mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Die natürliche Schiefe
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Theresa Schlederer
Die natürliche Schiefe des Pferdes ist ein Phänomen, von welchem jede/r PferdekennerIn bereits gehört hat und vor allem etwas, das wohl jede/r ReiterIn am Pferd sitzend bereits gespürt hat. Umso wichtiger ist es, dieser Thematik auch die notwendige Bedeutsamkeit in der Pferdeausbildung zuzugestehen.
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26 | mup 1|2022|26-28|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2022.art06d Stichwort Die natürliche Schiefe Theresa Schlederer Die natürliche Schiefe des Pferdes ist ein Phänomen, von welchem jede / r PferdekennerIn bereits gehört hat und vor allem etwas, das wohl jede / r ReiterIn am Pferd sitzend bereits gespürt hat. Umso wichtiger ist es, dieser Thematik auch die notwendige Bedeutsamkeit in der Pferdeausbildung zuzugestehen. Die natürliche Schiefe - eine kurze Einführung Gleichsam dem Menschen könnte man auch beim Pferd von einer gewissen Händigkeit sprechen, mit der es auf die Welt kommt, wobei sich in der Pferdewelt Begriffe wie „die natürliche Schiefe“, „Händigkeit“ und „Hohle vs. Steife Seite“ etabliert haben. Bereits Antoine de Pluvinel, Reitlehrer von König Ludwig XIII, diskutierte mit seinem damaligen Schüler im 16. Jahrhundert um die Ursachen und Hintergründe, warum sich ein Pferd auf die linke Hand lieber als auf die rechte wenden lässt (Zich / Ohms 2007, 117). Das Problem der Schiefe des Pferdes ist also kein neues, sondern wurde seit jeher und von vielen großen Reitmeistern diskutiert, wobei es hier bezogen auf bevorzugte Händigkeitsseite und auch Begrifflichkeiten unterschiedliche Ansichtspunkte gegeben hat und die Nomenklatur in der Literatur uneinheitlich bis widersprüchlich verwendet wird (Rehren 2018, 27 ff). Die natürliche Schiefe ist also ein altbekanntes Problem, und die Ursachen für ebendieses Phänomen wurden und werden untersucht, jedoch gibt es bis heute keine Theorie, welche als allgemeingültig betrachtet werden könnte. Als ursächlich gesehen werden in manchen Theorien die Gehirnhälften, welche über Händigkeit entscheiden, die Lage im Mutterleib, der menschliche Umgang und nicht zuletzt die anatomische Ursache, dass das Pferd in seiner Hüfte breiter als in der Schulter ist (Zich / Ohms 2007,118). Des Weiteren werden Gründe wie mangelnde Balance, Bewegungsgewohnheiten, cerebral bedingte Populationslateralität und andere angeführt (Rehren 2018, 44). Welche Ursachen tatsächlich ausschlaggebend sind und welche man als reine Folgeerscheinung betrachten kann, ist bis dato nicht geklärt. Die natürliche Schiefe - Symptome Das augenscheinlichste Symptom der natürlichen Schiefe ist das Unvermögen des Pferdes, mit den Hinterhufen in die Spur der Vorderhufe zu treten, obwohl es sich auf einer geraden Linie bewegt. Betrachtet man nun also ein Pferd von hinten, so könnte man bei einem linksschiefen Pferd feststellen, dass das rechte Hinterbein zwischen die Spur der Vorderbeine tritt, während das linke Hinterbein links an der Spur der Vorderbeine vorbeischreitet. Damit einhergehend kommen den Hinterbeinen des Pferdes ungleiche Bedeutungen zu (Zich / Ohms 2007, 120). Würde man die Fußabdrücke eines solchen Pferdes auf weichem Untergrund genauer betrachten, könnte man feststellen, dass die Abdrücke nicht gleichmäßig tief in den Untergrund eingedrückt sind. Bei sehr stark schiefen Pferden lässt sich dies auch im Stand sehr gut sehen. Man hätte hier bereits Stichwort: Schlederer - Die natürliche Schiefe mup 1|2022 | 27 während das Pferd steht das Gefühl, es kippt etwas mehr auf die rechte vordere Seite, während die Hinterhand leicht nach links zeigt. Links hohl, Rechts hohl - und was zum Teufel ist nun die „Händigkeit“? ! Wenn man die Schiefe nun anatomisch betrachtet, so wie oben geschehen, geht das einher mit dem, was man als AusbilderIn sieht und spürt und liefert auch eine Erklärung, warum sich ein Pferd auf der einen Seite anders anfühlt als auf der anderen. Durch die natürliche Schiefe stehen Schulter- und Beckengürtel nicht parallel, der Rumpf des Pferdes ist leicht zu einer Seite gekrümmt. Nehmen wir nun eben an, dass der Rumpf des Pferdes leicht nach links versetzt ist, dann definieren wir die linke Seite als die hohle, die rechte als die steife Seite des Pferdes. Nun kommt allerdings noch der Begriff Händigkeit ins Spiel. Als Rechtshänder bezeichnet man nun jenes Pferd, welches am rechten Vorderbein mehr Gewicht trägt. Das bedeutet aber nicht, dass rechts jene Seite ist, zu der es sich lieber biegt. Einfach gesagt: Das Pferd ist durch die natürliche Schiefe leicht links gekrümmt, bringt dadurch sein Gewicht vermehrt auf die rechte Schulter, welche nun als händige Seite bezeichnet wird. Im Umkehrschluss ist ein rechts hohles Pferd ein Linkshänder. Betrachtet man ein Pferd nun in Bewegung wird auffallen, dass es versucht, sich über seinen Hals und eine leichte Schräglage auszubalancieren. Nehmen wir wieder unser links hohles Pferd, welches sich nun im Freilauf in einer Rechtskurve befindet: Es wird sich mit der Halsbasis zur steifen rechten Seite legen (ein wenig wie ein Motorrad in der Kurve), den Kopf jedoch zur hohlen linken Seite drehen. Im Freilauf ist dies kein Problem, unter dem Sattel jedoch gerät ein solches Pferd zum einen in Balanceprobleme, zum anderen trägt es über kurz oder lang gesundheitliche Schäden davon, wenn an dieser Dysbalance nicht gearbeitet wird (Szymanski 2021, Zugriff am 25.03.2021) Das links hohle Pferd unter dem Sattel Sitzt man nun auf einem links hohlen Pferd, werden folgende Punkte auffallen: In Bewegung trägt es den Kopf gerne links und fällt in Linkswendungen eher auf die rechte Schulter, während es auf Rechtsbiegungen eher nach innen fällt und zum Abkürzen neigt. Auf gerader Linie wirkt die Kruppe leicht nach links versetzt, Schulterherein wird tendenziell mit zu viel Biegung, aber zu wenig Abstellung durchgeführt, Travers links fällt leicht, im Rückwärtsrichten fällt es häufig leicht nach links aus. Ein links hohles Pferd bevorzugt zwar den Linksgalopp, aber auch hier wird die Schiefe zu beobachten sein. Der linke Zügel wird häufiger durchhängen, da sich das Pferd auf dieser Seite tendenziell überstellt, während sich der rechte Zügel teilweise schwerer anfühlt. Die ReiterInnen müssen konzentriert auf einen geraden Sitz achten, zum Teil fühlt man sich nach rechts gesetzt und knickt dabei links in der Hüfte ein. Die Korrektur und Rittigkeit des links hohlen Pferdes Da gemäß dieser Bewegungen die linke Seite des Pferdes muskulär verkürzt wird, während sich die rechte Seite tendenziell in einer leichten Dehnung befindet, sollte vor allem darauf geachtet werden, dass die linke Seite des Pferdes vermehrt gedehnt wird. Hilfreich können sein: ■ korrekte gebogene Linien auf der rechten Hand, ebenso auf der linken Hand, hier aber häufig auch geritten in Konterstellung, ■ Lektionen wie Schulterherein links mit viel Abstellung, aber weniger Biegung, ■ umgekehrt Schulterherein rechts mit weniger Abstellung, aber vermehrter Biegung, ■ Travers links bei stark hohlen Pferden eher vermeiden, hier sollte eher Renvers geübt werden, ■ Travers rechts kann dafür auch auf gebogenen Linien geritten werden. 28 | mup 1|2022 Stichwort: Schlederer - Die natürliche Schiefe Die ReiterInnen achten bewusst auf ein mittiges Sitzen und versuchen die Zügelverbindung gleichmäßig werden zu lassen (links vorsichtig aufnehmen, hingegen rechts die Verbindung leicht werden lassen) (Will 2007, Zugriff am 25.03.2021). Genau das Gegenteil zu den vorangegangen beschriebenen Phänomenen findet man bei rechts hohlen Pferden. Trotz aller Bedeutung der geraderichtenden Übungen: Es gilt immer der Grundsatz, dass beide Seiten des Pferdes gleichmäßig gearbeitet werden sollen, ebenso ist ein gewaltsames Erreiten einer Rechts- oder Linkbiegung nicht zielführend, sondern - im Gegenteil - eher schädigend. Das Geraderichten eines Pferdes und der damit einhergehende korrekte Muskelaufbau benötigen jahrelange, feinfühlige Ausbildung von erfahrenen ReiterInnen. Literatur ■ Rehren, K.D. (2018): Untersuchung der „Schiefe“ des Pferdes: Symmetrie von Bewegungsablauf und Hufbelastung. Dissertation. Cuvillier Verlag, Göttingen ■ Szymanski, N. (2021): Was heißt „natürliche Schiefe“ beim Pferd? In: Was bedeutet „natürliche Schiefe“ beim Pferd? https: / / www.cavallo. de / medizin / was-heisst-natuerliche-schiefebeim-pferd / letzter Zugriff 25.03.2021 ■ Will, S. (2007): Die Symptome: Links und Rechts hohl. https: / / dressur-studien.de / wp-content/ uploads / symptome_hohl.pdf letzter Zugriff 25.03.2021 ■ Zich, A., Ohms, D. (2007): Calme, en avant, droit. Ruhig, vorwärts, gerade. Ein Buch über die Reitkunst. Wu Wei Verlag, Schondorf Die Autorin Theresa Schlederer ist Islandpferdereitinstruktorin (Trainer B). Langjährige Beritt- und Ausbildungstätigkeit: Jungpferdeausbildung sowie auch Training von Sport- und Zuchtpferden am Islandpferdehof Lichtegg in Andorf, Oberösterreich Kontakt Theresa Schlederer · Lichtegg 1 · A - 4770 Andorf Theresa_schlederer@gmx.at
