mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2021.art12d
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Praxistipp: Therapiepferdeausbildung
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Jennifer Zender
In diesem Praxistipp möchte ich über den Nutzen und die Relevanz von Bodenarbeitsübungen im Gelände im TherapiepferdeTraining schreiben.
Bodenarbeit trainiert das Pferd ebenso effektiv wie ein Training unter dem Sattel. Zum Teil sind der Muskelaufbau und das Konditionstraining vom Boden aus sogar effektiver, weil das Pferd nicht durch zusätzliches Gewicht auf dem Rücken beeinträchtigt und durch den Reiter aus der Balance gebracht wird. Deswegen sollten „Trainingsspaziergänge“ zur Ausbildung eines Therapiepferdes immer dazugehören. In diesem Beitrag beschreibe ich viele Übungen, die einen einfachen gemeinsamen Spaziergang zu einem Trainingsspaziergang werden lassen. Die Übungen schulen das propriozeptorische System (Wahrnehmung der Tiefensensibilität), trainieren verschiedene Muskelgruppen und verbessern die Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
Bodenarbeit im Gelände bietet interessante Abwechslung, von der Mensch und Pferd in ihrem Trainingsalltag profitieren können.
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80 | mup 2|2021|80-85|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2021.art12d Jenny Zender Praxistipp Therapiepferdeausbildung Kreatives Bodenarbeitstraining in der Natur In diesem Praxistipp möchte ich über den Nutzen und die Relevanz von Bodenarbeitsübungen im Gelände im TherapiepferdeTraining schreiben. Bodenarbeit trainiert das Pferd ebenso effektiv wie ein Training unter dem Sattel. Zum Teil sind der Muskelaufbau und das Konditionstraining vom Boden aus sogar effektiver, weil das Pferd nicht durch zusätzliches Gewicht auf dem Rücken beeinträchtigt und durch den Reiter aus der Balance gebracht wird. Deswegen sollten „Trainingsspaziergänge“ zur Ausbildung eines Therapiepferdes immer dazugehören. In diesem Beitrag beschreibe ich viele Übungen, die einen einfachen gemeinsamen Spaziergang zu einem Trainingsspaziergang werden lassen. Die Übungen schulen das propriozeptorische System (Wahrnehmung der Tiefensensibilität), trainieren verschiedene Muskelgruppen und verbessern die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Bodenarbeit im Gelände bietet interessante Abwechslung, von der Mensch und Pferd in ihrem Trainingsalltag profitieren können. Übungen Führtraining im Gelände Führe dein Pferd aus verschiedenen Führpositionen. Versichere dich aber immer, dass du noch genügend Einwirkung auf dein Pferd hast. Gerne lege ich bewusste Tempiwechsel innerhalb des Schrittes ein. Diese schulen die Aufmerksamkeit des Pferdes und können eine Gewichtsverlagerung von vorne nach hinten erzielen. Das bedeutet, wenn ich schneller gehe, soll mein Pferd auch schneller gehen. Wenn ich langsamer werde, soll sich das Pferd meinem Tempo anpassen. Lange und ausgedehnte Spaziergänge im Schritt helfen, die Ausdauer des Pferdes zu verbessern und sein Herz-Kreislauf-System zu aktivieren. Führe dein Pferd sowohl auf der linken als auch auf der rechten Hand. Du kannst dein Pferd auch im Gelände ein wenig longieren. Damit es einen Trainingseffekt hat, achte darauf, dass sich dein Pferd korrekt biegt. Schaue dafür nicht nur auf den Hals deines Pferdes, sondern unbedingt auch auf die Hinterhand. Eine korrekte Biegung geht immer durch den gesamten Pferdekörper. Mache erst Spaziergänge mit deinem Pferd, wenn ein gewisser Grundgehorsam sowie ein Vertrauen zwischen euch vorhanden ist. Zudem erkundige dich bei deinem Versicherer, wie dein Pferd gezäumt werden sollte. Manche schreiben die Nutzung einer Trense mit Gebiss vor. Dann sollte diese auch genutzt werden, damit im Schadensfall die Kosten auch von der Versicherung übernommen werden. ACHTUNG: Praxistipp: Zender - Therapiepferdeausbildung mup 2|2021 | 81 Lasse deiner Kreativität dabei freien Lauf: Für die Tiefenwahrnehmung deines Pferdes ist es wichtig, dass die Propriozeptoren vielfältige Informationen bekommen. Besonders angeregt werden sie durch Bewegung und das Laufen über unterschiedliche Untergründe. Tritt dein Pferd im Gelände auf eine Baumwurzel, dann merken dies die Rezeptoren und melden, dass es ein Ungleichgewicht in den Gelenken gibt. Daraufhin erhalten die zuständigen Muskeln den Befehl zur Stabilisierung. Achte also bei deinem nächsten Trainingsspaziergang darauf, dass du dein Pferd auf den verschiedensten Untergründen führst. Lasse es gerne über Wurzeln steigen, führe es durchs Wasser, wechsle vom Schotterweg auf einen Sandabschnitt und dann wieder auf eine Wiese und nimm am besten noch jeden kleinen Hügel mit. Übergänge Zum Beispiel: Aus dem Schritt in den Trab, zurück in den Schritt und über den Halt wieder in den Trab. Achte dabei darauf, dass die Übergänge immer weicher und feiner werden. Diese Lektion der Übergänge, die du vielleicht aus der Dressurarbeit vom Reitplatz kennst, ist ebenfalls sinnvoll, wenn du sie vom Boden aus im Gelände trainierst. Lasse solche Übergänge immer wieder in den Trainingsspaziergang einfließen. Sie sorgen dafür, dass dein Pferd mit seiner Aufmerksamkeit ganz bei dir ist. Sie fördern auch die Losgelassenheit, Durchlässigkeit und Balance. Zudem ist es ein gutes Training für die Hinterhand: im Moment des Übergangs nimmt die Hinterhand vermehrt Last auf. Tipp: Mir hilft es, wenn ich mir im Gelände einen Baum als Startpunkt nehme und einen weiteren als Endpunkt. Slalom um Bäume Nutze Bäume und Büsche, um dein Pferd an der Hand richtig zu stellen und zu biegen. Laufe einfach kreuz und quer um Bäume herum. Dabei muss das Pferd gut aufpassen, um mitzukommen, da es den Weg, den du einschlägst, Abb. 1: Verschiedene Untergründe schulen die Wahrnehmung und das Gleichgewicht Abb. 2: Wurzeln sind natürliche Herausforderungen Abb. 3: Gelassenheitstraining inklusive: Führe dein Pferd auch über Brücken & Co. Abb. 4: Slalom um Bäume und über Äste 82 | mup 2|2021 Praxistipp: Zender - Therapiepferdeausbildung nicht erahnen kann. Gleichzeitig muss es sich biegen, um zwischen den Stämmen durchzukommen - das erfordert Gelassenheit und eine entspannte Stimmung zwischen dir und deinem Pferd. Freue dich, wenn dir dein Pferd neugierig, motiviert und vertrauensvoll folgt. Ihr erlebt etwas gemeinsam, das stärkt die Beziehung und Bindung. Äste und Baumstämme kreativ nutzen Dicke Baumstämme dienen wunderbar zur Gymnastizierung. Vorwärts, rückwärts und auch gerne seitwärts, kannst du sie verschieden einsetzen auf eurem Trainingsspaziergang - quasi Cavalettiarbeit in der Natur. Lasse dein Pferd zum Beispiel nur einen Huf zur Zeit über einen Ast setzen. So wird dein Pferd auch kognitiv angeregt, aktiv mitzuarbeiten. Die Kommunikation am Boden wird gefördert, feine Hilfen können überprüft und gefestigt werden. Wer es schafft, sein Pferd langsam Schritt für Schritt über ein ihm unbekanntes, natürliches Hindernis zu manövrieren, hat zum einen etwas für die Muskulatur des Pferdes getan, zum anderen aber auch für die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Optimal ist es, wenn das Pferd den langen Rückenmuskel dabei aufwölbt und die Unterhalsmuskulatur entspannt. Eine weitere Übung ist, das Pferd selbstständig am langen Strick durch oder über ein Hindernis oder dichtes Unterholz zu schicken. Mit der Zeit wird es lernen, sich seinen Weg selber zu suchen und Unebenheiten trittsicher auszubalancieren. Sicherheit geht allerdings immer vor! Achte auf Löcher und andere Gefahren. Die Naturtreppe Nutze auch natürliche Stufen in der Natur und lasse dein Pferd rauf- und runtersteigen. Das kräftigt die Muskulatur deines Pferdes und verlangt jede Menge Koordination und Beweglichkeit. Bergauf und bergab - nutze alle Hügel und Steigungen in der Natur Wenn du Berge oder Hügel in deinem Gelände hast, hast du ein großartiges Trainingstool direkt vor der Stalltür. Berge hoch- und herunterzuklettern ist eine Art Fitness-Studio für dein Pferd. Das Überwinden Abb. 5: Fuß über Baumstamm Abb. 6: Führen durch Wasser Praxistipp: Zender - Therapiepferdeausbildung mup 2|2021 | 83 von Hügeln, Hängen und Bergen trainiert die Muskulatur des Pferdes, stärkt Sehnen und Gelenke und fördert seine Trittsicherheit. Um das Training so effektiv wie möglich zu gestalten, achte auf folgende Tipps: Bergauf: Bergauf zu gehen ist ohne Zweifel nicht nur für dein Pferd, sondern auch für dich ein gutes Muskel- und Kreislauftraining. Eine Steigung braucht mehr Kraft, vorwiegend mehr Schubkraft aus der Hinterhandmuskulatur. Bergauf muss die Hinterhand kräftig schieben. Das verbessert die sogenannte Schubkraft. Durch die Neigung eines Anstieges wird die Vorhand leichter und die Last sollte sich stärker auf das hintere Körperdrittel übertragen. Damit das passiert, lasse dein Pferd langsam, aber energisch aus der Hinterhand heraus treten. Achte darauf, dass der Hals beziehungsweise die Kopfhaltung nicht zu tief ist, damit das Pferd die Last nicht doch auf die Vorhand legt. Dennoch benötigt dein Pferd genügend Freiheit im Hals, um sich auszubalancieren. Bergab: Auch hier empfiehlt es sich darauf zu achten, mit deinem Pferd eher langsam, aber dennoch aktiv und gerade nach unten zu laufen. Lasse dein Pferd für einen Trainingseffekt bergab nicht schneller werden. So wird es seine Hinterhand weit unterschieben und gleichzeitig wölbt sich der Rücken auf. Eine optimale Gymnastik für die gesamte Oberlinie, besonders aber für den Bereich der Lendenwirbelsäule und der Hinterhand. Dennoch benötigt dein Pferd „lange Zügel“ beim Bergabgehen. Es muss immer die Möglichkeit haben, sich mit seinem Hals auszubalancieren. Beim Bergab tritt die Hinterhand grundsätzlich mehr unter den Körper, um das Gewicht des Pferdes abzufangen. Das hat einen versammelnden Effekt. Die Hinterhand trainiert man also bergab in Richtung Tragkraft. Somit wird durch das Bergauf und Bergab ständig zwischen Schub- und Tragkraft gewechselt. Zudem werden auch die Propriozeptoren durch die vielfältigen Reize optimal angesprochen. So lernt das Pferd auch, sich durch die variantenreichen Situationen im Raum besser auszubalancieren. Rückwärts den Berg/ den Hang rauf Rückwärtstreten stellt selbst auf ebenem Untergrund eine sehr anspruchsvolle, aber auch gleichzeitig eine sehr effektive Lektion dar. Aber rückwärts ist Abb. 7: Bergauf - Training für Mensch und Pferd Loben! Immer wieder loben! Ehrlich und aufrichtig. Streicheln, Kraulen an den Lieblingsstellen, Stimmlob und manchmal auch ein Leckerli bei großen Herausforderungen und tollen Momenten. Denn so erarbeitet man sich auch Motivation und Bewegungsfreude bei seinem Pferd. Trainiere dein Pferd ohne Zwang, ohne Druck, nutze positive Verstärkung, habe auch du Spaß und Freude an den Übungen und sei motiviert. Ich verspreche dir, deine Freude überträgt sich direkt auf dein Pferd. Das Wichtigste bitte nie vergessen: 84 | mup 2|2021 Praxistipp: Zender - Therapiepferdeausbildung nicht gleich rückwärts, daher hier eine Orientierung wie ein korrektes „Rückwärts“ aussehen sollte: dies geschieht mit einem aufgewölbten Rücken. Die Hinterbeine treten dabei nach vorne unter den Bauch, die Hanken werden gebeugt. Der Brustkorb und Widerrist werden nach oben gehoben. Die Vorderbeine sind entlastet und frei. Das Rückwärts wird dabei je nach Steigungsgrad am Hang erschwert und fordert dem Pferd viel Kraft ab. Ein Training, wie es meiner Meinung nach in der Reithalle kaum nachzureiten ist. Wichtiger Hinweis: Das Pferd sollte unbedingt vorher aufgewärmt sein und die Übung nur in Maßen und je nach Ausbildungsstand ausgeführt werden. Sie ist wirklich anstrengend und kann auch zum Muskelkater beim Pferd führen. Einen Baumstumpf als Podest verwenden Die Arbeit am Podest kräftigt und dehnt die gesamte Muskulatur des Pferdes. Weshalb also dieses Training nicht auch ins Gelände verlegen? Wenn dein Pferd die Podestarbeit kennt, kannst du nach „Podesten“ in der Natur Ausschau halten. Der Aufstieg auf das Podest, oder in unserem Fall den Baumstumpf, erfolgt in der Regel aus dem Stand. Das erfordert Kraft. Wenn dann die Vorderbeine erhöht stehen, müssen die Hinterbeine fast das gesamte Pferdegewicht tragen. Das Pferd muss sich auf dem Baumstumpf gut ausbalancieren. Somit wird bei dieser Übung auch die Balancefähigkeit deines Pferdes geschult und gefördert. Die Hufe müssen präzise und kontrolliert gesetzt werden. Zudem muss es seine Kraft dabei richtig dosieren, um auf das „Podest“ zu treten. Meiner Erfahrung nach bringt Pferden diese Übung viel Spaß. Die Pferde ent- Abb. 8: Ein Baumstumpf als Podest Abb. 9: Vertrauenstraining am Podest Abb. 10: Sicherer Stand muss gewährleistet sein Praxistipp: Zender - Therapiepferdeausbildung mup 2|2021 | 85 wickeln ein gutes Körpergefühl und dadurch wächst auch ihr Selbstbewusstsein. Seitwärts, rückwärts, Seitengänge, Hinterhand- und Vorhand- Wendungen All diese Übungen lassen sich selbstverständlich ebenfalls im Trainingsspaziergang einfließen. Klassische Handarbeit im Gelände Auch die klassische Handarbeit kann man ebenfalls mit in den Trainingsspaziergang einfließen lassen. Mit der klassischen Handarbeit können wir auch im Gelände unser Pferd vom Boden aus in Anlehnung, Biegung und sogar in Versammlung (je nach Ausbildungsstand) trainieren. Ich wünsche euch viel Spaß bei eurem nächsten Abenteuer Trainingsspaziergang! Abb. 12: Loben nach getaner Arbeit Abb. 13: Kraulen an der Lieblingsstelle Abb. 11: Longieren aus verschiedenen Positionen Die Autorin Jenny Zender Jennifer Zender ist staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin und Fachkraft in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (DKThR) mit einem Trainer C Voltigieren Basissport (FN). Sie arbeitet zurzeit in einer kleinen heilpädagogischen Einrichtung im Herzen Hamburgs. Kontakt jennyglitza@googlemail.com
