eJournals mensch & pferd international 15/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2023.art05d
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Praxistipp: Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen

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Magdalena Bauer
Im Forumsbeitrag haben wir nun die wichtigsten Aspekte des Handpferdereitens und der Ausbildung eines Pferdes zum Handpferd dargelegt.
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mup 1|2023|29-33|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2023.art05d | 29 Magdalena Bauer Praxistipp Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen Im Forumsbeitrag haben wir nun die wichtigsten Aspekte des Handpferdereitens und der Ausbildung eines Pferdes zum Handpferd dargelegt. Im nachfolgenden Beitrag möchte ich nun noch darauf eingehen, welche positiven Aspekte sich daraus ergeben und wie diese genutzt werden können. Dabei soll einerseits der Nutzen für das Pferd, andererseits der Nutzen für die Arbeit im pädagogischen Kontext dargelegt werden. Das Training des Pferdes Die Arbeit mit dem Pferd als Handpferd hat mehrerlei Vorteile, welche ich nun gerne anschneiden möchte. Gewöhnung des jungen Pferdes ans Gelände Hat man nun ein junges Pferd, welches die vorbereitenden Übungen absolviert hat, so gibt es kaum eine bessere und sicherere Art das Tier ans Gelände zu gewöhnen, denn es als Handpferd mitzunehmen. Es lernt gehorsam zu sein, baut Kraft und Kondition auf und lernt gleichmäßig vorwärtszugehen. Dabei kann es seine Bewegungen optimal entfalten und sein Gleichgewicht verbessern, ohne durch das Gewicht des/ der ReiterInnen belastet zu sein. Nebenbei erkundet es stressfrei das Gelände und kann sich in unsicheren Momenten an der Sicherheit des Reitpferdes orientieren. Aufbau von Kondition und Kraft Unabhängig davon, ob Pferde nach verletzungsbedingter Pause oder junge Pferde, Stuten nach einer Fohlenpause oder auch Reitpferde trainiert werden, hilft das Reiten mit Handpferd immer Kondition, Kraft und Gleichgewicht zu fördern und zu trainieren. Hierbei gilt es zu beachten, welche Strecken gewählt werden: Zum Aufbauen von Kraft eignen sich besonders Strecken, bei denen die Pferde bergauf und bergab steigen müssen, zum Aufbau von Kondition eignen sich vor allem lange Strecken, die ein gleichmäßiges gutes Vorwärts oder eventuell Intervalltraining zulassen. Der Vorteil des Handpferdes ist, dass die zusätzliche Belastungskomponente „Reiter“ wegfällt, aber dennoch dieselben Trainingsmöglichkeiten genutzt werden können wie beim gerittenen Pferd. Somit entfällt beispielsweise der Belastungsfaktor Kreis, wie er häufig beim Longieren gegeben ist, außerdem ist das Training abwechslungsreicher als am Laufband. Für Fortgeschrittene: Wechsel der Hand- / Reitpferde Einen besonderen Luxus hat der / die ReiterIn, wenn er oder sie über zwei so gut ausgebildete Pferde verfügt, dass beide gleichermaßen gut als Hand- und Führpferd zu nutzen sind. Der große Vorteil ergibt sich daraus, dass bei einem langen Ausritt gewechselt werden kann. So sind beide Pferde gleichmäßig belastet durch ReiterIn und können längere Ritte mit guter Energie absolvieren. 30 | mup 1|2023 Praxistipp: Bauer - Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen Das Handpferdetraining für Therapiepferde - Warum, wieso, weshalb? Der Nutzen des Handpferdereitens für Therapiepferde muss hier nach vorliegenden Erläuterungen vermutlich nicht mehr länger ausgeführt werden, dennoch zusammengefasst eine kurze Übersicht der Vorteile: ■ Gewöhnung des Therapiepferdes ans Gelände ■ Automatische Desensibilisierung gegenüber Geräuschen und Gegenständen durch die Vorbildwirkung des sicheren Führpferdes ■ Aufbau von Kraft und Kondition abseits des Therapiegeschehens ■ Erhalt einer fleißigen und willigen Mitarbeit - Vorwärtsdenken und Lauffreude ■ Erhalt und Förderung der Geraderichtung ■ Verbesserung der Trittsicherheit und des Gleichgewichts ■ Keine Belastung durch das Gewicht der Reiterin bzw. des Reiters Gerade für Therapiepferde, die in ihrem Alltag häufig gut gefordert und beansprucht sind, bietet die Arbeit als Handpferd somit eine optimale Möglichkeit zur Erhaltung der Mitarbeit und der körperlichen Gesundheit. Die Handpferdearbeit mit KlientInnen Nun ist noch ein Thema des Handpferdereitens offen zu diskutieren - die Nutzung des Handpferdes mit KlientInnen im therapeutisch-pädagogischen Kontext. Zuallererst soll hier ein wichtiger Aspekt erwähnt werden: SAFETY FIRST! Hier darf man sich nichts vormachen, so schön die Arbeit mit Handpferd ist, sobald ein / eine KlientIn miteinbezogen wird, gilt es vermehrt auf die Sicherheitsaspekte zu achten. ■ Das Handpferd wie auch das Führpferd müssen absolut unerschrocken und zuverlässig sein. ■ Keine halb ausgebildeten Handpferde ins Gelände mit KlientInnen lassen. ■ Bei der Arbeit mit KlientInnen unbedingt zuvor versicherungsrechtliche Aspekte (Zäumung! ) klären. ■ KlientInnen müssen soweit sattelfest sein, dass sie in halbwegs ausbalanciertem Sitz in Schritt und Trab, eventuell auch schon im Galopp, in der Bahn reiten können. ■ Grundkenntnisse der Zügel-, Schenkel und Gewichtshilfen sind optimalerweise bekannt. ■ Das Tempo richtet sich nach den KlientInnen. Mit diesen - in meinen Augen unerlässlichen - Grundsätzen fallen natürlich nun schon einige KlientInnen weg, die für das Reiten im Gelände infrage kommen. Sind diese Grundvoraussetzungen allerdings nicht gegeben, kann der / die TherapeutIn in meinen Augen auch zu Fuß mitgehen und eventuell sichernd einwirken. Unter Beachtung der Sicherheitsaspekte jedoch bietet das Reiten mit Handpferd eine tolle Möglichkeit zur Erweiterung des Settings in der Abb. 1: Der Blick über die Pferdeohren - ein toller Anblick, der KlientInnen bei einem Handpferdausritt ermöglicht wird. Praxistipp: Bauer - Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen mup 1|2023 | 31 pädagogischen und therapeutischen Arbeit mit dem Pferd, die für mich persönlich zwei große Vorteile birgt: ■ Kommunikation auf Augenhöhe ■ Erweiterung der Tempofähigkeit im Gelände Angesichts dieser Aspekte möchte ich nun auf zwei konkrete Möglichkeiten eingehen, die ich in meiner Arbeit mit KlientInnen gerne mit Handpferd nutze. Der geführte Ausritt mit Handpferd in der Beziehungsarbeit Gerade in meinem Grundberuf als Sozialpädagogin bin ich in meiner Arbeit häufig mit KlientInnen konfrontiert, die körperlich absolut fit sind - also beste Voraussetzungen für das Reiten im Gelände mitbringen. Vielen KlientInnen ist jedoch gemein, dass sie viele Beziehungsabbrüche, Wohnortwechsel und schwer zu verarbeitende zwischenmenschliche Erlebnisse mitbringen. Kurz gesagt: Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung und einer Gesprächsbasis fällt häufig schwer. Der Vorteil des Handpferdereitens ist hierbei in meinen Augen zum einen natürlich die Bewegung des Pferdes (welche so aber auch in der Halle gegeben ist), zum anderen aber vor allem das Reiten „auf Augenhöhe“. In dem Moment, in dem auch ich am Pferd sitze, wird die Hemmschwelle sich zu öffnen aus meiner Erfahrung häufig sehr schnell viel kleiner - sei es, weil der/ die KlientIn eher das Pferd anspricht, was augenscheinlich im ungezwungenen Setting der Natur leichter fällt, oder sei es, weil der Kontext, wenn auch ich am Pferd sitze, noch offener wirkt als in einer Reithalle. Bewegung öffnet häufig und bei einem gemeinsamen Ausritt kommen meiner Erfahrung nach Dinge zur Sprache, für die sonst einiges mehr an Vorarbeit hätte geleistet werden müssen. Selbstverständlich können hier je nach Kontext auch vorbereitete Impulsfragen helfen, das Gesprächsthema in gewünschte Richtungen zu lenken. Einen großen Vorteil bietet hier die Möglichkeit des Reitens in verschiedenen Gangarten, welche bei einem einfachen Spaziergang nicht gegeben ist. Häufig erwirkt ein Gespräch den Wunsch in einem / einer KlientIn, kurze Abschnitte schneller zu reiten, um mehr Input zu erhalten oder aber auch, um gewisse Gefühle „abzuschütteln“. Dies kann man mit Handpferd wunderbar ermöglichen. Wichtig ist hier in meinen Augen der enge Austausch mit BetreuerInnen, SozialarbeiterInnen und weiteren TherapeutInnen - nur so kann dieses Setting optimal genutzt werden. Abb. 2: Kommunikation auf Augenhöhe - ein großer Vorteil des Handpferdereitens Abb. 3: Letzte Absprachen - der Zügel des jungen Reiters wurde zusätzlich zum Gebiss im Nasenriemen eingehängt, um das Pferdemaul zu schonen. Abb. 4: Und los geht’s - nach Übung im sicheren Terrain der Ovalbahn geht’s ins Gelände. 32 | mup 1|2023 Praxistipp: Bauer - Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen Der geführte Ausritt mit Handpferd im Kontext der Aufmerksamkeitsförderung Auch in der Aufmerksamkeitsförderung muss dem Ausritt mit Handpferd meines Erachtens nach eine besondere Bedeutung zugesprochen werden. Auch hier hat man es häufig mit KlientInnen zu tun, welche körperlich so fit sind, dass sie die entsprechenden Grundvoraussetzungen erfüllen können. Besonders gerne bei einem Ausritt mit Handpferd in diesem Kontext mach ich mir das Spiel „Ich seh’, ich seh’, was du nicht siehst“ oder abgewandelt „Ich hör’, ich hör’, was du nicht hörst“ zunutze. Ich persönlich habe den Vorteil, in einem unglaublich tollen Gelände (im Innviertel in Oberösterreich) arbeiten zu dürfen, welches alle Möglichkeiten bietet: Wald, Wiese, Straße, Schotter - dabei mit unglaublicher Flora und Fauna. Angefangen von Rehen über Hasen und Fasane bis hin zu diversen Falkenarten und anderen Vögeln, arbeite ich mit meinen KlientInnen in sehr unberührter Natur. Der Ritt am Pferd ermöglicht - wenn man die Aufmerksamkeit entsprechend lenkt - sehr häufig sehr nahe Beobachtungen dieser Tierwelt. Somit entsprich unser „Ich seh’, ich seh’, was du nicht siehst“ nicht dem klassischen „Ich sehe etwas mit der Farbe Grün“, sondern vielmehr versuche ich hier die Aufmerksamkeit auf die Artenvielfalt in unserer Natur zu lenken. Selbiges gilt auch für unsere Fauna: Angefangen von Maisfeldern über verschiedene Weizenarten, Raps, Senf, diverse Wiesenzusammensetzungen bis hin zu wunderschönen Mischwäldern bietet auch die Artenvielfalt der Flora hier zu den verschiedenen Jahreszeiten schier unzählige Möglichkeiten zum Beobachten, Entdecken und Vergleichen. Besonders gerne mache ich mir die Ruhe im Wald zunutze: Durchat- Besonders schöne Erfahrungen können hier gemacht werden, wenn auch eine Bezugsperson zu einem Ausritt mitkommen kann. Nicht selten passiert es mir, dass Eltern auf mich zukommen mit dem Wunsch, bei einem solchen Ritt dabei sein zu können. Häufig sind Vorerfahrungen (aus der Kindheit) vorhanden und unter Abwägung des Risikos und nach einem Vorab-Kennenlernen in einem geschützten Rahmen, bietet ein Ausritt mit Handpferd für die Klientin bzw. den Klienten und Begleitung durch die Bezugsperson wunderbare gemeinsame Erlebnisse. Selbstverständlich sei auch besonders in diesem Rahmen noch einmal darauf hingewiesen, dass großes Augenmerk auf die Vermeidung von unnötigem Risiko gelegt werden muss! Eine schlechte Erfahrung macht in diesem Kontext mehr kaputt, als dass sie hilft. Abb. 6 & 7: Der Kreativität der Fachkraft sind zu den verschiedenen Jahreszeiten und Begebenheiten keine Grenzen gesetzt. Abb. 5: Tolles Gelände vielseitig nutzen - ein Vorteil des Handpferdereitens Praxistipp: Bauer - Handpferdereiten - Sinn und Nutzen für Pferd und KlientInnen mup 1|2023 | 33 men und ganz bewusst die Augen schließen, die gleichmäßigen Schritte des Pferdes spüren und wahrnehmen, wie unzählig viele verschiedene Töne und Geräusche im Wald zu hören sind. Es gibt kaum Kinder, die sich darauf nicht gerne einlassen - und ganz häufig wird mir von Eltern im Nachhinein berichtet, dass die Kinder nach einem solchen Ausritt sehr geerdet und ruhig, fast wie in „Trance“ erscheinen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass nicht jede Umgebung diese Möglichkeiten bietet - doch hier sind, wie in vielen Belangen, der Kreativität der Fachkraft keine Grenzen gesetzt (unterschiedliche Geräusche auf unterschiedlichen Böden, unterschiedliche Takte in verschiedenen Tempi etc.). Damit möchte ich noch einen Aspekt aufgreifen, welcher bisher im Kontext der Aufmerksamkeitsarbeit beim Ausritt noch nicht erwähnt wurde: die Änderung der Gangarten. Alles bisher Erwähnte in der Aufmerksamkeitsförderung könnte selbstverständlich auch in einem geführten Setting stattfinden. Aber auch hier kann ich mir den großen Vorteil zunutze machen, dass ich selbst am Pferd sitzend optimal auf das Handpferd einwirken kann, bezogen auf Tempowünsche der Klientin oder des Klienten. So mag es manchmal notwendig sein, eine kurze Trab- oder sogar Galoppphase einzubauen, um das Bewegungsbedürfnis der Klientin bzw. des Klienten zu befriedigen, bevor eine erneute Phase der Aufmerksamkeit eingeleitet wird. Fazit: Alle diese Aspekte entsprechen meiner eigenen Erfahrung. Noch einmal möchte ich unbedingt darauf hinweisen: Die Arbeit mit Handpferd muss gut überlegt und entsprechend vorbereitet sein, ansonsten kann der Schaden einer negativen Erfahrung schlimmer sein als der mögliche Nutzen bei einer gelingenden Einheit. Unbedingte und absolut notwendige Voraussetzung für die Arbeit mit Handpferd sind in meinen Augen körperlich fitte KlientInnen und bestens ausgebildete Pferde. Sind diese Voraussetzungen gegeben und ist man sich seiner Verantwortung bewusst, dann ist die Arbeit mit Handpferd eine tolle und absolut sinnvolle Erweiterung des Settings, mit dem ich bislang nur gute Erfahrungen machen durfte! Abb. 8: Mit sicheren Pferden klappt’s sogar in schnellerem Tempo zu dritt - ein tolles Erlebnis für alle Beteiligten! Die Autorin Magdalena Bauer ist Dipl. Sozialpädagogin (FH), Islandpferdereitinstruktorin (Trainer B), Lehrwart für integratives Reiten, staatlich geprüfte Fachkraft für Heilpädagogische Förderung mit Pferd, Geitner Instruktorin Level 1, langjährige hauptberufliche Tätigkeit am Islandpferdehof Lichtegg in Andorf Kontakt Magdalena Bauer · Lichtegg 1 · 4770 Andorf · Österreich