mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie – Wie wirkt sich die Pandemie auf pferdegestützte Interventionsangebote aus?
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Aliana Müller
Die Coronavirus-Pandemie hat zu drastischen Veränderungen weltweit geführt, die mit sozialen Einschränkungen und sozialer Distanzierung im Berufs- wie im Privatleben einhergehen, sodass die Rolle von nichtmenschlichen Beziehungen, wie etwa zu Haustieren im Rahmen tiergestützter Interventionsangebote, in unserem neuen Alltag potenziell bedeutsamer geworden sind. Tiere bieten eine gesunde Form der Unterhaltung, Ablenkung und Begleitung.
Trotz der beiden Lockdowns (Frühjahr 2020 und Winter 2020 / 21) war die Durchführung pferdegestützter Interventionsangebote zumindest im Einzelsetting unter Beachtung der aktuellen Hygiene-Regelungen in Deutschland erlaubt. Wie wirkte sich die Pandemie auf die Zielsetzung und Bedürfnisse der KlientInnen bei der pferdegestützten Arbeit aus? Inwiefern erhält die positive Wirkung der MenschPferdBeziehung in der Corona-Krise eine neue Bedeutung?
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mup 4|2021|159-163|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2021.art22d | 159 Aliana A. Müller Forum Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie - Wie wirkt sich die Pandemie auf pferdegestützte Interventionsangebote aus? Die Coronavirus-Pandemie hat zu drastischen Veränderungen weltweit geführt, die mit sozialen Einschränkungen und sozialer Distanzierung im Berufswie im Privatleben einhergehen, sodass die Rolle von nichtmenschlichen Beziehungen, wie etwa zu Haustieren im Rahmen tiergestützter Interventionsangebote, in unserem neuen Alltag potenziell bedeutsamer geworden sind. Tiere bieten eine gesunde Form der Unterhaltung, Ablenkung und Begleitung. Sie können als Mediatoren fungieren und Stress reduzieren (Nestmann / Wesenberg 2021). Erste Studienergebnisse zur Rolle von Haustieren während der COVID-19 Pandemie weisen darauf hin, dass Haustiere durchaus vielfältige Formen von psychologischer und physiologischer Unterstützung bieten können (vgl. Hoy-Gerlach et al. 2020, Nieforth / O´Haire 2020, Ratschen et al. 2020). Trotz der beiden Lockdowns (Frühjahr 2020 und Winter 2020 / 21) war die Durchführung pferdegestützter Interventionsangebote zumindest im Einzelsetting unter Beachtung der aktuellen Hygiene-Regelungen in Deutschland erlaubt. Wie wirkte sich die Pandemie auf die Zielsetzung und Bedürfnisse der KlientInnen bei der pferdegestützten Arbeit aus? Inwiefern erhält die positive Wirkung der MenschPferdBeziehung in der Corona-Krise eine neue Bedeutung? In diesem Beitrag möchte ich meine Erlebnisse und Beobachtungen während der Corona-Krise im Rahmen meiner Arbeit als Reit- und Hippotherapeutin mitteilen. Dazu gehören auch einige Fragen hinsichtlich der Zielsetzung, die ich meinen KlientInnen während des zweiten Lockdowns gestellt habe. Insbesondere möchte ich auf die potenziellen Veränderungen der KlientInnen-Ziele und deren Bedürfnisse in der pferdegestützten Intervention während der Corona-Pandemie eingehen. Alle unten vorgestellten KlientInnen waren schon vor der Corona-Pandemie bei mir und kommen bis heute noch regelmäßig zu mir in die Reit- und Hippotherapie. Da ich ausschließlich subjektive Erlebnisse und Beobachtungen wiedergeben möchte, um einen konkreten und lebendigen Eindruck der Veränderungen von pferdegestützten Interventionsangeboten (PI) während der Corona- Zeiten zu vermitteln, erhebe ich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Die Angaben zu den Zielveränderungen während den Corona-Lockdown-Zeiten basieren auf folgenden Interviewfragen, die ich meinen KlientInnen Anfang März 2021 gestellt habe: 1. Was hat sich für dich in den Reittherapie-Einheiten seit der Corona-Pandemie verändert? 2. Welche Ziele hast du jetzt in der zweiten Lockdown-Phase? 3. Was bedeutet die pferdegestützte Intervention aktuell für dich? 160 | mup 4|2021 Forum: Müller - Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie Tabelle 1: Vorstellung KlientInnen KlientIn Diagnose PI-Hauptziele vor Corona PI in Lockdown 1 PI zwischen Lockdown 1 und 2 PI in Lockdown 2 Coronabedingte Zieländerung * A. Kleinkind Entwicklungsverzögerung Sensomotorische Förderung, spielerisch Verantwortung erlernen und kleine Aufgaben durchführen Ja Ja Ja Nein, da zu jung. Aber Eltern und Kind genießen festen Termin. Ermöglicht Rauskommen aus Corona-Alltag von zu Hause, sowie die Förderung für das Kind, da andere Therapien ausgefallen sind. B. Kind ADHS Konzentration, Fokus, Planung und Durchführung von Aufgaben rund ums Pferd, Ruhemomente Nein Ja Ja Ja, Kind ruhiger und ausgeglichener, da viel zu Hause. Sucht bei Pferd Sicherheit und Kontakt und nimmt Konzentrationsförderung und Entspannungsangebote gerne an. C. Kind Entwicklungsverzögerung Aufrichtung, Körperwahrnehmung, sprachliche Förderung Nein Ja Ja Z. T. Rückschritte durch lange Abwesenheit und Isolierung daheim wegen Risiko-Familienmitglied nach Lockdown 1. Dann sehr motiviert und kooperationsbereit in PI. D. Kind Trisomie 20 Sensomotorische Förderung, Ja Ja Ja Ja, Erlebnis Pferd im Vordergrund, einziger Termin mit Außenkontakt. Homeschooling ist Thema, aber nur auf Nachfrage. Mehr Redebedarf. E. Kind Autismus Soziale Fähigkeiten & Interaktion mit Pferd Nein Ja Nein Z. T. bedingt durch lange Abwesenheit und Isolierung Zuhause erneuter Vertrauensaufbau mit Pferd nötig. F. Jugendliche Angststörung Entspannung, Selbststärkung Ja Ja Ja Ja, Zunahme der Angst und Unsicherheit durch Corona, Vertrauen ins Leben und Tierkontakt besonders wichtig, redet viel mehr. G. Jugendliche Dyslexie Feinmotorik, Koordination Nein Ja Ja Ja, Kontakt mit Pferd im Vordergrund und Wunsch eigenes Pferd zu besitzen. Interesse an Pferdepflege und -training etc., Homeschooling läuft besser als Schule, daher Klientin entspannter. H. Jugendliche Lernstörung Selbstständigkeit, Kreativität bei Aufgabenlösung, Selbstvertrauen Ja Ja Ja Ja, Angst zu Hause vor Corona als Gesprächsthema bei der Reittherapie. Genießt Pferdezeit als Abwechselung von zu Hause. Homeschooling klappt besser als Schule, da mehr Ruhe. I. Erwachsene Multiple Sklerose & Depression Gleichgewicht, Koordination und Lebensfreude Nein Ja Ja Ja, depressive Verstimmung nimmt zu, sucht vermehrt Anlehnung und Erdung bei Pferd. Körperlich schlechter, da unregelmäßiger bei Physiotherapie, daher Gleichgewichts- und Gangförderung essentiell in PI. J. Erwachsene Neuralgien & Angststörung Körperbewusstsein, Zentrierung, Entspannung Ja Ja Ja Ja, Kontakt zur Außenwelt und Hobbies fehlen, so dass Klient häufiger zur PI kommt und dort Körperwahrnehmungsübungen durchführen möchte. Sucht mehr Anlehnung am Pferd und erhöhter Redebedarf, da sonst alleine. PI = Pferdegestützte Intervention Forum: Müller - Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie mup 4|2021 | 161 Beobachtungen im Rahmen meiner pferdegestützten Intervention Alle hier angegebenen KlientInnen nehmen seit mindestens 1,5 Jahren wöchentlich oder im Zwei-Wochen-Rhythmus an meinem pferdegestützten Interventionsangebot teil. Sie haben durch die längere, sich wiederholende Interaktion zwischen Mensch und Pferd eine persönliche Beziehung zu dem Therapiepferd und mir als Reittherapeutin aufbauen können. Diese Bindung zum Pferd ist bis zu einem gewissen Grad vergleichbar mit einer zwischenmenschlichen Bindung (Nestmann / Wesenberg 2021, 14). Während des ersten Lockdowns habe ich weiterhin Einzeltherapien angeboten. Fünf von zehn KlientInnen haben mir für die gesamten vier Wochen abgesagt. Sie hatten selbst Angst bzw. wurde ihnen von den Sorgeberechtigten die Teilnahme an der Reittherapie untersagt und / oder sie lebten zu Hause mit einem oder mehr Menschen aus einer Risikogruppe. Sie waren sehr verunsichert und wussten nicht, was auf sie zukommt. Während des zweiten Lockdowns kamen dagegen neun von zehn KlientInnen zu den Einzeltherapie-Einheiten. Sie waren dankbar für das Angebot und den festen Termin. Sie freuten sich, ein Ziel zu haben und auf den direkten Kontakt zum Pferd. Insgesamt war ein anderes Zeitfenster für die Therapiestunde mit mehr Pufferzeit vor- und nachher vorhanden (galt auch für die Eltern der Therapiekinder). Es entstand weniger Alltagsstress und Planungsstress seitens der KlientInnen und ihren Erziehungsberechtigten. Wenn sich die KlientInnen zur Teilnahme an den Einzeltherapiestunden während der Lockdownphasen entschlossen hatten, wurde keine der vereinbarten Therapiestunden abgesagt. Abgesehen von den strengeren Hygiene-Vorschriften und Einschränkungen bei Gruppenangeboten sowie logistischen Herausforderungen durch das Homeschooling der Kinder, kam es bei meinen KlientInnen zu auffälligen pandemiebedingten inhaltlichen Zielveränderungen. Die Ziele der KlientInnen wurden durch eine neue Perspektive bereichert. Insgesamt wurde von allen der eigene Gesundheitszustand positiver bewertet als vor der Pandemie, und die pferdegestützte Intervention wurde noch mehr als sonst geschätzt. Der Fokus lag vermehrt auf der Erholung von dem durch Corona dominierten Alltag mit allen Sorgen, Unannehmlichkeiten und Stressfaktoren. Der Genussfaktor und das Sein im Moment mit dem Pferd während der pferdegestützten Intervention waren für die meisten KlientInnen besonders relevant geworden. Aber auch neue Themen, wie Angst und Unsicherheit bedingt durch die Coronasituation, kamen zutage. Teilweise war die häusliche Herausforderung mit Homeoffice und Homeschooling ein neuer Stress-Auslöser und die Bewältigung der neuen Situation wurde in der Reittherapie als Ziel definiert. Dadurch bedingt gab es vor allem bei den jugendlichen KlientInnen einen erhöhten Redebedarf und das natürliche Setting mit dem Pferd animierte die KlientInnen zu Gesprächen. Außerdem waren folgende Veränderungen im Laufe der Corona-Pandemie bei meinen KlientInnen zu beobachten: erhöhtes Kontaktbedürfnis je länger die Pandemie andauerte, gesteigertes Ruhebedürfnis mit dem Pferd sowie vermehrte Freude bei jeder Therapiestunde. Diskussion Anhand meiner subjektiven Beobachtungen konnte ich feststellen, dass der Bedarf nach direktem Kontakt um so mehr anstieg, je länger und strenger die Lockdown-Regelungen waren. Dies kann unter anderem durch die nachgewiesene Stress-Minderung beim direkten Tierkontakt erklärt werden. Immerhin wird schon nach 15 Minuten Körperkontakt mit Haustieren, zu denen auch die Pferde zählen, eine Armada von Neurotransmittern, wie Oxytocin, Dopamin, Prolactin, Endorphine, Norepinephrine und Beta-Phenylethylamine ausgeschüttet (Hunjan et al. 2020), zusätzlich wird der Cortisolspiegel KlientIn Diagnose PI-Hauptziele vor Corona PI in Lockdown 1 PI zwischen Lockdown 1 und 2 PI in Lockdown 2 Coronabedingte Zieländerung * A. Kleinkind Entwicklungsverzögerung Sensomotorische Förderung, spielerisch Verantwortung erlernen und kleine Aufgaben durchführen Ja Ja Ja Nein, da zu jung. Aber Eltern und Kind genießen festen Termin. Ermöglicht Rauskommen aus Corona-Alltag von zu Hause, sowie die Förderung für das Kind, da andere Therapien ausgefallen sind. B. Kind ADHS Konzentration, Fokus, Planung und Durchführung von Aufgaben rund ums Pferd, Ruhemomente Nein Ja Ja Ja, Kind ruhiger und ausgeglichener, da viel zu Hause. Sucht bei Pferd Sicherheit und Kontakt und nimmt Konzentrationsförderung und Entspannungsangebote gerne an. C. Kind Entwicklungsverzögerung Aufrichtung, Körperwahrnehmung, sprachliche Förderung Nein Ja Ja Z. T. Rückschritte durch lange Abwesenheit und Isolierung daheim wegen Risiko-Familienmitglied nach Lockdown 1. Dann sehr motiviert und kooperationsbereit in PI. D. Kind Trisomie 20 Sensomotorische Förderung, Ja Ja Ja Ja, Erlebnis Pferd im Vordergrund, einziger Termin mit Außenkontakt. Homeschooling ist Thema, aber nur auf Nachfrage. Mehr Redebedarf. E. Kind Autismus Soziale Fähigkeiten & Interaktion mit Pferd Nein Ja Nein Z. T. bedingt durch lange Abwesenheit und Isolierung Zuhause erneuter Vertrauensaufbau mit Pferd nötig. F. Jugendliche Angststörung Entspannung, Selbststärkung Ja Ja Ja Ja, Zunahme der Angst und Unsicherheit durch Corona, Vertrauen ins Leben und Tierkontakt besonders wichtig, redet viel mehr. G. Jugendliche Dyslexie Feinmotorik, Koordination Nein Ja Ja Ja, Kontakt mit Pferd im Vordergrund und Wunsch eigenes Pferd zu besitzen. Interesse an Pferdepflege und -training etc., Homeschooling läuft besser als Schule, daher Klientin entspannter. H. Jugendliche Lernstörung Selbstständigkeit, Kreativität bei Aufgabenlösung, Selbstvertrauen Ja Ja Ja Ja, Angst zu Hause vor Corona als Gesprächsthema bei der Reittherapie. Genießt Pferdezeit als Abwechselung von zu Hause. Homeschooling klappt besser als Schule, da mehr Ruhe. I. Erwachsene Multiple Sklerose & Depression Gleichgewicht, Koordination und Lebensfreude Nein Ja Ja Ja, depressive Verstimmung nimmt zu, sucht vermehrt Anlehnung und Erdung bei Pferd. Körperlich schlechter, da unregelmäßiger bei Physiotherapie, daher Gleichgewichts- und Gangförderung essentiell in PI. J. Erwachsene Neuralgien & Angststörung Körperbewusstsein, Zentrierung, Entspannung Ja Ja Ja Ja, Kontakt zur Außenwelt und Hobbies fehlen, so dass Klient häufiger zur PI kommt und dort Körperwahrnehmungsübungen durchführen möchte. Sucht mehr Anlehnung am Pferd und erhöhter Redebedarf, da sonst alleine. PI = Pferdegestützte Intervention 162 | mup 4|2021 Forum: Müller - Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie gesenkt (Julius et al. 2014, 80). Wie Nestmann (2005) sagt, kann eine enge Mensch-Tier-Beziehung helfen, Sorgen und Schmerzen zu bewältigen. Somit bieten Haustiere, auch Therapiepferde, zu denen die KlientInnen einen regelmäßigen Kontakt haben, einen nährenden, beruhigenden Raum. Während der Corona-Krise standen der Abbau von Ängsten sowie die Wiederherstellung eines gewissen Normalitäts-Gefühls an erster Stelle. Das Bedürfnis nach einer Auszeit von dem coronabedingten Stress war sehr hoch und entsprechende Bewältigungsstrategien konnten für meine KlientInnen im Rahmen der pferdegestützten Einheiten gefunden werden. Da Kinder und Jugendliche in mehreren Studien als psychisch Leidtragende der Corona-Isolierung im Haushalt identifiziert wurden (vgl. Ravens-Sieberer et al. 2020), ist es nicht verwunderlich, dass meine jungen KlientInnen spätestens während des zweiten Lockdowns mit noch mehr Begeisterung als üblich an der Reittherapie teilgenommen haben. Die Einheiten wurden nicht nur als „Highlight der Woche“ erlebt (Zitat Klientin), sondern auch als eine angenehme Zeit, in der die KlientInnen ihre Sorgen und Ängste vergessen konnten. Diese Beobachtungen finden sich in den Ergebnissen der Studie zur Mensch- Haustier-Beziehung während der CO- VID-19-Pandemie von Ratschen et al. (2020) wieder, die darauf hin deuten, dass Pferde im Vergleich zu anderen Haustieren einen besonders hohen positiven Einfluss auf das mentale Wohlbefinden haben. Möglicherweise hängt dieser starke Einfluss von Pferden mit der Tatsache zusammen, dass die meisten Menschen und auf jeden Fall alle meine TherapieKlientInnen raus aus ihrem eigenen Zuhause kommen müssen, um den Pferden zu begegnen. Dies würde auch erklären, warum meine pferdegestützten Interventionsangebote so intensiv und zuverlässig während der COVID-19-Pandemie genutzt wurden. Für mich als Reit- und Hippotherapeutin hat sich meine Zielsetzung während der Therapiestunden auch leicht verschoben. Das Bewusstsein, dass die pferdegestützte Intervention neben Einkaufen und Spaziergängen eine der wenigen weiteren Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt bietet und somit zu einer sehr wichtigen Ressource wird, hat mich und die Gestaltung meiner Therapiestunden positiv beeinflusst. Ich habe meine Einheiten noch mehr als sonst auf die aktuellen individuellen Bedürfnissen der KlientInnen ausgerichtet und die Interaktion mit dem Pferd freier als üblich gestaltet. Die Pandemie regte mich zur vermehrten Reflexion über die ganzheitlichen Wirkungen der Mensch-Pferd-Beziehung an, die im Rahmen der pferdegestützten Intervention stattfinden Forum: Müller - Reittherapie in Zeiten der COVID-19 Pandemie mup 4|2021 | 163 und gerade in Krisenzeiten besonders hilfreich sein können. Der Austausch mit dem Vierbeiner und der Reittherapeutin bot für viele meiner KlientInnen den geschätzten Raum zur Regeneration für den Alltag an. Es kam vor, dass KlientInnen beinahe die gesamte Einheit über ihren Stress zu Hause oder von ihrer Angst vor Corona geredet haben oder sich lange ans Pferd angelehnt haben, es intensiv streicheln, anfassen und die Wärme spüren wollten. Egal was der Bedarf der KlientInnen sein mochte, das Pferd holte sie selbstverständlich im Moment ab. Und plötzlich erschien Corona für eine Stunde sehr weit weg und ein spürbares Aufatmen fand statt, welches das Pferd mit Abschnauben quittierte. Ganz nach dem Titel von Otterstedts (2020) Studie zur Rolle von Mensch-Tier-Beziehungen im Corona-Alltag: „Tiere machen meinen Alltag normal.“ So gesehen ist es großes Glück auf vier Beinen, dass es unmöglich ist, pferdegestützte Therapie online anzubieten, da in dieser Therapieform der direkte Kontakt zum Tier das tragende Element ist. Es bleibt spannend, ob bald weitere wissenschaftliche Studien zu der Veränderung der Mensch-Tier-Interaktion und vor allem zur Mensch-Pferd-Interaktion im Rahmen von pferdegestützten Interventionsangeboten und auch Erfahrungsberichte publiziert werden, die die positive Rolle von Haustieren in Krisenzeiten bestätigen. Zusammenfassend lässt sich aus meinen Beobachtungen schließen, dass die pferdegestützten Interventionsangebote während der COVID- 19-Pandemie, zusätzlich zu den vorhandenen Zielen, den KlientInnen eine sehr wichtige und geschätzte Auszeit vom Corona-Alltag geboten haben. Außerdem sollte in Anbetracht der Krisenzeit die Ressourcenaktivierung meiner Meinung nach als weiteres wichtiges Ziel bei der Reit- und Hippotherapie in den Vordergrund gestellt werden. Und zu guter Letzt dürfen wir TherapeutInnen auch für uns selbst Kraft und Ruhe aus der ganzheitlichen MenschPferde-Beziehung schöpfen! Literatur ■ Hoy-Gerlach J., Rauktis, M., Newhill, C. (2020): (Nonhuman) animal companionship: A crucial support for people during the COVID-19 pandemic. Society Register, 4, 109-120 ■ Hunjan, U. G., Reddy, J. (2020): Why companion animals are beneficial during the COVI-19 pandemic. Journal of Patient Experience 7, 430-432,. https: / / doi.org/ 10.1177/ 237843 ■ Julius, H., Beetz, A. et al. (2014): Bindung zu Tieren: Psychologische und neurobiologische Grundlagen tiergestützter Interventionen. Göttingen, Hogrefe ■ Nestmann, F., Wesenberg S. (2021): Persönliche Mensch-Tier- Beziehungen in der COVID-19 Pandemie - Bio-psycho-sozial oder doch soziopsychobiologisch? Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis 1 / 2021. Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e. V., 11-28 ■ Nieforth, L. O., O´Haire, M. E. (2020): The role of pets in managing uncertainty from COVID-19. Psychological Trauma: Theory, Research, Practice and Policy 12 (S1), 245-246 ■ Otterstedt, C. (2020): „Die Tiere machen meinen Alltag normal.“ Eine Studie zur Mensch-Tier-Beziehung in der Corona-Krise 2020. Bremen, Stiftung Bündnis Mensch und Tier ■ Ratschen, G. et al. (2020): Humananimal relationships and interactions during the COVID-19 lockdown phase in the UK - investigating links with mental health and loneliness, https: / / doi.org/ 10.1371/ journal. pone.0239397 ■ Ravens-Sieberer, U., Kaman, A. et al. (2020): Impact of COVID-19 pandemic on quality of life and mental health in children and adolescents. In: www.researchgate.net/ profile/ Anne_ Kaman/ publication/ 345172543_Impact_of_the_COVID-19_Pandemic_on_ the_quality_of_life_and_mental_health_ in_children_and_adolescents.pdf, 10.12.2020 Die Autorin Aliana A. Müller Diplom-Biologin, Physiotherapeutin, Weiterbildung zur Reittherapeutin am IPTh (2009), Weiterbildung zur Hippotherapeutin am IPTh (2015) Seit 2010 selbstständig als Reit- und Hippotherapeutin an diversen Einrichtungen und in eigener Praxis am Bodensee tätig sowie als Dozentin für ReittherapeutInnen am IPTh. Anschrift Aliana A. Müller · www.alianamueller.de · info@alianamueller.de
