eJournals mensch & pferd international 12/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2020
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Recht & Sicherheit: Haftungsfallen in der Reitpädagogik

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2020
Nina Ollinger
Stellen Sie sich vor: Die Klientin, ein achtjähriges Mädchen, sichtlich verunsichert und in ihrem Gleichgewicht gestört, sitzt unsicher am Pferd. Es ist windig. Das desensibilisierte Pferd wirkt ruhig. In der Ferne ist Hundegebell zu hören. Die Reitpädagogin kümmert sich mit Hingabe um das Mädchen. Unvermittelt macht das Pferd einen Satz und das Mädchen stürzt. Es ist sichtlich verletzt. [...]
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mup 2|2020|91-96|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2020.art14d | 91 Nina Ollinger Recht & Sicherheit Haftungsfallen in der Reitpädagogik Tipps aus der Sicht einer österreichischen Rechtsanwältin Stellen Sie sich vor: Die Klientin, ein achtjähriges Mädchen, sichtlich verunsichert und in ihrem Gleichgewicht gestört, sitzt unsicher am Pferd. Es ist windig. Das desensibilisierte Pferd wirkt ruhig. In der Ferne ist Hundegebell zu hören. Die Reitpädagogin kümmert sich mit Hingabe um das Mädchen. Unvermittelt macht das Pferd einen Satz und das Mädchen stürzt. Es ist sichtlich verletzt. Ein Fall wie dieser ist wohl die Schreckensvorstellung in den reitpädagogischen Berufen. Gleich vorweg: Dieser Artikel soll nicht Ängste schüren, sondern sensibilisieren für die Sichtweise eines Juristen. Letztlich werden Fälle wie der eingangs beschriebene schlimmstenfalls vor Gericht ausgetragen. Wer sich im Vorfeld damit auseinandersetzt, was ihn zu erwarten hat, wird wohl nach einem Unfall richtig handeln, bestenfalls aber schon im Vorfeld allfällige Verhaltensweisen anpassen bzw. seine Arbeitsabläufe im Rahmen der Reitpädagogik überdenken. Überblick zur Haftung in der Reitpädagogik Grundsätzlich sind die Fragen im Rahmen der Haftung, die sich bei der Reitpädagogik stellen, nicht notwendigerweise anders als beim sonstigen Umgang mit dem Pferd. Mit den KlientInnen wird ein Vertrag über pädagogische bzw. therapeutische Einheiten mit dem Pferd abgeschlossen. Vertragliche Nebenpflichten sind die sogenannten Schutz- und Sorgfaltspflichten. Auch die vorvertragliche Aufklärungspflicht zählt dazu. Das sind grundsätzlich Pflichten, die jeden treffen, der Verträge abschließt. Im Zusammenhang mit KlientInnen in der Heilpädagogik, aber auch generell bei der Arbeit mit Kindern, kommt dem Rechtsbereich der Aufsichtspflicht auch noch entsprechende Bedeutung zu. Besonderheit erlangen die Tätigkeitsfelder der Reitpädagogik und Reittherapie natürlich durch die Anreicherung mit dem Lebewesen Pferd. Daraus ergeben sich weitere Haftungsrisiken und der Begriff der Tierhalterhaftung sollte entsprechend geläufig sein. Zu guter Letzt sollte auch die Verkehrssicherungspflicht nicht außer Acht gelassen werden. Doch eines nach dem anderen. Vertragliche Haftung in der Reitpädagogik Als Vertragspartner ist man verpflichtet, das, was man anbietet, auch zu leisten. Im Rahmen der vertraglichen Haftung bestehen die sogenannten Schutz- und Sorgfaltspflichten sowie Aufklärungspflichten, für die man einzustehen hat, wenn man Verträge im Geschäftsleben schließt. In Bezug auf die Schutz- und Sorgfaltspflichten ist es insbesondere essenziell, auf die Ausrüstung von Pferd und Reiter zu achten und diesbezüglich auch Vorgaben zu machen, mit welcher Kleidung mit dem Pferd gearbeitet werden darf. Zu achten ist auf die Umgebung, Lärmentwicklung, freilaufende Hunde und Sonstiges, die an einem konkreten Tag auch anders als gewohnt sein können und dazu führen können, dass eine Unterrichtseinheit allenfalls abzubrechen ist. Zu beachten ist, dass 92 | mup 2|2020 Recht & Sicherheit: Ollinger - Haftungsfallen in der Reitpädagogik ReitpädagogInnen als Fachleute gelten und man in seiner Funktion dem erhöhten Sorgfaltsmaßstab gerecht werden muss. Jegliche Störungen der Reiteinheit sind zu unterlassen, zu unterbinden oder aber diesen aus dem Weg zu gehen. ReitpädagogInnen sind verpflichtet, den Reitunterricht so zu organisieren, dass die ReitschülerInnen bzw. die KlientInnen nicht in stärkerem Maße gefährdet werden, als dies bei jedem Reitunterricht naturgemäß der Fall ist. Zu beachten sind die besonderen Umstände der KlientInnen, die in die Abwägung, wie der Reitunterricht organisiert wird, einzufließen haben. Dadurch ergibt sich eine erhöhte Sorgfaltspflicht, die auch bei Kindern generell erhöht ist; beiden ist gemein, dass man für sie „mitdenken“ muss, und all diese Umstände werden auch im Rahmen der Prüfung, ob eine Haftung der Reitpädagogin oder des Reitpädagogen vorliegt, berücksichtigt. Aufsichtspflicht Bei kleineren Kindern und KlientInnen kommt hinzu, dass man als Reitpädagogin und Reitpädagoge nicht ausschließlich für den Unterricht mit dem Pferd für die Sicherheit sorgen muss, sondern auch darüber hinaus. Im Rahmen der Aufsichtspflicht wird von demjenigen, dem diese obliegt, Gefahrenbeherrschung verlangt. Das sind Eltern, Erziehungsberechtigte oder sonstige vertretungsbefugte Personen (wie z. B. Sachwalter, seit kurzem in Österreich: Erwachsenenvertreter). Zu beachten ist, wann die Aufsichtspflicht beginnt und wann diese endet. Sobald man die KlientInnen in Empfang nimmt, der Erziehungsberechtigte somit die Aufsicht abgibt, startet die Aufsichtspflicht der ReitpädagogInnen. Genauso verhält es sich mit der Beendigung der Reiteinheit: Solange der gesetzliche Vertreter nicht erscheint, bleibt die Aufsichtspflicht und damit auch die Haftung für das Kind bzw. die Klientin oder den Klienten bestehen. Wie weit die Aufsichtspflicht geht, ist grundsätzlich im Einzelfall zu beurteilen. Eine Schrittauf-Tritt-Überwachung ist z. B. bei 7-jährigen Kindern natürlich nicht mehr notwendig. Zu beaufsichtigende Personen müssen auch die Möglichkeit haben, selbstständig zu lernen und sich zu entwickeln. Die Abwägung ist hier für die ReitpädagogInnen sicher nicht immer einfach. Tierhalterhaftung Als weiteres Element kommt das Pferd hinzu. Tierhalter ist im österreichischen Recht, wer die Herrschaft über das Tier ausübt und damit auch die Entscheidung trifft, wie ein Tier betreut oder verwendet wird. Relevant ist in Österreich die objektive Sorgfaltspflicht des Tierhalters; ob der Tierhalter subjektiv (persönlich) in der Lage war, sich um das Tier zu kümmern oder nicht, ist nicht relevant. Bricht das Tier aus und verletzt es jemanden, haftet der Tierhalter - in Österreich aber eben nur dann, wenn es nicht ordnungsgemäß verwahrt oder beaufsichtigt, z. B. eingezäunt, wurde. Zur Beherrschung des Tieres zählt auch, wie dieses angebunden wird, wem es einfach einmal „kurz zum Halten“ gegeben wird oder wie bzw. von wem es in den Stall zurückgeführt wird. Generell darf man Pferde nur entsprechend kundigen Personen anvertrauen, sei es auch nur, um das Pferd kurz zu halten. Es sollte daher genau überlegt werden, wie man sich selbst organisiert und wer das Pferd wann und wo hält bzw. anbindet, wenn z. B. die Intervention der Reitpädagogin oder des Reitpädagogen für einen Toilettenbesuch oder Unvorhergesehenes notwendig ist. Wichtig ist im österreichischen Recht: Der Tierhalter hat die Möglichkeit zu beweisen, dass er objektiv für die ordnungsgemäße und sichere Verwahrung und Beaufsichtigung des Pferdes gesorgt hat. Gelingt dem Tierhalter dieser Nachweis, haftet er in Österreich nicht (Achtung: Die Rechtslage in Deutschland weicht davon ab! ). Wichtig für die österreichischen ReitpädagogInnen ist daher: Wenn ein Unfall passiert, Beweise sammeln und sich absichern, keinesfalls jedoch einfach abwarten! Verkehrssicherungspflicht Nicht zu unterschätzen ist, vor allen Dingen für ReitpädagogInnen, die auf ihrem eigenen Gelände ihre Leistungen anbieten, die Verkehrssicherungspflicht. Darunter sind Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter durch die Schaffung einer Gefahrenlage verletzt werden können, zu verstehen. Das bedeutet, wer einen „Weg für andere Personen öffnet“ - z. B. ein Reitareal - und erkennt, dass eine Gefahrenquelle besteht, hat diese zu beseitigen bzw. davor zu warnen. Das bedeutet, dass bei winterlicher Witterung geräumt und gestreut werden muss, für einen sicheren Auf- und Abstieg der KlientInnen auf und vom Pferd zu sorgen ist und allfällige Sicherungsmaßnahmen Recht & Sicherheit: Ollinger - Haftungsfallen in der Reitpädagogik mup 2|2020 | 93 der KlientInnen vorzunehmen sind oder aber die Reiteinheit überhaupt auszufallen hat. Damit haben wir sehr viele Haftungsfallen der ReitpädagogInnen in aller Kürze gestreift. Doch was heißt das nun? Wie soll man sich am besten verhalten? Ausgewählte Tipps zur Haftungsvermeidung für ReitpädagogInnen Nachstehend finden Sie einige Tipps aus juristischer Sicht, über die es sich lohnt im Detail nachzudenken und sich abzusichern. Die nachstehende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann eine juristische Beratung im Einzelfall nicht ersetzen! ■ Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabes: Der Sorgfaltsmaßstab ist, wie wohl allen ReitpädagogInnen bekannt ist, hoch. Der Jurist spricht vom erhöhten Sorgfaltsmaßstab, sofern man als Fachkraft tätig wird. Man prüft das Verhalten einer Reitpädagogin oder eines Reitpädagogen am Verhalten eines maßgerechten Fachmannes („Maßfigur“), sofern ein Unfall passiert. Daran hat man sich also messen zu lassen. Wie sich die Maßfigur verhält, wird anhand der Usancen eines Berufsstandes, allfälligen Richtlinien und Vorschriften von Verbänden, soweit gesetzliche Regelungen fehlen, im Streitfall durch einen Gerichtssachverständigen ermittelt. Geprüft werden die typischen und objektiv bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bzw. der „Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe“. Der Sorgfaltsmaßstab muss in jedem Moment eingehalten werden, Folgendes lässt sich diesbezüglich prüfen bzw. sollte immer in die eigene Abwägung einbezogen werden: ■ Befindet man sich in der Stadt, am Land, auf einer Alm? ■ Wie ist das Umfeld, herrschen Lärm und Trubel, laufen Hunde frei herum? Schlägt ein Hallentor permanent an und verursacht störende Geräusche? ■ Ganz konkret: Wie sind die Witterungsverhältnisse, ergeben sich daraus Gefahrenquellen? ■ Wie ist die Eignung des Pferdes, reicht die durchgeführte Desensibilisierung für die neuen KlientInnen aus, die jeweils heute ihre erste Stunde haben oder muss das Pferd vielleicht nachgeschult werden? ■ Wie benimmt sich das Pferd heute generell? ■ Wie verhält sich der/ die KlientIn heute? Ist irgendetwas anders? ■ Welche Gruppengröße wird für den reitpädagogischen Unterricht gewählt? Ist Einzelunterricht sinnvoller? ■ Welche Ausrüstung tragen Reiterin oder Reiter, ist die Ausrüstung korrekt angebracht? ■ Wie ist der Ausbildungsstand der Reiterin oder des Reiters bzw. wie hält sich die Klientin oder der Klient am Pferd? ■ Passt das Pferd zur Klientin oder zum Klienten, zur Schülerin oder zum Schüler? ■ Ist ein weiterer reitpädagogischer Betreuer notwendig? Sind genügend Personen anwesend? ■ Bei Einbindung des Erziehungsberechtigten: Hat dieser Pferdeerfahrung? ■ Einhaltung der Aufsichtspflicht: Einführung eines Rituals, wann das Kind, die KlientIn, die SchülerIn übergeben wird, z. B. beim Händeschütteln im Rahmen der Begrüßung sowie Verabschiedung des Erziehungsberechtigten. ■ Kein Außerachtlassen der SchülerInnen bzw. der KlientInnen während die Aufsichtspflicht der ReitpädagogInnen besteht. ■ Bei Gruppenunterricht dafür sorgen, dass für Unerwartetes, auch Toilettenbesuche, vorgesorgt ist und die Aufsichtspflicht für alle eingehalten werden kann. 94 | mup 2|2020 Recht & Sicherheit: Ollinger - Haftungsfallen in der Reitpädagogik ■ Minderjährige (in Österreich unter 18 Jahren) sowie Personen mit Beeinträchtigungen sind beschränkt geschäftsfähig. D. h., es fehlt ihnen die vollumfängliche Fähigkeit, für sich selbst oder für einen anderen durch rechtsgeschäftliches Handeln Rechtsfolgen herbeizuführen. Für ReitpädagogInnen bedeutet das, dass geklärt werden muss, mit wem die Reiteinheiten ausgemacht werden. Hier ist es auch sinnvoll, sich für den Fall, dass ein Erwachsenvertreter (früher: Sachwalter) die Reiteinheiten für eine erwachsene, beeinträchtigte Person vereinbart, abzusichern und den diesbezüglichen Bestellungsbeschluss vorweisen zu lassen. Weitere Tipps zum richtigen Verhalten ■ Es sollte ein ausführliches Erstgespräch geführt werden und zwar auch mit dem gesetzlichen Vertreter. ■ Der Ausbildungsstand der KlientIn oder des Klienten sollte erfragt und bei der Planung der Übungen unbedingt beachtet werden. ■ Auseinandersetzung mit der konkreten Beeinträchtigung der Klientin oder des Klienten und Abstimmung der geplanten Übungen diesbezüglich, allenfalls auch mit dem Arzt unter Einbindung des gesetzlichen Vertreters. ■ Aus juristischer Sicht empfiehlt sich die Anforderung einer ärztlichen Bestätigung über die Reitfähigkeit der KlientInnen und zwar dahingehend, dass keine Gesundheitsbeeinträchtigung für das Reiten vorliegt, keine Verschlimmerung bestehender Symptome zu erwarten und die Therapie aus ärztlicher Sicht auch nicht abzulehnen ist. ■ Es empfiehlt sich, die gesetzlichen Vertreter in die geplante Reittherapie/ Reitpädagogik einzubinden, mit diesen im Gespräch zu bleiben und umfassend zu informieren, bestenfalls auch schriftlich. Für Letzteres empfehlen sich auch E-Mail-Protokolle über das Durchgeführte oder allfällige Fortschritte oder Pläne der ReitpädagogInnen. ■ Bei Unklarheiten empfiehlt es sich auch, die geplanten Übungen aufzulisten, schriftliche Rücksprache mit dem gesetzlichen Vertreter und (über diesen) dem Arzt zu halten und sich diesbezüglich abzusichern. ■ Die richtige Ausrüstung für jede Klientin oder jeden Klienten entsprechend anpassen in Bezug auf Schuhwerk, Helm und allfällige Spezialausrüstung für das Pferd. ■ Das jeweils passende Pferd für die jeweilige Klientin bzw. den Klienten auswählen und auf entsprechende allfällige besondere Desensibilisierung aufgrund einer besonderen Beeinträchtigung einer Klientin oder eines Klienten achten und das Pferd entsprechend vorbereiten. ■ Die Vor- und Nachteile von Einzeltraining und Gruppentraining entsprechend abwägen und auf jede Klientin und jeden Klienten extra abstimmen. ■ Regelmäßiger Besuch von Fortbildungen und dadurch sicherstellen, dass man am letzten fachlichen Ausbildungsstand ist und sämtliche Sicherheitsvorkehrungen der Branche kennt und auch problemlos anwenden kann. ■ Sicherstellung einer passenden, ruhigen Umgebung; in vielen Seminaren habe ich gehört, dass sich dieses oder jenes nicht ändern lässt. In solchen Fällen sollte intensiv hinterfragt werden, ob dem wirklich so ist und falls diese Frage tatsächlich mit Ja beantwortet werden muss, sollte man ernsthaft in Erwägung ziehen, seinen Beruf an einem anderen Ort auszuüben. ■ Auf Unsicherheiten der KlientInnen achten, diesfalls mit dem gesetzlichen Vertreter Rücksprache halten, allenfalls eine ärztliche Bestätigung einholen, die Reiteinheit abbrechen und zu guter Letzt allenfalls die Klientin oder den Klienten ablehnen. Auch wenn es hart klingt: Es wird Recht & Sicherheit: Ollinger - Haftungsfallen in der Reitpädagogik mup 2|2020 | 95 wohl Fälle geben, wo man KlientInnen ablehnen muss, um nicht selbst sehenden Auges in Haftungsfallen zu laufen. Wichtig ist: Eine vorliegende Beeinträchtigung einer Klientin oder eines Klienten und die Inanspruchnahme von Reittherapie führt nicht automatisch dazu, dass den KlientInnen ein Mitverschulden angelastet werden könnte! Richtige Aufklärung im Vorfeld: ■ Über jegliche Umstände, die einem im Vorfeld klar sind und aus denen sich ein Risiko oder eine Gefahr ergeben kann, sind vorab mitzuteilen. Das ergibt sich alleine schon aus der vorvertraglichen Aufklärungspflicht, die aufgrund jedes Vertrages, den man abschließt, besteht. ■ Zudem hat die umfassende Aufklärung für die ReitpädagogInnen einen Vorteil: Wer im Detail über Risiken aufgeklärt hat, kann seine Haftung dadurch verringern. Sichergestellt werden muss jedoch, dass der andere das Risiko genau versteht, abschätzen kann und in Kenntnis dessen dennoch seine Zustimmung zur Absolvierung von Reiteinheiten erteilt. ■ Bei KlientInnen und Kindern muss darauf geachtet werden, dass die Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter informiert sind und wirksam in die Reittherapie einwilligen können. ■ Nachdem die Durchführung der Aufklärung im Sinne der Reitpädagogin oder des Reitpädagogen ist und diese auch allfällige Beweise über erbrachte Aufklärungen durchzuführen hat, empfiehlt es sich, jegliche Aufklärungen und Informationen schriftlich zu erteilen. Ein Informationsblatt oder ein Vertrag, in welcher Form auch immer, leistet dazu beste Dienste. Themen wie z. B. das Lebewesen Pferd und dessen Fluchttiereigenschaft, die typische Tiergefahr, für die ReitpädagogInnen erkennbare Sicherheitsrisiken, Erfordernis des Tragens von Schutzausrüstung (Helm, feste Schuhe, Sonstiges) sollten darin Eingang finden. ■ Das Informationsblatt sollte nicht nur übergeben werden, sondern dessen Erhalt sollte sich die ReitpädagogInnen vom gesetzlichen Vertreter schriftlich bestätigen lassen. Das Einholen von Unterschriften ist diesbezüglich unbedingt empfehlenswert. Zu beachten ist, dass die Aufklärung in dem Zusammenhang konkret und umfassend erfolgen sollte. ■ Achtung: Ein Hinweisschild „Reiten auf eigene Gefahr“ ist keine Aufklärung und schützt in keinem Fall vor Haftungsfolgen! ■ Ein abschließendes Wort zu allgemeinen Geschäftsbedingungen und Haftungsausschlüssen: Nach österreichischem Recht ist es nicht möglich, für Personenschäden Haftungsausschlüsse zu vereinbaren. ReitpädagogInnen gelten als Unternehmer, die KlientInnen als Konsument. Das Konsumentenschutzgesetz verunmöglicht jegliche Haftungsausschlüsse in Bezug auf Personenschäden; erlaubt sind lediglich Haftungsausschlüsse für leichte Fahrlässigkeit in Bezug auf Sachschäden. Ein Haftungsausschluss auf Verträgen oder in allgemeinen Geschäftsbedingungen ist daher in Bezug auf Verletzungen von KlientInnen und ReitschülerInnen nicht hilfreich. Allgemeine Geschäftsbedingungen können aber in Bezug auf die weitere Absicherung von ReitpädagogInnen herangezogen werden, z. B. in Bezug auf die Stornierung von Einheiten und Kostenfolgen oder witterungsbedingten Absagen, die sich ReitpädagogInnen vorbehalten können. Falllösung Nach vielen geschriebenen bzw. gelesenen Zeilen stellt sich nun also die Frage, wie der eingangs referierte Fall zu beurteilen ist. Gleich vorweg: Nicht jedes Ereignis führt automatisch zu einer Haftung. Folgende Fragen wird man sich im genannten Fall wohl stellen können: ■ Wurde aufgeklärt über die Fluchttiereigenschaft des Pferdes? ■ War das Pferd ausreichend desensibilisiert, wodurch hat es sich erschreckt? ■ War das Hundegebell wirklich nur entfernt oder war es sehr nahe? War zu erkennen, dass beim Pferd eine Reaktion hervorgerufen werden wird? Hätte die Reitpädagogin das Kind vielleicht vom Pferd heben können und müssen, um die Verletzung zu verhindern? ■ Welche Führtechnik hat die Reitpädagogin angewandt, hätte sie das Pferd besser halten können? ■ Wäre es notwendig gewesen, dass die Reitpädagogin eine zweite 96 | mup 2|2020 Recht & Sicherheit: Ollinger - Haftungsfallen in der Reitpädagogik Person beizieht, damit diese das Kind festhält, da das Mädchen offensichtlich unsicher am Pferd saß? ■ Hätte die Reitpädagogin selbst das Kind besser sichern können und müssen und damit einen Unfall verhindern können? Es zeigt sich bereits an diesem kurzen Beispiel, wie einzelfallbezogen die jeweiligen Beurteilungen ausfallen. Nehmen wir einmal an, das Hundegebell war entfernt zu vernehmen und es führte kein erneutes Hundegebell zum Scheuen des Pferdes. Das Kind war ausreichend stabil am Pferd und die Reitpädagogin hat das Pferd mit der richtigen Führtechnik bestmöglich unter ihrer Kontrolle. Wenn dennoch durch eine schreckhafte Reaktion des Pferdes das Mädchen vom Pferd fällt, kann, wenn der Reitpädagogin die erforderlichen Nachweise gelingen, das Ergebnis auch darin liegen, dass gerade keine Haftung der Reitpädagogin gegeben ist. Aufgrund der umfangreichen Fragestellungen im Rahmen der Beurteilung der Haftung können schon kleine Änderungen an unseren Annahmen jedoch zu einer Haftung führen. Wichtig ist aus meiner Sicht: Als Reitpädagogin oder -pädagoge muss man mehr noch als ReitlehrerInnen bestens informiert sein, und zwar nicht nur über seine beruflichen Pflichten und Kenntnisse, sondern bestenfalls auch über die juristischen Rahmenbedingungen und wie Juristen im Streitfall vor Gericht „denken“ und agieren. Wer derart vorbereitet ist, kann sein Haftungsrisiko bestmöglich reduzieren. Zusammenfassung Für ReitpädagogInnen eröffnen sich mehrere Haftungsfallen. Neben der üblichen vertraglichen Haftung, einschließlich Schutz- und Sorgfaltssowie Aufklärungspflichten, tritt bei Kindern und KlientInnen die Aufsichtspflicht hinzu, aufgrund des Pferdes die Tierhalterhaftung und zumeist sind situationsbedingt die Verkehrssicherungspflichten zu beachten. Es empfiehlt sich, sich mit dem erforderlichen Sorgfaltsmaßstab („Maßfigur“) auseinanderzusetzen, die rechtlichen Voraussetzungen der Haftungen und die Möglichkeiten der Vermeidung bzw. der Eingrenzung zu kennen. Zahlreiche Tipps können befolgt werden, wie insbesondere ein Informationsblatt, welches die vorvertragliche Aufklärung schriftlich festhält und vom Erziehungsberechtigten unterfertigt werden sollte. Wer sich informiert und die präsentierten Tipps umsetzt, ist klar im Vorteil und in der Lage, sein Haftungsrisiko doch wesentlich zu reduzieren. Haftungsausschluss: Achtung! Dieser Artikel ist aus Sicht der österreichischen Rechtslage verfasst. Viele Tipps und Überlegungen sind sicher auch nach deutschem Recht hilfreich und sinnvoll. Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gibt die Meinung der Autorin wieder und kann eine individuelle Rechtsberatung keinesfalls ersetzen. Weiterführende Literatur ■ Ollinger, Nina (2015): Haftungsfalle Pferd. Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien Die Autorin Dr. Nina Ollinger LL.M., Rechtsanwältin in Österreich mit Spezialisierung auf Pferdrecht, Autorin der Bücher Haftungsfalle Pferd und Pferdekauf, Vortragende, Rechtsreferentin des Niederösterreichischen Pferdesportverbandes, Kompetenzzentrum Pferd des Österreichischen Pferdesportverbandes Anschrift Dr. Nina Ollinger · Hauptplatz 5 · A - 3002 Purkersdorf office@ra-ollinger.at · www.ra-ollinger.at