eJournals mensch & pferd international 14/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Thema: Haftung Reitbetriebe / Therapiebetriebe?

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2022
Daniela Lemke
Es sollte ein schöner Tag werden. Während die Mutter ihre Einheit therapeutisches Reiten hatte, nahm ihre Tochter eine Reitstunde - wie schon so oft in ihrem Reitverein. Beide sind keine Anfänger mehr, die Reithalle ist bekannt und die Pferde kennen sie auch. Was alle Beteiligten nicht ahnen können: Für eine der Damen endet der Ausflug erst im Krankenhaus und letztendlich dann vor Gericht.
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16 | mup 1|2022|16-19|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2022.art04d Daniela Lemke Recht & Sicherheit Thema: Haftung Reitbetriebe / Therapiebetriebe? Es sollte ein schöner Tag werden. Während die Mutter ihre Einheit therapeutisches Reiten hatte, nahm ihre Tochter eine Reitstunde - wie schon so oft in ihrem Reitverein. Beide sind keine Anfänger mehr, die Reithalle ist bekannt und die Pferde kennen sie auch. Was alle Beteiligten nicht ahnen können: Für eine der Damen endet der Ausflug erst im Krankenhaus und letztendlich dann vor Gericht. Die Frage, die sich in dem eingangs beschriebenen Fall stellt, lautet: Wer haftet, wenn man sich für Therapieeinheiten / Reitstunden Pferde ausleiht oder wenn auf Reitschulpferden Reitbeteiligungen vergeben werden - und es passiert etwas? Allgemeines Zunächst betrachten wir die rechtliche Grundlage, die dem Fall zugrunde liegt: BGB § 833 Haftung des Tierhalters Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorg falt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorg falt entstanden sein würde. Kurz zusammengefasst bedeutet das: Als Tierhalter eines Pferdes haftet man verschuldensunabhängig für die durch sein Tier verursachten Schäden. Das bedeutet, wenn das Pferd z. B. durchgeht und die Reitbeteiligung dadurch vom Pferd fällt und zu Schaden kommt, haftet der Tierhalter. Ich rede hier ausdrücklich nicht von Schäden, die durch unmotivierte, reflexartige Bewegungen des Tieres oder durch menschliches Fehlverhalten entstanden sind, sondern von Schäden aufgrund typischer Tiergefahr, z. B. dem Scheuen und Durchgehen eines Pferdes bei einem lauten Geräusch. Der Gesetzgeber wollte mit der verschuldensunabhängigen Haftung der in jedem Tier innewohnenden Tiergefahr ausreichend Rechnung tragen. Bei dieser Gefährdungshaftung haftet der Tierhalter, wie schon gesagt, ohne konkretes Verschulden. Aber wer ist Tierhalter des Pferdes? Tierhalter nach Maßgabe des Paragraphen 833 BGB ist, wer „die tatsächliche Bestimmungsmacht über das Tier übernimmt, aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt, den allgemeinen Wert und Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und letztlich auch das Risiko seines Verlustes trägt“. Hierbei ist die Frage nach dem Eigentum irrelevant. Tierhalter kann somit jede Privatperson sein, aber auch jede unternehmerisch handelnde Person, wie etwa eine Therapieeinrichtung oder ein Reitschulbetrieb. Recht & Sicherheit: Lemke - Thema: Haftung Reitbetriebe / Therapiebetriebe? mup 1|2022 | 17 Reitbeteiligung Vielen Pferdehaltern fehlt schlicht die Zeit oder manchmal auch das Geld, um sich vollumfänglich um ihr Pferd zu kümmern. Um einen Verkauf des geliebten Tieres zu vermeiden, suchen sich viele Tierhalter eine Reitbeteiligung. Eine Reitbeteiligung ist somit eine Mitnutzerin des Pferdes gegen Bezahlung und / oder gegen Arbeitsleistung in Form von Füttern, Misten etc. Aber was bedeutet denn eine Reitbeteiligung aus vertraglicher Sicht? Hierüber machen sich die Beteiligten in der Regel keine oder zu wenig Gedanken und schnell wird dann der Ruf nach Entschädigung laut, wenn das bis dahin immer liebe und brave Pferd einen Schaden an der Reitbeteiligung verursacht hat. Dann ist das Pferd unvermittelt doch nicht mehr lieb und brav und die Reitbeteiligung nimmt den Tierhalter in die Haftung, kurz: man sieht sich vor Gericht. Damit ist er schnell und unerwartet aus, der Traum des Pferdehalters von reduzierten Kosten und Arbeitserleichterung, und die Erkenntnis, dass ein schriftlicher Vertrag und eine gute sowie mit Bedacht abgeschlossene Versicherung viel Ärger erspart hätte, wird - leider oft zu spät - immer klarer. Nicht umsonst heißt es, Vertrag kommt von vertragen. Da es keine gesetzlichen Bestimmungen zu einem Reitbeteiligungsvertrag gibt, können die Parteien den Vertrag frei ausgestalten. Ich rate immer dazu, einen Vertrag schriftlich zu fixieren, da sich an mündliche Absprachen im Zweifelsfall nicht gehalten oder erst gar nicht mehr erinnert wird. Zudem gelingt der gerichtsfeste Nachweis einer mündlichen Vereinbarung in der Regel nie. Es ist den Parteien daher dringend anzuraten, die Rechte und Pflichten eines jeden Beteiligten genau zu definieren und schriftlich zu fixieren. Im Großen und Ganzen müssen hauptsächlich die W-Fragen beantwortet werden: Wer darf was , wann und wie zu welchem Preis. Was passiert, wenn sich eine Partei nicht an die Absprache hält, wie verhält es sich im Falle der Krankheit des Pferdes mit dem Entgelt, wie sind die Kündigungsfristen - und ganz wichtig : die Frage der Haftung! Neben der durchaus berechtigten Frage, ob denn die Reitbeteiligung auch gegenüber dem Pferdehalter für die von ihr verursachten Schäden aufzukommen hat, ist zwingend die Frage der Haftung des Tierhalters gegenüber der Reitbeteiligung zu klären. Das ist gerade auch dann wichtig, wenn die Reitbeteiligung minderjährig ist. In diesem Fall sind einige Besonderheiten zu beachten, unter anderem muss der Vertrag in jedem Fall von den Eltern als gesetzliche Vertreter unterzeichnet werden. Neben einem solchen schriftlichen Vertrag, der an sich schon viele unliebsame Überraschungen verhindert, sollte der private Tierhalter auch eine Tierhalterhaftpflichtversicherung unterhalten. Eine Versicherung, die neben dem sogenannten „Gast- und Fremdreiterrisiko“, also den Schäden, die aus einem unentgeltlichen bzw. nur gelegentlichen Fremdreiten oder Ausleihen des Pferdes entstehen, auch zusätzlich die Schäden an einer regelmäßigen Reitbeteiligung umfasst und ausreichend abdeckt. Ausleihen privat gehaltener Pferde an einen Reitbetrieb Es kommt aber auch vor, dass der private Tierhalter das Pferd regelmäßig oder für eine bestimmte Zeit einem Reitbetrieb oder einer Therapieeinrichtung zur Nutzung zur Verfügung stellt. Was viele dabei übersehen: Dies ändert nichts an der Haftung des Tierhalters! Der Tierhalter haftet gegenüber dem Reitbetrieb, wenn sein Pferd bspw. Eigentum des Betriebs beschädigt, und gegenüber Dritten, zum Beispiel gegenüber eines verunfallten Reitschülers. Das muss man sich in etwa so vorstellen, als würde man sein Auto an einen guten Freund verleihen, dieser verursacht einen Unfall und Sie als Halter des Fahrzeugs stehen dann selbst in der Haftung, obwohl Sie den Unfall weder verursacht haben, noch überhaupt in der Nähe gewesen sind. 18 | mup 1|2022 Recht & Sicherheit: Lemke - Thema: Haftung Reitbetriebe / Therapiebetriebe? Dieser Umstand kann zu durchaus ungerechten Ergebnissen führen und daher ist auch hier dem Tierhalter dringend geraten, einen schriftlichen Vertrag mit dem Betrieb zu schließen, der dann ganz klar und rechtlich sicher die Haftung im Innenverhältnis, also zwischen Tierhalter und Betrieb, regelt. In diesem Fall kann man durchaus in Erwägung ziehen, den Betrieb zum Mithalter oder zum alleinigen Tierhalter des Pferdes zu machen. Letzteres empfiehlt sich sogar, wenn man sein Pferd in der Vertragslaufzeit selbst nicht nutzen möchte. Dieses Vorgehen hat den großen Vorteil, dass der Betrieb keine eigenen Ansprüche gegen den Tierhalter geltend machen kann, weil er selbst dann der Tierhalter ist und gegenüber möglicherweise geschädigten Reitschülern auch selbst haftet. Hierbei ist es übrigens sehr wichtig, dass der Tierhalter seiner Tierhalterhaftpflichtversicherung mitteilt, dass er sein Pferd zur regelmäßigen / dauerhaften Nutzung einem Reitbetrieb überlässt, damit auch dieses Risiko versichert wird. In der Regel wird der Vertrag gegen einen geringen Aufpreis angepasst. Reitbeteiligung an gewerblich gehaltenen Pferden, Reitstunden oder therapeutischem Reiten Eingangs hatte ich ja schon erläutert, dass ein privater Tierhalter verschuldensunabhängig für durch die Tiergefahr verursachte Unfälle haftet. Im Unterschied dazu kann sich ein Tierhalter gewerblich gehaltener Tiere von der Haftung befreien, wenn er einerseits beweisen kann, dass der Schaden durch ein Haustier verursacht wurde, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und andererseits, dass entweder der Tierhalter selbst bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Jetzt kommen wir auf den anfangs geschilderten Fall zurück. Der Tag auf dem Reitplatz endete nämlich vor Gericht mit einer Klage der verletzten Reiterin auf Schadensersatz gegen die Tierhalter. Das OLG Hamm hatte 2009 zu entscheiden, ob die streitbeteiligten Pferde Nutztiere im Sinne des § 833 S. 2 BGB sind und den beiden Haltern die Entlastungsmöglichkeit eröffnet ist. Streit- und damit unfallbeteiligt waren das Vereinspferd „S2“, das im Verein dauerhaft zum therapeutischen Reiten eingesetzt und von der Klägerin an diesem Tag genutzt wurde und das Pferd „Q“, welches vom Tierhalter des Pferdes für die Reitstunden im Nebenerwerb verwendet und von der Tochter der Klägerin geritten wurde. Der genaue Hergang des Reitunfalls ist zwischen den Parteien streitig. Während die Klägerin angegeben hat, Q sei unerwartet stehen geblieben und habe gegen den auflaufenden S2 mit der Hinterhand ausgekeilt, worauf dieser dann durchgegangen sei, haben die Beklagten angegeben, dass die Klägerin durch hysterische Zurufe an ihre Tochter ihr Pferd S2 zum Galopp veranlasst habe. Erst als sie mit S2 im Galopp Q in zu geringem Abstand überholt habe, habe dieses „den Schweif gedreht“, aber nicht ausgeschlagen. Im Ergebnis jedenfalls ist die Klägerin vom Pferd gefallen und hat sich erheblich an der Wirbelsäule verletzt. Klageweise hat sie Schadensersatz gegen den Halter von Q und S2 geltend gemacht. Die Klägerin hatte tatsächlich Erfolg. Sie obsiegte in der Berufungsinstanz gegen beide Beklagte, denn der Reitlehrer konnte nicht beweisen, dass er das Pferd in Ausübung seiner hauptberuflichen Tätigkeit verwendet hatte und auch dem Verein gelang der Entlastungsbeweis nicht. Beruf im Sinne des § 833 S. 2 BGB ist - selbst ohne dass der Betreffende auf seine Ausübung wirtschaftlich angewiesen ist - eine fortdauernde, selbstgewählte und den Lebenszweck eines Menschen bildende Tätigkeit. Dies ist, so führt das OLG Hamm aus, allerdings nicht anzunehmen, wenn man die (therapeutischen) Reitstunden gelegentlich im Nebenerwerb oder als Hobby ausübt. Geringe Einnahmen aus der Tätigkeit weisen auf einen nur untergeordneten zeitlichen Umfang dieser Tätigkeit hin und sprechen gegen eine berufliche Tätigkeit. In diesem Fall haftet der Reitlehrer als Tierhalter verschuldensunabhängig für die durch sein Tier verursachten Schäden. Er kann sich nicht entlasten. Auch dem Reitverein, der satzungsgemäß therapeutisches Reiten anbietet, ist die Entlastung nach § 833 S. 2 BGB verschlossen, wenn die Haltung von Pferden nicht der Erzielung von wirtschaftlichem Gewinn Recht & Sicherheit: Lemke - Thema: Haftung Reitbetriebe / Therapiebetriebe? mup 1|2022 | 19 dient. Das ist bei einem sogenannten Idealverein regelmäßig nicht der Fall. Dass die von einem Verein gehaltenen Pferde als grundsätzliche „Luxustiere“ auch einem erwerbswirtschaftlichen Nebenzweck dienten, hat indes schon der Bundesgerichtshof ausdrücklich nicht als ausreichend zur Eröffnung der Entlastungsmöglichkeit angesehen. Erforderlich ist dafür vielmehr, dass der Halter das Pferd nicht (nur) zur Ausübung des Reitsports nutzt, sondern seine hauptsächliche Zweckbestimmung dem Erwerb dient. Zur anerkannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört, dass Tiere, die ein Idealverein zu einem Gebrauch durch seine Mitglieder hält, keine Nutztiere sind, wenn dieser Gebrauch - wären die Mitglieder selbst Tierhalter - nicht die Voraussetzungen des § 833 S. 2 BGB erfüllte, z. B. die von einem Idealverein gehaltenen Reitpferde, die den sportlichen Zwecken seiner Mitglieder zu dienen bestimmt sind. Dass die Haltung zu diesem Zweck auf den Verein verlagert wurde, der damit seinerseits zwar seiner satzungsgemäßen Aufgabe nachkommt, aber keinen Gewinn erstrebt, ändert daran nichts. Die Pferde werden dadurch, dass die Haftung auf den Verein verlagert ist, nicht zu Nutztieren im Sinne des § 833 S. 2 BGB. Es kommt darauf an, ob diese Zwecke der Einnahmenerzielung dienen. Nur dann läge auch eine von § 833 S. 2 erfasste Zweckbestimmung vor, was bei einem Idealverein aber, wie schon ausgeführt, regelmäßig nicht der Fall ist. Auch wenn ein Vereinsmitglied persönlich Halter von S2 für eigenes, therapeutisches Reiten gewesen wäre, ist ihm trotzdem die Entlastungsmöglichkeit verschlossen. Das ist für einen Idealverein, dessen Zweck es ist, seinen Mitgliedern das therapeutische Reiten zu ermöglichen, analog der BGH-Rechtsprechung nicht anders. Hier wird „Luxus“-Tierhaltung nur gebündelt. Nur wenn das Pferd dem Beruf dient, ist dem Tierhalter die Entlastungsmöglichkeit eröffnet und er kann sich von einer Haftung freisprechen, wenn er beweisen kann, dass ihn an einem Unfall keine Schuld trifft. Für eine Reitbeteiligung oder den Reiter eines gewerblich gehaltenen Pferdes bedeutet dies, dass er eventuell keine Schadensersatzansprüche gegen den Reitlehrer / Betrieb hat. In diesem Fall ist es dringend empfohlen, das Risiko „Reiten“ durch den Abschluss einer eigenen Unfallversicherung soweit wie möglich abzudecken. Die Autorin Daniela Lemke (*1980) ist Rechtsanwältin und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen. Ihre Leidenschaft hat die begeisterte Pferdehalterin, Reiterin, Kutscherin und Sachverständige zu ihrem Beruf gemacht und arbeitet in ihrem Spezialgebiet „Pferderecht“ deutschlandweit. In ihrer Facebook-Gruppe „Pferderecht“ beantwortet sie zudem täglich als kompetente Ansprechpartnerin Rechtsfragen rund um das Thema Pferd. Kontakt Rechtsanwältin Daniela Lemke · Mainzer Landstraße 13 65589 Hadamar · Telefon 06433 / 93020 Telefax 06433 / 930229 · www.info@lemke-kanzlei.de Ein Tierhalter haftet verschuldensunabhängig, auch wenn es sich um teilweise beruflich bzw. gewerblich genutzte Tiere handelt, auch ein Verein ist ein solcher haftender Tierhalter. Um die rechtlichen „Überraschungen“ im Streitfall zu minimieren, empfiehlt es sich dringend, bei einer regelmäßigen Reitbeteiligung / Nutzungsüberlassung einen entsprechenden Vertrag abzuschließen und in jedem Fall die passenden Versicherungen vorzuhalten. Fazit