mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2022.art10d
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Forum: Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining
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Nadine Senekowitsch
Die „mensch&pferd international“ hat Nadine Senekowitsch, BSW MA, zum Interview eingeladen. Sie ist Sozialpädagogin in einem Krisenzentrum, einer diagnostischen Kurzzeitunterbringung für 13- bis 18-Jährige im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Außerdem bietet sie als Pferdetrainerin der positiven Verstärkung Unterricht im Einzel- und Gruppensetting an. Ihre Zielgruppe sind Menschen und Pferde jeden Alters, wobei ihre besondere Leidenschaft dem Pferdetraining mit Kindern und Jugendlichen gilt. Mit ihrer Kollegin Wibke Deutsch betreibt sie den Pferdepodcast „fair.stärkt - positive Lösungen für das Training mit deinem Pferd“. Nadine lebt in Niederösterreich, gemeinsam mit ihrem Partner, zwei Pferden und drei Hunden.
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mup 2|2022|55-59|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2022.art10d | 55 Nadine Senekowitsch Forum Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining Die „mensch & pferd international“ hat Nadine Senekowitsch, BSW MA, zum Interview eingeladen. Sie ist Sozialpädagogin in einem Krisenzentrum, einer diagnostischen Kurzzeitunterbringung für 13bis 18-Jährige im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Außerdem bietet sie als Pferdetrainerin der positiven Verstärkung Unterricht im Einzel- und Gruppensetting an. Ihre Zielgruppe sind Menschen und Pferde jeden Alters, wobei ihre besondere Leidenschaft dem Pferdetraining mit Kindern und Jugendlichen gilt. Mit ihrer Kollegin Wibke Deutsch betreibt sie den Pferdepodcast „fair.stärkt - positive Lösungen für das Training mit deinem Pferd“. Nadine lebt in Niederösterreich, gemeinsam mit ihrem Partner, zwei Pferden und drei Hunden. Wie setzt du die positive Verstärkung im Pferdetraining um? Positive Verstärkung bedeutet, dass ich einem erwünschten Verhalten etwas Angenehmes hinzufüge. Das Tier entscheidet, was angenehm bzw. ein sogenannter Verstärker ist. Das können Futter, Wasser, Sozialkontakte, Schatten, Sonne und vieles mehr sein. Ich arbeite hauptsächlich mit dem Clicker. Er klingt immer gleich, hebt sich aufgrund seines einzigartigen Tons leicht aus der Umwelt hervor, markiert rasch einen Moment und ist dabei schneller als Worte. Er kündigt eine Belohnung an und bedeutet: „Was du gerade gemacht hast ist toll, gleich wirst du belohnt! “ Dafür nutze ich bevorzugt Futter. Es hat im Gegensatz zu anderen Verstärkern den Vorteil, dass es präzise überreicht und das Training im Anschluss sofort wieder aufgenommen werden kann. Die positive Verstärkung ermöglicht ein erfolgsbasiertes, fehlerfreies und schnelles Lernen. Um eine selbstbestimmte Atmosphäre zu schaffen, lege ich großen Wert auf Freiwilligkeit. Beispielsweise durch ein entsprechendes Setting, in dem mein Trainingspartner Pferd frei zwischen dem gemeinsamen Tun und dem Stillen von Bedürfnissen wie der Aufnahme von Raufutter und Wasser entscheiden kann. Zeigt es keine Bereitschaft zur Mitarbeit und knabbert beispielsweise lieber am Heu, liegt es an mir, das Training attraktiver zu gestalten. Abb. 1: Futter als Verstärker bringt vielerlei Vorteile mit sich (Alle Fotos: Nadine Senekowitsch) 56 | mup 2|2022 Forum: Senekowitsch - Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining Das Training der positiven Verstärkung beschäftigt sich mit Lerntheorie und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie bindest du das in deine Tätigkeiten ein? Als Pferdetrainerin und Podcasterin ist es mir ein Anliegen, das Wissen über Lerntheorie als Werkzeug zur Reflexion weiterzugeben. So kann nicht nur das Miteinander mit dem Pferd, sondern auch das eigene Verhalten hinterfragt werden. Ich habe wunderbare Erfahrungen damit gemacht, auch Kindern Lerntheorie zu vermitteln. Im Rahmen eines Kurses für Kinder über das Pferdetraining mit positiver Verstärkung haben wir unter anderem „Lerntheorie-Activity “ gespielt. Dabei wurden die Quadranten der Lerntheorie von einigen Kindern pantomimisch dargestellt. Die anderen mussten diese erraten. Beispielsweise haben die jüngsten TeilnehmerInnen „negative Strafe“ präsentiert, indem sie aufgehört haben ein Pferd zu streicheln, als es scharrte. Einem unerwünschten Verhalten, also dem Scharren, folgte das Wegnehmen von etwas Angenehmen, dem Streicheln. Dass das Gelernte so schnell aufgefasst und auf eine bekannte Situation übertragen werden konnte, hat mich schwer beeindruckt und mir gezeigt, dass man mutig sein darf, komplexe Themen wie diese spielerisch zu vermitteln. Welche Philosophie verfolgst du als Pferdetrainerin? Während meines Studiums der Sozialpädagogik habe ich den Begriff „Empowerment“ näher kennengelernt. Dieser entwickelte sich zu einem übergeordneten Ziel meiner Tätigkeit als Sozialpädagogin und in weiterer Folge auch als Pferdetrainerin. Ich möchte Menschen in erster Linie dazu ermächtigen, sich und ihren Pferden selbst zu helfen. Beispielsweise indem ich sie dabei unterstütze, ihr Wissen aus dem gemeinsamen Training in ihren Alltag zu integrieren. Dieses Ziel verfolgen meine Kollegin Wibke und ich auch in unserem Podcast. Wir wollen Menschen durch das Medium Audio dazu verhelfen, eine positivere Welt für ihre Lieblinge zu schaffen. Es ist mir auch ein Anliegen die Pferde zu empowern, indem ich ihnen im Rahmen der Umsetzbarkeit Selbstbestimmung ermögliche. Das kann vor allem durch die Säulen der Gesundheit, Haltung und des Trainings erfolgen. Um Pferden im Trainingskontext ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen, nutze ich sogenannte Kooperations- Abb. 2: Auch Kraulen kann ein Verstärker sein Abb.3: Lerntheorie kann spielerisch vermittelt werden Forum: Senekowitsch - Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining mup 2|2022 | 57 signale. Sie sind aus dem „Medical Training“ bekannt. Das Tier lernt dabei zum Beispiel eine bestimmte Matte zu betreten, um damit auszulösen, dass der Mensch ihm Augentropfen verabreicht. Somit können unsere TrainingspartnerInnen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit zeigen, aber auch den Wunsch für eine Pause äußern, indem sie das Kooperationssignal, beispielsweise die Matte, verlassen und damit initiieren, dass der Mensch etwas, wie zum Beispiel das Eintropfen der Augen, abbricht. So kann mein Vierbeiner stets konfliktfrei „Nein“ sagen. Kooperationssignale werden nicht nur für Medizinisches angewendet, sondern für alles, was das Miteinander von Pferd und Mensch beinhaltet. Auf diese Weise kann jede und jeder zu / zur Dr. Doolittle werden und es gelingt, eine gemeinsame Sprache mit dem Tier zu finden. Dadurch werden nicht die Menschen zu Pferdeflüsterinnen und Pferdeflüsterern, sondern die Tiere selbst können uns auf ihre Weise etwas zuflüstern und darauf vertrauen gehört zu werden. Das Training mit positiver Verstärkung gilt als gewaltfreie Methode. Welche Vorteile bringt ein gewaltfreier Umgang mit sich? Da ich erwünschtem Verhalten etwas Angenehmes hinzufüge und für das Pferd die Gewissheit besteht, dass keine unangenehmen Konsequenzen folgen, kann ich mich stets an einem motivierten Gegenüber sowie an einem respektvollen Miteinander erfreuen. Man hat dadurch ein prall gefülltes „Vertrauenskonto“. Aus dem Mitspracherecht der Pferde resultiert ein hoher Sicherheitsaspekt. Dass sie sanft „Nein“ sagen dürfen und dies auch respektiert wird, mindert das Risiko gefährlicher Situationen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Pferde, die „Nein“ sagen dürfen, verhältnismäßig deutlich öfter „Ja“ sagen. Wenn ich darüber nachdenke, wie Menschen von gewaltfreien Trainingsmethoden profitieren, muss ich an zwei Situationen denken, an die ich mich wohl noch ewig erinnern werde: Ein Junge meinte einmal, während er auf dem Pferd saß: Abb.3: Lerntheorie kann spielerisch vermittelt werden Abb. 4: Am Ende eines eintägigen Kurses konnten die Teilnehmerinnen Clickerprofi Peewee bereits komplexe Verhalten wie das Bemalen einer Leinwand beibringen Abb. 5: Das Pferd entscheidet sich trotz der saftigen Wiese zur Mitarbeit, es hat jederzeit die Möglichkeit konfliktfrei Nein zu sagen 58 | mup 2|2022 Forum: Senekowitsch - Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining „Das gefällt mir - uns beiden gefällt das.“ Er ist davon ausgegangen, dass nicht nur er, sondern auch das Pferd Freude am gemeinsamen Tun hat. In der anderen Situation war ich bei einer tiergestützten Intervention mit einem Jugendlichen, den ich durch meine Arbeit kannte, als Zuschauerin dabei. Als ein Pferd zu grasen begann, sollte er es durch einen Zug am Strick davon abhalten. Daraufhin äußerte er: „Wer Gewalt an diesem Tier ausüben möchte kann das gerne tun, ich werde das nicht machen.“ Das ist mir sehr nachhaltig in Erinnerung geblieben. Was für viele Pferdemenschen alltäglich ist, kann für Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen bereits als Gewalt gelten. Du hast auch Erfahrungen mit der Ausbildung von Therapiepferden mit positiver Verstärkung. Wie kann man sich das Training vorstellen? Ich habe das große Glück, dass ich als Trainerin an der Ausbildung der Therapiepferde der Akademie Wintereck teilhaben darf. Meiner Erfahrung nach ist das Training der Tiere sehr individuell. Dennoch stelle ich hiermit ganz allgemein die Behauptung auf, dass Entspannung und Stillstehen - egal ob bei Therapiepferden oder nicht - einen hohen Stellenwert haben. Es sollte in allen Lebenslagen trainiert werden und hat die Besonderheit, dass man die AdressatInnen dabei miteinbeziehen kann. Sie können um das Pferd herumlaufen, tanzen, turnen, es clicken, füttern und vieles mehr, während es lernt, dabei stillzustehen. Das Pferd verknüpft durch die positive Verstärkung bei einem kleinschrittigen Trainingsaufbau das Gelernte mit etwas Angenehmen, statt es „auszuhalten“. So kann aus einer einfachen Übung ein Spaß für alle Beteiligten werden. Bei der Ausbildung der Therapiepferde wird großer Wert darauf gelegt, sich an den Ressourcen der Pferde zu orientieren. Angepasst an das Angebot des Hofs, der Interventionen sowie den Charakter, das Alter und die Vorlieben des Tieres werden entsprechende Verhaltensweisen posi- Abb. 6: Stillstehen unter erschwerten Bedingungen ist ein wichtiges Verhalten, nicht nur bei Therapiepferden Abb. 7: Therapiepferd Donner und seine junge Trainerin trainieren Unterscheidungsaufgaben mit Kuscheltieren Forum: Senekowitsch - Empowerment durch positive Verstärkung im Pferdetraining mup 2|2022 | 59 tiv verstärkt trainiert. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, dass das Training aus einer Balance aus Motivation und Entspannung besteht. Wie können Mensch und Pferd vom Training mit positiver Verstärkung profitieren? Ein großer Profit besteht meiner Ansicht nach durch die hohe Motivation, welche die positive Verstärkung mit sich bringt. Sie sichert außerdem, dass erwünschtes Verhalten wieder gezeigt wird und löst die Emotion der Freude aus. Da keine Angst vor Druck und Zwang besteht, findet Mitarbeit statt Akzeptanz statt. Die Pferde werden dazu angeregt mitzudenken und erfahren Selbstwirksamkeit. Bei Kursen sage ich oftmals, dass man mit der positiven Verstärkung schöne Augenblicke wie mit einer Kamera festhalten kann. Die Aufmerksamkeit auf das Gute, auf das, was einem gefällt zu richten, hat einen hohen Mehrwert. Wenn es einem gelingt diesen Fokus auch auf seinen Alltag zu übertragen, dann profitiert man sehr von der positiven Verstärkung. Die Autorin Nadine Senekowitsch Akademisch geprüfte Sozialpädagogin (FH St. Pölten), Bachelor of Social Work (Saxion Enschede / FH St. Pölten), Master of Arts in Sozialpädagogik (FH St. Pölten), Trainingsspezialistin Pferd für die Arbeit mit positiver Verstärkung, Wippentrainerin (Nina Steigerwald) Anschriften Nadine Senekowitsch · Wohlfahrtsschlag 7 3283 St. Anton an der Jeßnitz · positivfairstaerkt@gmail.com Abb. 8: Mit dem Clicker können schöne Momente wie mit einer Kamera festgehalten werden Foto: Jürgen Thoma
