eJournals mensch & pferd international 13/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2021.art03d
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Forum: Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd in der Werkstatt für behinderte Menschen

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2021
Lisa-Marie Feldmann
Positive Auswirkungen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP) auf Menschen mit Behinderung sind bereits seit geraumer Zeit bekannt. Doch wie können diese Auswirkungen der HFP der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), welche immerhin Lebensmittelpunkt vieler Menschen mit Behinderung ist, zuträglich sein? Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Einordnung der HFP als arbeitsbegleitende Maßnahme, Gesundheitsförderung und Berufsorientierung in der WfbM und untersucht die Durchführbarkeit dieser. [...]
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14 | mup 1|2021|14-21|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2021.art03d Lisa-Marie Feldmann Forum Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd in der Werkstatt für behinderte Menschen Positive Auswirkungen der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (HFP) auf Menschen mit Behinderung sind bereits seit geraumer Zeit bekannt. Doch wie können diese Auswirkungen der HFP der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), welche immerhin Lebensmittelpunkt vieler Menschen mit Behinderung ist, zuträglich sein? Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Einordnung der HFP als arbeitsbegleitende Maßnahme, Gesundheitsförderung und Berufsorientierung in der WfbM und untersucht die Durchführbarkeit dieser. Im Jahr 2019 besuchten 317 725 Menschen in Deutschland eine WfbM, da sie aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt werden konnten (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte Menschen e. V. 2019). Die WfbM ist nach § 219 Abs. 1 SGB IX eine Einrichtung zur „Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben“ sowie zur „Eingliederung in das Arbeitsleben“ und hat ihren Beschäftigten eine angemessene berufliche Bildung, die Erhaltung, Entwicklung, Erhöhung oder Wiedergewinnung ihrer Leistungs- und Erwerbsfähigkeit sowie die Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen. Jede anerkannte WfbM ist in ein Eingangsverfahren, einen Berufsbildungsbereich und einen Arbeitsbereich unterteilt. Während im Berufsbildungsbereich nach § 57 SGB IX Maßnahmen zur Entwicklung, Verbesserung und Wiederherstellung der Leistungs- und Erwerbsfähigkeit mit dem Ziel der persönlichen Weiterentwicklung und Vorbereitung auf den (möglichst ersten) Arbeitsmarkt durchgeführt werden, bietet der Arbeitsbereich den Beschäftigten nach § 58 Abs. 2 SGB IX eine der Eignung und Neigung entsprechende Beschäftigung, die Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen und Maßnahmen zur Förderung des Übergangs auf den ersten Arbeitsmarkt. Wird nun die HFP im Kontext der WfbM angeboten, wird vielen Menschen mit Behinderung die Möglichkeit geboten, diese zu nutzen. Zudem müssten die Kosten der HFP nicht von den Menschen mit Behinderung selbst getragen werden. Abgesehen von seltenen Fällen der Übernahme durch Krankenkassen oder Sponsoren muss die HFP ansonsten grundsätzlich privat finanziert werden (vgl. Hediger/ Zink 2017, 128). Dies ist aufgrund der häufig prekären finanziellen Lage von Menschen mit Behinderung allerdings meist nicht möglich. Darüber hinaus könnte die HFP der WfbM in der Erfüllung ihres Auftrags und in ihrer Zielsetzung entsprechen und deshalb für sie von Nutzen sein. Untersucht werden daher im Folgendem drei Varianten der Einordnung der HFP in die WfbM in Hinblick auf ihre Relevanz und Durchführbarkeit: die HFP als arbeitsbegleitende Maßnahme, die HFP unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung und die HFP unter dem Aspekt der Berufsorientierung. Dazu werden Literaturquellen, Paragrafen des SGB IX sowie der Werkstattverordnung (WVO), die Werkstattempfehlungen und Fachkon- Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen mup 1|2021 | 15 zepte dahingehend analysiert, inwiefern die HFP ihnen entsprechen kann. Die HFP als arbeitsbegleitende Maßnahme Individuell geeignete arbeitsbegleitende Maßnahmen sollen als Leistung des Arbeitsbereiches der WfbM nach § 5 Abs. 3 WVO und § 58 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX bei den Beschäftigten die im Berufsbildungsbereich erworbene Leistungsfähigkeit im Arbeitsbereich erhalten bzw. erhöhen und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit beitragen. Leistungsfähigkeit bezeichnet die Qualität und Quantität des Ergebnisses einer von einer Person durchgeführten Aufgabe (vgl. Grampp / Triebel 2013, 21). Sie lässt sich in die messbzw. beobachtbare körperliche Leistungsfähigkeit, sensorische Fähigkeiten, sensumotorische Fähigkeiten, Intelligenz und affektive Fähigkeiten unterteilen (vgl. Grampp 2010, 118ff). Aufbauend auf der Entwicklung dieser Komponenten soll es in der WfbM zu einer Entwicklung der Erwerbsfähigkeit kommen. Um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten in der WfbM zu entwickeln, braucht es neben einer handwerklichen und technischen Qualifizierung vor allem Angebote, die zu einer körperlichen, psychischen und kognitiven Entwicklung beitragen (vgl. Cramer 2009, 284; Greving / Scheibner 2017, 162). Die HFP kann auf verschiedene Aspekte der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung, insbesondere auf die Entwicklung körperlicher und sensumotorischer Fähigkeiten, positiv einwirken. In der Fachliteratur sind vor allem die folgenden Aspekte im Gespräch, über deren Förderung die HFP zum Erhalt und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und damit verbunden der Erwerbsfähigkeit beitragen kann: ■ Bewegungskoordination (vgl. Vernooij / Schneider 2018, 100) ■ Bewegungsvermögen (vgl. Kaune 2006, 58) ■ Gleichgewichtssinn (vgl. Schönwälder 2003, 337) ■ Feinmotorik (vgl. Schönwälder 2003, 343) ■ Raumlagebewusstsein (vgl. Strauß 2008, 33) ■ Konzentrationsfähigkeit (vgl. Kaune 2006b, 60) ■ emotionalen Stabilisierung (vgl. Struck / Schäffer 2017, 72 f) Persönlichkeitsentwicklung ist die Veränderung und Erweiterung der persönlichen, das heißt charakteristischen und individuellen, Eigenschaften (vgl. Grampp / Triebel 2013, 21). Aufgrund der Tatsache, dass die WfbM keine rein auf Leistung und Produktion bezogene Einrichtung ist, sondern die Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben der Beschäftigten verbessern soll, sollen auch die persönlichen Eigenschaften der Beschäftigten erweitert werden. Dafür reichen berufliche Bildungsmaßnahmen allerdings nicht aus (vgl. Cramer 2009, 283 f). Eine sinnvolle Alternative sind deshalb Leistungen in Form von arbeitsbegleitenden Maßnahmen, welche das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit fördern (vgl. Greving / Scheibner 2017, 163). Die HFP kann zu einer erheblichen Weiterentwicklung der Persönlichkeit beitragen. Die Teilnehmenden machen die Erfahrung, Aufgaben, sei es das Führen des Pferdes oder eine schwierige Turnübung, zu meistern und schnell Erfolge zu erkennen, wodurch das Selbstwertgefühl gesteigert werden kann (vgl. Kröger 2010, 111). Kaune (2006, 58) geht davon aus, dass auch das Selbstbewusstsein gesteigert werden kann, wenn Angstmomente überwunden werden. Durch vermehrte Erfolge und die Erfahrung der funktionierenden Kommunikation mit einem so großen Tier kann die Selbstsicherheit gestärkt werden. Auch das Vertrauen in sich und andere, etwa in das Pferd oder die Fachkraft, kann gefördert werden. Einerseits kostet es Mut, sich auf ein Pferd zu setzen, andererseits ist der / die ReiterIn auf die Fachkraft und die durch sie vermittelte Sicherheit angewiesen. Außerdem kann die HFP dazu 16 | mup 1|2021 Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen beitragen, eine korrekte Selbsteinschätzung zu entwickeln und die vermehrte Selbstständigkeit aufgrund der Notwendigkeit des Tätigwerdens, damit das Pferd reagiert, zu fördern (vgl. Kröger 2010, 207 ff und Schönwälder 2003, 338). Darüber hinaus verweist die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) in ihren Werkstattempfehlungen darauf, dass begleitende Maßnahmen im Berufsbildungsbereich grundsätzlich auch auf den Arbeitsbereich übertragbar sind (BAGüS (Hrsg.) 2013, 63). Die Ausgestaltung der arbeitsbegleitenden Maßnahmen entspricht also den Grundsätzen der begleitenden Maßnahmen im Berufsbildungsbereich. In Hinblick auf die persönlichen und sozialen Kompetenzen, welche im Berufsbildungsbereich erworben und gefördert werden sollen, werden in § 4 Abs. 4 und Abs. 5 WVO die Förderung des Selbstwertgefühls, des Sozialverhaltens und die Fähigkeit zu größerer Ausdauer und Belastung aufgeführt. Es ist davon auszugehen, dass die HFP diese Aspekte erfüllen kann (vgl. Kröger 2010, 119; Struck / Gultom-Happe 2006, 25). Daneben wird auch noch die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Umgang mit Werkstoffen, Werkzeugen und Maschinen genannt. Auf den ersten Blick scheint die HFP diesem Anspruch nicht gerecht zu werden. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines ausgelagerten Werkstattarbeitsplatzes oder der allgemeinen Vorbereitung auf landwirtschaftliche Berufe könnte die HFP aber sehr wohl Kenntnisse über Werkzeuge wie Mistgabeln oder Striegel, Werkstoffe (z. B. in Hinblick auf die Frage, was Pferde fressen dürfen) oder Maschinen (z. B. der Trecker zum Abtragen von Pferdemist) vermitteln. Des Weiteren verweist die BAGüS zur inhaltlichen Ausgestaltung der arbeitsbegleitenden Maßnahmen auf das Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen (Fachkonzept EV / BBB) (vgl. BAGüS (Hrsg.) 2013, 63). Demnach sollen die arbeitsbegleitenden Maßnahmen „das Erlernen von Fähigkeiten und Fertigkeiten zu möglichst eigenständigem Ausführen von beruflichen Tätigkeiten, die Vermittlung von Wissen und Einsichten, das Erreichen sozialer Lernziele und dadurch das Erlangen sozialer Kompetenzen [umfassen]“ (Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.) 2010, 10). Aspekte wie das Bewusstwerden und Formulieren eigener Wünsche, ein gesteigertes Selbstvertrauen, Verantwortungsbewusstsein, eine geschultere Feinmotorik oder verbesserte Kommunikationsfähigkeit durch die HFP, wovon viele Autoren ausgehen, können unter Umständen zu eigenständigerem Ausführen beruflicher Tätigkeiten führen, da hierdurch Hilfestellungen in diesen Bereichen nicht mehr notwendig sind (vgl. Kaune 2006, 67; Struck / Gultom-Happe 2006, 25; Schönwälder 2003, 343; Vernooij / Schneider 2018, 149). „Wissen und Einsichten“ können im Rahmen der HFP vor allem im Kontext von Respekt vor Natur und Lebewesen sowie in Bezug auf pferdebezogene Themen (Haltung, Fütterung, Pflege etc.) vermittelt werden. In Bezug auf den Erwerb sozialer Lernziele und damit sozialer Kompetenzen sind besonders der Erwerb von Kooperations- und Hilfsbereitschaft und das Respektieren von Grenzen und Regeln zu nennen (Kaune 2006, 57; Kröger 2010, 119). Des Weiteren werden im Fachkonzept EV / BBB noch andere Kompetenzen genannt, die die WfbM zur Entwicklung von Persönlichkeit und Leistungspotenzial im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich entwickeln und fördern soll. Der nachfolgenden Tabelle kann entnommen werden, zur Förderung welcher Kompetenzen die HFP beitragen kann. Die ersten beiden Spalten entsprechen dabei den Vorgaben des Fachkonzeptes EV / BBB (vgl. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.) 2010, 5). In der dritten erfolgt eine Einschätzung, wie die HFP zur Förderung dieser Kompetenz beitragen kann. Es lässt sich erkennen, dass die HFP in vielen der angegebenen Bereiche zu einer Förderung der Kompetenzen beitragen kann. Besonders die Förderung der sozialen, kommunikativen sowie personalen Kompetenzen entspricht in besonde- Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen mup 1|2021 | 17 rem Maße sowohl der Zielsetzung der HFP als auch der der WfbM nach dem Fachkonzept EV / BBB. Trotz der vielen positiven Aspekte der HFP, die sich auch auf das Arbeitsverhalten und die Teilhabe am Arbeitsleben auswirken können, ist die Durchführung anderer Bildungsmaßnahmen wie beispielsweise dem Rechnen- oder Lesen-Lernen selbstverständlich nach wie vor notwendig. Die HFP unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung Unter dem Begriff „Gesundheitsförderung“ werden Interventionshandlungen verstanden, welche mit dem Ziel der Bewahrung und Stabilisierung von Gesundheit die gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen und Lebensweisen aller Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen versuchen (vgl. Altgeld / Kolip 2018, 57 ff). 1986 brachte die WHO das „Konzept der gesundheitsförderlichen Settings“ heraus, welches die Lebenswelt der Menschen fokussiert und auf eine gesundheitsförderliche Umgestaltung von Einflüssen und Bedingungen in dieser Lebenswelt hinarbeitet (vgl. Altgeld / Kolip 2018, 60 ff). Interventionen nach diesem Konzept stellen sich als besonders wirksam dar (vgl. Wiese 2017, 71). Die WfbM kann als solches Setting verstanden werden. Gesundheitsförderliche Effekte von Tieren sind bereits seit Jahren bewiesen (vgl. Nestmann / Wesenberg / Beckmann 2016, 26). Sie können die körperliche, die seelischgeistige und auch die soziale Dimension von Gesundheit fördern. Im Kontext der HFP sind vor allem fünf Bereiche der Gesundheitsförderung hervorzuheben. Zum einen kann die HFP die physischen Gesundheitsressourcen, beispielsweise durch die Beanspruchung verschiedener Muskelgruppen und der damit zusammenhängenden Auswirkungen auf andere Organe verbessern und die Balance oder das Wahrnehmungsvermögen fördern (vgl. Schönwälder 2003, 337; Strauß 2008, 33; Vernooij / Schneider 2018, 100 ff). Außerdem sollen die psychosozialen Gesundheitsressourcen beispielsweise mittels einer Steigerung des Wohlbefindens aufgrund der Verbundenheit mit der Natur verbessert werden können (vgl. Nestmann / Wesenberg / Beckmann 2016, 42) und Selbstvertrauen und Selbstsicherheit sollen erweitert werden (vgl. Struck / Gultom-Happe 2006, 25). Drittens können Risikofaktoren vermindert werden. Durch die körperliche Aktivierung beim Reiten können so beispielsweise behinderungsbedingte Folgeschäden oder die Entstehung oder Verschlechterung von Krankheiten verhindert werden (vgl. Otterstedt 2001, 154 und Strauß 2008, 16). Als vierter Aspekt ist die Unterstützung bei der Bewältigung gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu nennen. Besonders im Zusammenhang mit körperlichen Beeinträchtigungen wird eine Besserung erwartet, beispielsweise durch positive Auswirkungen bei spastischen Lähmungen wie sie etwa für Menschen mit MS im Rahmen der Hippotherapie nachgewiesen wurden (vgl. Vermöhlen / Schiller / Schickendantz et al. 2017, 1377 ff), aber auch bei Beeinträchtigungen im Aufmerksamkeitsverhalten (vgl. Hamsen 2003, 490 ff) ist dies hervorzuheben. Daneben könnte heilpädagogisches Reiten ebenfalls zu einer Milderung einer Epilepsie beitragen (vgl. Taubert 2009, 28). Zuletzt gehen Debuse, Riedel und Struck (2018, 137 f) davon aus, dass die HFP auch der Motivation zu Bewegung und gesundheitsförderlicher Aktivierung im Allgemeinen zuträglich ist. Eine Durchführung der HFP als Maßnahme der (betrieblichen) Gesundheitsförderung sollte dementsprechend möglich sein. Unter Umständen kann sie auch auf Grundlage des SGB V als settingorientierte Intervention der Prävention und Gesundheitsförderung finanziert werden (vgl. Wiese 2017, 77). Die HFP unter dem Aspekt der Berufsorientierung Weitere Möglichkeiten der Verortung der HFP in der WfbM sind die Vorbereitung auf Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Sektor des ersten Arbeitsmarktes und die Bereitstellung ausgelagerter Werkstattarbeitsplätze oder Praktika. Nach einem Bericht des Deutschen Bauernverbandes steht jeder zehnte Arbeitsplatz in Deutschland mit der Landwirtschaft in Verbindung (vgl. Deutscher Bauernverband e. V. (Hrsg.) 2019 / 2020). Die Landwirtschaft ist damit ein bedeutender potenzieller Arbeitsbereich nach Verlassen der WfbM. Die Vorbereitung innerhalb der Strukturen der WfbM auf künftige Tätigkeiten in der Pferde- und Landwirtschaft ist deshalb sinnvoll und könnte sowohl theoretisch als auch praktisch durch die direkte Arbeit auf der Reitanlage der HFP durchgeführt werden. Die HFP 18 | mup 1|2021 Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen Tabelle 1: Im Fachkonzept EV / BBB genannte Kompetenzen zur Persönlichkeitsentwicklung und Leistungssteigerung zu deren Förderung die HFP beitragen kann Vorgaben des Fachkonzept EV / BBB Förderung durch HFP Begründung Literaturverweis Soziale, kommunikative und interkulturelle Kompetenzen Kommunikationsfähigkeit Ja Ausdrücken eigener Wünsche, Einhalten von Grenzen und Regeln Kaune 2006, 67; Kröger 2010, 119 Kooperations- und Teamfähigkeit Ja Förderung von Kooperations- und Hilfsbereitschaft, Auseinandersetzung mit Wünschen und Grenzen anderer Teilnehmer Kaune 2006, 67; Kröger 2010, 119 Empathie Teilweise Einfühlen in die Bedürfnisse des Pferdes, möglicherweise Übertragung auf andere Lebewesen Hediger / Zink 2017, 100 ff; Kröger 2010, 119 Sprachkompetenz Ja Verbesserung der Sprachproduktion, der Sprachanbahnung und des Sprachverständnisses Strauß 2008, 31; Struck / Gultom-Happe 2006, 25 Verständnis und Toleranz für andere Kulturen Nein Umgang mit fremden und ungewohnten Verhaltensweisen Teilweise Erlernen eines angemessenen Sozialverhaltens in einer Gruppe, Veränderung der eigenen Rolle (z. B. durch gesteigertes Selbstvertrauen) Kaune 2006, 67; Kröger 2010, 119; Struck / Gultom-Happe 2006, 25 Methodische Kompetenzen Problemlösung Ja Pferd spiegelt das Verhalten des Menschen, hilft so dabei, gegenseitiges Verständnis herzustellen Schönwälder 2003, 335 Arbeitsorganisation Teilweise Im Kontext der Handlungsstrukturierung (Pferd erst striegeln vor dem Reiten, HFP in Arbeitsalltag unterbringen) Nestmann / Wesenberg / Beckmann 2016, 43 Lerntechniken Nein Einordnung und Bewertung von Wissen Nein Aktivitäts- und Umsetzungskompetenzen Selbstständige Aufgabenerledigung Ja Förderung Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen in eigene Fähigkeiten, Verbesserung Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit Hediger / Zink 2017, 107; Kaune 2006, 67; Struck / Gultom-Happe 2006, 25 Ausdauer Ja Verbesserung Muskeltonus Strauß 2008, 31 Durchhaltevermögen Ja Erhöhte Motivation Übungen mit dem Pferd zu schaffen Wohlfarth / Mutschler / Bitzer 2013, 190f Personale Kompetenzen Gesundheitskompetenz Ja Akzeptieren und Einhalten der eigenen gesundheitlichen Grenzen, Steigerung physischer und psychosozialer Gesundheitsressourcen, Minimierung von Risikofaktoren, Bewältigung von Beeinträchtigungen, Motivation zu gesundheitsförderlicher Aktivierung Debuse / Riedel / Struck 2018, 137 f; Nestmann / Wesenberg / Beckmann 2016, 42; Otterstedt 2001, 154; Schönwälder 2003, 337; Strauß 2008, 16 ff; Struck / Gultom-Happe Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen mup 1|2021 | 19 kann in diesem Zusammenhang sowohl das Interesse der WfbM-Beschäftigten am landwirtschaftlichen Bereich wecken, die Entstehung solcher Arbeitsplätze begünstigen (z. B. durch die Notwendigkeit der Versorgung der in der HFP genutzten Pferde) oder die Kooperation mit externen Betrieben fördern. Des Weiteren können ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze nach § 219 Abs. 1 SGB IX entstehen, auf denen sich die Beschäftigten in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes mit der Pflege und Haltung der Pferde befassen. Die WfbM muss solche Arbeitsplätze bereitstellen, um bei den Beschäftigten für den Übergang von der WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt erforderliche berufspraktische und soziale Kompetenzen zu entwickeln (vgl. BAGüS (Hrsg.) 2013, 73 f). Ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze im Kontext der Pflege und Versorgung von Pferden können die Kenntnisse der Beschäftigten in diesen Bereichen verbessern und eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ermöglichen bzw. die Übernahme durch das Unternehmen fördern. Des Weiteren könnten Ausbildungen oder berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen beispielsweise zum Beruf des Pferdewirtes mit dem Ziel der Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt angeboten werden (vgl. Debuse / Riedel / Struck 2018, 142 f). Gleiches gilt auch für Praktika in landwirtschaftlichen Betrieben des ersten Arbeitsmarktes, welche dazu beitragen sollen, die Arbeitsbedingungen auf dem ersten Arbeitsmarkt kennenzulernen, festzustellen, welche Hilfen seitens der WfbM für den endgültigen Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt noch notwendig sind und Aufschluss zu geben, ob diese Beschäftigung für die Beschäftigte bzw. den Beschäftigten in Frage kommen würde (vgl. BAGüS (Hrsg.) 2013, 72). Fazit Die obige Darstellung, die auf die WfbM als Ort der Teilhabe am Arbeitsleben fokussiert, zeigt, dass grundsätzlich alle drei Varianten des Einbezugs der HFP in die WfbM in Frage kommen. Die HFP kann als arbeitsbegleitende Maßnahme den geforderten inhaltlichen Anforderungen genügen und die Förderung der durch das Eingangsverfahren und den 2006, 25; Struck / Schäffer 2017, 74; Taubert 2009, 28; Vernooij / Schneider 2018, 100ff Selbsteinschätzung und Frustrationstoleranz Ja Steigerung Vertrauen in eigene Fähigkeiten, Erkennen eigener Grenzen Struck / Gultom-Happe 2006, 25; Struck / Schäffer 2017, 74 Selbstvertretungskompetenz Ja Erkenntnis eigener Fähigkeiten, Übernahme von Autonomie Struck / Schäffer 2017, 73 f Allgemeine Grundfähigkeiten Lebenspraktische Fähigkeiten Teilweise Anregung zu Selbstversorgung und Körperpflege, Umgang mit Pferden als Beispiel sinnvoller Freizeitgestaltung Nestmann / Wesenberg / Beckmann 2016, 43 Arbeitsplatzrelevante Fähigkeiten Teilweise Erkennen von möglichen Gefahren, Kennenlernen von relevanten Umgangsweisen und Werkzeugen für eine Beschäftigung im landwirtschaftlichen Bereich IT- und Medienfähigkeit Nein Anmerkung: Bei den Literaturverweisen handelt es sich nicht um (empirische) Originalstudien. 20 | mup 1|2021 Forum: Feldmann - Die Heilpädagogische Förderung in der Werkstatt für behinderte Menschen Berufsbildungsbereich zu entwickelnden Kompetenzen unterstützen. Dennoch ist die HFP aufgrund eines fehlenden Interesses oder körperlicher Einschränkungen nicht für jede Beschäftigte bzw. jeden Beschäftigten zur Erreichung dieser Ziele geeignet und kann nur in Kooperation mit anderen arbeitsbegleitenden Maßnahmen dem umfassenden Ziel der Teilhabe genügen. Die HFP als Maßnahme der Gesundheitsförderung in der WfbM kann sowohl im Bereich der Steigerung der physischen und psychosozialen Ressourcen, der Verminderung von Risikofaktoren in Bezug auf Krankheit, der Bewältigung gesundheitlicher Beeinträchtigungen als auch zu einer Steigerung der Motivation zu gesundheitsförderlicher Aktivierung beitragen. Allerdings muss genauestens abgewogen werden, ob nicht auch andere, kostengünstigere Sportangebote ähnliche gesundheitsfördernde Effekte erzielen können. Dies wäre immer dann der Fall, wenn die Person auch durch eine andere sportliche Aktivität angesprochen werden würde und auch in der Lage wäre, diese durchzuführen. In Bezug auf die HFP unter dem Aspekt der Berufsorientierung sind eine Thematisierung und praktische Durchführung von landwirtschaftlichen Arbeitsabläufen innerhalb der WfbM gleichermaßen wie die Kooperation mit externen Betrieben im Sinne ausgelagerter Werkstattarbeitsplätze oder Praktika erstrebenswert. Die HFP kann in diesem Kontext das Interesse an landwirtschaftlichen Arbeiten wecken und eine Kooperation zwischen der WfbM und anderen Betrieben fördern. Für die Zukunft wäre wünschenswert, wenn sich Projekte der Integration der HFP in Abläufe der WfbM etablieren und es zu weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in diesem Feld kommt. Literatur ■ Altgeld, T., Kolip, P. (2018): Konzepte und Strategien der Gesundheitsförderung. In: Hurrelmann, K., Richter, M., Klotz, T., Stock, S. (Hrsg.): Referenzwerk Prävention und Gesundheitsförderung. Grundlagen, Konzepte und Umsetzungsstrategien. 5. Aufl. Hogrefe, Bern, 57-72 ■ BAGüS (Hrsg.) (2013): Werkstattempfehlungen. 4. Aufl. 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