mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2018.art21d
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Businesscoaching für Werkstatt beschäftigte?!
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Nora Ringhof
Pferdegestütztes Businesscoaching unterstützt Menschen mit Behinderung systemisch und lösungsorientiert in Fragen beruflicher und persönlicher Entwicklung. Über sechs Phasen des Coachingprozesses hinweg werden Ressourcen aufgedeckt, entwickelt und individuelle Ziele erreicht. Der Kontext Pferd in Kombination mit geleiteter Reflexion lässt Teilnehmer und Arbeitgeber neue Perspektiven erfahren.
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152 | mup 4|2018|152-163|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2018.art21d Nora Ringhof Schlüsselbegriffe: Systemisches Coaching, Businesscoaching, Geistige Behinderung, Pferdegestütztes Coaching, Entwicklungsbegleitung, Prozessbegleitung, Teilhabe Pferdegestütztes Businesscoaching unterstützt Menschen mit Behinderung systemisch und lösungsorientiert in Fragen beruflicher und persönlicher Entwicklung. Über sechs Phasen des Coachingprozesses hinweg werden Ressourcen aufgedeckt, entwickelt und individuelle Ziele erreicht. Der Kontext Pferd in Kombination mit geleiteter Reflexion lässt Teilnehmer und Arbeitgeber neue Perspektiven erfahren. Pferdegestütztes Coaching für Erwachsene mit einer Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung als Schlüssel zur individuellen und arbeitsweltbezogenen Entwicklung Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 153 Der vorliegende Beitrag bietet einen praxisorientierten Einblick in das pferdegestützte Coaching im beruflichen Kontext für und mit Menschen mit Handicap. Bei diesem Angebot steht der subjektive und objektive Nutzen für Mensch und Organisation im Vordergrund. Im vorliegenden Beitrag werden erste Erfahrungen berichtet. Weitere Evaluationen oder auch eine wissenschaftliche Begleitung dieses innovativen Ansatzes stehen noch aus. Bevor die Rahmenbedingungen und die Phasen des Coachingprozesses dargestellt werden, wird an dieser Stelle pferdegestütztes Businesscoaching in Anlehnung an die Definition von Businesscoaching der Systemischen Gesellschaft (2018) formuliert: Unter Businesscoaching versteht man allgemein eine individuelle, ressourcen- und lösungsorientierte Prozessberatung im beruflichen Umfeld. Zielgruppe sind Führungskräfte, Teams und Einzelpersonen in Organisationen. Businesscoaching hat die Erweiterung von Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten und die Förderung der persönlichen und beruflichen Entwicklung von Menschen in ihren jeweiligen Arbeitswelten - unter Berücksichtigung aller relevanten Systemebenen zum Ziel. Beilfuß (2018) ergänzt, dass neben Spannungssituationen innerhalb des beruflichen Umfeldes persönliche Konfliktsituationen, die die Leistungsfähigkeit einschränken, oder Veränderungswünsche auf Seiten des Klienten die Anlässe für ein Coaching sein können. Die Selbstorganisationsfähigkeit des Klienten wiederherzustellen und dabei in direkter Weise an sein Handlungspotenzial anzuknüpfen, ist das erklärte Ziel. Der Coachee ist hierbei Experte für seine Lösungen, der Coach für den Prozess. Zum Coaching am Pferd kommen überwiegend Kunden mit persönlichen und beruflichen Anliegen, ob im Kontext Mitarbeiterführung, Selbstständigkeit oder Persönlichkeitsentwicklung. Das Aufgreifen neuer begrifflicher Strömungen hat sich der Berufsverband PI (2018) zur Aufgabe gemacht. Über die Integration des Begriffs „pferdegestützt“ soll die Einbindung des Pferdes in den Prozess der Förderung, Gesundung und Entwicklung des Menschen deutlich gemacht werden. In diesem Sinne findet sich die Begrifflichkeit in der Definition des „pferdegestützten Businesscoachings“ wieder, wobei hier die (Persönlichkeits-)Entwicklung des Menschen im Fokus steht. Auf dieser Grundlage können durch den Einsatz des Pferdes im Businesscoaching, insbesondere auf nonverbaler und situativer Ebene, Impulse zur Selbstreflexion für den Coachee gesetzt werden. Diese werden vor dem Hintergrund bewährter Theorien und Tools mit dem Coach gemeinsam analysiert und in den Berufsalltag transferiert. Das Pferd wird metaphorisch bzw. als Dialogpartner auf der Kontakt- und Kommunikationsebene eingesetzt. So kann z. B. eine Führübung zu klareren Zielvorstellungen oder souveränem, strukturierterem Auftreten in unbekannten Situationen verhelfen. Gleichfalls können auch hinderliche Muster oder Analogien aus der Arbeitswelt aufgedeckt werden. Friesenhahn (2015, 52) beschreibt den Einsatz des Pferdes als eine optimale Möglichkeit, „die körpersprachliche, emotionale und intuitive Ebene im Im Rahmen pferdegestützten Businesscoachings begleiten Fachkräfte Menschen wie Herrn W. Seine Anliegen sind: Verbesserung der aktuellen Zufriedenheit am Arbeitsplatz und Planung des anstehenden Übergangs vom Arbeitsleben zum Ruhestand. Welche Ziele und Bedürfnisse stehen dabei für ihn im Vordergrund? Ein Auftrag, den Arbeitnehmer, Beamte, Selbstständige und Führungskräfte immer wieder mit Hilfe eines professionellen Coachs individuell bearbeiten. Ein klassisches Thema für ein Businesscoaching? Ja! Business as usual? Nein! Denn der Coach wird nicht von einem Manager oder einer Firma engagiert, sondern von einem Beschäftigten einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM). 154 | mup 4|2018 Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! Coaching verstärkt einzubeziehen. Der Coach hat eine entscheidende Rolle in diesem Beziehungsdreieck und muss durch die Beobachtungen, das Feedback, die resultierenden Fragen und Interventionen den Prozess steuern.“ Hilfreich ist hier, dass der Coach durch das Medium Pferd näher am Coachee und seinen Empfindungen sein, ihn besser verstehen und begleiten kann (Ringhof 2015). Überdies entzerrt sich durch die Triade „Coachee-Pferd-Coach“ die Zweiersituation, die gerade für Menschen mit kognitiven Einschränkungen sehr anstrengend sein kann. Die Triade ermöglicht es dem Coachee, genau den Raum im Prozess einzufordern, den er braucht, und zeitgleich den Dialogpartner zu wählen oder gar zu wechseln. Was unterscheidet nun beispielsweise den Bankangestellten von einem Werkstattbeschäftigten? Was den Berufstätigen ohne Handicap von dem Berufstätigen mit Handicap? Das persönliche Selbstverständnis? Der Einsatz auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt? Ausgangspunkt für das Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte war die Annahme, dass Menschen in Behindertenwerkstätten ebenso wie Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Bedarf haben an professionellem beruflichen Coaching und dadurch einen persönlichen Gewinn erzielen können. Damit war die Idee für den Start eines Pilotprojekts geboren. Kontaktiert und informiert wurden Einrichtungen der Behindertenhilfe und Berufsbildungsträger, die Idee wurde an gesetzliche Betreuer und Eingliederungshilfeträger herangetragen. Das Interesse von allen Seiten war erfreulicherweise groß, die Nachfrage enorm. Es kam zu regem Austausch, Gesprächen und zur Akquise von potenziellen Klienten. (Beim Coaching wird der Klient als Coachee bezeichnet; dieser Begriff wird im Folgenden verwendet.) Als eine der ersten Organisationen kam eine Kooperation mit einer regionalen Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) zustande. Hier entstand ein Coaching-Projekt, welches in seiner Struktur auch auf andere Organisationen übertragbar ist (Abb. 1). Nach intensiven Gesprächen mit Werkstattleitung, Sozialdienst und der projektbegleitenden Ergotherapeutin wurde die Teilnahme den Coaching-Projekt der WfbM 5 TN 1,5 h/ Woche 1 Jahr 5 Pferde 1 Coach 1 RT-Assistent 1 Ergotherap. . 1 Begleitung Kosten 80 % LH 20 % TN 3 Coaching- „Räume“ „System“ WfbM Wohnheim Familie/ Betreuer Systemisches Coaching Pferdegestützte Interventionen Entwicklungsbegleitung 6 Phasen Abb. 1: Coaching-Projekt der WfbM Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 155 Werkstattbeschäftigten betriebsintern angeboten. Den Anfang machten insgesamt fünf Coachees, die großes Interesse am „Pferdeprojekt“ bekundeten und bei denen von Seiten des Arbeitgebers durchaus ein Coachingbedarf erkannt wurde. Die drei männlichen und zwei weiblichen Teilnehmer im Alter von 20 bis 64 Jahren arbeiteten in verschiedenen Produktionsgruppen der WfbM, diagnostisch ging es um Menschen mit Trisomie 21, Autismus-Spektrum- Störung sowie beginnender Demenz, aber auch um konflikthaftes Verhalten, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz und Rückzugstendenzen. Die Einheiten fanden wöchentlich in einem Zeitrahmen von 90 Minuten statt. Im Schnitt nahm jeder Coachee an 16 Einheiten teil, wobei sich die Anzahl an den individuellen Zielen orientierte. So konnte beispielsweise ein Mann bereits nach 4 Einheiten sein persönliches Ziel (Wechsel der Produktionsgruppe) erreichen und umsetzen. Ein anderer benötigte dagegen 30 Einheiten, da sich die Auftragsklärung komplexer gestaltete und mehrere Ziele angestrebt und erreicht wurden. Jeweils vier der fünf Teilnehmer bildeten eine Gruppe für das wöchentliche pferdegestützte Coaching. Fünf Pferde und Ponys unterschiedlicher Rassen und Größen zwischen 10 und 40 Jahren kamen zum Einsatz. In den Coachingprozess involviert waren überdies ein Coach, eine reittherapeutische Assistentin, die begleitende Ergotherapeutin sowie eine Begleitperson (Bustransfer). Die Kosten für das Coaching trug zu 80 % der Arbeitgeber, 20 % übernahm der Teilnehmer. Als „Coaching-Räume“ dienten zum einen eine kleine Reitscheune, die wetterfest und mit klarer räumlicher Begrenzung Struktur bietet, zum anderen ein Sandreitplatz mit zwei Reitzirkeln und einer Bahn in geschützter Randlage, aber auch vereinzelt ein Seminarraum bzw. Feld- und Ausreitwege. Miteinbezogen in den Prozess und in Vor-, Abschluss- und Auswertungsgespräche wurden je nach individuellem Bedarf und der Notwendigkeit auf Wunsch des Coachees beispielsweise die Werkgruppe, direkte Vorgesetzte, Mitarbeiter aus dem Wohnheim, Bezugsbetreuer, Eltern, Partner, Geschwister, gesetzliche Betreuer oder Sozialdienst. Die 6 Phasen des pferdegestützten Coachingprozesses Der Coachingprozess im Rahmen des pferdegestützten Businesscoachings von Menschen mit Einschränkungen der geistigen Entwicklung wird im hiesigen Projekt in 6 Phasen eingeteilt (Abb. 2). Hierbei sind Dauer, methodisches Vorgehen und Interventionen individuell gestaltet, sodass die Einteilung einen groben Rahmen bietet. Phase I: Einstieg und Kontrakt Durch den „Überweisungskontext“ der Organisationen werden Rahmenbedingungen geklärt wie Kosten, Dauer, Häufigkeit, Vorgehensweise (z. B. Gruppen- oder Einzelcoachings, Workshop), relevante Themen und Informationsadressaten für Meilensteine im Coachingprozess. Die Grundhaltung im Coaching wie Vertraulichkeit, Neutralität der Lösung gegenüber, Wertschätzung, Konstruktivismus und Offenheit wird erläutert. Einbezogen werden in solche Vorgespräche der Teilnehmer, meist mit Betreuer oder einem Elternteil, sowie der Arbeitgeber. Die Vorgespräche mit den potenziellen Coachees finden dann in der Form und in dem Rahmen statt, der mit dem jeweiligen Coachee möglich / sinnvoll und ggf. auch erwünscht ist. So wollte ein Teilnehmer „nichts von dem Gequatsche“ hören und lieber gleich in den Stall, ein anderer legte großen Wert darauf, dass der ebenfalls geistig behinderte Lebenspartner in Vor- und Auswertungsgesprächen mit dabei war, Vertraulichkeit, Neutralität gegenüber der Lösung und Wertschätzung sind Grundlagen im Coachingprozess. 156 | mup 4|2018 Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! ihn begleitete und unterstützte. Was sind - systemisch hinterfragt - im Einstieg Befürchtungen, Ängste, Sorgen und Wünsche im Hinblick auf das pferdegestützte Coaching? Was darf nicht passieren? Was soll unbedingt passieren? Wie sehen der erste Schritt und der Erstkontakt am Pferd aus? Nicht zu unterschätzen ist die zwischenmenschliche Ebene, die nonverbale Kommunikation und ein erstes „Bauchgefühl“ zwischen Coach und Coachee: der Grundstein für eine wertschätzende Begleitung auf Augenhöhe. In der Regel erfolgte ein Besuch am Arbeitsplatz, um die Gegebenheiten des Kunden kennenzulernen. Hier beginnt und endet das Coaching- Projekt - am Arbeitsplatz. Ein Einblick in personenbezogene und medizinische Daten dient in erster Linie dem Rahmen und der Sicherheit. So ist es im Vorfeld wichtig zu wissen, ob der Mensch an Epilepsie oder einem Herzfehler leidet, spezielle Hilfsmittel benötigt oder auf Gehhilfe oder Rollstuhl angewiesen ist. Entsprechend ist später am Pferd das Setting sicher (auch versicherungsrechtlich) und angenehm zu gestalten. Beispielsweise muss dann generell die Stromversorgung der Elektrozäune abgeschaltet sein. Oder als „Coaching-Raum“ wird bei Rollstuhlfahrern zwecks Mobilität die kleine Halle dem tiefen Sandboden des Reitplatzes vorgezogen. Bei einigen Teilnehmern kam der Wunsch auf, vor dem ersten Kontakt ein Foto der Pferde zu sehen. Einer jungen Frau war es wichtig, dass keine freilaufenden Hunde am Hof sind, bei einer anderen war allergiebedingt der Kontakt mit den Hofkatzen auszuschließen. Ein autistischer Teilnehmer wollte in Zeiten des Fellwechsels aufgrund der vielen fliegenden Haare, die die Kleidung beschmutzen, einen Settingwechsel. Er bevorzugte Sessions im Seminarraum mit Arbeit an Flipchart und Videoauswertung seiner Einheit oder Herdenbeobachtungen am Weidezaun ohne direkten Pferdekontakt. Ein angenehmes Klima, eine geschützte, ansprechende Atmosphäre dient dem Prozess und einem professionellen Coaching. I Einstieg und Kontrakt IV Arbeiten und Lösungsfindung II Auftrags- und Themenklärung V Ergebnis und Transfer VI Evaluation III Zielfindung und Exploration Abb. 2: Die 6 Phasen des Pferdegestützten Businesscoachings mit Menschen mit Einschränkungen der geistigen Entwicklung (Quelle: eigene Darstellung) Aktives Zuhören dient dem Aufbau von Rapport zwischen Coachee und Coach. Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 157 Letztlich kommt es zum Kontrakt. Hat der Coachee Lust, sich darauf einzulassen? Kann er sich ein Arbeiten mit dem Coach vorstellen? Stimmt die „Chemie“? Kann der Trainer den entsprechenden Rahmen für die personenorientierten Erfordernisse bieten? Wenn ja, steht einer Intervention am Pferd nichts im Wege. Phase II: Auftrags- und Themenklärung In der Phase der Auftrags- und Themenklärung finden die ersten Kontakte am Pferd statt. Treffpunkt ist der Hof mit kleiner Reitscheune. Wichtig ist, dem Coachee Zeit zu lassen zum Beobachten, Ankommen und Vertrauen fassen in Mensch und Pferde. Die Auftragsklärung ist im Prozess immer wieder zu hinterfragen und im Sinne des lösungsorientierten Vorgehens zu reflektieren und ggf. anzupassen. Hypothesen werden formuliert. Es geht um die Frage, wie das Anliegen erreicht und konkret auf der Pferd-Coachee-Ebene umgesetzt wird. Fragen im Sinne der Systemik können sein: Welche Bedürfnisse stehen jetzt für den Teilnehmer im Vordergrund? Bedarf es einer längeren Joiningzeit (ankommen, einschwingen, sich einlassen) oder möchte er direkt streicheln, führen, in Aktion treten? Welches Pferd wählen die Teilnehmer aus und auf welchem Wege? Die kleine dunkle Ponyoma, zart und zurückhaltend in der Begrüßung, oder den freundlichen, kräftigen Fjordwallach, der sein Gegenüber gerne direkt beschnuppert (Abb. 4)? Was war das Auswahlkriterium? Was hat den Coachee angesprochen? Was signalisiert das Pferd? Wie agieren die beiden miteinander? Wie ist der Ist-Zustand? Kennt er das aus anderen Kontexten? Welche Emotionen werden geweckt? Bemerkenswerte Themen tauchen im Kontakt mit dem Pferd auf, die bis dato vielleicht noch unberücksichtigt oder unbekannt waren: aus dem Berufsalltag und auf persönlicher Ebene. Erste Hypothesen können erstellt und Abb. 3: Am Beispiel Pferd lernen: Reflektierte Beobachtung und Transfer auf die eigene Situation Abb. 4: Erstkontakt auf Augenhöhe: Die Pferdeauswahl ist kein Zufall, sondern in der Regel intrinsisch gesteuert. 158 | mup 4|2018 Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! ggf. mit in den Prozess eingebracht werden. Der erste Kontakt des Coachees mit dem Pferd / den Pferden ist diagnostisch sehr wertvoll. Der Coach nimmt eine beobachtende Rolle ein, gibt Struktur nur so weit wie nötig und wichtig vor. Er lässt so viel Raum wie möglich für freie Gestaltung durch den Coachee und zu seiner Entfaltung, um möglichst „wahre“ Informationen über dessen Bedürfnisse oder Verhaltens- und Denkmuster zu erhalten bzw. seine Handlungsimpulse wahrzunehmen. Die Beobachtung und Analyse bzw. Reflexion der Pferd-Coachee-Einheit ist zentral, der Dialog mit dem Pferd elementar, um Bedürfnisse, Muster und Handlungsstrukturen erkennen zu können / aufzudecken sowie die Aufträge und Anliegen des Menschen zu ermitteln. Phase III: Zielfindung und Exploration Bei der Zielfindung bedarf es eines intensiven Einlassens auf die pferdegestützte Intervention auf Coacheeseite und kreativer Exploration und Fachkenntnis im Hinblick auf Methodik beim Coach. Meilensteine und Ziele legt der Klient fest. Aufgabe des Trainers ist die Expertise über Tools und Prozess sowie Impulsweckung z. B. durch folgende Fragen: Was soll sich ändern? Woran merkt man das? Was ist dann anders? Was sind Indikatoren für ein Erreichen des Ziels? Wie könnte das überprüft werden? Was ist das Sitzungsziel und wie sieht das Endziel aus? Am Beispiel von Herrn W. lässt sich der Prozess der Zielfindung exemplarisch darstellen. Sein Anliegen war es, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu steigern. Als Teilziele ergaben sich das Erkennen, Formulieren und Setzen von Grenzen (sowohl räumlicher als auch zeitlicher Natur), mehr Verantwortung übernehmen, bisher ungenutzte Ressourcen ausschöpfen und Arbeitskompetenzen erweitern. Er selbst formulierte es mit den Worten: „Ich möchte Shakira eigenständig versorgen, von der Weide holen, im Straßenverkehr führen. Ich will zeigen, was ich kann. Ich will mehr Sachen in der Werkstattgruppe machen, ohne Hilfe.“ Praktisch bedeutete dies, ihm selbständiges Handeln zu ermöglichen und ihn im Sozialbzw. Dialogkontext sich erfahren und erproben zu lassen. In dieser Phase seines beruflichen Coachings kam es zu erkennbaren systemischen Auswirkungen. So rief Herr W. erstmals seit langer, langer Zeit seine Mutter an, um ihr von seinem Lieblingspferd Shakira zu erzählen. Dies meldete die Mutter umgehend zurück, deutlich gerührt und beeindruckt davon. In der WfbM- Gruppe sei er laut der Ergotherapeutin offener, gesprächiger, weite seine Tätigkeiten aus. Phase IV: Arbeiten und Lösung(en) finden Neutralität gegenüber der Lösung, gepaart mit Neugierde und Offenheit im Hinblick auf Lösungsweg und Ideen, ist für die Fachkraft Abb. 5: Mensch und Pferd im Kontakt: Der Coachee umsorgt die 30-jährige Ponystute Shakira. Die Reflexion der Pferd-Coachee- Einheit ist elementar um das Anliegen zu ermitteln. Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 159 unabdingbar. Systemische Fragen untermauern die Interaktion mit dem Pferd. An diesem Punkt werden die Fähigkeiten des Coachees in der Pferdearbeit vertieft. In vielen Fällen gab es in dieser Phase, gerade wenn es um Ressourcen ging, die sich am Pferd offenbarten, den Wunsch oder das Bedürfnis nach einer Art Koordinationsgespräch: einer Rückmeldung an die Organisation. Der Coach hat hier eine Art „Dolmetscherfunktion“: Zum einen übermittelt er der Organisation den Transfer aus der Pferdearbeit, zum anderen klärt er mit dem Coachee, wie die Lösungsidee konkret umgesetzt werden kann. So entstand bei einem Teilnehmer sehr schnell der Wunsch nach einem Arbeitsplatz außerhalb des Produktionsrahmens. Er wünschte sich eine Stelle im Freien, mit Tieren und einer Tätigkeit, bei der „Mann“ körperlich aktiv ist. Die Idee eines Arbeitsplatzwechsels von der Werkstatt in den offenen Gartenbaubetrieb war geboren und erste Schritte konnten angegangen werden. Methodisch umgesetzt wurden die Anliegen und Aufträge durch freien Kontakt zum Pferd, Pferdepflege, Bodenarbeit, Führen, Versorgen, Herdenbeobachtung sowie fortschreitend intensivere Reflexionsgespräche. Im weiteren Verlauf werden die Skills aus der Pferdearbeit intensiviert und Lösungen erfassbar gemacht. Im Falle von Herrn W. sieht das so aus, dass er eigenständig arbeitete und sogar unsere beiden Pferdeomas selbständig versorgte. Er achtete bspw. auf die genaue Medikamentengabe und das jeweilige Futter, er putzte die beiden Ponys, kratzte ihre Hufe aus. Überdies wurde er zum persönlichen Pferdeberater für einen anderen Teilnehmer, eine beginnende Freundschaft stand im Raum. Herr W. kreierte Parcours zur Bodenarbeit, die er mit „seiner“ Shakira meisterte. Er bewegte sich im Rahmen seiner Funktionen selbstständig und sicher. Fragen, die die Verbindlichkeit der Ziele und Lösungen markieren, stehen an dieser Stelle an: Was ist der nächste Schritt? Was muss jetzt getan werden? Wer soll Kenntnis darüber erlan- Abb. 6: Ob ein Parcours ganz frei oder mit einem Führstrick absolviert wird, entscheidet der Coachee. Dialog nach einem absolvierten Führ-Parcour (Abb. 6): Coachee: „Und, war ich gut? War das super? “ Coach: „Wie findest du es selbst? “ Coachee: „Och …Wie findest du es? “ Coach: „Hm,…Wie fühlst DU dich denn? “ Coachee: „Gut.“ Coach: „Was würde Tom (das Pferd) antworten, wie es war? “ Coachee: „Echt gut. Dem hat’s Spaß gemacht.“ Coach: „Was hat dem Tom Spaß gemacht? “ Coachee: „Ich bin vorgegangen. Den Weg gezeigt. Der Tom hat mir vertraut. Ich habe schöne Sachen zu ihm gesagt.“ Coach: „Und wie fühlt sich das jetzt für dich an? “ Coachee: „Schön und warm. Ich bin glücklich. Muss jetzt die ganze Zeit lachen. Ich kann ganz schön viel.“ Coach: „Und wenn du euch eine Schulnote geben würdest? “ Coachee: „Gut.“ Coach: „Und wenn dein Anleiter es gesehen hätte und dir eine Note geben würde? “ Coachee: „Ne eins mit Sternchen. Und einen Aufkleber. Der würde das nicht glauben, dass ich so was kann.“ 160 | mup 4|2018 Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! gen? Was kann der Coachee alleine? Wo benötigt er Hilfe und von wem? Wer in seinem Unterstützerkreis kann ihn auch weiterhin auf seinem Weg begleiten? Phase V: Ergebnis und Transfer Die Lösungen müssen an diesem Punkt nicht nur greifbar und spürbar sein, sondern auch sichtbar. Der Transfer in den Arbeitsalltag sowie Nachhaltigkeit der Ziele und Ergebnisse sind sicherzustellen. Unter Einbezug von Personen aus verschiedenen Beziehungskontexten und mit einem individuellen Abschluss-Symbol laufen die Coachings aus. In dieser Phase finden die Sitzungen in größeren Abständen statt, ein Abschied von den Pferden wird individuell gestaltet. Die Maßnahme gilt als beendet, sobald der Auftrag bzw. das Ziel des Klienten erreicht wird. Die Skalierung der Zielerreichung wurde kreativ und passend für den Coachee bearbeitet. Beispiel I: Ein Kunde wollte seine Entwicklung bildlich darstellen. Er hatte sich eine Diashow mit Fotos aus verschiedenen Phasen und Settings der Pferdearbeit gewünscht, die seine Angehörigen und Gruppenleiter sehen sollten. Er hatte sein persönliches Ziel, selbstständiger und mutiger im privaten und beruflichen Alltag zu sein, erreicht. Beispiel II: Greifbar wird die Einschätzung der Zielerreichung bei der Symbolik eines anderen Teilnehmers. Er hatte Steine auf der Weide gesammelt. Als „Zielhaufen“ legte er alle Steine zusammen (99 % erreicht). Nur einen Stein behielt er in der Hand (Abb. 8). Auf die Frage, was mit diesem letzten sei, antwortete er: „Alles, was ich auf der Arbeit wollte, ist jetzt erreicht. Prima. Bis auf eine schöne Freundin, die muss ich mir noch suchen. Daran erinnert mich der Stein.“ Andere Coachees malten ein „Ergebnisbild“, skalierten die Zielerreichung mit Hufeisen oder Futtermöhren (Abb. 9). Phase VI: Evaluation Drei Monate nach Auftragsende, also dem abschließenden Termin am Pferd, erfolgt eine Evaluation in Form eines Abb. 7: Wie erreiche ich mein Ziel? Ein spannender Prozess: Begleitete Selbstreflexion durch intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit. Abb. 9: Coachee und Pferd analysieren die Zielerreichung und markieren sie mit Hufeisen. Abb. 8: Skalierung des Coachingergebnisses als „Zielhaufen“ Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 161 strukturierten Interviews mit dem Arbeitgeber und angepasster Fragestellung für den Coachee über Auswirkungen und Benefit durch das pferdegestützte Coaching. Gespräche mit dem „Arbeitnehmer“, also dem Klienten selbst, aber auch mit seinen Betreuern und Angehörigen werden geführt, spürbare Daten und Auswirkungen erfragt. Der „Arbeitgeber“, also Werkstattleitung, Sozialdienst, Gruppenleiter etc. geben ebenfalls eine Rückmeldung. Im Mittelpunkt stehen der Teilnehmer und wie er selbst ein Vierteljahr später seinen Ist-Zustand im Hinblick auf Befinden, weitere Entwicklung, Pläne, berufliche und private Zufriedenheit einschätzt. Ergänzend werden Einschätzungen von Angehörigen, Betreuern und Freunden eingeholt. Zum Beispiel gaben alle fünf Coachees an, sich wesentlich selbstbewusster zu fühlen und selbstständiger geworden zu sein. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz sei gestiegen, Kompetenzen und Fähigkeiten hätten sich erhöht. Erlerntes könne in Transfers am persönlichen Arbeitsplatz umgesetzt werden. Auch das Herangehen an die Lebensziele und Perspektiven und deren Umsetzung gelinge besser. Ein Teilnehmer hatte den Übergang von zu Hause in eine betreute Wohngruppe gewagt, ein weiterer hatte sich zwischenzeitlich für ein Probewohnen mit dem Lebenspartner beworben. Vier Teilnehmer berichteten über mehr soziale Kontakte. Wie sieht die Organisation die Entwicklung? Was hat sich verbessert? Hat sich die Investition auch aus Arbeitgebersicht gelohnt? Werkstattleitung und Sozialdienst sowie andere an der Auswertung beteiligte Fachkräfte vermerkten positive Entwicklungen bei den Teilnehmern. Die teilnehmenden Organisationen und Kostenträger entschieden sich für eine Fortführung des Businesscoachings mit neuen Teilnehmern. Auswirkungen waren z. B. weniger Krankheitstage, Ausweitung der Arbeitskompetenzen, Steigerung der Leistungsfähigkeit und schnelleres Arbeiten sowie zwei Arbeitsplatzwechsel, die sich bis dato bewährt haben. Die Gruppenleitungen zeigten sich beeindruckt von den Entwicklungen auf persönlicher und alltagspraktischer Ebene sowie der verbesserten Harmonie innerhalb ihres Werkbereiches. Konfliktpotenziale und verhaltenskreative Auffälligkeiten hatten sich reduziert. Auch die individuellen Fähigkeiten an und mit dem Pferd und das Aufdecken versteckter Ressourcen bei den Werkstattbeschäftigten, die den Arbeitsalltag nun bereichern, wurden betont. Einer- Abb. 10: „Den Blickwinkel ändern - auf sich und andere“ Abb. 11: Grenzen erfahren und Grenzen setzen im Coaching mit dem Pferd. 162 | mup 4|2018 Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! seits war ein deutlicher Entwicklungsschub bei den Menschen mit Behinderung zu verzeichnen, andererseits erwarben auch die Vorgesetzten und der Unterstützerkreis einen anderen Blick auf die Werkstattbeschäftigten. Fähigkeiten, Stärken und außergewöhnliche Entwicklungspotenziale, die durch den erlebnisorientierten Kontext am Pferd geweckt wurden, veränderten nicht nur die Teilnehmer selbst, sondern auch die Perspektive anderer auf sie. Eine Teilnehmermutter formulierte ihre Sicht auf das pferdegestützte Businesscoaching so: „Dass sich mein Sohn mit über 60 noch so entwickeln kann und plötzlich so begeisterungsfähig ist, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich bin dankbar und stolz auf ihn. Das war das schönste und wertvollste Angebot, an dem er bislang teilgenommen hat. Und die Shakira (Ponystute), von der er immer berichtet, die muss ich unbedingt kennenlernen.“ Fazit Die Erfahrungen mit diesem Coachingangebot zeigen, dass alle Menschen Impulse und neue Kontexte brauchen, um schlummernde Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln. Ein Coaching mit Pferden ist für Menschen mit und ohne Behinderung in Fragen der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung zielführend. Der Schlüssel liegt in der Übernahme der Expertenrolle und der Verantwortung, gerade auch des Die Autorin Nora Ringhof Dipl.-Sozialpädagogin, Systemische Coachin, Reittherapeutin, Dozentin, Praxis für Coaching, Organisationsberatung, PI Anschrift Nora Ringhof · Gartenstr. 61 · D-67592 Flörsheim-Dalsheim · nora.ringhof@gmx.de www.reittherapie-ringhof.de · www.coaching-ringhof.de Abb. 13: Nonverbale Kommunikation: Nähe und Vertrauen zum Pferd erleichtern den Zugang zu eigenen Gefühlen. Abb. 12: Coaching bedeutet: Klarheit schaffen. Stärken optimieren. Ziele erreichen. Ringhof - Businesscoaching für Werkstattbeschäftigte? ! mup 4|2018 | 163 Coachees mit Beeinträchtigung für sich selbst und seine Lösungen. Pferdegestütztes Coaching ist daher eine bislang unterschätzte Methode im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Einschränkungen der geistigen Entwicklung. Für Arbeitgeber und Werkstätten bietet es die Chance, die betreuten Menschen in einem ganz anderen Kontext zu erleben und als pädagogische Fachkräfte eine neue Perspektive zu entwickeln: ein wichtiges Potenzial im Sinne der Eingliederung, Inklusion und systemischen Grundhaltung. Literatur ■ Beilfuß, C. (2018): Systemisches Coaching. In: https: / / www.dgsf.org/ service/ was-heisst-systemisch/ systemische_coaching.htm, 08.06.2018 ■ Friesenhahn, J. (2015): Unter sechs Augen. Die Wirkung von Pferden im Coaching. Coaching Magazin 3, 48-53. In: https: / / www.coaching-magazin. de/ _Resources / Persistent/ 374b7d0ba1dd4db7 3bcea3a4b49b5e5874c96c80 / coaching-magazin-2015-4.pdf, 08.06.2018 ■ Ringhof, N. (2015): Nonverbale Reittherapie? ! Ich bin sprachlos! ? Praxis Ergotherapie Occupational Therapy, Fachzeitschrift für Ergotherapie 4, Verlag für modernes Lernen, Dortmund 198-204 ■ Systemische Gesellschaft (2018). Systemisches Coaching. In: www.systemische-gesellschaft.de/ systemischer-ansatz / arbeitsbereiche/ systemisches-coaching/ , 08.06.2018 ■ Berufsverband PI (2018). Interventionen mit dem Pferd. In: http: / / www.berufsverbandpi.de/ de/ pferdegestuetzte-interventionen/ , 08.06.2018 Abb. 14: Versorgen und Verantwortungsübernahme für die Seniorpferde stärkt Handlungskompetenz und lässt Selbstwirksamkeit erleben. S T A U F E N - B U C H H A N D L U N G Marktstraße 31• 73033 Göppingen Tel. 71 61 / 7 41 75 • Fax 0 71 61 / 1 37 43 www.staufen-buch.de Email: staufen-buch@t-online.de Pia Deges Das Pferde-Bastelbuch, 64 S. 978-3-7724-7954-0 9,99 € Hildegard Kiehne Schatzkiste Reiten, Führen,Voltigieren 978-3-497-02792-7 19,90 € Lustige Spiele und Übungen mit Kindern, 112 S. Rosemann Kinder und Pferde spielend motivieren 978-3-88542-893-0 18,90 € Anzeige_MPU_09_18_Anzeige_MPU1/ 8_5_17.qxd 01.09.18 12: 38 Seite Anzeigen
