eJournals mensch & pferd international 15/4

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Forum: Wie Veränderungen in der ­pferdgestützten Intervention mithilfe einer App dokumentiert werden können

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2023
Isabel Stolz
Leonie Gabriel
Pferdgestützte Interventionen und Kostenübernahme – ein Thema, das für Fachkräfte und KlientInnen gleichermaßen interessant sein dürfte. Wir als Schriftleitung der MuP durften ein Interview mit dem EQUITEDO-Team, stellvertretend durch Dr. Isabel Stolz, führen, die uns die App EQUITEDO vorgestellt hat, mit der therapeutische Veränderungen messbar gemacht und evidenzbasiert abgebildet werden. Sie soll den Weg ebnen, damit Kostenträger im Gesundheitswesen die Ergebnisse nachvollziehen und finanziell unterstützen können.
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158 | mup 4|2023|158-161|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2023.art21d Isabel Stolz, Leonie Gabriel Forum Wie Veränderungen in der pferdgestützten Intervention mithilfe einer App dokumentiert werden können Pferdgestützte Interventionen und Kostenübernahme - ein Thema, das für Fachkräfte und KlientInnen gleichermaßen interessant sein dürfte. Wir als Schriftleitung der MuP durften ein Interview mit dem EQUITEDO-Team, stellvertretend durch Dr. Isabel Stolz, führen, die uns die App EQUITEDO vorgestellt hat, mit der therapeutische Veränderungen messbar gemacht und evidenzbasiert abgebildet werden. Sie soll den Weg ebnen, damit Kostenträger im Gesundheitswesen die Ergebnisse nachvollziehen und finanziell unterstützen können. Kurz und prägnant: Wie funktioniert die App und wer kann sie nutzen? EQUITEDO steht für „Equi - Therapie - Dokumentation“. Das bedeutet, dass sie zur systematisierten Evaluation und zur Erfassung bzw. zum Nachweis von Effekten therapeutischer Interventionen eingesetzt werden kann. Fachkräfte für pferdgestützte Therapie und Förderung können sie über das Smartphone, Tablet oder den PC nutzen und dadurch vielfältige Effekte ihrer pferdgestützten Interventionen im Zeitverlauf abbilden. Ziel ist es, dadurch die individuelle Wirksamkeit therapeutischer sowie (heil) pädagogischer Maßnahmen sichtbarer zu machen und auch für Dritte (z. B. Krankenkassen, Eingliederungshilfe und andere Leistungsträger) im Gesundheitswesen nachvollziehbarer zu machen. Wie sieht das in der Praxis aus? Was müssen Fachkräfte berücksichtigen, die die App nutzen möchten? Wie viel Zeit nimmt die Nutzung in Anspruch? Fachkräfte können die App auf www.equitedo.com herunterladen und sich ein Profil mit Terminkalender, KlientInnen und Rechnungen erstellen. In der KlientInnen-Stammdatenerfassung können dann Anamnesedaten (personen- und anthropometrische Werte) sowie individuelle Anmerkungen, Erkrankungen und Beeinträchtigungen eingetragen und einzelne KlientInnen bei Wunsch einer Gruppe zugeordnet werden. Dadurch kann unter anderem die spätere Berichtslegung digitalisiert werden. Für zusätzliche Informationen wie Therapieinhalte, genutzte Materialien oder individuelle Kommentare zum Therapieverlauf und der KlientInnen-Entwicklung stehen im Beurteilungstool freie Textfelder sowie eine Vorlage eines Befundberichts für medizinisches Fachpersonal zur Verfügung. Eine KlientInnen-Beurteilung nimmt im Durchschnitt 5-7 Minuten in Anspruch und kann somit unkompliziert und komfortabel nach der betreffenden Einheit eingegeben werden. Die App ist in vier Fachbereiche unterteilt. Für wen ist welcher Bereich geeignet und wie unterscheidet sich die Handhabung in Abhängigkeit dieser Bereiche? In der App gibt es ein Modul der „Pferdgestützten Therapie und Förderung“, welches als Basisversion für die ganzheitlichen Ziele der pferdgestützten Therapien fungiert. Hierbei werden drei Skalen gebildet (motorische, mentale und psychosoziale Forum: Stolz, Gabriel - Veränderungen in der pferdgestützten Intervention mithilfe einer App dokumentieren mup 4|2023 | 159 Funktionen), die gemeinsam den Entwicklungsstand bzw. die Funktionsfähigkeit der KlientInnen und PatientInnen in der pferdgestützten Therapie abbilden. Da Inhalte und Ziele sich in den einzelnen Disziplinen innerhalb der pferdgestützten Therapie und Förderung jedoch zum Teil stark unterscheiden, wurden Zusatzmodule für die (heil)pädagogische Förderung mit dem Pferd im Einzel- und Gruppensetting entwickelt, die sich im Einzelsetting eher auf spezifische mentale und motorische Aspekte beziehen (z. B. Wahrnehmung und Kognition) und im Gruppensetting vorrangig auf intra- und interpersonelle Aspekte im Kontext von Kommunikation und Interaktion. Für die Hippotherapie (Pferdgestützte Physiotherapie) wurde ein spezifisches Modul entwickelt, welches die bewegungsbezogene Funktionsfähigkeit sowie die Funktionsfähigkeit der motorischen Kontrolle abbildet. Hierdurch kann eine individuelle Schwerpunktsetzung ermöglicht werden. Was genau ist unter therapeutischen Veränderungen zu verstehen? Welche Variablen können konkret gemessen werden? Ziel von therapeutischen bzw. (heil-)pädagogischen Maßnahmen im Gesundheitswesen ist es in der Regel, einen positiven Einfluss auf das Erkrankungsgeschehen von KlientInnen und PatientInnen zu nehmen, Symptome zu lindern und / oder Funktionen wiederherzustellen und diese auch zu erhalten. Außerdem spielt die zielgerichtete Entwicklungsförderung eine Rolle, die (insbesondere im Kindes- und Jugendalter) häufig ganzheitlich orientiert ist. Die EQUITEDO-App basiert auf der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der WHO), welche die Funktionsfähigkeit von Menschen mit Erkrankungen und Beeinträchtigungen aus einer ressourcenorientierten Perspektive kodiert und international zum Beispiel für die Ergebnismessung und das Monitoring von Gesundheitsinterventionen zugrunde gelegt wird. Anhand der Modulmittelwerte können ICF-basierte Beobachtungsbereiche im Zeitverlauf statistisch ausgewertet und als Therapieverlaufsberichte dargestellt werden, um so therapeutisch induzierte Veränderungen gezielt abbilden zu können. Das kann zum Beispiel die Verbesserung der motorischen, mentalen oder psychosozialen Funktionsfähigkeit als ganze Skala betreffen, aber auch nur einzelne Bereiche. Dies können im psychosozialen Bereich Einzel-Items sein wie „Die Person / das Kind kann die eigenen Bedürfnisse ausdrücken“ oder „Die Person / das Kind kann in verschiedenen Situationen adäquat ihre / seine Gefühle regulieren. Das beinhaltet auch mit Ärger oder Frustration umgehen zu können.“ Können Sie die Vorteile, die durch die App entstehen, übersichtlich zusammenfassen? Der größte Vorteil der App ist die „Auswertungs- / Exportfunktion“, welche für die Fachkräfte eine erhebliche Arbeitserleichterung darstellt, da alle beurteilten Therapieverläufe automatisch ausgewertet und graphisch dargestellt werden können. Das, was also sonst häufig in mühsamer Kleinarbeit zusammengestellt werden muss und in der Regel nicht als Entwicklungsgraph und Balkendiagramm aufbereitet wird, kann innerhalb der EQUITEDO-App automatisch erstellt und mit zusätzlichen Kommentaren versehen werden. Auch ein Befundbericht für behandelndes medizinisches Fachpersonal mit individuell ausfüllbaren Textfeldern ist in der automatisierten Auswertung integriert. Nicht zuletzt sehen die TherapeutInnen selbst den Fortschritt in ihrer Arbeit und können diesen systematisiert dokumentieren. Verlaufsdokumentationen können dann in Form von Zwischen- oder Abschlussberichten an KlientInnen und Kostenträger weitergeleitet werden, um individuelle Therapiezielvereinbarungen festzulegen oder therapeutische Ergebnisse darzulegen. Zudem können hierbei individuelle Aspekte der Interventionen (Details zu Pferden, Gangarten, Therapieinhalten und -methoden) ganzheitlich erfasst und eigene Texte formuliert werden. Die App bietet viele Vorteile für Fachkräfte pferdgestützter Interventionen. Sehen Sie auch Nachteile bzw. Gefahren, die sie birgt? Uns fällt zum Beispiel ein stetiger Drang nach Verbesserung und Perfektion und das Gefühl, nicht genug zu liefern, aufseiten der Fachkräfte ein, die durch die App gestärkt werden könnten. Was denken Sie darüber? In der heutigen vermehrt auf Optimierung getrimmten Gesellschaft ist die Sorge nach einer Verkürzung von Therapieprozessen zugunsten der Gewinnung quantifizierbarer Daten natürlich berechtigt. 160 | mup 4|2023 Forum: Stolz, Gabriel - Veränderungen in der pferdgestützten Intervention mithilfe einer App dokumentieren Hierfür ist die App auf eine Weise konstruiert, dass freie Textfelder und persönliche Kommentare zum Therapieverlauf und der individuellen KlientInnen-Entwicklung eine ganzheitliche Betrachtung ermöglichen. Darüber hinaus können hierbei individuelle Aspekte der Interventionen (Details zu Pferden, Gangarten, Therapieinhalten und -methoden) ergänzt werden, um der Komplexität der Therapieprozesse gerecht zu werden. Somit sollte die App nicht als Selbstevaluationstool für Fachkräfte verstanden werden, sondern vielmehr als Mittel, um die vielfach in der therapeutischen Praxis beobachtbaren Veränderungen und Entwicklungen nach Kriterien des Gesundheits- und Rehabilitationssystems messbar zu machen. Im Idealfall haben die Fachkräfte im Vorfeld auch therapeutische Prozesse dokumentiert und professionalisieren diese Dokumentation mittels der Nutzung von EQUITEDO lediglich. Hintergrund zur Studie war unsere Erfahrung, dass in der therapeutischen Praxis viele berichtenswerte Dinge angestoßen werden, die sich anhand vorhandener Instrumente nicht in adäquater Qualität abbilden ließen. EQUITEDO soll demnach nicht nur die beobachtbaren Entwicklungen messbar machen, sondern durch die einheitliche und zeitsparende Nutzbarkeit vor allem eine erhebliche Arbeitserleichterung für TherapeutInnen darstellen. Was sollte aus Ihrer Sicht passieren, wenn die App keine messbaren Erfolge dokumentiert? Sollte die Therapie abgebrochen werden? Gibt es Unterstützungen für Anpassungen durch die App? Die App erfasst das, was die jeweilige Fachkraft in ihrem Angebot beobachtet und dokumentiert. Wenn hierbei therapeutische Erfolge ausbleiben, könnten Methoden variiert oder differenziertere Reize gesetzt werden, um die Passung der Maßnahme auf die Bedarfe der KlientInnen zu erhöhen. Gleichermaßen gibt es auch PatientInnen z. B. mit neurodegenerativen Erkrankungen, bei welchen eine Aufrechterhaltung der vorliegenden Funktionen über einen bestimmten Zeitraum bereits ein großer Erfolg sein kann. Hierbei kommt es auf die differenzierte Betrachtung, Zielsetzung und Analyse des Therapieprozesses durch die ausgebildete Fachkraft an. Der Fokus der App liegt auf den Veränderungen der KlientInnen. Werden auch die Fachkräfte selbst und die Therapiepferde berücksichtigt? Wenn ja, wie? Wenn nein, gibt es dazu Perspektiven? Fachkräfte können ein eigenes Profil erstellen und bei KlientInnen-Profilen detaillierte Informationen zu eingesetzten Pferden, Equipment, Gangarten und Methoden ergänzen. Als Kernfunktion der App soll jedoch die einheitliche und zeitsparende Beurteilung und Auswertung von Therapieverläufen verstanden werden. Kostenträger argumentieren, dass Therapien perspektivisch übernommen werden könnten, wenn der evidenzbasierte Wirkungsnachweis über deren Nutzen erbracht ist. Hierfür kann die Nutzung der EQUITEDO-App einen Beitrag leisten, um mit den Kostenträgern anhand dokumentierter Therapieergebnisse konkret ins Gespräch zu kommen. Gleichwohl benötigt es weiterer Forschungsarbeiten, bis mehr Menschen von pferdgestützten Interventionen profitieren können. EQUITEDO kann hier helfen. Nichtsdestotrotz freuen wir uns über Feedback aus der therapeutischen bzw. (heil-)pädagogischen Praxis, um auch mögliche weitere Perspektiven für eine optimierte Nutzbarkeit von EQUITEDO zu berücksichtigen. Meine Kollegin Leonie Gabriel (equitedo@fi-bs.de) ist in diesem Zusammenhang jederzeit als KundInnen-Kontakt für Fachkräfte ansprechbar und hat aus der engagierten Community bereits einige Erweiterungen und wichtiges NutzerInnen-Feedback in die Weiterentwicklung einbinden können. EQUI- TEDO ist ein Instrument aus der Praxis für die Praxis. Abschließend würden wir uns über ein praktisches Beispiel freuen, das das Vorgehen greifbarer macht. Können Sie uns einen konkreten Klienten bzw. eine Klientin und das Vorgehen der Fachkraft mit der App in diesem speziellen Fall vorstellen? Meine beiden Kolleginnen Désirée Frerich und Anja Reinhardt (beide Pferdesport- und Reittherapiezentrum der Gold-Kraemer-Stiftung) haben eine interessante Fall-Dokumentation über 1,5 Monate für ein zehnjähriges Mädchen (Emma, Name geändert) angefertigt. Sie hat eine allgemeine Entwicklungsverzögerung und nimmt an der dortigen pferdgestützten Therapie teil. Das nachfolgende Praxisbeispiel zeigt nachvollziehbar, wie die Forum: Stolz, Gabriel - Veränderungen in der pferdgestützten Intervention mithilfe einer App dokumentieren mup 4|2023 | 161 EQUITEDO-App genutzt werden kann und welche Entwicklungen im Beurteilungszeitraum zu beobachten waren. Désirée Frerich bietet zudem in regelmäßigen Abständen kostenlose Online-Workshops für interessierte Fachkräfte an, um die Nutzung und Auswertung mit EQUITEDO vorzustellen. Nähere Infos und Anmeldung hierzu finden sich unter www.equitedo.com/ workshops/ . Anmerkung: Das ausformulierte Praxisbeispiel ist im Praxistipp auf Seite 162 zu finden. Gibt es Dinge, die im Interview zu kurz kamen und die Sie gerne noch ergänzen möchten? Gerne möchte ich abschließend die Möglichkeit nutzen und mich für das engagierte Teamwork zur Entwicklung der EQUITEDO-App bedanken. Verantwortet wurde die Entwicklung der App durch das Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS gGmbH), einem An- Institut der Deutschen Sporthochschule Köln und in weiterer Trägerschaft der Gold-Kraemer-Stiftung und der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen. Unsere erste Publikation zur Entwicklung einer ICFbasierten Pilot-Version der heutigen App von Dr. Vera Tillmann (wissenschaftliche Leiterin) und mir haben wir tatsächlich schon 2017 in der MuP veröffentlichen dürfen. Perspektivisch hoffen wir über unsere internationalen Kooperationen mit dem spanischsprachigen AINISE Network und dem HETI- Weltverband demnächst auch eine englische und spanische Version anbieten zu können, um gemeinsam internationale Verbundprojekte und Studien mit größeren Stichprobenumfängen auf Basis der gemeinsamen internationalen Sprache des Gesundheitswesens der ICF der WHO zu realisieren. Damit wollen wir einen gemeinsamen Beitrag leisten, langfristig einen größeren Wissensschatz über therapeutische Wirkungen und Prozesse pferdgestützter Therapie und Förderung aufbauen zu können. Ein großer Dank geht an die Projektförderer: die Kämpgen Stiftung, die Marga- Walter-Boll-Stiftung und die Imhoff Stiftung für die finanzielle Unterstützung und konstruktive Begleitung zur Entwicklung des Instruments. Zudem wäre EQUITEDO nicht möglich geworden ohne die intensive und aufwendige personelle Unterstützung durch das Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e. V., das Pferdesport- und Reittherapie-Zentrum der Gold-Kraemer-Stiftung, dem ehemaligen Zentrum für Therapeutisches Reiten e. V. in Köln und über 40 weiteren TherapeutInnen und ExpertInnen bundesweit, die durch ihre Expertise an der Konstruktion und Erprobung des EQUITEDO-Tools für pferdgestützte Therapie mitwirkten und das Instrument mit über 260 eingegebenen KlientInnen für den Einsatz in der Praxis validierten. Die Autorinnen Isabel Stolz Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport und dem Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, Deutsche Sporthochschule Köln, Trainerin B Reiten Leonie Gabriel M. Ed. der Fächer Englisch, Spanisch und Bildungswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen, B.A. Sportwissenschaft, wissenschaftliche Hilfskraft am Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport Kontakt Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS gGmbH) · Paul-R.-Kraemer Allee 100 · 50226 Frechen www.fi-bs.de · www.equitedo.com