eJournals mensch & pferd international 14/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2022.art23d
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2022
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Fachbeitrag: Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen

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2022
Kathrin Honner
Stephan Gingelmaier
Das Konzept der emotionalen Kompetenz gewinnt in den letzten Jahren zweifellos an Bedeutung. Die aktuellen gesellschaftlichen Strukturen erwarten einen immer flexibleren, aber stets emotional kompetenten Menschen. In diesem Artikel werden mögliche spezifische Einflüsse von pferdegestützten Interventionen auf die Entwicklung bzw. Förderung jener emotionalen Kompetenz beschrieben. Theoriegeleitete Erkenntnisse werden durch eine Fragebogenuntersuchung unterstützt. Hierbei handelt es sich um die Selbstauskunft von ProbandInnen im Alter von 6 bis 15 Jahren, die den Einfluss von pferdegestützten Interventionen auf die eigene emotionale Kompetenz beschreiben.
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150 | mup 4|2022|150-160|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2022.art23d Kathrin Honner & Stephan Gingelmaier Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen Schlüsselbegriffe: emotionale Kompetenz, pferdegestützte Interventionen, Emotionsregulation Das Konzept der emotionalen Kompetenz gewinnt in den letzten Jahren zweifellos an Bedeutung. Die aktuellen gesellschaftlichen Strukturen erwarten einen immer flexibleren, aber stets emotional kompetenten Menschen. In diesem Artikel werden mögliche spezifische Einflüsse von pferdegestützten Interventionen auf die Entwicklung bzw. Förderung jener emotionalen Kompetenz beschrieben. Theoriegeleitete Erkenntnisse werden durch eine Fragebogenuntersuchung unterstützt. Hierbei handelt es sich um die Selbstauskunft von ProbandInnen im Alter von 6 bis 15 Jahren, die den Einfluss von pferdegestützten Interventionen auf die eigene emotionale Kompetenz beschreiben. Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen mup 4|2022 | 151 Emotionale Kompetenz Emotionale Kompetenz hat in den letzten Jahren durch entwicklungspsychologische und klinische Studien an Aussagekraft und Bedeutung gewonnen und ist dabei zu einem zentralen Konzept in den Entwicklungswissenschaften geworden (Petermann / Wiedebusch 2016, 9). Versteht man unter emotionaler Kompetenz die Fähigkeit eines Individuums, die eigenen Emotionen und die des Gegenübers zu erkennen und auszudrücken, bzw. adäquat auf diese reagieren zu können, wird deutlich, dass emotionale Kompetenz eng mit sozialer Kompetenz zusammenhängt. Emotionale Fertigkeiten haben großen Einfluss auf die schulische und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und werden als wichtige Basisfertigkeiten gesehen (ebd.). Wie sich die Entwicklungen dieser Fertigkeiten gegenseitig beeinflussen, ob wechselseitige Einflüsse bestehen und wie die „Entwicklung emotionaler Fertigkeiten mit anderen Entwicklungsbereichen zusammenhängt“, ist noch nicht ausreichend geklärt (ebd., 13). Trotzdem wird eine alters- und entwicklungsangemessen ausgebildete emotionale Kompetenz als Voraussetzung für das Gelingen weiterer Entwicklungsschritte gesehen. Denn diese gilt als Ressource, zukünftige Herausforderungen bewältigen zu können, was im Zusammenhang mit schulischem Erfolg, erfolgreichem Aufbau sozialer Beziehungen und physischem und psychischem Wohlbefinden steht. Im Gegenzug dazu kann eine geringe emotionale Kompetenz ein Risikofaktor z. B. für delinquentes Verhalten sein (ebd., 13 f.). Dem Kompetenz-Begriff nach kann die emotionale Kompetenz im Verlauf eines Lebens erworben werden und lässt sich als inneres Potenzial zur Befähigung und Bewältigung der Anforderungen der Umwelt von einmaligen Verhaltensweisen abgrenzen (Schellknecht 2007, 18). Das diesem Artikel zugrunde liegende Verständnis von emotionaler Kompetenz ist eine Zusammenfassung gängiger Modelle (Saarni 1999, Salovey / Mayer 2007, Halberstadt/ Denham / Dunsmore 2001). Demnach umfasst emotionale Kompetenz folgende Aspekte, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen: ■ Das Verstehen, sowie das mimische und verbale Ausdrücken eigener Emotionen ■ Das Erkennen und Verstehen der mimischen und verbalen Emotionen anderer ■ Die Emotionsregulation ■ Das Emotionswissen und -verständnis anwenden können Im Folgenden werden mögliche Einflüsse von pferdegestützten Interventionen auf die Entwicklung beziehungsweise Förderung der genannten Aspekte der emotionalen Kompetenz beschrieben. Dabei werden insbesondere die Charakteristika der Tiere beachtet. Wirkung pferdegestützter Interventionen auf die emotionale Kompetenz Es gibt zahlreiche empiriebasierte Publikationen zum Einsatz von Pferden in therapeutischen oder pädagogischen Settings, woraus sich vielseitige Hinweise auf eine positive Wirkung pferdegestützter Interventionen ergeben. Teilweise sind die Forschungsergebnisse widersprüchlich. Im Folgenden werden beispielhaft Studien vorgestellt, die die Wirkung pferdegestützter Interventionen auf soziale oder emotionale Aspekte beschreiben. Bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 8 bis 18 Jahren, welche durch SozialarbeiterInnen und LehrerInnen vor und nach der pferdegestützten Intervention beurteilt wurden, konnten Verbesserungen in den Bereichen Durchsetzungsvermögen, Engagement beim Lernen, Gelassenheit, Vorausplanen, Verantwortung übernehmen, Empathie, Kommunikation, Fokussierungen und Ausdauer festgestellt werden (Hemingway 2019). In einer Meta-Analyse zum Einfluss pferdegestützter Therapie auf psychische Faktoren erhoben die Autoren Winkler und Beelmann 152 | mup 4|2022 Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen (2013) eine generelle Wirksamkeit im mittleren bis hohen Bereich bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 18 Jahren. Die Kinder und Jugendlichen profitierten umso mehr, je länger der Behandlungszeitraum war und tendenziell war die Wirksamkeit von Gruppensettings stärker gegenüber Einzelsettings. Dies liegt vermutlich daran, dass prosoziales Verhalten in Gruppen besser ausgebildet werden kann und die Kinder und Jugendlichen wahrnehmen können, dass es Menschen mit ähnlichen Problemen gibt, was gegenseitige Unterstützung ermöglicht. Eine Schlussfolgerung der Autoren ist, dass besonders Kinder und Jugendliche mit emotionalen Problemen, Selbstwertproblemen und Verhaltensstörungen von den pferdegestützten Interventionen profitieren. Sie vermerkten, die bisherigen Befunde seien vielversprechend, es bestehe aber weiterhin ein hoher Forschungsbedarf zur Wirksamkeit dieser Therapieform. Im Folgenden wird theoretisch erschlossen, wie pferdegestützte Interventionen auf die dem Artikel zugrunde liegenden Aspekte der emotionalen Kompetenz wirken können. Das Verstehen sowie das mimische und verbale Ausdrücken eigener Emotionen Die Beschäftigung mit dem Pferd bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, „selbstbestimmt aufzutreten, eigene Vorhaben und Rollenvorstellungen zu vertreten und in die Tat umzusetzen und die Fähigkeit [zu] entwickeln, sich frei abzugrenzen“ (Vernooij / Schneider 2018, 127). Losgelöst von den Erwartungen Erwachsener und dem Messen mit anderen, kann das Kind oder der / die Jugendliche die eigenen Stärken und Fähigkeiten, beziehungsweise das eigene Potenzial frei entwickeln (ebd.). Diese Entlastung von Druck ist nötig, um eigene Fähigkeiten zu entdecken und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln (ebd.). Die artspezifische Sensibilität und Spiegelfunktion der Pferde fördert dabei eine adäquate Selbsteinschätzung. Das Verhalten und die Stimmung des Pferdes können (unterstützt durch PädagogInnen / TherapeutInnen) gedeutet werden und in Verbindung zu Verhalten und Stimmung des Kindes oder Jugendlichen gebracht werden. Durch das „Zusammensein, die Kommunikation und Interaktion mit dem Tier bietet [sich] dem Kind eine positive Möglichkeit, sich seiner eigenen Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten (wieder) bewusst zu werden, sie angstfrei auszuleben und […] zum Ausdruck zu bringen“ (ebd., 133 f.). Um zu vermeiden, dass das Verhalten des Tieres gänzlich entsprechend den Wunschvorstellungen interpretiert wird, was bis zu einem gewissen Grad im Sinne von sozialer Unterstützung tolerierbar ist, kann Hilfe der PädagogInnen oder TherapeutInnen sinnvoll sein. So kann gewährleistet werden, dass die Ausdrucksweisen des Tieres verstanden werden und insbesondere auch negative Rückmeldungen wahrgenommen werden. Um die Rückmeldungen des Tieres in das Selbstbild zu integrieren, bedarf es einer Bereitschaft des Kindes oder Jugendlichen, die die TherapeutInnen oder PädagogInnen fördern sollten. Abbildung 1: Bei der Interpretation des Verhaltens des Tieres kann Hilfe der PädagogInnen oder TherapeutInnen sinnvoll sein. (Alle Fotos: Verena Bauer, Wien) Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen mup 4|2022 | 153 Dies kann sonst zu einer verschobenen Wahrnehmung der eigenen Person führen, was der eigentlichen Intention widerspricht (Saumweber 2009, 84). Das Erkennen und Verstehen der mimischen und verbalen Emotionen anderer Auf dem Verständnis für die Reaktionen und das Verhalten des Pferdes aufbauend, kann eine angemessene Einschätzung des sozialen Umfeldes des Kindes oder Jugendlichen prozesshaft erlernt werden. Durch Reflexion mit einer Verhaltensanalyse kann das Kind oder der / die Jugendliche darin unterstützt werden, die Erkenntnisse des Umgangs mit dem Pferd auf Alltagssituationen (z. B. auf Reaktionen von anderen Kindern / Jugendlichen) zu übertragen (Stoffl 2003, 161). Infolge des Verständnisses für die artentsprechenden Gefühle und Bedürfnisse des Pferdes, kann eine Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen folgen, sich im Umgang mit diesem an gewisse Regeln zu halten. Dies kann Verantwortungsgefühl und Pflichtbewusstsein fördern (Vernooij / Schneider 2018, 134). Greiffenhagen und Buck-Werner (2007, 73) fassen dies folgendermaßen zusammen: „Ein Tier erzieht zur Fürsorglichkeit und Verantwortung für andere Tiere, und in der Folge auch für Menschen.“ Hier ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen den Sinn der Pflichten und Regeln im Umgang mit dem Tier (hier: Pferd) ersichtlich zu machen (Vernooij / Schneider 2018, 134). Im Umgang mit dem Pferd ergeben sich viele Gelegenheiten fürsorglich zu sein. Das Pferd vor dem Reiten zu striegeln, dient beispielsweise dazu, Druckstellen zu verhindern und eventuelle Verletzungen zu entdecken. Aus der Fürsorglichkeit und Verantwortung gegenüber anderen folgt eine angemessene Einschätzung des Umfeldes. Eine realistische Wahrnehmung der Umwelt erhöht außerdem die Frustrationstoleranz, was eine wichtige Voraussetzung für Lernprozesse ist (Stoffl 2003, 161). Abbildung 2: Das Verständnis für die artentsprechenden Gefühle und Bedürfnisse des Pferdes kann den Umgang mit Regeln fördern. Abbildung 3: Verantwortungsgefühl und Pflichtbewusstsein können durch das Verständnis für die artentsprechenden Gefühle und Bedürfnisse des Pferdes ebenfalls gefördert werden. Abbildung 4: Im Umgang mit dem Pferd ergeben sich viele Gelegenheiten, fürsorglich zu sein. 154 | mup 4|2022 Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen Die Emotionsregulation Durch die Beschäftigung mit den Bedürfnissen des Pferdes können die Kinder und Jugendlichen lernen, eigene Wünsche, Bedürfnisse, Emotionen und das eigene Handeln mit den Bedürfnissen des Pferdes abzustimmen (Vernooij / Schneider 2018, 134). Dies kann sich in sehr unterschiedlichen Situationen zeigen. Beispielsweise müssen Pflichten, wie das Vorbereiten des Futters oder das Sauberhalten des Stalls, unabhängig von Wetter oder persönlicher Präferenz konsequent erfüllt werden. Zusätzlich können unerwartete Ereignisse, wie beispielsweise eine Verletzung des Pferdes, welche das Reiten untersagt, von den Kindern und Jugendlichen die genannten Fähigkeiten verlangen. Werden die Kinder und Jugendlichen durch PädagogInnen oder TherapeutInnen unterstützt, kann das Regulieren von Emotionen und Tolerieren von Frustrationen im Umgang mit dem Pferd verbessert werden. Die artspezifischen Reaktionen des Pferdes sind situationsgebunden und erfolgen direkt. Dabei reagiert das Pferd losgelöst von gesellschaftlichen Konventionen. Dies entfaltet großes Potenzial für das eigene Gewahrwerden von Affekten und den Umgang damit. So können auch „problembehaftete Verhaltensmuster […] korrigiert werden“ (Schmidt 2012, 65). Ursache und Wirkung in Bezug auf das Verhalten der Kinder und Jugendlichen und die Reaktion des Pferdes können in engem kausalem Zusammenhang stehen, was es für Kinder und Jugendliche erleichtert, diesen zu erkennen und zu akzeptieren. Erschrickt das Pferd beispielsweise durch unangebrachtes Verhalten der Kinder oder Jugendlichen, kann dies eventuell aufgrund des Fluchtinstinkts zu gefährlichen Situationen führen. Kinder und Jugendliche lernen, sich an das Pferd anzupassen, was neben Fähigkeiten zur Emotionsregulation und Frustrationstoleranz auch Konzentration, Beobachtungs- und Einfühlungsvermögen erfordert bzw. spezifische Lernmotivation bieten kann. Die verhaltensregulative Wirkung des Pferdes gleicht einem Verstärkersystem (Schmidt 2012, 65). Dabei wird die Verhaltenskorrektur durch die artspezifische, nicht wertende Reaktion des Pferdes oft leichter angenommen als die von anderen Menschen (Stoffl 2003, 61 f.). Kinder und Jugendliche können eine sichere Beziehung zu einem Tier aufbauen, was sich ebenfalls positiv auf die Emotionsregulation auswirken und auf den Umgang mit anderen Menschen übertragen werden kann (Vernooij / Schneider 2018, 134 f.). Das Emotionswissen und -verständnis anwenden können Pferde unterstützen die „Kongruenz zwischen den eigenen Gedanken und Gefühlen, der verbal-digitalen Aussage und dem körpersprachlich-analogen Ausdruck“ (Vernooij/ Scheider 2018, 133). Durch die Authentizität der Pferde können die Kinder in der Entwicklung einer selbstbestimmten, in sich stimmigen Persönlichkeit unterstützt werden, was durch familiäre und institutionelle Erziehung allein nicht immer gewährleistet ist. In sich stimmig zu sein, ist notwendig, um seinem Gegenüber Wertschätzung und Empathie entgegenbringen zu können (ebd.). „Emotionen, Bewusstsein und Handeln können in Verbindung mit dem Tier als aufeinander abgestimmt erlebt werden“ (ebd., 134). Durch die Übertragung auf den zwischenmenschlichen Bereich kommt es allmählich zu einer Abstimmung der eigenen Emotionen mit dem sozialen Kontext. Die Beschäftigung mit dem Tier fördert prosoziales Verhalten, welches der Anwendung von Emotionswissen und Emotionsverständnis bedarf (Greiffenhagen / Buck-Werner 2007, 73). Im Hinblick auf die emotionale Selbstwirksamkeit bietet die Übertragung von Verantwortung auf die Kinder und Jugendlichen (z. B. Versorgen und Reagieren auf Willensäußerungen des Pferdes) Potenzial. Pflichten rund ums Pferd müssen unabhängig vom Wetter oder persönlicher Präferenz erfüllt werden. Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen mup 4|2022 | 155 In der vorliegenden Fragebogenerhebung wurde untersucht, ob die ProbandInnen Veränderungen in den genannten Aspekten der emotionalen Kompetenz bemerken. Forschungsfrage Die diesem Beitrag zugrunde liegende Untersuchung knüpft an diese Forschungslage an. Sie beruht auf der Selbstauskunft von ProbandInnen und untersucht als zentrale Forschungsfrage: „Wie beurteilen ProbandInnen den Einfluss pferdegestützter Interventionen auf die Entwicklung emotionaler Kompetenz? “ Dies wurde mithilfe folgender Unterforschungsfragen untersucht: 1. Haben pferdegestützte Interventionen laut den ProbandInnen einen positiven Einfluss auf die Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz? 2. Wie beschreiben und erklären die ProbandInnen diesen positiven Einfluss? Beschreibung der Stichprobe An der vorliegenden Untersuchung nahmen insgesamt 52 Kinder und Jugendliche (39 weiblich, 13 männlich) im Alter von 6 bis 16 Jahren ( M = 12.4, SD = 3.9) teil. Alle zeigten Auffälligkeiten im emotionalen und sozialen Bereich. Die Teilnahme an der pferdegestützten Intervention betrug durchschnittlich 44.7 Monate mit deutlichen Unterschieden zwischen den Personen ( SD = 41.2, R = 1 - 147). Es handelt sich um eine deskriptive Statistik, sowie eine nicht-probalistische theoretische Stichprobe. Es geht um das subjektive Erleben der TeilnehmerInnen, weshalb keine Schlüsse auf eine Grundgesamtheit gezogen werden können. Methodisches Vorgehen In dieser Untersuchung geht es um die Erfassung von „Meinungen, Einstellungen und Positionen“ mit einem Fragebogen (Raab-Steiner / Benesch 2015, 47) zum Thema pferdegestützte Interventionen. Um sicherzustellen, dass die Art der Formulierungen der Fragen, ihre Antwortmöglichkeiten und die Beschaffenheit den Kriterien gerecht werden und eine Beantwortung der Forschungsfrage zulassen, wurde der Fragebogen mithilfe grundlegender Literatur zur empirischen Sozialforschung und zur Erstellung von Fragebögen konstruiert. Der Fokus der Befragung liegt auf der „Sichtweise der Befragten, die individuelle Bedeutung, die sie dem Forschungsgegenstand beimessen, sowie ihre […] generellen Motive“ weshalb sich ein Mixed-Methods-Ansatz anbietet (Bruckner 2016, 47). In dieser deskriptiven Studie werden die quantitativen Daten stärker gewichtet als die qualitativen (vgl. Kuckartz 2014, 59). Bestätigen die ProbandInnen eine Verbesserung in den Aspekten der emotionalen Kompetenz, bildet dies den Indikator für den subjektiven positiven Einfluss der pferdegestützten Intervention auf die emotionale Kompetenz (Forschungsfrage 1). Von einem positiven Einfluss wird ausgegangen, wenn mehr als die Hälfte der ProbandInnen eine Zustimmung von ≥ 3 (Skala von 1 = stimme gar nicht zu bis 4 = stimme voll und ganz zu ) angibt. Die erhobenen qualitativen Angaben (Forschungsfrage 2) sollen die erhobenen quantitativen Angaben erweitern und vertiefen. Dazu werden die offenen Fragen des Fragebogens nach dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (Mayring 2015). Ergebnisse Forschungsfrage 1: Haben pferdegestützte Interventionen laut der ProbandInnen einen positiven Einfluss auf die Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz? Die ProbandInnen wurden dazu befragt, ob sie seit der Teilnahme an den pferdegestützten Wie beurteilen ProbandInnen die Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz? 156 | mup 4|2022 Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen Interventionen Verbesserungen in den Aspekten der emotionalen Kompetenz bemerken. Für den Bereich Verstehen, sowie das mimische und verbale Ausdrücken eigener Emotionen ergibt sich folgendes Schaubild (Abb. 5): 33 % der ProbandInnen stimmen einer Verbesserung dieser Teilkompetenz voll und ganz zu und 38 % stimmen eher zu. Insgesamt liegt eine Zustimmung von 71 % vor. Lediglich 22 % stimmen eher nicht zu und 7 % stimmen gar nicht zu. Die Ergebnisse für den Bereich des Erkennens und Interpretierens der mimischen und verbalen Emotionen anderer werden in Abbildung 6 grafisch verdeutlicht: Auch hier lässt sich eine hohe Zustimmung einer Verbesserung von 69 % (42 % stimmen eher zu, 27 % stimmen voll und ganz zu) erkennen. 27 % stimmen eher nicht zu und 4 % stimmen gar nicht zu. Für die Verbesserung der Teilkompetenz Emotionsregulation ergibt sich folgende Verteilung (Abb. 7): 49 % stimmen einer Verbesserung der Emotionsregulation eher zu und 16 % stimmen einer Verbesserung der Emotionsregulation voll und ganz zu. Hier geben folglich 65 % an, ihre Emotionsregulation hätte sich durch die pferdegestützte Intervention verbessert. 29 % stimmen dem eher nicht zu und 6 % stimmen dem gar nicht zu. Die Verbesserung der vierten Teilkompetenz, die Anwendung von Emotionswissen und Emotionsverständnis, erhielt am wenigsten Zustimmung, wie dem folgenden Schaubild entnommen werden kann (Abb. 8): Hier lässt sich eine Zustimmung von 56 % erkennen, aufgeteilt in 23 % die voll und ganz zustimmen und 33 % die eher zustimmen. 39 % stimmen eher nicht zu und 5 % stimmen gar nicht zu. Insgesamt wird die Forschungsfrage 1 durch die Angaben der ProbandInnen gestützt, was einen positiven Einfluss der pferdegestützten Interventionen annehmen lässt. Mithilfe der Forschungsfrage 2 wird untersucht, wie die ProbandInnen sich diesen erklären. Forschungsfrage 2: Wie beschreiben und erklären die ProbandInnen diesen positiven Einfluss? Die Mehrheit der ProbandInnen berichten von einem positiven Einfluss auf die Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz. Um diesen Einfluss zu erklären, werden vier Unterkategorien untersucht, welche an den dem Artikel zugrunde liegenden Aspekten der emotionalen Kompetenz orientiert sind. In Bezug auf das Verstehen, sowie das mimische und verbale Ausdrücken eigener Emotionen nennen die ProbandInnen folgende Gründe für eine Verbesserung: stimme voll und ganz zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme gar nicht zu Abbildung 5: Verstehen und Ausdrücken eigener Emotionen Abbildung 6: Verstehen und Interpretieren der Emotionen anderer 33 % 38 % 22 % 8 % 27 % 42 % 27 % 4 % Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen mup 4|2022 | 157 ■ dem Pferd können Sorgen und Probleme berichtet werden, ■ die eigene Gefühlslage kann beschrieben werden, ■ das eigene Befinden kann erklärt werden, ■ Gefühle können besser gezeigt werden, ■ Offenheit gegenüber den eigenen Gefühlen / Emotionen, ■ das Sprechen über Gefühle wird erleichtert. Durch die Offenheit gegenüber den eigenen Gefühlen und Emotionen, welche laut der ProbandInnen durch die pferdegestützten Interventionen verbessert wird, kann die eigene Gefühlslage und das eigene Befinden besser verstanden und beschrieben werden. Daraus resultiert die zunehmende Fähigkeit, Gefühle zu zeigen, bzw. das Sprechen über die Gefühle wird erleichtert. Außerdem erwähnen die ProbandInnen die Bereitschaft, mit dem Pferd über Sorgen und Probleme zu sprechen, was sich positiv auf die emotionale Kompetenz auswirkt. Hinsichtlich des Erkennens und Verstehens der mimischen und verbalen Emotionen anderer können folgende Gründe als wesentliche Aussagen der ProbandInnen für eine Verbesserung dieser Kompetenz genannt werden: ■ das Verständnis für das Verhalten / die Gefühle anderer nimmt zu, ■ gesteigertes Einfühlungsvermögen. Durch eine Verbesserung des Einfühlungsvermögens der ProbandInnen steigert sich das Verständnis für das Verhalten und die Gefühle anderer. Die ProbandInnen nehmen sich als zunehmend hilfsbereit wahr. Eine Probandin beschreibt zum Beispiel: „Ich kann die Gefühle anderer besser erkennen und nachvollziehen, da ich auch die Gefühle der Pferde verstehen lerne.“ Diese Probandin hat es geschafft, die Erfahrungen mit dem Pferd auf den zwischenmenschlichen Bereich zu übertragen. Die Emotionsregulation verbessert sich laut der ProbandInnen durch folgende Gründe: ■ gesteigerte Selbstkontrolle, ■ verbesserte Emotionsregulationsstrategien, ■ emotionale Stabilität, ■ verbesserte Konzentrationsfähigkeit, ■ Ausgeglichenheit, ■ seltenere Wutausbrüche. Abbildung 8: Emotionsverständnis Abbildung 7: Emotionsregulation 16 % 49 % 29 % 6 % 22 % 33 % 39 % 5 % 158 | mup 4|2022 Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen Die ProbandInnen beschreiben eine ausgleichende Wirkung der pferdegestützten Intervention. Dies führt in ihrer Wahrnehmung zu gesteigerter Selbstkontrolle, emotionaler Stabilität und verbesserter Konzentrationsfähigkeit. Auch eine Verbesserung in Bezug auf die Emotionsregulationsstrategien der ProbandInnen wird beschrieben. Eine Probandin beschreibt detailliert: „Ich bekomme nicht so schnell Wutanfälle, kann mehr Geduld aufbringen und reagiere nicht so schnell überfordert. Ich habe seltener Overloads.“ Zum Emotionswissen und -verständnis anwenden können nennen die ProbandInnen folgende Ursachen für eine Verbesserung dieser Teilkompetenz: ■ gesteigertes Interesse am Befinden anderer, ■ besseres Verständnis für das Verhalten anderer durch eine Auseinandersetzung mit deren Befinden, ■ guter Umgang mit Gefühlen, ■ verbesserte Fähigkeit andere zu trösten / beruhigen. Durch ein gesteigertes Interesse am Befinden anderer und eine Auseinandersetzung damit wird das Verständnis für deren Verhalten verbessert. Dies verbessert den Umgang mit Gefühlen und die Fähigkeit, andere z. B. zu trösten und zu beruhigen. Ein Proband erläutert „Ich kann die anderen Menschen beruhigen, so wie ein Pferd.“ Hier wird deutlich, dass ein Verständnis dafür vorliegt, dass ein Pferd beruhigend wirken und dieses Wissen in den zwischenmenschlichen Bereich übertragen werden kann. Diskussion Der Einfluss von pferdegestützten Interventionen auf die Entwicklung der emotionalen Kompetenz wurde aus Sicht der ProbandInnen erhoben. In Bezug auf die Aspekte der emotionalen Kompetenz ergeben die quantitativen Daten, dass die ProbandInnen eine Verbesserung der Teilkompetenzen bei sich beobachten. Ein subjektiver positiver Einfluss von pferdegestützten Interventionen auf die Entwicklung der emotionalen Kompetenzen kann demnach mit den erhobenen Daten angenommen werden. Die qualitativ erhobenen Ergebnisse stützen die beschriebenen Annahmen, z. B. wurde in Bezug auf das Erkennen und Verstehen der Emotionen anderer Folgendes theoretisch herausgearbeitet: Die Fürsorglichkeit, welche die KlientInnen dem Pferd gegenüber zeigen, kann auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen werden. Die hier Befragten beschrieben sich selbst als zunehmend hilfsbereit durch die Teilnahme an der pferdegestützten Intervention und 69 % stimmten einer Verbesserung des Aspektes Erkennen und Verstehen der Emotionen anderer zu. Ebenso berichteten sie von gesteigertem Einfühlungsvermögen und einer Zunahme des Verständnisses für Andere. Bei der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse müssen die Antworttendenzen, also die Tendenzen der Verfälschbarkeit, beachtet werden - hier v. a. die soziale Erwünschtheit. Diese meint „die Tendenz der Versuchspersonen, die Items eines Fragebogens in jene Richtung zu beantworten, die ihrer Meinung nach den sozialen Normen entspricht“ (Raab-Steiner / Benesch 2015, 47). Da hier Kinder und Jugendliche befragt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass diese sich weniger an den sozialen Normen orientieren als Erwachsene. Darüber hinaus wurde den ProbandInnen mitgeteilt, dass die Befragung anonym ist. Jedoch wurden nur Personen befragt, welche an pferdegestützten Interventionen teilnehmen. Bereits die Bereitschaft, an diesen Interventionen teilzunehmen, setzt eine gewisse positive Einstellung gegenüber Pferden voraus. Dieses Problem kann nicht umgangen werden, da es sich um die Selbstauskunft teilnehmender ProbandInnen handelt. Es handelt sich demnach um eine Momentaufnahme einer Spezialpopulation ohne Anspruch auf allgemeine Gültigkeit. Weiter kann als Limitation dieser Arbeit die Konzentration auf die positiven Auswirkungen der Honner, Gingelmaier - Förderung emotionaler Kompetenz durch pferdegestützte Interventionen mup 4|2022 | 159 pferdegestützten Interventionen gesehen werden. Es wurde nicht untersucht, wie und warum sich diese negativ auswirken könnten. Nicht alle ProbandInnen haben einer Verbesserung der emotionalen Kompetenz zugestimmt, was Raum für weitere Untersuchungen bietet. Da es sich bei den ProbandInnen um Kinder und Jugendliche handelt, wurde der Fokus dieser Untersuchung auf die positiven Effekte gelegt, um den Umfang der Umfrage entsprechend kurz zu halten. Fazit Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich pferdegestützte Interventionen aus Sicht der ProbandInnen positiv auf die Entwicklung der emotionalen Kompetenz auswirken, da die ProbandInnen ausführlich und reflektiert von Verbesserungen berichteten. Die ProbandInnen können den angegebenen positiven Einfluss der pferdegestützten Interventionen (Forschungsfrage 1) detailliert beschreiben und Gründe benennen (Forschungsfrage 2). Letztendlich begründen die weitreichenden Auswirkungen der emotionalen Kompetenz die unbedingte Notwendigkeit, effektive Möglichkeiten zur Förderung dieser zu nutzen. Die Studie deutet darauf hin, dass pferdegestützte Interventionen eine solche Möglichkeit darstellen können. Literatur ■ Bruckner, B. K. (2016): Organisationales Vertrauen initiieren. Determinanten des intraorganisationalen Vertrauens von Beschäftigten in Großunternehmen. Springer, Wiesbaden ■ Farias-Tomaszewski, S.; Jenkins, S. R., Keller, J. (2001): An evaluation of therapeutic horseback riding programs for adults with physical impairments. Therapeutic Recreation Journal, 35(3), 250-257, https: / / doi.org / 10.1177%2F1054773 8211003580 ■ Greiffenhagen, S., Buck-Werner, O. N. (2007): Tiere als Therapie. Neue Wege in Erziehung und Heilung. 5. Auflage. Kynos Verlag, Nerdlen ■ Halberstadt, A. G., Denham, S. A., Dunsmore, J. C. (2001): Affective social competence. Social Development, 10, 79-119 ■ Hemingway, A. 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