eJournals mensch & pferd international 16/1

mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Forum: Persönliche Einblicke - Pferdegestützte Psychotherapie aus Sicht einer Betroffenen

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2024
Sandra Großhausmann
Mein Name ist Sandra und ich durfte in den vergangenen Jahren die pferdegestützte Psychotherapie kennenlernen. Für mich war es damals eine ganz neue Therapiemethode. Da ich so begeistert und überzeugt von der Wirksamkeit bin, möchte ich in diesem Rahmen ein paar Eindrücke zu dem Konzept geben und was die Therapie mit den Pferden bei mir verändert hat.
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14 | mup 1|2024|14-20|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art03d Forum Persönliche Einblicke - Pferdegestützte Psychotherapie aus Sicht einer Betroffenen … ursprünglich war das alles gar nicht in dem Ausmaß geplant und dann haben die Pferde mein Leben komplett verändert Sandra Großhausmann Mein Name ist Sandra und ich durfte in den vergangenen Jahren die pferdegestützte Psychotherapie kennenlernen. Für mich war es damals eine ganz neue Therapiemethode. Da ich so begeistert und überzeugt von der Wirksamkeit bin, möchte ich in diesem Rahmen ein paar Eindrücke zu dem Konzept geben und was die Therapie mit den Pferden bei mir verändert hat. Was beinhaltet die pferdegestützte Psychotherapie genau? Es ist keine Therapieform, die auf das Reiten ausgelegt ist. Eher geht es um die Kommunikation mit den Pferden auf dem Boden. Dafür bedarf es einer klaren Körpersprache, eines sicheren Stands und manchmal auch etwas Geduld und Toleranz. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Pferde auch Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Tagesformen sind. Ich finde genau das gut, denn es spiegelt die Realität wider. Im Alltag funktioniert ja auch nicht immer alles auf Knopfdruck. Natürlich muss es da auch Grenzen geben und die zeige ich den Pferden auch auf, aber sowohl der Therapeutin als auch mir liegt das Wohl der Pferde am Herzen. Deshalb beginnen wir jede Stunde mit einem kleinem Check in der Reithalle. Wie verhält sich das Pferd heute? Ist etwas auffällig? Hat es Blessuren? Wie wirkt es von der Körperhaltung auf mich? Dies lässt Rückschlüsse auf die Stimmung des Pferdes zu. Ist es angespannt, unruhig oder gelassen, bewegungsfreudig? An dieser Stelle liegt es nahe, dem Pferd menschliche Gefühle zu unterstellen. Es sollte aber differenziert werden zwischen den menschlichen Gefühlen und den beobachtbaren Verhaltensweisen der Tiere. Auch das Putzen hat nicht nur einen therapeutischen Hintergrund (langsam Nähe aufbauen), sondern dient zusätzlich dazu, das Pferd auf etwaige Verletzungen zu untersuchen. In den Sommermonaten ist es in der Reithalle viel kühler als draußen, deshalb kommen die Pferde da auch sehr gerne mit in die Halle. Aber da wird dem Pferd körperlich nicht viel abverlangt. Ebenso, wenn sie im Frühjahr die ersten Ladungen mit nassem Gras im Magen haben und träge sind. Jedes Pferd bekommt vor der Therapie sein Frühstück und zwei Therapien in Folge werden vermieden. In der Regel bleibt es bei ein bis maximal zwei Einheiten pro Tag. Selbst wenn es von außen oft nicht so wirkt, wird dem Pferd bei einer so feinen Kommunikation viel Konzentration abverlangt, sodass es seine Pausen braucht. Der größte Unterschied zu anderen Therapieformen liegt aber darin, dass wir nicht nur reden, sondern ins Handeln kommen. Es kann auch mal Stunden geben, in denen viel gesprochen wird. Manchmal muss das sein, aber in der Regel liegt der Fokus auf dem Handeln und nicht dem theoretischen Besprechen. Dass die Pferde irgendwann nicht mehr „nur“ eine Therapieeinheit pro Woche für mich bedeuteten und ich beim Anblick der beiden Gefühle wahrnehme, die ich so nicht mehr kannte, war, wie in der Überschrift schon angedeutet, nie geplant. Alle Pferde leben vor Ort in Offenstallhaltung. Wenn ich bei den zwei Pferden ankomme und schon bevor sie mich sehen mit einem Wiehern begrüßt werde, wird mein Herz butterweich und alle „Härte“, die ich mir angewöhnt habe, um mich vor Gefühlen, die eine Verletzung bedeuten können, zu schützen, ist weg. Die Zauberfee und der Rentner Falstaff, der Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen mup 1|2024 | 15 mittlerweile 30 Jahre alt ist, sind täglich in meinem Kopf. Ich rede viel von den beiden und bin seit ca. 3 Jahren weitaus öfter am Stall, als es geplant war. Aber das ist gut! Ich habe etwas gefunden, was meinem Leben einen wunderschönen Sinn gibt. Es ist aus der Idee einer Therapie entstanden und dann wuchs diese Leidenschaft in mir. Ich bin tief davon überzeugt, dass die pferdegestützte Therapie viel mehr Menschen helfen kann. Auch, wenn sich nicht eine solche Liebe entwickelt, wie es bei mir der Fall ist. Nicht ohne Grund bieten immer mehr Kliniken Therapie mit Pferden an. Als Anfang 2018 erneut eine Psychotherapeutin die Therapie abbrach, wusste ich nicht, was für ein Glück das für mich bedeuten würde. Ich hatte zu dem Zeitpunkt eine lange Liste mit abgebrochenen ambulanten Therapien, Klinikaufenthalten und Kriseninterventionen in der zuständigen Akutpsychiatrie. Rückblickend kann ich die Beweggründe vieler Entscheidungen zwar nachvollziehen, sehe aber den großen Fehler im System. Ich war nie böse oder wollte bewusst provozieren, sondern war mehrfach schwer traumatisiert. Mein eigenes Gerüst, in dem die Anorexie seit Jahren mein Schutzwall war, gab mir zu viel Sicherheit, als dass ich es komplett hätte aufgeben können. Zum damaligen Zeitpunkt war ich schon lange in einer psychiatrischen Behandlung und bat um eine intensivere Unterstützung. Was ich nicht wusste: Meine behandelnde Psychiaterin und Fachärztin für Psychotherapie hatte zwei Camargue-Pferde und gerade die Ausbildung zur Fachtherapeutin für pferdegestützte Psychotherapie absolviert. Bis dato hatte ich so gut wie gar keine Berührungspunkte mit Pferden. Aber genug schlechte Erfahrungen mit Menschen, um der Überzeugung zu sein, dass die Tiere niemals schlimmer sein könnten. Ich hatte als Kind nie verstanden, warum Pferde auf den Menschen hören sollten, wenn sie doch stärker waren. Denn meine bisherige Erfahrung war, dass die stärkeren Menschen die schwächeren runtermachen. Für mich war es hilfreich, ganz neutral auf die Pferde zuzugehen, ohne große Erfahrungen und „einfach“ zu vertrauen. Zu denken, dass dieses Vertrauen von heute auf morgen da war, wäre utopisch. Und dennoch hat es nur wenige Monate gedauert, bis ich eine sehr prägende Therapiestunde hatte. Es war laut vor der Reithalle und die Stute noch relativ jung und unsicher. Sie war ängstlich und unruhig. Ich hatte verstanden, dass Pferde Fluchttiere waren und ich ihnen Sicherheit vermitteln solle. Ich möchte gar nicht groß ausschweifen, aber am Ende dieser Stunde legte sie ihren Kopf in meine Hand und wir blickten uns tief in die Augen. Seit dem Tag bin ich verliebt in die „Zauberfee“, die eigentlich einfach Fee genannt wird. Was hat die pferdegestützte Therapie konkret verändert? Meine Haltung Wer Opfer von Gewalt, Mobbing oder Missbrauch war, entwickelt als Folge eine unsichere, in sich gekehrte Körperhaltung. Ich stand die erste Zeit immer mit übereinander gekreuzten Beinen in der Reithalle. Dadurch ist die Gefahr, erneut zum „Opfer“ zu werden, groß. Nach wenigen Monaten hatte ich meine neue Körperhaltung verinnerlicht. Abb. 1: „Meine“ Pferde in artgerechter Offenstallhaltung 16 | mup 1|2024 Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen Ein aufrechter, sicherer Stand. Sonst hätten die Pferde mich doch einfach wegziehen können. So klein dieser Aspekt erscheinen mag, so wichtig ist er im Alltag. Ich werde anders wahrgenommen, ernst genommen und wirke oft weitaus selbstsicherer, als ich mich fühle. In der klassischen Körpertherapie wird zu Beginn einer Einheit oft geschaut, wie sicher man steht und das wird dann auf die Gesamtsituation übertragen. Ich sage in diesen Momenten bis heute, dass ich sicher und mit beiden Füßen fest am Boden stehe, dass das aber nichts mit meinen Gefühlen zu tun hat. Ich habe diese Haltung mittlerweile tief verinnerlicht. Dabei möchte ich aber nicht verschweigen, dass ich als Teenager und junge Erwachsene sehr viel Tanzerfahrung sammeln konnte und daher ein gutes Körperbewusstsein habe. Nähe zulassen Es ist vielleicht schwer vorstellbar, aber ich habe irgendwann niemanden mehr an mich herangelassen. Weder emotional, noch körperlich …Ich rede oft sehr gefühllos und abgespalten. Das ist ein Schutzmechanismus, der mich seit dem Kindesalter in vielen Situationen gerettet hat. Aber irgendwann wurde es zu einer Art innerem Gefängnis. Am Stall habe ich erstmals gelernt, wieder Nähe zuzulassen. Ich hatte ja keine Negativerfahrungen mit Tieren im Allgemeinen und Pferden im Speziellen gesammelt. Zu Beginn ging es darum, das Pferd zu striegeln und mit ihm durch die Halle zu gehen. Genauso wichtig wie die Nähe zuzulassen war es aber auch, das Pferd immer wieder auf Distanz zu bekommen. Am Anfang jeder Stunde haben wir gemeinsam geschaut, in welcher Verfassung das Pferd ist und was wir heute von dem Pferd erwarten können. Bei aller therapeutischer Unterstützung steht das Wohl der Pferde und die Wahrung der Bedürfnisse beider Seiten immer an erster Stelle. Wir arbeiten nie mit einem kranken oder hungrigen Pferd noch verlangen wir bei Hitze große körperliche Arbeit. Da ich die Pferde nach über 5 Jahren mehr als alles andere liebe, würde mir das auch gar nicht mehr in den Sinn kommen. Bisher haben wir immer einen Kompromiss aus den Bedürfnissen der Pferde und den meinen finden können. Bis heute bin ich dankbar, dass die ersten Monate aus reiner Bodenarbeit bestanden. Es war nie geplant, dass ich irgendwann mal eigenständig reite oder Berichte über diesen wundervollen Themenbereich verfasse. Natürlich kann ich kaum einem Lebewesen näher sein als einem Pferd, das mich trägt. Ein unbeschreibliches Gefühl! Distanz zu inneren Themen erlangen An manchen Tagen ist es für mich bis heute schwer, eine Distanz zu meinen inneren und belastenden Themen zu erlangen. Gedanken kreisen im Kopf und schnell führt das zu einer Destabilisierung. In „normalen“ Gesprächen sitze ich bei diesen Themen teilweise in mich gekehrt, obwohl ich weiß, dass diese Haltung meine Unsicherheiten und Depressionen nur noch verstärkt. Sobald ich aber auf dem Pferd sitze, kann ich viel klarer und distanzierter denken. So können die Gespräche mit der Psychotherapeutin in eine gute und lösungsorientierte Richtung gelenkt werden. Obwohl das Reiten ursprünglich nicht in der pferdegestützten Psychotherapie im Fokus steht, habe ich mich doch oft auf das Pferd gesetzt, wenn Gespräche über belastende Themen anstanden. Eine weitere Möglichkeit Distanz gewinnen zu können, ist mit dem Pferd Übungen am Boden zu machen, die meine volle Aufmerksamkeit verlangen. Ich bekomme diese Form der Distanz eher bei der Bodenarbeit als beim Reiten an sich. Das kann daran liegen, dass ich beim Reiten theoretisch an Tausend andere Dingen denken kann, weil viele Bewegungsabläufe mittlerweile verinnerlicht sind. Ich habe in all den Jahren den Anspruch bekommen, auf dem Boden mit ganz subtilen, leisen Signalen zu arbeiten. Am liebsten ohne Halfter, ohne Gerte, nur mit meiner Körperhaltung und Atmung. Dafür muss ich mich fokussieren und mit meiner Aufmerksamkeit zu 100 % beim Pferd sein. Ich kann nicht erwarten, dass das Pferd mir seine volle Aufmerksamkeit schenkt, wenn ich mit meinen Gedanken nicht zu 100 % bei ihm bin. Förderung neuer Kompetenzen Als wir Anfang 2018 mit der Therapie gestartet haben, saß ich dort im Gespräch und hatte das Gefühl, dass ich einfach nichts kann. Ich konnte etwas basteln, habe schon immer geschrieben (Texte und Briefe) und gesungen. Aber so richtig kompetent fühlte ich mich in wenigen Bereichen. Lediglich einer Fähigkeit war ich mir bewusst: Ich konnte hungern, über Monate hinweg, in kurzer Zeit 10 Kilo und mehr abnehmen und notfalls sogar die Trinkmenge drastisch reduzieren, um Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen mup 1|2024 | 17 nichts mehr fühlen zu müssen. Als kleine Hintergrundinformation zum Bereich der Magersucht: Wenn das Körpergewicht niedrig ist, sind viele Betroffene emotionslos. Wenn Gefühle zu stark werden oder „negative“ Gefühle zu sehr im Fokus stehen, wird diese Möglichkeit der Regulierung gerne genutzt. Das weiß ich durch den Austausch mit Mitpatienten bei meinen vielen Klinikaufenthalten. Ich bin ein feinfühliger Mensch. Wie viele andere Betroffene auch, denke ich manchmal, ich sei selbst ein Fluchttier. Ich nehme die Umgebung viel differenzierter war und bin immer in einer gewissen Hab-Acht-Stellung. Daher nehme ich die Gefühle anderer stärker wahr. Ob der Auslöser eine Hochsensibilität oder eine erhöhte Wachsamkeit und Kampf- / Fluchtbereitschaft als Traumafolge ist, spielt für mich keine Rolle. Im Kontakt mit den Pferden merkte ich schnell, dass da etwas ganz Besonderes heranwachsen kann. Durch meine Feinfühligkeit und Neugier lernte ich schnell, die Pferde einzuschätzen, erlernte mit Leichtigkeit immer wieder neue Bodenübungen und irgendwann landete ich dann auf dem Pferderücken. Wie ich in der Überschrift schon erwähnte: Das war in dem Ausmaß alles nicht geplant. Ich wollte nie reiten! Bis heute bin ich dankbar, dass ich die ersten Monate ausschließlich auf dem Boden mit den Pferden kommunizierte. Davon profitiere ich auch auf dem Pferderücken bis heute. Irgendwann begann ich Pferdeliteratur zu lesen, erklärte Psychotherapeuten und Praktikanten, wie diese Therapieform funktioniert, demonstrierte ein paar Übungen, erklärte den Gewinn der Therapie mit dem Pferd und wurde, zumindest am Stall, immer selbstsicherer. Als ich dann Anfang des Jahres auf einer großen Pferdemesse über die pferdegestützte Psychotherapie bei traumatisierten Menschen reden durfte, fasste ich den Entschluss, meine Erfahrungen und die Begeisterung, die ich entwickelt habe, zu teilen. Heutzutage kann ich eigenständig reiten, gehe auch außerhalb der Therapiezeiten zu den beiden Pferden, versorge sie oder arbeite am Boden in der Reithalle. Ich weiß nicht, ob es sich negativ auswirkt, wenn Betroffene Reiterfahrung haben. Ich kann aber für mich sagen, dass gut war, dass die Pferdewelt mir bis Anfang 2018 gänzlich fremd war und ich nicht einmal wusste, wie ich ein Halfter anlege. Ich habe in den letzten Wochen, nachdem ich mich körperlich stabilisiert habe, versucht, wieder an meine „alten“ Hobbys anzuknüpfen. Der Tanz war mein Leben, ich habe sogar selbst unterrichtet. Nach einer Probestunde im Sommer 2023 wurde mir leider klar, dass die Gefühle von damals nicht mehr in mir aufsteigen und Abb. 2: Horse dancing als eine Form der Bodenarbeit verlangt Konzentration und macht Spaß. Dabei haben beide Seiten Erfolgserlebnisse. Abb. 3: Nähe und Vertrauen 18 | mup 1|2024 Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen meine Leidenschaft nicht mehr wie damals ist. Bei den Pferden hatte ich weder Leistungsdruck (ich wusste ja eh nichts über die Tiere), noch konnte ich es mit früheren Erfahrungen vergleichen. Das ist aber nur meine subjektive Wahrnehmung und das kann bei jedem anders sein. Es ist möglich, dass andere Betroffene, die beruflich Erfolge erzielen, diesen Aspekt gar nicht in den Fokus stellen. Aber mit Ende 20 eine Rente zu beziehen, hat schon etwas mit mir gemacht. Einen sicheren Ort finden In vielen Therapieformen habe ich mit Imaginationen versucht, mir innerlich einen sicheren Ort zu erarbeiten, an den ich in schwierigen Situationen zurückgehen kann. Auch davon können viele profitieren, mir fiel es allerdings schwer, mich an einen Ort zu erinnern, an dem ich nie war. Ich kannte aber auch keinen realen sicheren Ort. Mittlerweile habe ich einen, der im Groben an einer gewissen Stelle am Stall ist. Der Stall an sich ist ein „heiler“ Ort, wie ich ihn gerne nenne. Ich habe dort bisher keinerlei schlechte Erfahrungen gesammelt. Wenn ich nur aus dem Auto aussteige und den Stallgeruch tief einatme, ist meine Welt viel besser. Ich verbinde so viel Gutes mit dem Geruch, sodass ich bei einer teilstationären Behandlung immer ein Glas mit Pferdehaaren dabei hatte. In einem Glas hält sich der Geruch lange. Ich muss schon relativ früh intervenieren, wenn Dissoziationen (Abspaltung von Gefühlen und teilweiser Ausfall gewisser motorischer Fähigkeiten mit Erinnerungslücken) oder Flashbacks (plötzliches Wiedererleben einer traumatischen Situation) sich ankündigen. Aber wenn ich es schaffe, dann bewirkt der vertraute Geruch wahre Wunder. Ich muss nicht alles aussprechen Bis heute gibt es Themen und Erfahrungen, die ich nicht aussprechen kann. Das muss ich am Stall aber auch gar nicht. Ich hatte 2018 schon viel Therapieerfahrung, was aber keine Voraussetzung für die pferdegestützte Psychotherapie ist. Ich profitiere davon, dass ich klar äußern kann, was mir im Alltag fehlt, was schwierig ist und was ich mir am Stall wünsche. Wie wir das gemeinsam umsetzen können, ist die Aufgabe der Therapeutin. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, z. B. Nähe zulassen mit dem Pferd, aber auch zu lernen, wie ich das Pferd wieder auf Distanz bekommen kann. Manchmal äußere ich den Wunsch, etwas Neues zu lernen. Besonders ist aber bis heute der Wunsch, durch die Hürden des Alltags und das Gefühl, dass alles schief läuft, etwas zu machen, „was klappt“. Daran zeigt sich aber auch gut, wie wichtig eine kompetente Psychotherapeutin ist. Denn an diesen Tagen neue Übungen anzugehen, die zu Beginn nicht immer glatt laufen, wäre wohl nicht der richtige Ansatz. Wenn ich aber Ablenkung als Wunsch äußere, dann bekommen das Pferd und ich Aufgaben, die viel Konzentration erfordern und nicht von Vorhinein funktionieren. Wenn ich im Gelände ausreiten möchte, nutzen wir natürlich einen Sattel, möchte ich dem Pferd aber nah sein und die Wärme spüren, wäre ein Sattel eher störend. Deshalb kann ich jedem nur raten, bei der Wahl des Therapeuten auf eine gute Qualifikation und psychotherapeutische Vorerfahrung zu achten. Die pferdegestützte Therapie steht in keiner „Konkurrenz“ zu einer klassischen Gesprächstherapie, sondern bietet eine wundervolle Ergänzung. Theoretisch Besprochenes kann in einem geschützten Rahmen geübt werden und die Pferde geben sofort eine Rückmeldung. Ich musste meine Traumainhalte im Detail nie aussprechen, aber die Einschränkungen im Alltag haben wir natürlich in einer für mich vertretbaren Form besprochen und dann am Stall wieder und wieder geübt, mich sicherer und widerstandsfähiger zu bekommen. Das Gefühl schwach und ausgeliefert zu sein kann korrigiert werden Wie viele andere Betroffene auch, hatte ich jahrelang das Gefühl schwach und ausgeliefert zu sein. Besonders bei Traumafolgeerkrankungen gibt es bei den meisten Betroffenen Situationen, in denen dieses Gefühl empfunden und erlebt wird. Dass diese Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen mup 1|2024 | 19 Situationen vorbei sind und ich eine erwachsene Frau bin, die sich wehren kann, weiß ich vom Verstand, aber mein Gefühl kommt nicht hinterher. Wir haben am Stall den Luxus, mit zwei Pferden arbeiten zu können, die wie eine Art Symbiose sind. Wenn ich dann mit zwei Pferden zeitgleich am Halfter gehe und die Kontrolle über mehrere hundert Kilo habe, dann bin ich meilenweit davon entfernt, schwach und machtlos zu sein. Um den Transfer in den Alltag zu bekommen, braucht es viele Wiederholungen und Achtsamkeit. Warum Achtsamkeit? Ich musste mich in den Momenten, in denen alte Gefühle wieder hochkamen, „erwischen“ und dann die neuen Bilder, auf denen ich zwei Pferde am Halfter führe, hervorrufen. Zur Erinnerung macht die Therapeutin am Stall immer wieder mal Fotos, die nur ich persönlich zu meinem eigenen Gebrauch erhalte. Das hat mir geholfen, mich auf meine Fähigkeiten zu besinnen. Mittlerweile arbeite ich viel lieber ohne Halfter oder andere Hilfsmittel, aber für das Gefühl war dieser erste Schritt, zwei Pferde zeitgleich führen zu können, wichtig. Verantwortungsbewusstes Handeln durch Fremdverantwortung Viele, die irgendwann in irgendein schädigendes Verhalten oder Denken hineinrutschen, können sehr gut für andere sorgen, aber nicht für sich. Dadurch kommt es ja oft erst zur Überforderung und Pferde in die Therapie einzubeziehen hat meiner Arbeit einen wichtigen Impuls gegeben, eine Bereicherung, Ergänzung und für mich eine erfreuliche Abwechslung im Arbeitsalltag. Pferde sind für mich ideale Co-Therapeuten: freundlich, zugewandt, nicht wertend, nicht nachtragend, an einer stabilen Bindung interessiert. Somit stellt die pferdegestützte Psychotherapie eine sinnvolle Ergänzung der Psychotherapie / Verhaltenstherapie im klassischen Setting dar. Eine entsprechende Ausbildung des Therapeuten (theoretische und praktische Kenntnisse in der Pferdehaltung, Reiten, Bodenarbeit) sowie der Pferde (Gelassenheit, Grundgehorsam, physische Belastbarkeit und Flexibilität) sind Voraussetzung. Genutzt werden die zahlreichen unspezifischen Faktoren (ansprechende ländliche Umgebung, entspannte Stallatmosphäre), ein etwas lockerer Umgang miteinander (kein „Dresscode“, keine reglose Sitzung, sondern dynamischer Ablauf der Therapie), die allgemeine auffordernde Situation mit Tieren. Pferde als Herden- und Fluchttiere sind auf subtile, verletzungsfreie Kommunikation angewiesen, daher reagieren sie sensibel auf Körpersprache und spiegeln uns, sodass wir unser Verhalten wertfrei reflektiert bekommen. Getragenwerden, Nähe-Distanz-Erprobung, sicherer Ort, führen und geführt werden, nonverbale Kommunikation, Problemlöse- und Angstbewältigungsstrategien, Überwinden innerer (und äußerer) Hürden, respektvolles Miteinander, Erkennen von Bedürfnissen und viel mehr sind Elemente der pferdegestützten Therapie, die variabel und situationsangepasst genutzt werden. Die Arbeit mit den Pferden in der Therapie überrascht mich selbst immer wieder: Therapeutische Prozesse werden geradezu katalysiert und beschleunigt, Verläufe bekommen eine neue Wendung, Klienten wachsen über sich hinaus. Ich danke meinen Pferden für ihre Geduld und ihr Vertrauen, ich lerne von ihnen täglich Neues, sie sind meine besten Partner. Dr. med. Monika Kersting, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Fachtherapeutin für pferdegestützte Psychotherapie (IPTh) Stellungnahme der behandelnden Therapeutin: 20 | mup 1|2024 Forum: Großhausmann - Pferdegestützte Therapie aus Sicht einer Betroffenen Dekompensation. Die Therapie mit den Pferden hat mir, besonders im letzten Jahr, mehr als jeder Druck seitens irgendwelcher Ärzte oder Kliniken geholfen. Natürlich gibt es Voraussetzungen für die Therapie am Stall und eine davon ist eine ausreichende körperliche Stabilität. Da mein Gewicht zwischenzeitlich rapide runter ging und ich dadurch geschwächt war, musste ich mich vor den Einheiten am Stall gut vorbereiten. Und was andere Behandler mit Druck und Zwang nicht schafften, habe ich für die Pferde Woche für Woche von mir aus gemacht. Es hieß so oft: Ich muss wirklich etwas essen oder Trinknahrung zu mir nehmen, die Pferde brauchen mich stark und ich muss meiner Zauberfee Sicherheit vermitteln. Diese Eigenständigkeit der Kalorienzufuhr hat in all den Jahren sonst niemand in dem Maße bei erwirken können. Aber die Stute heißt ja nicht umsonst „ Zauberfee“. Einfach mal Spaß haben So lapidar sich das im ersten Moment lesen mag: Es ist ein so wichtiger Punkt! Viele Menschen, die Schlimmes erlebt haben, schwer depressiv sind, von allen Seiten Druck bekommen, was sie tun sollen oder eben nicht, haben keinen Grund mehr zu lachen oder mal Spaß zu haben. Ich kann die ganzen Lachanfälle am Stall gar nicht mehr zählen. Teilweise existieren von den Situationen noch Fotos, oder wenn wir schnell genug waren, Videos auf dem Handy. Die Pferde legen es ja gar nicht darauf an, lustig zu wirken und doch liefern sie immer wieder Steilvorlagen. Fee ist eine Stute, die verspielt ist und der man wirklich (fast) alles beibringen kann. Das ist teilweise zum Dahinschmelzen oder eben nur zum Lachen. Ist es nicht toll, diese kurzen und unbeschwerten Momente, bei all der Ernsthaftigkeit und den Belastungen die vor und hinter uns liegen, als ein Geschenk der Pferde zu bekommen? Alleine die Tatsache, dass ich hier sitze und mit einem Lächeln in meinem Gesicht über die Pferde schreibe und auch nach dem Schreiben nicht aufhören kann, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit zu empfinden, zeigt klar, dass die beiden Pferde eine Lücke in mir gefüllt haben, die eine 50-minütige Therapieeinheit pro Woche wohl niemals gefüllt hatte. Danke an die Zauberfee und Falstaff, dass ihr das möglich gemacht habt! Die Autorin Sandra Großhausmann 35 Jahre und von der Grundausbildung Sachbearbeiterin bei einer Krankenkasse. Ich erlebte sehr früh erste traumatische Erfahrungen, wurde früh berufsunfähig und zog mich zurück. Als ich Anfang 2018 erstmals auf die Pferde traf, bekam mein Leben eine schöne Wendung. Ich bin von der positiven Wirkung der Pferde im therapeutischen Bereich so überzeugt, dass ich meine Erfahrungen gerne teile. Zurückgezogen lebe ich weiterhin, widme mich aber dem Schreiben von Texten und Briefen. Aktuell schreibe ich einen Roman. Durch das Schreiben kann ich der Realität entfliehen. Kontakt Sandra Großhausmann · s-grosshausmann@hotmail.de Abb. 4: gemeinsam unbeschwerte Momente erleben