eJournals mensch & pferd international 10/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Medien & Materialien: Karin Birchler Hofbauer: „Ich-Buch“ für die Unterstützte Kommunikation. Ein Hilfsmittel für die aktive Interaktionsgestaltung mit kommunikativ beeinträchtigten Menschen

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Das vorliegende Buch von Karin Birchler Hofbauer möchte als Hilfsmittel verstanden werden, um Menschen mit „leichten bis mittelschweren kognitiven Beeinträchtigungen“ zu helfen, sich über die Erstellung eines Ich-Buches effektiver mitzuteilen. Um als ein solches Hilfsmittel dienen zu können, ist es das Anliegen der Autorin, in ihrem Buch die Fragen zu beantworten, wie ein geeignetes Vorlage-Raster für ein Ich-Buch unter Berücksichtigung der Komponenten von individuellen Kommunikationssystemen aussieht, auf welche Kommunikations- und Interaktionstheorien und Inhalte aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation (UK) man sich dabei stützen kann und wie ein solches Ich-Buch im Alltag der Interaktionsgestaltung eingesetzt werden könnte oder sollte.
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142 | mup 3|2018 Medien & Materialien Medien & Materialien Karin Birchler Hofbauer: „Ich- Buch“ für die Unterstützte Kommunikation. Ein Hilfsmittel für die aktive Interaktionsgestaltung mit kommunikativ beeinträchtigten Menschen Das vorliegende Buch von Karin Birchler Hofbauer möchte als Hilfsmittel verstanden werden, um Menschen mit „leichten bis mittelschweren kognitiven Beeinträchtigungen“ zu helfen, sich über die Erstellung eines Ich-Buches effektiver mitzuteilen. Um als ein solches Hilfsmittel dienen zu können, ist es das Anliegen der Autorin, in ihrem Buch die Fragen zu beantworten, wie ■ ein geeignetes Vorlage-Raster für ein Ich- Buch unter Berücksichtigung der Komponenten von individuellen Kommunikationssystemen aussieht, ■ auf welche Kommunikations- und Interaktionstheorien und Inhalte aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation (UK) man sich dabei stützen kann und ■ wie ein solches Ich-Buch im Alltag der Interaktionsgestaltung eingesetzt werden könnte oder sollte. Bevor in den Kapiteln fünf, sechs und sieben Hinweise für Praktiker präsentiert und sofort einsetzbare Vorlagen zur Diagnostik und Erstellung eines Ich-Buches geliefert werden, wird in den vorherigen Kapiteln in die theoretischen Grundlagen von Sprachentwicklung, Interaktion und UK eingeführt. Für den Bereich Sprachentwicklung und Interaktion stellt die Autorin das interaktionistische Konzept der Sprachentwicklung nach Bruner und die Theorie der frühen Interaktionsentwicklung nach Sarimski vor. Eine inhaltliche Begründung für die Auswahl gerade dieser Theorien erhält der Leser nicht, vielmehr wird die Auswahl damit begründet, dass die Theorie von Bruner häufig im Bereich von UK herangezogen würde. Dem Leser verschafft die verständliche Vorstellung der Theorie von Bruner einen guten Einblick in die Entwicklung des Spracherwerbs. Einzelne Entwicklungsschritte werden gut gegliedert präsentiert und ihre Bedeutung für den Spracherwerb wird dargestellt. Die Darstellung der Theorie Sarimskis hilft dem Leser, die Problematik der Interaktion zwischen Bezugsperson und beeinträchtigten Kindern zu verstehen. Im vierten Kapitel wird in die Theorie der UK eingeführt, wobei der Schwerpunkt auf dem Umfeld für den UK-Einsatz und dem Kommunikationspartner des unterstützt kommunizierenden Menschen liegt. Der Autorin scheint es ein wichtiges Anliegen zu sein, die Kommunikationspartner unterstützt kommunizierender Menschen anzusprechen und sehr deutlich zu machen, welche Voraussetzungen sie mitbringen bzw. welche Fertigkeiten sie erlernen müssen, um den erfolgreichen UK-Einsatz auf beiden Seiten zu ermöglichen. Vor dem fünften Kapitel enden die verstärkt theoretischen Darstellungen und der Leser erhält im fünften Kapitel neben einer Einführung in die Theorie der Diagnostik auch eine praktische Hilfe für die eigene Diagnostik in Form eines spezialisierten Diagnosebogens (Beobachtungsbogen) für die Erstellung eines Ich-Buches. Entwickelt hat die Autorin den im Anhang abgedruckten Beobachtungsbogen (der auch online verfügbar ist) über den Vergleich zweier Diagnoseverfahren und mit eigenen Ergänzungen. Der Diagnosebogen beinhaltet ebenfalls eine Spalte, in der Ansatzpunkte für die Förderung eingetragen werden, wozu sich im Buch hilfreiche Beispiele finden. Als Hilfsmittel in der Praxis ist dies gut geeignet, um aufkommende Ideen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Kritisch zu sehen Akademiker Verlag, Saarbrücken, 2015, 136 Seiten, € 36,90 (D) Medien & Materialien mup 3|2018 | 143 ist hier, dass nur am Rande auf die erforderliche Kompetenz des Diagnostikers eingegangen wird. Schon in den ersten Kapiteln wird klar, dass neben Wissen über die kindliche Sprachentwicklung (inklusive entsprechender Meilensteine) auch Wissen über unterschiedliche Kommunikationsformen und Diagnostik vonnöten sind, um die notwendigen Daten für die Auswahl und Gestaltung von Hilfsmitteln für UK so korrekt und vollständig wie möglich zu erfassen. Spätestens an dieser Stelle sollte ein klares Statement zu Gunsten einer fundierten Diagnostikausbildung erfolgen, die bei ausgebildeten Fachkräften erwartet werden kann. Die folgenden Ausführungen zum Ich-Buch sind praxisorientiert und bieten dem Leser einen hilfreichen Einblick in die Gestaltung von Ich- Büchern. Die Anleitung zur Erstellung ist sehr konkret und kann so gut umgesetzt werden. Das trifft auch auf die Erklärungen zum Einsatz des Ich-Buches im Alltag zu. Angemerkt werden darf an dieser Stelle, dass manchem kritischen Leser auffallen mag, dass die Selbstbestimmung des Ich-Buch-Besitzers sehr eingeschränkt erscheint. V. a., da bereits im Klappentext des Buches der Hinweis auf die Ratifikation der Behindertenrechtskonvention durch die Schweiz im Jahr 2014 abgedruckt ist, womit das Bestreben verbunden ist, Menschen mit Beeinträchtigungen zu mehr „Kommunikation, Mitbestimmung, Teilhabe und Partizipation“ zu verhelfen, ist das verwunderlich. Auch in ihrer Einleitung verweist die Autorin auf die Möglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung, verstärkt mitzubestimmen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, was zu einer Zunahme der Lebensqualität führen könne. Möglichkeiten zur selbstbestimmten Gestaltung und zum Einsatz des Ich-Buches erscheinen an dieser Stelle wünschenswert. Vielleicht wäre es dafür hilfreich, zwischen den unterschiedlichen Funktionen des Ich-Buches zu unterscheiden. Geht es darum eine Information über einen unterstützt kommunizierenden Menschen in übersichtlicher Form zu liefern, mag der selbstbestimmte Einsatz eines solchen Ich-Buches vielleicht nicht gleich an erster Stelle stehen. Geht es aber darum, Kommunikationsanlässe zu schaffen und Partizipation zu fördern, muss auch die Möglichkeit der selbstbestimmten Auswahl von Inhalten und des selbstbestimmten Einsatzes des Ich-Buches eine entscheidende Rolle spielen und dürfte hier stärker betont werden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass das vorliegende Buch eine gute Hilfestellung für Fachkräfte darstellt, die eine Anleitung zum Erstellen eines Ich-Buches suchen. Ein grundlegendes Verständnis im Bereich von Sprachentwicklung und UK ist bei diesen vorhanden, sodass auch der Einsatz des Beobachtungsbogens von ihnen gut gehandhabt werden kann. Der ausführliche Beobachtungsbogen kann dann dabei helfen, wichtige Aspekte bei der Diagnostik zu bedenken und geeignete Inhalte auszuwählen. Die digital verfügbare Vorlage zur Bucherstellung vereinfacht die eigene Arbeit stark, auch wenn von der Autorin die Individualität eines jeden Ich- Buches betont wird. SP