigen, extrem gelassen und ruhig jede Bewegung mit der Therapeutin abstimmen, dazu die Gewöhnung an Sonden, Gerüche und Geräusche (Absaugmaschine für die Lunge, Beatmungsmaschine, aber auch Quietsch-, Kreisch- und Glucksgeräusche). Schwerkranke Menschen sind meist geplagt von vielen Schmerzen und Schmerzerfahrungen. Ein möglichst sanfter Umgang und vorsichtiges Angreifen können heilsam groben Lagerungs- und Transfererfahrungen entgegenwirken. Hier ist das Aufs-Pferd-Bringen der Patienten eine Schlüsselsituation, die auch für die meisten Pferden sehr stressbeladen ist. Langes Stillstehen bei großer „Aufregung“ aller beteiligten Menschen ist in der Pferdelogik ein „Fehler“. Daher ist in diesem Bereich unbedingt Pferdesupervision, stressreduziertes Ersatzhandeln und viel beziehungs- und bindungsgeleitetes Training zu beachten. Neuorientierung, bewältigte Traueraufgaben Einmal sehe ich Sven noch, er ist inzwischen in der Klinik. Die Schmerzen und Atemaussetzer waren der Mutter allein zu belastend und gemeinsam mit der mobilen Hauskrankenpflege wurde eine Verlegung auf die Kinderklinik organisiert. Sven wirkt wie ein Kind, ist sehr dünn und blass, er ist nicht mehr ansprechbar, und doch bemerke ich, dass er seinen Atemrhythmus ändert, als ich mich zu ihm setze und meine Hand auf seinen Fuß lege. Ich erzähle ihm, was Jokki heute macht und er seufzt immer wieder an sehr passenden Stellen. Dann plaudere ich lange mit der Mutter, die erstaunlich entspannt wirkt. Die Hilfe, die ihr hier auf der Kinderstation geboten wird, tut ihr sehr gut, sie ist nicht mehr so einsam mit ihrem Sohn und der Angst. 1. Mai 2017 Ob ihr es glaubt oder nicht: Sven ist heute geritten. Jokki wird geführt von meiner Kollegin, rechts stützt die Mutter und links ich. Jokki ist mit einem Fellsattel und einer weiteren Schaumstoffauflage vorbereitet. Sven liegt quasi längs, seine Füße auf der Kruppe, sein Kopf in der Mähne. Jokki geht so vorsichtig, als wenn er rohe Eier balancieren würde. Svens Körper schüttelt es dennoch sehr, aber er will nicht absteigen, das macht er durch „Ähhhhhhh-Laute“ deutlich. Ob Sven die ganze Woche auf dieses Abenteuer gewartet hat? Sein Zustand ist von Tag zu Tag besser geworden, er hat zu essen begonnen und zweimal nach dem Wochentag gefragt. Sonst war er sehr versunken, wie meist in den letzten Wochen. Er bekommt inzwischen Morphin und Opiate, um ihm Panik und Schmerz zu erleichtern. Ein hervorragendes Palliativ-Team adaptiert die Medikation mit der Mutter. Sie begleitet ihn Tag und Nacht, 24 Stunden, ohne Pause. Man sieht ihr die Erschöpfung deutlich an, aber ich verstehe gut, dass sie niemanden mehr an ihren Sohn heranlassen will und bin berührt, dass sie ihm ausgerechnet das Reiten ermöglichen will. Als wir zu viert Sven vorsichtig mit Hilfe des Hebeliftes, um ihm möglichst wenig Schmerz zu bereiten, wieder zurück in das Transportbett legen, ist sein Gesicht entspannt, er schläft und es scheint ein ruhiger Schlaf zu sein. Die Mutter ist stolz und bleibt noch für eine Tasse Kaffee und ein paar gemeinsame Worte der Anerkennung. 27. März 2017 122 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied Epilog Das Begräbnis war sehr stimmungsvoll, wir durften sogar in der Aufbahrungshalle eine provisorische Pferdebox einrichten. Iris saß während der gesamten Zeremonie auf ihrem Pferd Pipistrela und Jokki stand Heu fressend neben ihnen, schnaubte immer an den passenden Stellen und stellte das Fressen ein, wenn still Andacht gehalten wurde. Es sind Momente wie diese, in denen ich tief überzeugt bin, diese Pferde verstehen mehr von ihrem Therapieberuf, als wir erahnen können. Die Begleitung von Menschen bis zum Tod ist eine sehr kräftezehrende und emotional herausfordernde Aufgabe, und viel Resilienztraining für die Therapeutin ist wichtig. Wie lange es dauert, bis alle „Traueraufgaben“ (Worden 2011) bewältigt sind, kann keiner sagen. Ich versuche weiterhin, DA zu sein und zu bleiben, für die Mutter und Iris ein Hafen zu sein, ein Ort der Erinnerung und ein besonderer Ort für Sven und seinen Weg zu leben. Auf Svens Karte steht geschrieben: „Würde wird mehr im Leiden, Anmut mehr im Betragen gefordert und gezeigt; denn nur im Leiden kann sich die Freiheit des Gemüts und nur im Handeln die Freiheit des Körpers offenbaren.“ (Friedrich Schiller 1793) Es war noch ein langer Weg und ich durfte fast täglich mit der Mutter telefonieren. Sven ist dann gegangen, und noch am selben Tag fragte die Mutter, ob sie denn vielleicht eine Runde zum Reiten kommen könne. Ich sage spontan die anderen Stunden ab und versuche mir ausreichend Zeit für sie einzurichten. Wir wandern mit Jokki eine Runde in den grün leuchtenden Frühlingswald. Die Mutter ist sehr gefasst und will mit mir besprechen, ob ich beim Begräbnis helfen könnte. Iris, ihre Tochter, sei auch sehr dankbar. Wir vereinbaren einen Austausch mit der Pastoralassistentin und ich verspreche, beim Friedhof anzufragen wegen einer Pferdegenehmigung. Es ist ein sehr großer Wunsch, dass Jokki dabei ist und Kinder vom Lichtblickhof. Ab diesem Tag kommt die Mutter statt Sven wöchentlich und beginnt mit mir ihren Weg mit pferdegestützter Trauerarbeit. 20. Mai 2017 Abb. 3 (Quelle: Hediger / Zink 2017, 83) Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied mup 3|2018 | 123 Literatur ■ Aulbert, E., Friedemann N., Radbruch, L. (2012): Lehrbuch Palliativmedizin. 3. Aufl. Schattauer, Stuttgart ■ Antonovsky, A. (1979): Health, stress and coping: New Perspectives on Mental and Physical Well-Being. Jossey Bass, San Francisco ■ Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. 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Sophie Knapp Reittherapeutin (SGTR, ÖKThR, ÖPS), Sonder- und Heilpädagogin (Universität Wien), Therapeutin am Lichtblickhof e.motion im sozialmedizinischen Zentrum Otto Wagner Spital für palliative tier- und pferdegestützte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Mag. Roswitha Zink Psychotherapeutin für Integrative Therapie i. A. u. S., Reittherapeutin und Pferdetrainerin (ÖKThR, ÖPS), Leitung bei Lichtblickhof e.motion, Spezialisierung im Bereich palliative Begleitung von Kindern und Jugendlichen sowie Traumatherapie. Korrespondenzanschrift Verein E.Motion · Baumgartner Höhe 1 · A-1145 Wien info@pferd-emotion.at 124 | mup 3|2018 Forum: Zink, Knapp - Svens Abschied ■ Canacakis, J. (1992): Trauer - ein verlerntes Gefühl? In: Student, J. (Hrsg.): Im Himmel welken keine Blumen. Kinder begegnen dem Tod. Herder, Freiburg, 181-199 ■ Eckardt, J. (2013): Kinder und Trauma. Was Kinder brauchen, die einen Unfall, einen Todesfall, eine Katastrophe, Trennung, Missbrauch oder Mobbing erlebt haben. 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Die Autorin gibt eine anschauliche Einführung in neurobiologische und systemische Grundlagen und deren Umsetzung in der pferdgestützten Pädagogik. Sie illustriert anhand von vielen Fallbeispielen, auf welche Weise das Pferd wirkt und wie es gelingen kann, eine systemische Haltung aufzubauen. Fachkräfte erhalten zahlreiche Anregungen, Kinder und Erwachsene mit dem Pferd auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Lebensführung und Beziehungsgestaltung zu begleiten. Imke Urmoneit Pferdgestützte systemische Pädagogik Mit einem Geleitwort von Arist von Schlippe 2., durchges. Auflage 2015. 196 Seiten. 6 Abb. (978-3-497-02546-6) kt a w
