eJournals mensch & pferd international 15/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Fachbeitrag: Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen in der HIPS-Reittherapie

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2023
Marina Reiner
Melanie Seifter
Regelmäßige, freudvolle sportliche Betätigung kann positive Auswirkungen auf Körper und Psyche haben. Bei LeistungssportlerInnen besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich Trainingsgewohnheiten und Wettkämpfe negativ auf das körperliche und psychische Wohlbefinden auswirken. Diese Arbeit untersucht potenzielle Veränderungen der Beweglichkeit und Körperwahrnehmung von vier LeistungssportlerInnen in der HIPS-Reittherapie. Nach fünf HIPS-Reittherapieeinheiten wurden bei allen ProbandInnen positive Veränderungen auf körperlicher und psychischer Ebene festgestellt.
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96 | mup 3|2023|96-108|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2023.art13d Marina Reiner, Melanie Seifter Schlüsselbegriffe: Reittherapie, Körperwahrnehmung, Beweglichkeit, Para-Sport, Leistungssport, Pferde Regelmäßige, freudvolle sportliche Betätigung kann positive Auswirkungen auf Körper und Psyche haben. Bei LeistungssportlerInnen besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich Trainingsgewohnheiten und Wettkämpfe negativ auf das körperliche und psychische Wohlbefinden auswirken. Diese Arbeit untersucht potenzielle Veränderungen der Beweglichkeit und Körperwahrnehmung von vier LeistungssportlerInnen in der HIPS-Reittherapie. Nach fünf HIPS-Reittherapieeinheiten wurden bei allen ProbandInnen positive Veränderungen auf körperlicher und psychischer Ebene festgestellt. Ein deskriptiver Fallbericht mit vier ProbandInnen Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen in der HIPS-Reittherapie Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen mup 3|2023 | 97 Einleitung Regelmäßige körperliche Betätigung in Form von Sport hat positive Auswirkungen auf den Körper und die Psyche (de Greeff et al. 2018; Paluska / Schwenk 2012). Dies trifft zu, wenn es sich um eine freudvolle Bewegung handelt. Eine Herausforderung stellt aber mit Erfolgsdruck ausgeführter Sport dar: Bei LeistungssportlerInnen besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich das intensive, oft sehr eintönige Training und die Teilnahme an Wettkämpfen negativ auf das körperliche und psychische Wohlbefinden auswirken (Paluska / Schwenk 2012), wobei körperliche Verletzungen bzw. Überlastungen nach außen sichtbar sind (z. B. durch die Verwendung von Krücken), psychische Belastungen hingegen meistens nicht. Für den Bereich physischer Folgen von Leistungssport liegen bereits zahlreiche Studien vor: Zum Beispiel hatten SportlerInnen mit einem Trainingsumfang von 7-14 Stunden pro Woche ein höheres Verletzungsrisiko als solche mit einem geringeren Trainingsumfang von 3-6 Stunden (Ristolainen et al. 2019). Ein Überblicksartikel zu Überlastungsverletzungen ergab eine hohe Verletzungswahrscheinlichkeit bei häufiger Wettkampfteilnahme, unabhängig von Team- oder Individualsport. Betrachtet wurden akute Verletzungen, aber auch Überlastungserscheinungen verschiedener Körperpartien bzw. Gelenke - z. B. Knie-, Hand-, oder Sprunggelenk, Leiste, Gesäß und Beckenbereich (Aicale et al. 2018). Beim Zustandekommen körperlicher Verletzungen spielen intrinsische (z. B. Trainingszustand, muskuläres Gleichgewicht, Gelenkstabilität, Alter) und extrinsische (z. B. Sportschuhe, Bindungen im Schisport, Bodenbeschaffenheiten, verschiedenste Bandagen und partielle Stützhilfen) Faktoren eine Rolle. Darüber hinaus beeinflussen die individuelle Lerngeschichte (z. B. Vorerfahrungen, erlernte sportartspezifische Bewegungsmuster) und das Verhalten des Trainers / der Trainerin das Risiko für körperliche Verletzungen (Moore / Frank 1997, 126 ff). Im Hinblick auf psychische Belastungen durch den Leistungssport ist die derzeitige Datenlage teilweise widersprüchlich. So wird angenommen, dass LeistungssportlerInnen gleich häufig an psychischen Erkrankungen leiden wie die Normalbevölkerung, sich in Abhängigkeit vom Geschlecht und der Sportart jedoch unterscheiden: Zum Beispiel mehr Essstörungen, Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen bei Sportlerinnen im Bereich des Turnens / Eiskunstlauf (ästhetische Sportarten). Im Schießsport sind beide Geschlechter gleichermaßen betroffen (Claussen et al. 2015; Markser / Bär 2019, 4; Schneider et al. 2013). Eine frühe Spezialisierung im Jugendsport auf eine einzige Sportart erhöht durch reduzierte Sozialkontakte außerdem die Gefahr, die Identitätsentwicklung des Sportlers / der Sportlerin einzuschränken. Perfektionismus und unrealistische Erwartungen der Eltern und BetreuerInnen können zudem zu unzureichenden Copingstrategien, Motivationsverlust, Gefühlsschwankungen und schlussendlich einem Burnout führen (Jayanthi et al. 2019). Auch im Erwachsenensport können Konkurrenzkampf, Erfolgsdruck und Leistungsoptimierung auf Dauer überfordern und zu Erschöpfung und Misserfolgserlebnissen beitragen und eine Abwärtsspirale begünstigen (Schneider 2013, 3). Depression durch Übertraining, akute Verletzungen, Niederlagen, Stress und Trainingsprobleme (Schneider 2013, 6 f), Burnout als Erschöpfungszustand auf körperlicher und psychischer Ebene (Schneider 2013, 16 ff), Angst- und Essstörungen (Claussen et al. 2015; Schneider 2013) aber auch Suchterkrankungen (Claussen et al. 2015) sind mögliche psychische Folgeerscheinungen im Leistungssport. Leistungssport erhöht das Risiko für negative Auswirkungen auf Körper und Psyche. 98 | mup 3|2023 Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen Um Verletzungen bzw. Überlastungen auf körperlicher und psychischer Ebene im Leistungssport vorzubeugen, werden unterschiedliche Regenerationsformen (z. B. Massagen, Kompressionen, Kälte- / Wärmebehandlungen, niederschwelliges Radfahren / Laufen, Ruhetage, Entspannungstechniken) durchgeführt (Kellmann et al. 2017). Eine Ergänzung dazu könnte die HIPS- Reittherapie sein. Die Art der Reittherapie zeichnet sich dadurch aus, dass sie erlebniszentriert und bewusstseinsfördernd aufgebaut ist und die Selbstwahrnehmung der TeilnehmerInnen in den Vordergrund stellt (vgl. Kapitel: Was ist HIPS? ). Studien zu reittherapeutischen Interventionen deuten im Allgemeinen auf positive Effekte hin: Zum Beispiel konnten in Einheiten mit älteren gesunden Personen Veränderungen auf motorischer (Verbesserung von Balancefähigkeit, Muskelkraft in den Beinen und Ansteuerung von Rumpfmuskeln) und hormoneller Ebene (Steigerung des Serotoninlevels bzw. Reduktion des Cortisollevels) beobachtet werden (Hilliere et al. 2018). In einer Übersichtsstudie wurden positive Auswirkungen von Reittherapieeinheiten auf die Herzfrequenzvariabilität dokumentiert. Als Ursache wird eine erhöhte Aktivität des parasympathischen Nervensystems angenommen, das durch die herbeigeführte Entspannung aktiviert wurde (García-Gómez et al. 2020). Reittherapie scheint sich außerdem positiv auf die Bewältigung von Alltagsaufgaben, die wahrgenommene Lebensqualität und Selbstwirksamkeitserwartung von Menschen mit chronischen neurologischen Erkrankungen auszuwirken (Pálsdóttir / Gudmundsson / Grahn 2020). Auf körperlicher Ebene zeigten die ProbandInnen eine verbesserte Balance, Kraft, Energie und Schlafqualität. Insgesamt wurde die Reittherapie als sinn- und freudvolle und gleichzeitig herausfordernde Aktivität wahrgenommen. Die ProbandInnen fühlten sich gesehen, gesund und mutig, da sie ihre PatientInnenrolle eintauschen konnten und stattdessen ein Zugehörigkeitsgefühl zur Reitcommunity empfanden (Pálsdóttir et al. 2020). Ob ähnliche Ergebnisse auch mit der HIPS-Reittherapie erzielt werden könnten, soll in der vorliegenden Studie untersucht werden. Was ist HIPS? HIPS (= heilsames, intuitives Pferdesetting) ist eine begriffsgeschützte Form der Reittherapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die von Sabine Dell’mour begründet wurde. Es handelt sich um eine forschungs- und theoriebasierte Methode, die den Menschen in seiner Gesamtheit (körperlich und psychisch) wahrnimmt. Die Methode basiert vorwiegend auf den Erkenntnissen von Petzold (1996; 2016) und Leitner (2010) und ihren Forschungen im Bereich der integrativen Bewegungstherapie. Wichtige Basis sind außerdem Bindungstheorien zwischen Menschen und Tieren (Julius et al. 2014), die Gangbewegungsübertragung des Pferdes auf den Menschen (Künzle 2000; Strauß 2008) und Erkenntnisse im Bereich der Pädagogik bzw. Heilpädagogik (Gäng 2010). Bei HIPS werden reittherapeutische Maßnahmen angeboten, die Menschen mit persönlichen Herausforderungen bzw. Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art (z. B. motorisch, kognitiv oder emotional) auf einem naturnahen Weg unterstützen. Diese Maßnahmen werden vielfältig gestaltet, wobei sie übungs- und erlebniszentriert, expressiv, bewusstseinsfördernd, unterstützend und vorbeugend aufgebaut sind. Die reittherapeutische Methode dient der Förderung der Selbstkompetenzen, aber auch der Selbstwahrnehmung und -wirksamkeit. Das Pferd wird unter Beachtung seiner artspezifischen Verhaltensweisen in die Arbeit miteinbezogen und es werden Beziehungs- und Bewegungsangebote gesetzt. All dies basiert auf dem Grundberuf des Reittherapeuten / der Studien zu reittherapeutischen Interventionen deuten auf positive Effekte hin. Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen mup 3|2023 | 99 Reittherapeutin und unter Abschätzung möglicher Risiken. Als Voraussetzung für die Ausbildung bedarf es einer Grundausbildung im Bereich der Bildungswissenschaften, Psychologie, Psychotherapie, Pädagogik, Sozialarbeit oder Medizin kombiniert mit einer mindestens zweijährigen beruflichen Tätigkeit in der Betreuung, Beratung, Therapie oder Pflege von Kindern, Jugendlichen und / oder Erwachsenen. HIPS-ReittherapeutInnen arbeiten im Netzwerk (Dell’mour 2016). In dem vorliegenden Projekt wurden die Einheiten von einer Psychologin und einer Sportwissenschaftlerin (beide HIPS-Reittherapeutinnen) gestaltet. Die vorliegende Studie Studien zu Effekten von Reittherapie zeigen Verbesserungen in der Balance- und Kraftfähigkeit (Hilliere et al. 2018; Pálsdóttir et al. 2020), der Schlafqualität (Pálsdóttir et al. 2020) und dem Hormonhaushalt (Hilliere et al. 2018). Die Selbstwahrnehmung und wirksamkeit und die soziale Zugehörigkeit änderten sich positiv durch eine längerfristige, wöchentliche Reiteinheit (Pálsdóttir et al. 2020). Die zuvor genannte HIPS-Reittherapie stellt einen ganzheitlichen Ansatz dar, bei dem körperliche und auch psychische Auswirkungen durch die Reittherapie berücksichtigt werden, wobei es vor allem um die Förderung der Selbstwirksamkeit, Erlebnisaktivierung und Selbstwahrnehmung sowie die Aufrichtung im Oberkörper geht. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob HIPS- Reittherapieeinheiten bei (Para-)LeistungssportlerInnen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen körperlichen Voraussetzungen Auswirkungen auf die Mobilität/ Beweglichkeit bzw. Balance und die Körperwahrnehmung haben können. Durch die HIPS-Reittherapie werden Verbesserungen in der Balance, Rumpfstabilität und Hüftbeweglichkeit nach fünf HIPS-Einheiten erwartet. Weiterhin wird eine Verbesserung der bewussten Wahrnehmung des eigenen Körpers und eine Verbesserung des Wohlbefindens angenommen. Methode ProbandInnen Vier LeistungssportlerInnen im Alter von 16 bis 61 Jahren nahmen an dem Projekt teil. Bei zwei Personen handelte es sich um gesunde LeistungssportlerInnen aus dem Nachwuchssport (Rudern, Radsport). Die beiden anderen ProbandInnen waren Para-SportlerInnen (Klettern) mit der Diagnose einer Multiplen Sklerose im fortgeschrittenerem Alter und auf unterschiedlichen körperlichen Leistungsniveaus. Zu erwähnen ist, dass bei einem Probanden / einer Probandin die Krankheit bereits zu einer teilweisen Bewegungseinschränkung und der damit einhergehenden Rollstuhlnutzung im Alltag führte. Die Teilnahme erfolgte freiwillig und unentgeltlich. Projektdurchführung Die ProbandInnen kamen über einen Zeitraum von fünf bzw. sechs Wochen wöchentlich zum Reiten und pro ProbandIn wurden fünf Einheiten durchgeführt. Ein / eine ProbandIn hatte aufgrund einer Erkrankung ein einmaliges Zeitfenster von 14 Tagen zwischen den Einheiten. Die Dauer einer jeden Einheit war auf die körperliche und psychische Verfassung der jeweiligen Person abgestimmt und dauerte maximal 50 Minuten. Für die Einheiten wurden zwei unterschiedliche Pferde eingesetzt, die sich durch unterschiedlich stark ausgeprägte Hankenbeugung in der Hinterhand und der Rumpfbreite unterschieden. Die unterschiedliche Hankenbeugung der Pferde ergibt unterschiedlich starke Bewegungsimpulse für den Reiter / die Reiterin in der Bewegungsübertragung. Je stärker die Beugung der Hinterhand des Pferdes, desto intensiver wirken die Bewegungen auf den Menschen. Die Rumpfbreite des Pferdes hat eine Auswirkung auf den Reitersitz und bei Einschränkungen im Bereich der Hüftmobilität ist zu Beginn ein schmalerer Pferderücken von Vorteil. Zwei ProbandInnen ritten immer auf demselben Pferd, bei den anderen beiden wurde ab der zweiten bzw. ab der dritten Einheit das andere Pferd genutzt. 100 | mup 3|2023 Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen Zum Pferdewechsel kam es aufgrund der erwarteten Vorteile (z. B. vergrößerte Bewegungsamplitude, vermehrte Hüftdehnung) für den / die ReiterIn und aufgrund persönlicher Präferenzen. Der allgemeine Ablauf der Einheiten war wie folgt: 1. Ankommen der ProbandInnen am Pferdehof 2. Beantwortung der Eingangsfrage(n) zum aktuellen Befinden 3. Durchführung Beweglichkeitstests (Auswahl von Übungen des Functional Movement Screens, Y-Balance-Test) 4. Reiteinheit von bis zu 50 Minuten 5. Interview zum Wohlbefinden und dieselben Beweglichkeitstests wie vor dem Reiten Die Reiteinheit selbst wurde in zwei ungefähr gleich lange Teile gegliedert, wobei Teil 1 von der Sportwissenschaftlerin mit Fokus auf den Sitz und die Haltung des Probanden / der Probandin gestaltet wurde. In Teil 2 beschäftigte sich die Psychologin mit der Umwelt- und Körperwahrnehmung des Probanden / der Probandin. Die beiden werden im Folgenden als Reittherapeutinnen bezeichnet, wobei ihre Grundberufe stets mitzudenken sind. Inhalte der HIPS-Reiteinheiten Die HIPS- Reiteinheiten wurden mit einer Pferdeführerin durchgeführt, wobei diese durch die beiden Reittherapeutinnen in Schrittlänge und Bewegungsgeschwindigkeit des Pferdes und der ausgewählten Hufschlagfiguren angeleitet wurde. Durch die bewusst beeinflusste Bewegungsqualität des Pferdes und die gewählten Linien kann auf den Reitersitz Einfluss genommen werden, ohne dies dem / der ReiterIn direkt mitzuteilen. Die ProbandInnen ritten das Pferd mit einem von Sabine Dell’mour eigens entwickelten schlanken Reitgurt mit zwei zarten Metallgriffen und einer speziellen Reitdecke. Der Reitgurt ist für die Durchführung der Einheiten wichtig, weil er dem / der ReiterIn ein hohes Maß an Sicherheit gibt und für eine optimale Sitzposition sorgt. Im ersten Teil der Reiteinheit lag der Fokus auf dem Sitz des Probanden / der Probandin am Pferd. Auf vorhandene Verspannungen im Körper sowie die Körperhaltung an sich wurde aktiv eingegangen. Die ProbandInnen wurden teils angeleitet oder dazu angehalten, selbstbestimmt Bewegungen zu finden und diese auszuführen. Den einzelnen Körperpartien (z. B. Becken, Beine, Oberkörper) wurde nacheinander die Aufmerksamkeit gewidmet, wobei auch das Zusammenspiel dieser berücksichtigt wurde. Beim Vorhandensein von vermehrter bzw. inadäquater Muskelspannung, eingeschränkten Bewegungsumfängen in Gelenken oder Dehnungsschmerzen in einem der Körperbereiche wurden die ProbandInnen eingeladen, mithilfe von Mobilisationsübungen oder einer Adaptierung der Position am Pferd ein verändertes Körpergefühl bzw. eine bewusste Körperwahrnehmung zu erfahren. Der zweite Teil befasste sich mit der Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umwelt, indem die ProbandInnen eingeladen wurden, ihren eigenen Körper und die Reize der unmittelbaren, ländlichen Umgebung bewusst wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen (z. B. Temperaturunterschiede, Lichtverhältnisse, Geräusche, Gerüche). Weiterhin wurde das Wohlbefinden der ProbandInnen in den Fokus gerückt und es wurden bewusste Atem- und Achtsamkeitsübungen angeboten (z. B. Körperreise, Atmung lenken). Die Übungsdauer wurde von den ProbandInnen in beiden Teilen der Reiteinheit selbst bestimmt. Messinstrumente - Erfassung des physischen Zustands Um den körperlichen Ist-Stand am Tag der Reiteinheit vor und nach dem Reiten zu erheben, wurden ausgewählte motorische Tests vor Ort durchgeführt (Abb. 1). Dabei handelte es sich um einzelne Übungen des Functional Movement Screens (Bonazza et al. 2017) und einem Y-Balance-Test (Shaffer et al. 2013). Die Auswahl der Tests erfolgte aufgrund ihrer Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen mup 3|2023 | 101 leichten Umsetzbarkeit und der Möglichkeit einer standardisierten Durchführung außerhalb eines Labors. Überkopfkniebeuge: Mit der Überkopfkniebeuge wurde die Beweglichkeit der Gelenke bzw. die Dehnfähigkeit unterschiedlicher Muskelgruppen und die Gesamtkoordination des Körpers erhoben. Die Kniebeugen wurden per Video aufgezeichnet und für die Analyse wurden einzelne Körperhaltungen bzw. Gelenksstellungen notiert und der gesamte Bewegungsablauf durch die Sportwissenschaftlerin bewertet. Hurdle-Step-Test: Mithilfe des Hurdle-Step- Tests wurde die Stabilität der Beinachse, des Beckens und des Rumpfs erhoben. Die Höhe des Hindernisses wurde anhand des Patellasehnen-Ansatzes am Schienbein ermittelt. Bei einem / einer Para-SportlerIn wurde die Höhe aufgrund der Einschränkung in der Mobilität nach unten angepasst. Die Bewegungen wurden aufgezeichnet und die Bewegungsabläufe durch die Sportwissenschaftlerin bewertet. Straight-Leg-Raise-Test: Beim Straight-Leg- Raise-Test wurde die Dehnfähigkeit der Oberschenkelrückseitenmuskulatur bzw. der hinteren Muskelkette erhoben. Die Bewegung wurde von den ProbandInnen als aktiver Beweglichkeitstest durchgeführt, indem sie das jeweilige Bein selbstständig bis zur maximal möglichen Winkelstellung durch Anspannen der Oberschenkelvorderseitenmuskulatur in Richtung Kopf bewegten. Die Bewegung wurde aufgezeichnet und mit einer Analysesoftware der Winkel im Hüftgelenk gemessen. Test zur Schultermobilität: Der Test für die Schultermobilität wurde durchgeführt, um einen Unterschied in der Beweglichkeit der linken und rechten Schulter festzustellen (Abb. 2). Dabei waren die ProbandInnen angehalten, die Handflächen hinter dem Rücken so weit wie möglich zusammenzuführen. Für eine Vergleichbarkeit wurden die Finderglieder eines / einer jeden Probanden / Probandin als Maß verwendet. Y-Balance-Test: Beim Y-Balance-Test wurden die Balance und die Gleichgewichtsfähigkeit der ProbandInnen überprüft. Der Test wurde mit dem linken und dem rechten Bein als Standbein durchgeführt (Abb. 3). Dabei waren die ProbandInnen angehalten, den Schieber so weit wie möglich ohne Berühren des Bodens entweder nach vorne, nach schräg hinten oder auf der Gegenseite schräg nach hinten zu schieben. Die Abstände zum Mittelpunkt wurden in Zentimetern gemessen und für die Auswertung wurden alle drei Richtungen zusammengezählt. Abb. 1: Beispiel des Test-Aufbaus in der Scheune Abb. 2: schematische Darstellung der Bewegung für die Überprüfung der Schultermobilität 102 | mup 3|2023 Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen Messinstrumente - Erfassung des psychischen Zustands in Form der eigenen Körperwahrnehmung Interviews: Um den aktuellen psychischen Zustand der ProbandInnen an den Tagen der Reiteinheiten zu erheben, wurde jeweils vor und nach dem Reiten ein Kurzinterview durchgeführt. Interview 1 (nach dem Ankommen der ProbandInnen am Pferdehof) bestand aus einer offenen Frage zum aktuellen Befinden und einer Einschätzung der Stimmung mithilfe einer Skala ( 0 = sehr schlecht , 10 = sehr gut ). Nach dem Reiten wurden den ProbandInnen acht offene, selbst formulierte Fragen zum eigenen Wohlbefinden und zur subjektiven Wahrnehmung des Körpers und der Körperaufrichtung am Pferd gestellt. Die vorgegebenen Fragen dienten dazu, einen Eindruck von den erlebten Erfahrungen am Pferderücken in Bezug auf Psyche und Körper zu erhalten. Über die fünf Reiteinheiten hinweg wurden jeweils vor und nach dem Reiten dieselben Fragen gestellt. Lediglich in der letzten Reiteinheit wurden drei Fragen zu potenziellen längerfristigen Auswirkungen durch die Reittherapie (1.) auf den Leistungssport und (2.) den Alltag im Allgemeinen sowie (3.) zum Interesse an einer Wiederholung des Projekts ergänzt. Alle Interviews wurden mittels Diktiergerät aufgezeichnet. Auswertung Um die Mobilisationstests bzw. den Y-Balance-Test auszuwerten, wurden die auf Video aufgezeichneten Bewegungen mit der Software Tracker 6.0.1 analysiert. Die notierten Abstandswerte wurden in Excel (Microsoft 365, Version 2205) zueinander in ein Verhältnis gesetzt. Die aufgenommenen Interviews wurden transkribiert und mithilfe der Bohnsack-Methode (Bohnsack 2010, 20) deskriptiv ausgewertet. Ergebnisse Deskriptive Analyse der physischen Veränderungen Bei der Ausführung der Kniebeuge wurde bei allen ProbandInnen durch die Reiteinheiten eine aufrechtere Oberkörperhaltung festgestellt und beim Hurdle-Step-Test nahm die gesamte Körperstabilität - Beinachse, Hüftkontrolle und Rumpfstabilität bei allen ProbandInnen durch die Reiteinheiten zu (Abb. 4). In den anderen Tests wurden bei den ProbandInnen positive wie negative Veränderungen festgestellt: Beim Straight-Leg-Raise-Test kam es in den Einheiten von Prä zu Post teils zu Verbesserungen (max. + 26 %) und teils zu Verschlechterungen (max. - 13 %). Im Mittel verbesserten sich die Werte direkt nach dem Reiten bei drei ProbandInnen (+ 9 %; + 15 %; + 16 %), wobei Abb. 3: schematische Darstellung der Bewegungen des Y-Balance- Tests (Bewegung nach vorne [A], nach hinten auf der Seite des aktiven Beines [B], quer hinter dem Körper [C]) Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen mup 3|2023 | 103 bei einer / einem ProbandIn eine Verschlechterung von − 5 % auftrat. Über die gesamten fünf Wochen kam es bei drei ProbandInnen zu einer Verbesserung von + 8 %; + 9 %; + 22 % (Abb. 5), wobei eine Person ein Verschlechterung von − 13 % aufwies. Die Rumpfstabilität eines Probanden war nicht ausreichend, um den Test der Schultermobilität (im Stehen oder Sitzen) durchzuführen. Die Beweglichkeit in der Schulter war nach den Einheiten teils erhöht (max. 5 Fingerglieder [FG] Überlappung), teils verringert (max. − 2 FG Überlappung). Im Mittel kam es bei allen drei ProbandInnen zu einer Verbesserung der Schultermobilität (+ 2,4; + 3,2; + 1,4 FG Überlappung). Über den Zeitraum von fünf Wochen verbesserte sich die Schultermobilität im Vergleich zu der Messung vor der ersten Reiteinheit bei zwei ProbandInnen (+ 2; + 2,5 FG), wobei ein / eine ProbandIn im Laufe der Wochen keine Veränderungen zeigte. Auch im Y-Balance-Test zeigte sich in den Einheiten von Prä zu Post teils eine verringerte (max. − 9 %), teils eine erhöhte Balance (max. + 13 %). Im Mittel kam es direkt nach dem Reiten zu einer geringfügigen Veränderung der Werte (+ 2 %). Über den Zeitraum von fünf Wochen kam es im Vergleich zu der Messung vor der ersten Reiteinheit bei allen vier ProbandInnen zu einer Verbesserung der Balancefähigkeit (+ 9 %; + 11 %; + 20 %; + 21 %). Deskriptive Analyse der psychischen Prozesse in Bezug auf die Körperwahrnehmung Bei den Antworten der ProbandInnen zu psychischen Variablen handelt es sich um Beschreibungen subjektiv empfundener Körperwahrnehmungen. Alltagsereignisse und private Herausforderungen haben diese maßgeblich beeinflusst und führten zu sehr unterschiedlichen Gefühlslagen zu Beginn der Einheiten. Vor dem Reiten : Insgesamt kamen die ProbandInnen überwiegend in guter Stimmung auf dem Abb. 4: Vergleich der Bewegungen des Hurdle-Step-Tests mit dem rechten Bein als Standbein; A - die Ausgangsbewegung vor dem ersten Reiten; B - Bewegung vor der letzten Reiteinheit; eine höhere Beinaktivität bei stabilem Rumpf und stabiler Beinachse ist erkennbar. Abb. 5: Vergleich der Beweglichkeit im Hüftgelenk beim Straight-Leg-Raise-Test zwischen der Ausgangsmessung vor dem ersten Reiten (A) und der Messung vor der letzten Reiteinheit (B). Eine Vergrößerung des Winkels im Hüftgelenk konnte gemessen werden. 104 | mup 3|2023 Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen Pferdehof an. Zwei ProbandInnen fühlten sich vor einer Reiteinheit müde. Bei den Para-SportlerInnen kam es vereinzelt zu körperlichen Beschwerden (Verdauungsprobleme, spastische Krämpfe), welche ihre Stimmung entweder nicht oder negativ beeinflussten. Eine Person fühlte sich vor einer Reiteinheit aufgrund der Ereignisse aus ihrem Alltag „genervt“. Auf der Befindlichkeitsskala von 0 bis 10 gaben die ProbandInnen Werte zwischen 3 und 9 (überwiegend 6 bis 9) an. Der Wert 3 kam lediglich ein einziges Mal vor. Nach dem Reiten : Alle TeilnehmerInnen berichteten von einem entspannteren Körpergefühl und einer verbesserten Wahrnehmung. Konkret die anlassbezogenen Trab-Sequenzen wurden als wichtig für die verstärkte Entspannung und Wahrnehmung einzelner Körperpartien beschrieben. Eine Person gab an, sich beim Reiten im „Hier und Jetzt“ zu fühlen. Eine durch private Herausforderungen geforderte Person konnte während der Reiteinheiten die Alltagsprobleme beiseite schieben und bei zwei ProbandInnen führte das Reiten zu einem „freien Kopf“. Das Sitzen am Pferd führte bei zwei ProbandInnen zu einer spürbaren Dehnung der Innenbzw. Außenseite der Oberschenkelmuskulatur, welche im Laufe der Einheiten abnahm. Die Para-SportlerInnen berichteten von einer wahrnehmbaren Belebung ihrer Beine und Füße in Form eines angenehmen Kribbelns. Nach den Reiteinheiten berichteten zwei ProbandInnen von einer kurzfristigen Stressreduktion. Eine Person benannte das Gefühl nach dem Reiten als „erleichtert“. Die Reiteinheiten führten bei zwei TeilnehmerInnen zu dem Gefühl einer aufrechteren Körperhaltung. Erwähnenswert in Bezug auf die Para-SportlerInnen ist, dass diese sich ab der ersten Einheit am Pferd sicher und mit der Situation vertraut fühlten. Auch traten während des Reitens bei ihnen keine Spastiken auf, wie es sonst in Trainings- und Alltagssituationen der Fall sein kann. Ein / eine Para-SportlerIn berichtete auch von einer verbesserten Sehschärfe nach jeder Einheit. Diskussion LeistungssportlerInnen verbringen viel Zeit damit, ihren Körper auf Höchstleistungen vorzubereiten und ein hohes Maß an Training und Selbstoptimierung prägt ihren Alltag. Ziel dieser Studie war die Erarbeitung und Durchführung eines Konzepts zu HIPS-Reiteinheiten in Ergänzung zu den vielfältigen Trainings- und Regenerationsgewohnheiten von vier (Para-) SportlerInnen. Zusammenfassend deuten die Ergebnisse auf eine verbesserte Mobilität und Körperwahrnehmung der ProbandInnen im Rahmen der fünf HIPS-Reiteinheiten hin. In den Interviews gaben alle ProbandInnen Entspannung und ein positives Körpergefühl durch die Einheiten an. In Einklang mit vorheriger Forschung konnten die (Para-)SportlerInnen ihre Balancefähigkeit verbessern (vgl. Hilliere et al. 2018; Pálsdóttir et al. 2020). Bei manchen Balance- und Mobilitätstests kam es im Wochenvergleich zu einer Verbesserung, innerhalb der Einheiten zeigten sich jedoch verschlechterte bzw. gleichbleibende Werte. Dies lässt sich durch Ermüdungseffekte erklären, die durch die einzelnen Übungen am Pferd, aber auch durch die vom Pferd ausgehenden Bewegungsimpulse hervorgerufen werden. Es bedarf Erholung und Zeit, um die externen Reize zu verarbeiten, weshalb der positive Effekt des therapeutischen Einsatzes des Reitens verzögert eintritt. Dies könnte mit einem Trainingseffekt (Superkompensation) im sportlichen Training verglichen werden (Weineck 2009). Die feinere Selbstwahrnehmung in Bezug auf den Körper war auch aus subjektiver Sicht der TherapeutInnen nach außen hin sichtbar und steht in Einklang mit Befunden bei Menschen mit chronisch neurologischen Erkrankungen (Pálsdóttir et al. 2020). Die ProbandInnen nahmen Veränderungen in der Oberschenkelmuskulatur in Form eines an- Das Resultat deutet auf eine verbesserte Mobilität und Körperwahrnehmung hin. Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen mup 3|2023 | 105 genehmen Ziehens bzw. Entspannung des zuvor vorhandenen Muskeltonus wahr. Durch das Sitzen am Pferd wurden die Beine der ProbandInnen in eine leicht gespreizte Position gebracht. Somit wurde die Muskulatur an der Oberschenkelinnen- und -außenseite während der Reiteinheiten ungewohnt gedehnt. Eine Sitzposition wie auf dem Pferd ist weder im Radnoch im Rudersport erforderlich. Die Muskeln im täglichen Training werden für die sportartspezifischen Bewegungen optimiert, abweichende Gelenkstellungen können jedoch Einschränkungen in der Dehnbarkeit der jeweiligen Muskulatur aufzeigen. Im Klettersport sind großräumige Bewegungen notwendig, jedoch waren diese für die Para-SportlerInnen nur bedingt möglich. Somit entstand auch bei diesen durch das Sitzen am Pferd eine ungewohnte Dehnung der Oberschenkelmuskulatur. Ein möglicher Grund für die wahrgenommene Entspannung der Muskulatur im Oberschenkel könnte die lange Dauer in der Sitzposition am Pferd sein, welche mit einer Verschiebung der Schmerztoleranz zusammenhängen könnte (Magnusson et al. 1996). Eine weitere mögliche Erklärung für eine spürbare Entspannung der Muskulatur könnte mit der Körperkerntemperatur des Pferderumpfes von 37 bis 38 ° C sein (Tierspital - Department für Pferde 2021). Die Körperkerntemperatur des Menschen liegt mit 36,5 bis 37 ° C leicht darunter und die Wärme kann zu einer verbesserten Durchblutung geführt haben (Preisinger 2017). Besonders bemerkenswert waren die Veränderungen bei einem der Para-Sportler. Dieser verbrachte den Alltag vorwiegend im Rollstuhl sitzend, da die Degeneration der Nerven bereits weit fortgeschritten und eine Wahrnehmung des Beckens und der Beine kaum mehr vorhanden war. Sein Gangbild war ataktisch und beide Krücken waren für die Fortbewegung notwendig. Beim Klettern bewegte er sich hauptsächlich durch den Einsatz der Arme. Die Reiteinheiten führten zu einer stark verbesserten Rumpfkontrolle und die Ansteuerung der Beine wurde wider Erwarten deutlich verbessert. Dem Probanden war es möglich, beim Hurdle-Step-Test beide Beine deutlich höher anzuheben und er musste nicht mehr durch die Therapeutin gestützt werden (Abb. 6 & 7). Es gelang ihm sogar, eine freistehende Überkopf- Abb. 8: Vergleich der Bewegung der Überkopfkniebeuge vor dem ersten Reiten (A = Ausgangsbewegung vor der ersten Einheit, B = Bewegung vor der letzten Einheit) Abb. 6: Vergleich der Bewegung beim Hurdle-Step-Test mit dem linken Bein als Standbein (A = Ausgangsbewegung vor der ersten Einheit, B = Bewegung vor der letzten Einheit) Abb. 7: Vergleich der Bewegung beim Hurdle-Step-Test mit dem rechten Bein als Standbein (A = Ausgangsbewegung vor der ersten Einheit, B = Bewegung vor der letzten Einheit) 106 | mup 3|2023 Reiner, Seifter - Veränderungen der Mobilität und Körperwahrnehmung von (Para-)LeistungssportlerInnen kniebeuge durchzuführen (Abb. 8). Außerdem konnte er sich zeitweise auf unebenem Untergrund mit einer einzelnen Krücke fortbewegen. All diese Ergebnisse wurden im Zuge der HIPS-Reittherapieeinheiten beobachtet, könnten aber auch bei anderen reittherapeutischen Interventionen zu erwarten sein. Wichtig für die Durchführung der beschriebenen Einheiten waren die Grundberufe der ReittherapeutInnen und die Erfahrung der Pferdeführerin. Das Team in diesem Projekt bestand aus einer Sportwissenschaftlerin, einer Psychologin und einer sehr erfahrenen Pferdeführerin. Durch die Professionen der beiden Therapeutinnen war es möglich, die einzelnen Reiteinheiten auf unterschiedliche Schwerpunkte auszurichten (körperliche und psychische Aspekte) und flexibel auf die Bedürfnisse der TeilnehmerInnen einzugehen. Die erfahrene Pferdeführerin konnte die Anweisungen der Therapeutinnen schnell umsetzten. Der Vorteil dieser Flexibilität ging auf der anderen Seite mit einer geringeren Standardisierung einher. Dies gilt auch für die Dauer der einzelnen Sequenzen innerhalb der Einheiten, die von den ProbandInnen selbst gewählt werden konnte und zum Ziel hatte, die Wahrnehmung für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu schulen. Als weitere Limitation ist die geringe ProbandInnenanzahl zu nennen. Mit einer größeren und homogeneren Gruppe könnten genauere Aussagen abgeleitet werden und die Ergebnisse wären besser generalisierbar. Da es sich in unserem Projekt um vier Fallbeispiele handelte, wurde keine Kontrollgruppe evaluiert. Bei diesen vier Fallbeispielen ging es vorrangig um die Entwicklung der Einzelpersonen während der Interventionsdauer und nicht um die Vergleichbarkeit zwischen den ProbandInnen. Der Einsatz standardisierter Fragebögen anstatt der selbstgestalteten, offenen Fragen hätte es erleichtert, die Aussagen der ProbandInnen einzuordnen und statistisch auszuwerten. Eine weitere Herausforderung stellte die Wettersituation dar. Die warmen Temperaturen in den Sommermonaten hatten einen Einfluss auf Mensch und Tier. Obwohl die Einheiten vormittags oder abends abgehalten wurden, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass vor allem die Para-SportlerInnen von den Temperaturen in ihrer Vitalität eingeschränkt waren. Durch Wetterphänomene wie Regen oder Gewitter mussten einige Einheiten verschoben bzw. verkürzt werden. Fazit Vor dem Hintergrund der genannten Limitationen müssen die Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden. Ziel dieses Beitrags war die Sammlung von Hinweisen auf eine mögliche Wirksamkeit von HIPS-Reittherapieeinheiten auf die Mobilität und Körperwahrnehmung bei (Para-)SportlerInnen. Auch wenn die Studie keine kausalen Schlüsse zulässt, deuten die vier Einzelfälle darauf hin, dass die Mobilität und Körperwahrnehmung durch den Einsatz von einfachen, von der / dem ReiterIn selbstausgewählten, und durch eine Reittherapeutin begleitete Bewegungssowie Achtsamkeitsübungen verbessert werden können. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, sind weitere Reittherapie-Projekte für die Zielgruppe (Para-) LeistungssportlerInnen sinnvoll. Literaturverzeichnis ■ Aicale, R., Tarantino, D., & Maffulli, N. (2018). Overuse injuries in sport: a comprehensive overview. 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Psychologin, Klinische und Gesundheitspsychologin, langjährige Erfahrung im Bereich tiergestützter Interventionen mit dem Hund, seit 2021 akademische Expertin für HIPS-Reittherapie Anschriften Marina Reiner · Zellbach 39 · 9433 St. Andrä · Österreich Email: marina.m.reiner@gmail.com Melanie Seifter · Waltendorfer Hauptstraße 50a / 7b 8010 Graz · Österreich · Email: melanie_seifter@hotmail.com injury predictive value of the functional movement screen: A systematic review and meta-analysis. The American Journal of Sports Medicine 45(3), 725-732, https: / / doi.org / 10.1177 / 03635 46516641937 ■ Claussen, M. C., Ewers, S. M., Schnyder, U., Frey, W., Schmied, C., Milos, G. (2015): Psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport. Swiss Medical Forum 15(45), 1044-1049, https: / / doi. org / 10.4414 / smf.2015.02460 ■ de Greeff, J. W., Bosker, R. J., Oosterlaan, J., Visscher, C., Hartman, E. 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