eJournals mensch & pferd international 15/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2023.art03d
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Forum: Abschied von Therapiepferd Monsun

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Lisa Frost
Wir alle, die mit Pferden in den unterschiedlichsten Aufgabenfeldern arbeiten, werden eines Tages mit diesem Thema konfrontiert: ein Therapiepferd, das uns viele Jahre begleitet hat, stirbt.
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mup 1|2023|13-20|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2023.art03d | 13 Lisa Frost Forum Abschied von Therapiepferd Monsun Traumasensible Begleitung einer intensivpädagogischen Wohngruppe im Trauerprozess Einleitung Wir alle, die mit Pferden in den unterschiedlichsten Aufgabenfeldern arbeiten, werden eines Tages mit diesem Thema konfrontiert: ein Therapiepferd, das uns viele Jahre begleitet hat, stirbt. Diesen Artikel widme ich einem Thema, das mich persönlich herausgefordert und fachlich reifen lassen hat: die Begleitung unserer Klienten im Umgang mit dem Tod eines unserer Therapiepferde im Therapeutischen Reitbereich der Diakonie Michaelshoven in Köln. Dabei lege ich den Fokus auf die Begleitung der Bewohner der intensivpädagogischen Wohngruppe Tiger, die auf einem traumapädagogischen Konzept basiert. Neben dem Prozess der Begleitung möchte ich vor allem die Chancen beschreiben, die eine gemeinsame und fachliche Aufarbeitung eines Verlustes für Klienten mit einer Traumafolgestörung bedeuten kann. Gleichzeitig möchte ich meine KollegInnen ermutigen, sich mit dem Thema Abschied von einem geliebten Therapiepferd auseinanderzusetzen und den damit verbundenen Schmerz nicht zu fürchten, sondern ihm mit der Hilfe anderer Menschen zu begegnen. Die Entscheidung über die Erlösung des Therapiepferdes Monsun Vor sechs Monaten erhielten wir durch unseren langjährigen Tierarzt eine traurige Nachricht. Unser 21-jähriger Wallach „Monsun“ hatte sich nach einem Sturz verletzt und stand viele Wochen aufgrund einer starken Lahmheit in seiner Box. Als der Heilungsprozess stagnierte und wir eine erneute Untersuchung durchführen ließen, zeigte die umfangreiche Diagnostik, dass die Verletzung unheilbar war. Eine Heilung war ausgeschlossen und damit auch ein würdiges Pferdeleben mit Bewegung und Freiheit. Wir entschieden uns nach reiflicher Überlegung, ihn von seinen Schmerzen erlösen zu lassen. Wir waren uns unserer Verantwortung bewusst und wollten Monsun kein Leben mit unheilbaren Schmerzen zumuten. Gemeinsam mit einer Abb. 1: Therapiepferd Monsun (Foto: Jana Stein, Köln) 14 | mup 1|2023 Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun Kollegin war ich beim Einschläfern anwesend und konnte das Pferd bei seinem letzten Gang begleiten. Monsun hatte über zehn Jahre in unserem Therapeutischen Reitbereich gelebt und unzähligen Menschen weitergeholfen, sie getragen und gestärkt. Der Schimmel war ein sensibles Pferd und das ranghöchste in der Herde. Neben der persönlichen Betroffenheit standen wir vor der Herausforderung, all unsere Klienten in einem Trauerprozess zu begleiten. Dafür holten wir uns Hilfe durch unsere Supervisorin, die selbst Ausbilderin im Bereich Traumapädagogik ist. Gemeinsam mit ihr erarbeiteten wir eine haltgebende Struktur für unser Team und unsere Klienten. Insbesondere konzentrierten wir uns dabei auf die Bewohner der Wohngruppe Tiger, die alle eine enge Bindung zu Monsun hatten und aufgrund eigener traumatischer Verlusterfahrungen eine engmaschige und stabilisierende Begleitung benötigen würden. Das Konzept der Wohngruppe Tiger Die intensivpädagogische Wohngruppe für sechs Kinder arbeitet mit einem traumapädagogischen Schwerpunkt. Die Zielgruppe sind Jungen im Aufnahmealter zwischen 6 und 11 Jahren mit Bindungs- und / oder Traumafolgestörungen. In der Wohngruppe finden Kinder einen sicheren Ort, die von Bindungsstörungen und von darüber hinaus wirksamen Mehrfachtraumata betroffen sind, insbesondere durch Gewalterfahrungen, Vernachlässigung, Entwertung und Missbrauch. Das Angebot des Therapeutischen Reitbereichs der Diakonie Michaelshoven ist im Konzept der Wohngruppe Tiger als ein wichtiger Bestandteil eines komplexen Hilfesystems für die dort lebenden Kinder fest verankert. Jedes Kind erhält ab dem Einzug in die Wohngruppe einmal wöchentlich für 60 Minuten ein pferdgestütztes Angebot (Frost 2021). Die Jungen, die in diesem Artikel beschrieben werden, habe ich vor dem Tod des Pferdes bereits zwischen sechs Monaten und drei Jahren begleitet, womit wir auf eine stabile Vertrauensgrundlage aufbauen konnten. Der Prozess der Trauerbegleitung Traumasensible Benachrichtigung der Klienten Nachdem Monsun eingeschläfert worden war, wurden die MitarbeiterInnen der Wohngruppe Tiger umgehend über den Tod des Pferdes unterrichtet. Zusätzlich wurde der Psychosoziale Dienst informiert, der das Team der Wohngruppe und die dort lebenden Kinder begleitet. Sollte es zu Krisen oder Notfällen kommen, würde also Unterstützung durch die zuständigen PsychologInnen bereitstehen. Die BetreuerInnen versammelten alle sechs Bewohner und vermittelten ihnen die traurige Nachricht. Dabei wurde erklärt, dass der Tod für Monsun eine Erlösung von seinen Schmerzen gewesen war. Viele der Kinder weinten, manche erzählten von ihren Großeltern oder von Haustieren, die bereits gestorben waren. Die Kinder konnten Fragen stellen und hatten Raum für ihre Gedanken. Wichtig war der sichere und stabilisierende Rahmen der Wohngruppe. Die KollegInnen der Wohngruppe informierten anschließend wiederum die ReitpädagogInnen über die Reaktionen der Kinder. Ich selbst habe den Kindern die Nachricht nicht überbracht, da ich persönlich zu diesem Zeitpunkt sehr betroffen war und deshalb die Unterstützung der KollegInnen dankend annahm. Den Krankheitsverlauf von Monsun hatten alle Kinder in den letzten Wochen intensiv miterlebt. Sie wussten, dass der Heilungsprozess schlecht verlief, dass das Pferd Schmerzen hatte und umfangreich gepflegt werden musste. Gemeinsam mit mir hatten sie den Verband gewechselt, Medikamente vorbereitet oder das kranke Pferd gefüttert und gepflegt. Viele Kinder der Wohngruppe waren bei jedem ihrer wöchentlichen Reittermine zu Monsun gegangen, um ihm gute Besserung zu wünschen. Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun mup 1|2023 | 15 Manche verzichteten auf das Reiten und pflegten dafür lieber ausdauernd das kranke Pferd. Durch diesen Prozess waren sich die Bewohner darüber bewusst, dass Monsun ernsthaft verletzt war. Sie hatten den Krankheitsverlauf miterlebt und wie wir alle gehofft, dass er wieder gesund werden würde. Traumasensibel kann hier der Aspekt der Partizipation betont werden, denn die Klienten konnten aktiv mitgestalten und das Pferd versorgen. Sie konnten in eine helfende Rolle schlüpfen und Verantwortung für „ihr“ Pferd übernehmen. Damit hatten sie eine Möglichkeit mit der Krankheit umzugehen und etwas zu tun, anstatt ihr nur ausgeliefert zu sein. Nach dem Tod des Pferdes kam der Gedanke, dass das Hoffen und Pflegen umsonst gewesen sei, da Monsun nicht wieder gesund geworden war, interessanterweise bei keinem der Kinder auf - obwohl diese Erfahrung mit dem Gefühl von Hilflosigkeit, Sinnlosigkeit und Ohnmacht verbunden sein kann. Vorbereitung der Trauerbegleitung und Stabilisierung des Teams Wir ReitpädagogInnen waren sehr betroffen und benötigten Zeit, um den Verlust von Monsun zumindest etwas zu verarbeiten, bevor wir unsere Klienten im Trauerprozess begleiten konnten. Neben dem Gefühl, die Verantwortung übernommen und die richtige Entscheidung getroffen zu haben, war bei mir vor allem ein Gefühl von tiefer Trauer vorherrschend. Die Endgültigkeit des Todes war so ernüchternd, schmerzhaft und schonungslos. Gleichzeitig spürte ich eine Erleichterung, da Monsun nach dem ruhigen und würdigen Abschied keine Schmerzen mehr haben musste. Wir schlossen den Reitbereich für zwei Tage. In dieser Zeit beschäftigten wir uns nur mit den anderen fünf Pferden, die auf den Verlust ihres Herdenmitglieds deutlich reagierten. Sie wirkten unruhig und angespannt und zeigten einen hohen Drang, sich zu bewegen und die Spannungen abzubauen. Gleichzeitig erschienen sie mir unsicherer als sonst. Um sich mit dem Verlust des geliebten Pferdes auseinandersetzen zu können, hatten wir für unsere Klienten nach Möglichkeiten gesucht, in Stille trauern und gleichzeitig aktiv werden zu können, wenn es hilfreich ist. Wir gestalteten in Monsuns Box einen schönen Ort der gemeinsamen Erinnerung. Dazu streuten wir die Box mit Stroh ein wie immer und legten auch seine Heuration in die Ecke. Wir hängten mehrere Strohschnüre auf, an denen mit Wäscheklammern Bilder befestigt werden konnten. Auf einem kleinen Tisch gab es eine Box für Briefe an Monsun und für kleine Geschenke an ihn. Eine große Leinwand befestigten wir am Fenster und legten Stifte bereit. Jeder hatte hier die Möglichkeit etwas zu malen oder zu schreiben, etwas mitzubringen, in der Box zu sein oder auch nur hineinzuschauen. Wir selbst machten den Anfang und malten etwas Persönliches auf die Leinwand und hängten die ersten Bilder auf. Die KollegInnen der Wohngruppe Tiger waren darüber informiert, welche Angebote der Trauerbegleitung es bei uns geben würde. In den zwei Tagen, in denen unser Betrieb geschlossen war, malten und schrieben die Kinder bereits gemeinsam mit ihren BetreuerInnen und konnten somit die Auseinandersetzung mit dem Tod von Monsun beginnen. Zusätzlich zur Supervision wurden wir ReitpädagogInnen durch einen Psychologen des Psychosozialen Dienstes begleitet, der mit uns in regelmäßigen Abständen die Fördereinheiten mit den Klienten und unsere Interventionen reflektierte. Damit gab es für uns einen Ort, an dem wir uns mit konkreten Fragestellungen in Bezug auf die Reaktionen der Klienten auseinandersetzen konnten. 16 | mup 1|2023 Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun Die Trauerbegleitung der Bewohner der Wohngruppe Tiger Kaum war der Reitbereich wieder geöffnet, erschienen schon die ersten Bewohner der Wohngruppe Tiger zaghaft am Zaun. Der erste Junge kam in Begleitung seines Bezugspädagogen und hatte mehrere Bilder für Monsun dabei. Wir gingen gemeinsam in Monsuns Box, wo er die Bilder aufhängte, ein buntes Herz auf die Leinwand malte und darunterschrieb: „Monsun, ich liebe dich.“ In den folgenden Tagen begleitete ich alle Jungen der Wohngruppe beim Gang in Monsuns Box. Wir sprachen viel darüber, was passiert war und warum Monsun eingeschläfert werden musste. Das war sehr wichtig, denn alle Kinder stellten Fragen und wollten genau wissen, warum es keinen anderen Weg gegeben hatte. Ein Junge sagte: „Warum hast du es erlaubt, dass Monsun getötet wird? “ Ich erklärte immer wieder, dass wir ihn von seinen unheilbaren Schmerzen erlösen mussten und dass diese Entscheidung Teil unserer Verantwortung für ein geliebtes Tier ist. Gleichzeitig sprach ich mit dem Jungen über seine und meine Trauer und über die Gefühle, die ihn beschäftigten. Es gab Unruhe in der Wohngruppe, da ein Junge mit viel Wut auf den Verlust reagierte. Auch darüber sprachen wir und die anderen Jungen konnten verstehen, warum einer von ihnen so wütend war und dass sich unter der Wut die Trauer versteckte. Die Box von Monsun wurde über mehrere Wochen von jedem der Jungen zu Beginn jeder Einheit besucht. Manchmal verbrachten wir dort die gesamte Stunde, schauten uns an, welche neuen Bilder gemalt worden waren, sprachen über Monsun oder spielten Verstecken im Stall. Immer wieder baute ich auch den Kontakt zu den anderen Pferden mit ein, die ebenfalls zu trauern schienen. Die Bewohner der Wohngruppe Tiger hatten ein Gespür dafür, wie es den anderen Pferden ging und kümmerten sich insbesondere um die „beste Freundin von Monsun“, die Ponystute May. Sie fraß schlecht und wirkte tagelang sehr unruhig und verunsichert, lief z. B. ziellos über ihren Paddock hin und her, den sie zuvor immer mit Monsun geteilt hatte. Die Kinder schlossen von ihrer eigenen Befindlichkeit darauf, dass es der Stute sehr schlecht gehen müsse und nahmen sich viel Zeit für sie. Sie hatten den Wunsch May zu trösten und es wirkte fast so, als ob sie sich stellvertretend mit der Trauer von May, mit der eigenen Trauer auseinandersetzten. Neben aller Trauer sprachen wir auch viel über lustige Erlebnisse mit Monsun und lachten darüber. Da viel Freude viel Belastung trägt (Bundesarbeitsgemeinschaft Traumapädagogik 2011, 7), waren die schönen Erinnerungen hilfreich und stärkend. Im gesamten Prozess der Trauerbegleitung wurden wir als Team durch unsere Supervisorin begleitet und unterstützt. Parallel zur Begleitung der Kinder nahm ich an den Teamsitzungen und der Supervision der Wohngruppe teil. Dort thematisierten wir die Reaktionen der Bewohner auf das Geschehene, ihre darin ausgedrückten Bedürfnisse - den guten Abb. 2: Monsuns Box Abb. 3: Bildergalerie für Monsun Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun mup 1|2023 | 17 Grund (ebd., 5) - und die erforderlichen Hilfestellungen durch uns. Ein Junge zeigte sehr regressive Verhaltensweisen und benötigte viel mehr Nähe und Zuwendung als zuvor. In der Wohngruppe forderte er mehr Umarmungen ein. Im Kontakt mit den Pferden wollte er gerne einfach auf dem Pferderücken liegen und getragen werden, wodurch er sich stabilisieren konnte. In den Fallbesprechungen mit dem uns unterstützenden Psychologen konnten wir die beobachteten Verhaltensweisen reflektieren, den guten Grund (ebd.) der Kinder erkennen und die weiteren Interventionen planen. Dadurch waren wir nicht alleine im Begleitungsprozess, sondern die große Verantwortung wurde geteilt und gemeinsam getragen. Zusammenfassend arbeiteten wir als ein multiprofessionelles Team Hand in Hand zusammen und erst diese Zusammensetzung aller Beteiligten hat die umfangreiche Unterstützung der Kinder möglich gemacht. Die traumapädagogische Grundhaltung in der Trauerbegleitung Unsere Sorge, dass der Tod des Pferdes zu einer deutlichen Destabilisierung einzelner Bewohner führen würde, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die haltgebende und strukturierte Begleitung bei dieser Verlusterfahrung ihnen die Möglichkeit gegeben hat, eine wichtige Erfahrung im Umgang mit einem Bindungsabbruch zu erlangen. Die Jungen wurden begleitet, getröstet und ihnen wurde zugehört. Sie konnten sich ausdrücken und Fragen stellen. Sie wurden ernst genommen und auch in ihren Emotionen wie Wut oder Ärger angenommen. Es gab einen Raum für die Trauer und es gab ausreichend Zeit, sich mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Damit wurden die Grundsätze der traumapädagogischen Grundhaltung (Bundesarbeitsgemeinschaft Traumapädagogik 2011) in den Trauerprozess integriert. Annahme des guten Grundes „Alles, was ein Mensch zeigt, macht einen Sinn in seiner Geschichte! “ (ebd., 5). In der Praxis bedeutet das die Würdigung und Wertschätzung der Verhaltensweisen der Kinder als Überlebensstrategien (ebd.). Wie bereits beschrieben, setzten wir uns intensiv mit den Verhaltensweisen der Kinder und dem dahinterstehenden guten Grund auseinander. Wertschätzung „Es ist gut so, wie du bist! “ (ebd.). Das Erleben von Wertschätzung ist ein erster Schritt zur Selbstakzeptanz (ebd.). Jedes Kind konnte in seiner Art und Weise auf den Verlust reagieren und wurde so gewürdigt und angenommen. Wut, Trauer und Fragen - alles hatte seinen Platz. Partizipation „Ich traue dir was zu und überfordere dich nicht! “ (ebd., 6). Abb. 4 und 5: Abschiedsbilder 18 | mup 1|2023 Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun Die Kinder mussten Kontrollverlust und Ohnmacht erleben. Daraus resultiert die Erwartung, keinen Einfluss auf sich und sein Umfeld zu haben. Deshalb ist es entscheidend, dass sie jetzt teilhaben können und Einfluss nehmen können (ebd.). In der Begleitung und Pflege des kranken Pferdes wurden die Kinder aktiv beteiligt. Die Kinder übernahmen Verantwortung und erlebten sich als aktiv und selbstwirksam. Ihnen wurde zugetraut, mit dem Thema Krankheit und Tod umzugehen. Im Trauerprozess konnten sie sich in Form von Bildern und auf der großen Leinwand ausdrücken und teilhaben. Dem Gefühl des Kontrollverlustes durch den Tod des Lieblingspferdes versuchten wir durch Partizipation, Transparenz und intensive Begleitung und Stabilisierung entgegenzuwirken. Transparenz „Jeder hat jederzeit ein Recht auf Klarheit! “ (ebd.). Aufgrund eigener belastender Erfahrungen haben die Kinder meist einen willkürlichen Umgang mit sichernden Strukturen und Hierarchien erlebt (ebd.). Der Therapeutische Reitbereich ist ein sicherer Ort, der eine klare Struktur, Regeln und Rituale für den Umgang miteinander und mit den Pferden bietet. Die Kinder wurden in den Prozess von Krankheit und Tod mit einbezogen. Ihnen wird angemessen in Bezug auf ihr Alter erklärt, warum das Pferd eingeschläfert werden musste. Damit besteht Transparenz und Klarheit in einem geschützten Rahmen. Die Kinder erlebten, dass sie von der Reitpädagogin an allen Prozessen beteiligt wurden und dass ihre Wünsche, Sorgen und Ängste ernst genommen wurden. Spaß und Freude „Viel Freude trägt viel Belastung! “ (ebd., 7). Da traumatische Erlebnisse mit Emotionen wie Angst, Trauer oder Scham gekoppelt sind, ist es wichtig „die Freudenseite zu beleben und ihr einen besonderen Schwerpunkt zu geben“ (ebd.). Freude, Spaß und das Erleben von Selbstwirksamkeit stehen bei der Interaktion mit dem Pferd im Vordergrund. Ressourcen können entdeckt und gestärkt werden. Das hilft die Belastung und die Widerstandsfähigkeit ins Gleichgewicht zu bringen (ebd.). Umgesetzt wird dieser Aspekt durch die gemeinsame Erinnerung an schöne Momente mit Monsun, durch gemeinsames Lachen oder Spielen in Monsuns Box. Auch die Interaktion mit den anderen fünf Pferden vermittelt Freude. Und Freude ist „eine der größten Ressourcen, die wir haben“ (Kast 2014, 208). Fazit Die Auseinandersetzung mit dem Tod von Monsun und der Prozess der Verarbeitung dauern an und sind noch lange nicht abgeschlossen. In der täglichen Arbeit mit den Klienten bleibt der Prozess bestehen. Alle Bewohner der Wohngruppe Tiger kommen nach wie vor hochmotiviert zum Therapeutischen Abb. 6: Erinnerungen an schöne gemeinsame Momente Abb. 7: gemeinsam gestaltete Leinwand für Monsun Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun mup 1|2023 | 19 Reiten. Monsun bleibt präsent und wir sprechen oft über ihn. Der Verlust an sich hat die Bewohner der Wohngruppe Tiger nicht destabilisiert, obwohl sie auf tiefgreifende Verlusterfahrungen und vielfache Bindungsabbrüche in ihrem Leben zurückblicken müssen. Entscheidend ist wohl der stärkende Rahmen, der ihnen Halt und Sicherheit geben konnte. Betrachtet man die Faktoren, die eine Stabilisierung begünstig haben, so muss die emotionale, körperliche und soziale Stabilisierung hervorgehoben werden. Eine körperliche Stabilisierung erfolgte im Kontakt mit dem Pferd durch das Gehalten- und Getragenwerden, sowie durch die Nähe und Wärme des Tieres. Dies wurde in einem weiter oben beschriebenen Fallbeispiel deutlich: ein Junge benötigte mehr körperliche Zuwendung und zeigte einen hohen Bedarf, durch das Pferd getragen zu werden. Der individuelle und intensive Begleitungsprozess jedes Kindes diente der emotionalen Stabilisierung. Im Kontext der Wohngruppe Tiger ist der sozialen Stabilisierung ein hoher Wert zuzuschreiben: das gesamte komplexe Hilfesystem der Kinder war vernetzt und arbeitete Hand in Hand. So stabilisierte das Umfeld die Klienten für die Bewältigung der herausfordernden Situation. Vogelsang (2021) betont die Rolle des Pädagogen als „sicherer Hafen“, der die Kinder bei der Entwicklung von sicheren Bindungen unterstützt. Dabei seien Feinfühligkeit, Präsenz, Hilfe zur Überwindung von Sprachlosigkeit und das Bieten von Nähe, Trost und Körperkontakt hilfreich (ebd., 3). Diese Aspekte finden sich in dem Prozess der Begleitung der Bewohner der Wohngruppe Tiger wieder. Die Begleitung meiner Klienten im Trauerprozess hat mich persönlich und in meiner Rolle als Reitpädagogin wachsen lassen. Die anfängliche Angst und Unsicherheit, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein und nicht ausreichend Halt und Sicherheit bieten zu können, hat sich nicht bewahrheitet. Vielmehr wurde das Thema Tod zu einer Selbstverständlichkeit, da es uns jeden Tag begleitete, ohne dabei leichtfertig oder unachtsam behandelt zu werden. Es war Teil des Alltags und gehörte dazu. Oftmals haben die Kinder mich überrascht durch ihre offene Art über den Tod zu sprechen, durch ihre Fragen und ihre Unbefangenheit. Bei mir zu Hause brannte über viele Wochen jeden Abend eine Kerze für Monsun. Das war mein Abschiedsritual, das mir persönlich Halt gab. Er war mein Lieblingspferd und auch für mich war es ein schmerzhafter Abschiedsprozess. Meine eigene emotionale Stabilisierung war die Grundlage für eine haltgebende zugewandte Arbeit mit meinen Klienten. Wichtig war für mich zudem meine eigene Rollenklarheit. Es gab einen Rahmen für mich, in dem ich mich selbst mit meinen Emotionen auseinandersetzte und es gab einen klaren Auftrag - die Begleitung meiner Klienten. Für beide Rollen gab es einen Raum, der sich nicht vermischte. Meine Abb. 8 und 9: gemeinsam gestaltete Leinwand für Monsun 20 | mup 1|2023 Forum: Frost - Abschied von Therapiepferd Monsun eigene Betroffenheit verarbeitete ich im privaten Umfeld und gemeinsam mit meinen KollegInnen. Dafür waren insbesondere die zwei Tage der Schließung des Therapeutischen Reitbereichs nach Monsuns Tod sehr hilfreich. In der Begleitung meiner Klienten legte ich meine Betroffenheit nicht ab. Aber ich war so in mir verankert, dass ich Halt geben konnte. Nicht zuletzt hat der Zusammenhalt im Team mich gestärkt und die Zusammenarbeit mit unserer Supervisorin, die auch uns ReitpädagogInnen im Sinne einer traumasensiblen Grundhaltung half, mit der herausfordernden Situation umzugehen und uns stärkte, nicht in der Ohnmacht stecken zu bleiben, sondern in eine selbstwirksame Gegenbewegung zu gehen. Durch die Begleitung meiner Klienten im Abschiedsprozess von Monsun konnte ich miterleben, wie stabilisierend und stärkend sich ein intensiver Begleitungsprozess auswirken kann - ich selbst hätte nicht erwartet, dass dies gelingen kann. Für die Zukunft schöpfe ich aus dieser Erfahrung viel Mut, Hoffnung und Begeisterung für die Begleitung vieler Menschen in herausfordernden Lebenssituationen mithilfe der Pferde. Gleichzeitig konnte ich erleben, dass der persönliche Abschiedsschmerz mithilfe anderer Menschen, die ihn mittragen, zu bewältigen ist. Das hat mir viel Kraft und Mut gegeben. Diesen Mut möchte ich auch all meinen KollegInnen mit auf den Weg geben. Literatur ■ Bundesarbeitsgemeinschaft Traumapädagogik (2011): Standards für traumapädagogische Konzepte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Ein Positionspapier der BAG Traumapädagogik ■ Frost, L. (2021): Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd für Kinder mit einer Traumafolgestörung. Die Kooperation zwischen dem Therapeutischen Reitbereich Michaelshoven und der Wohngruppe „Tiger“ der Diakonie Michaelshoven in Köln. Mensch und Pferd international 4, 152-158 ■ Kast, V. (2014): Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau ■ Vogelsang, P. (2021): Soziale Stabilisierung - Krisenintervention - Selbstfürsorge. Skript im Rahmen der Fachfortbildung Traumapädagogik mit dem Pferd des IPTh Abb. 10: Lisa Frost mit Monsun Abb. 11: Freude über das, was bleibt Die Autorin Lisa Frost Diplom-Heilpädagogin, Reitpädagogin DKThR, Teamleitung Therapeutischer Reitbereich der Diakonie Michaelshoven in Köln, Ausbilderin im Gesundheitssport mit Pferd, Bewegungsberaterin Prävention durch Reiten, Absolvierung der Fachfortbildung Trauma - Pferdegestützte Traumabegleitung - am IPTh, Zusatzqualifikation Traumapädagogik (DeGPT / Fachverband Traumapädagogik) Kontakt Therapeutischer Reitbereich Michaelshoven Kinder - und Jugendhilfen Michaelshoven gGmbH Pfarrer-te-Reh-Str. 1 · 50999 Köln l.frost@diakonie-michaelshoven.de