mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Recht & Sicherheit: Pferdestärke contra Menschenstärke
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2024
Reinhard Kaun
Der Umgang mit Pferden, sei es im Alltag, sei es im Pferdesport, gilt als gefährlich: Die sprichwörtliche Pferdestärke ist – in Verbindung mit Gewicht und Schnelligkeit – einer der Hauptgründe dafür, aber auch die – im Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes zusammengefasste – Unberechenbarkeit infolge instinkthafter Reaktionen ist nicht zu unterschätzen. (Der Autor hat sich zu diesem Themenkreis in dieser Fachzeitschrift in Ausgabe 1/22 unter dem Titel „Equo ne credite“ eingehend geäußert.)
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162 | mup 4|2024|162-166|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art20d Univ. Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun Recht & Sicherheit Pferdestärke contra Menschenstärke Fahren mit Pferden - sind Kinder und Jugendliche „geeignete Personen“? Der Umgang mit Pferden, sei es im Alltag, sei es im Pferdesport, gilt als gefährlich: Die sprichwörtliche Pferdestärke ist - in Verbindung mit Gewicht und Schnelligkeit - einer der Hauptgründe dafür, aber auch die - im Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes zusammengefasste - Unberechenbarkeit infolge instinkthafter Reaktionen ist nicht zu unterschätzen. (Der Autor hat sich zu diesem Themenkreis in dieser Fachzeitschrift in Ausgabe 1/ 22 unter dem Titel „Equo ne credite“ eingehend geäußert.) Die Unfallhäufigkeit mit Beteiligung von Pferden ist seit Jahren im Zunehmen begriffen, nicht nur, weil die Pferdepopulation ständig wächst, sondern auch, weil „Wissen rund ums Pferd“ in der Durchschnittsbevölkerung weitgehend verschwunden ist und Tradition im Umgang mit Pferden belächelt oder ignoriert wird. Während Reitunfälle oder Verletzungen durch Pferde im täglichen, vielleicht unbedachten Umgang naturgemäß in erster Linie „Pferde-affine“ Personenkreise betreffen, sind von folgenschweren Kutschenunfällen Gesellschaftskreise betroffen, die üblicherweise keinen engen Kontakt zu Pferden pflegen: Urlauber auf Kremserfahrten, Hochzeits- oder Geburtstagsgäste bei bespannten Festen, Zuschauer bei Brauchtumsveranstaltungen, Fahrturnieren oder Gestütsparaden. Es ist somit durchaus angebracht, Sicherheitsregeln zur Gefahrenvermeidung zu erläutern, aber auch rechtliche und forensische Aspekte bei und nach Kutschenunfällen näher zu beleuchten, es wird also in diesem Abschnitt ein Schadensereignis gleichsam „von hinten“ aufgerollt mit der Frage: „Was ist und war gerichtlich relevant? “ Wie stets bei schweren Zwischenfällen mit Pferde- und Personenbeteiligung wird das erkennende Gericht erfahrene Gutachter (m / w / d) beiziehen und die Frage stellen: War das vorliegende Ereignis vorhersehbar und wäre es vermeidbar gewesen? Beim Fahren mit Pferden gibt es eine Reihe von besonders risikobehafteten Situationen: ■ Einspannen und Ausspannen ohne sichere Verwahrung der Pferde, ■ keine Assistenz durch Beifahrer im Sinne pferdekundiger Personen beim An- und Ausspannen, Besteigen des Kutschbocks durch den Fahrer, Auf- und Absteigen der Fahrgäste, Zwischenfälle im Fahrbetrieb (Leinenfangen, Überden-Strang-Steigen, verkehrsbedingtes Halten, technische Gebrechen, Hilfeleistung für einen Fahrgast), ■ Beifahrer (zumindest einer bei Ein- und Zweispänner, zumindest zwei bei Mehrspännern) müssen Pferdekundige in pferdegerechter Kleidung sein, die bei Zwischenfällen auch „gezielt anpacken“ können, ■ Kinder gelten nicht als geeignete Beifahrer, da sie (zumindest am Kutschbock sitzend) eine Erhöhung des erlaubten Risikos darstellen. Recht & Sicherheit: Kaun - Pferdestärke contra Menschenstärke mup 4|2024 | 163 Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht beruht auf der Vorgabe: Wer eine Gefahr schafft, hat für sie einzustehen. Das bedeutet in der Praxis, dass Personen, die mit bespannten Fahrzeugen unterwegs sind, in angemessenem Umfang für Sicherheitsvorkehrung Verantwortung tragen, die auf den „Teilnehmerkreis“ zugeschnitten ist: Für Kinder und geistig oder körperlich behinderte Personen ist ein verschärfter Maßstab anzulegen, weil die Möglichkeit einer Gefahrenerhöhung vorher erkennbar ist; eine Haftungsgrenze besteht in der Zumutbarkeit und in der Möglichkeit zum Selbstschutz, ausdrücklich sei aber auf die Möglichkeit hingewiesen, den Transport bzw. die Mitnahme bei unangemessener Risikoerhöhung durch „besondere Fahrgäste“ (z. B. Alkoholisierte, Undisziplinierte) zu verweigern - der Fahrer auf dem Kutschbock ist der „Kapitän auf seinem Schiff“! Es versteht sich von selbst, dass Gesetze und Regeln, die den Straßenverkehr betreffen, auch durch Lenker von Pferdegespannen einzuhalten sind - ein „Fahrer in Not“ (Kontrollverlust, ungehorsame Pferde) ist verpflichtet, dies anderen Verkehrsteilnehmern klar zu erkennen zu geben. In Deutschland und in Österreich werden zwei Fahrstile gelehrt, die sich in bestimmten Nuancen der Anspannung, der Leinen und der Griffe unterscheiden: die Achenbach’sche und die ungarische Fahrlehre. Beide sind anerkannte Stile, aber keineswegs gesetzlich verpflichtend; wenn jemand also noch in der Freistilmanier der Ururväter mit Pferden und „Hü-Hot“ unterwegs ist, wird daraus kein Problem entstehen, solange übliche und geltende (Sicherheits-)Regeln befolgt werden, aber Regelverstöße sind - meist - auch Rechtsbrüche; Regeln haben einen Schutzzweck! Höchste Sicherheitsstandards müssen jeweils beim Aufsteigen und Absteigen von Fahrgästen angesetzt werden, speziell beim Antreten der Heimfahrt nach einer längeren Rast, weil die Pferde wieder frisch und ausgeruht sind und entsprechend eifrig zum heimatlichen Stall drängen: also Sicherung der Pferde durch Aufstellen gegen ein festes Hindernis (Hauswand) und Verwahrung an den Köpfen durch Beifahrer! Bei angespannten Pferden sind Fahrgäste anzuhalten, immer mit „Blick in Fahrtrichtung “ auf- oder abzusteigen! Doch auch der Fahrbetrieb selbst muss von Können, Sicherheit und dem Vertrauensgrundsatz geprägt sein: ■ Vor Stopps, Abbiegen und Wendungen muss anderen Verkehrsteilnehmern ein erkennbares Zeichen gegeben werden, das verstanden wird und „ankommt“ - Beifahrer haben hier eine „Überprüfungspflicht“! ■ Mit großer Vorsicht und nur bei freier Straße wird an anderen Gespannen vorbeigefahren - bei voller Aufmerksamkeit des Lenkers des zu überholenden Gespanns; der seitliche Mindestabstand soll eine Pferdebreite sein. ■ Niemals darf in schnellem Trab oder Galopp ein anderes Gespann überholt werden. ■ Niemals darf zu knapp auf andere Gespanne aufgefahren werden: absoluter Mindestabstand soll (im Schritt) eine Pferdelänge sein, mindestens zwei Pferdelängen besser noch mehr -, wenn im Konvoi im Arbeitstrab gefahren wird. ■ Immer muss das Ohrenspiel der Pferde - der eigenen wie auch der fremden beobachtet werden. Abb. 1: Weder „Hocheleganz“ noch karnevaleske „Verkleidung“ ist in der Realität hilfreich und Pferdegerecht. 164 | mup 4|2024 Recht & Sicherheit: Kaun - Pferdestärke contra Menschenstärke ■ Immer muss die Peitsche in der Hand gehalten werden; ihr rascher Einsatz (treibend, verwahrend, beruhigend) kann unfallverhindernd sein! ■ Niemals darf mit einem Gespann auf öffentlicher, wenn auch freier Straße galoppiert werden. ■ Immer am Wagen mitzuführen: Reservestrang, Lederschere oder Messer, Reserve-Ortscheit, Strick, Erste-Hilfe-Paket, Toilettenpapier. Allgemeine Verhütung von Unfällen mit Pferdegespannen ■ Zu keiner Zeit darf ein Gespann unbeaufsichtigt sein. ■ Bei und auf jedem Gespann muss jederzeit ein Beifahrer in Eingreifnähe verfügbar sein, abhängig von der Zahl der eingespannten Pferde auch mehrere. ■ Beifahrer müssen die Qualifikation von „kundigen Helfern“ haben und der gesetzlichen Definition des „tüchtigen Gehilfen“ entsprechen. ■ Die in den Fahrkursen (OEPS, Deutsche Reiterliche Vereinigung, Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e. V.) gelehrten Regeln zur Ausrüstung im Hinblick auf Geschirre, Fahrzäume und Fahrgebisse haben verbindlichen Regelcharakter. ■ Die Verschnallung der Leinen muss in korrekter Weise nach den Prinzipien der Lehre (zum Fahrstil) erfolgen. ■ Geschirre und Wägen müssen vor jeder Ausfahrt auf ihre Funktionstüchtigkeit und Verkehrssicherheit überprüft werden. ■ Jeder Wagen sollte (Hersteller-)Angaben über höchstzulässiges Ladegewicht bzw. Personenzahl aufweisen sowie Angaben zum Eigengewicht. ■ Neben Reserveteilen hat auf jedem Wagen eine Notfallausrüstung vorhanden zu sein: Warndreieck, Warnwesten, Winkerkelle, Verbandskasten mit Notfallnummern. ■ Ein Fahrer darf niemals den Kutschbock verlassen, solange sich andere Personen am Wagen befinden. ■ Kinder dürfen nicht am Kutschbock transportiert werden und müssen im Fonds unter Aufsicht von Erwachsenen sein. ■ Bei schlechter Sicht wird Warnkleidung für Fahrer und Beifahrer (signalgelber Überwurf) und Wagenbeleuchtung empfohlen. ■ Bei einem nicht geplanten Halt im Straßenverkehr ist ein Warndreieck aufzustellen, das Gespann durch Beifahrer mit Warnwesten zu sichern und gegebenenfalls der Verkehr vorbeizuleiten. Es wird wohl niemand ernstlich bezweifeln oder bestreiten, dass Pferde - große und kleine - stärker sind als durchschnittliche Menschen große und kleine und mit Sicherheit um vieles stärker als Kinder. Sitzt der Mensch zu Pferde, ist also beritten, steht ihm in kurzem Abstand von einer guten Ellenlänge zum Pferdemaul die Zügelhilfe zur Verfügung, um das Pferd unter Kontrolle zu halten; guter Sitz in Balance und Gleichgewicht können helfen, trotz Kontrollverlust im Sattel zu bleiben; Hilfen mittels Reitergewicht und Schenkel sind probat, einem Pferd Richtung und Gehorsam zu zeigen und dennoch: Ein aus Gewohnheit oder Panik durchgehendes Pferd ist kaum zu stoppen, es wird irrational und folgt seinen Instinkten, bei denen Flucht evolutionär ganz oben steht. Ein gutsitzender Reiter kann auch einen absoluten Kontrollverlust über sein Pferd „aussitzen und überleben“. Anders ist die Situation beim Fahren mit eingespannten Pferden: Als „Instrumente“ zur Hilfengebung - also der Einwirkung auf das Pferd oder die Pferde - stehen die Leinen, die Stimme und die Peitsche (und Bremsen) zur Verfügung; Stimme und Peitsche können beruhigen, verwahren und antreiben, die Leinen können eine Richtung vorgeben; ein „weiches Maul“ und „Durchlässigkeit“ sind im Falle des Falles die Recht & Sicherheit: Kaun - Pferdestärke contra Menschenstärke mup 4|2024 | 165 Kardinalskriterien. Mehr als eine Pferdelänge beträgt der Weg von den Fahrerhänden zum Pferdemaul beim Ein- und Zweispänner, einiges mehr als zwei Pferdelängen bei Tandem und Vierspänner. Man könnte nun den - falschen - Schluss ziehen, dass der mit Pranken und starken Muskeln ausgestattete Fahrer im Vorteil wäre. In Notsituationen mag das ja auch manchmal zutreffen, im Normalfall aber nicht, denn „Fahren mit Pferden“ ist eine „feine Kunst“, die Klaviatur der Hilfen will bedient sein - mit grundlegendem Können, mit Gefühl und mit Virtuosität - und hier eröffnet sich ein weiterer Aspekt zum vorgegebenen Thema dieses Artikels: Gefahrenvermeidung, rechtliche Aspekte und Kutschenunfälle. Der Autor sieht mit Sorge eine Entwicklung sich abzeichnen, die in Zukunft Anlass für erhebliche Streitereien und gerichtliche Auseinandersetzungen sein kann, eng verbunden mit der Frage: Wer ist eine geeignete Person, um die mit dem Fahrsport verbundenen Obliegenheiten zu erfüllen? Eine Frage also, die die Person des Fahrers, der Beifahrer, allfälliger „Pfleger“ mit Aufsichtstätigkeit über Pferde, aber auch Bockrichter anspricht. Die StVO in Österreich sieht unter § 70 (Lenken von Fuhrwerken) vor, dass der Lenker mindestens 16 Jahre alt sein muss - eine Ausnahme besteht expressis verbis nur: ■ für Gespanne im Rahmen der Ausbildung an einer landwirtschaftlichen Fachschule und wenn ■ geprüfte Fahrinstruktoren oder Fahrlehrer „dabei“ sind - dann gilt als Altersgrenze das vollendete 15. Lebensjahr. ■ Diese Ausnahme ist also klar an die beiden oben dargestellten Prämissen gebunden und gilt nicht für allgemeine Fahrkurse. Außerdem ist festzuhalten, dass sich Vereinsregeln, wie z. B. Turnierordnungen für Gespanne nicht über allgemeine Gesetze oder Verordnungen erheben können. Hier finden sich aber einige „Die Erlangung von Sachverstand, gepaart mit Sensibilität und Augenmaß, erfordert vom Pferdehalter und -nutzer eine lebenslange praktische und theoretische Fortbildung mit dem Bemühen um mehr Wissen und Können zu seinem tiergerechten Umgang mit dem Pferd.“ Diese Zeilen wenden sich zwar an „Profis“ (aus: Horst Brindel / Rolf Schettler: Gewerblich fahren mit Pferden - der sichere Weg, Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e. V. & Deutsche Reiterliche Vereinigung), bedeuten jedoch nichts anderes, dass eine Beschäftigung, die lebenslanges Lernen erfordert, Kindern und Jugendlichen nur auf niedrigstem Niveau bei gleichzeitig verantwortungsbewusster Aufsicht auf höchstem Niveau abverlangt oder zugemutet werden kann; ungesunder Ehrgeiz mancher Eltern ist fehl am Platz! Lebenslanges Lernen Abb. 2: (Un-)sachgemäße Verwahrung eines Gespanns? Abb. 3: Trittbrett- Fahrer leben gefährlich! 166 | mup 4|2024 Recht & Sicherheit: Kaun - Pferdestärke contra Menschenstärke mögliche Widersprüchlichkeiten z. B. was das Alter - man unterscheidet zwischen „Kindern“ (9-11 Jahre), „Children“ (12-14 Jahre) und „Junioren“ (14-18 Jahre) - anlangt, aber auch hinsichtlich vereinsinterner Regeln z. B., dass Beifahrer auf öffentlichen Straßen die Leinen übernehmen dürfen: Das steht in klarem Gegensatz zum § 710 Fremde Hilfe, Absatz 1. Während einer Prüfung darf nur der Fahrer die Leinen, die Peitsche und die Bremse auf dem Wagen handhaben. Wenn der Wagen steht (! ), darf der Beifahrer ohne Strafe die Leinen halten. (Zur Erinnerung: Regelverstöße werden von Gerichten meist auch als Rechtsverstöße angesehen.) Die ethischen Grundsätze im Pferdesport, wie sie in der geltenden Turnierordnung ÖTO verankert sind, sehen vor: „Wer auch immer sich mit dem Pferd beschäftigt, übernimmt die Verantwortung für das ihm anvertraute Lebewesen“ (zit.). Aus diesen Voraussetzungen, die der Gesetzgeber im Konsens mit der Gesellschaft umreißt, ist nun die entscheidende Frage zu beantworten: Wer gilt als „geeignete Person“, um das Fahren mit Pferden als Freizeit-, Sport- oder Berufstätigkeit auszuüben? Der Autor Univ. Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun ist seit 1969 in der tierärztlichen Praxis tätig, ist Fachtierarzt für Pferdeheilkunde, Fachtierarzt für physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin, seit 35 Jahren Gerichtsgutachter, war Jahrzehnte als internationaler Richter und Prüfer für Gespannfahren tätig. Kontakt tierarztdr.kaun@pferd.co.at · www.pferd.co.at Doppelabschluss: Traumapädagogik und pferdgestützte Traumapädagogik nach DeGPT/ FVTP und DKThR Geöffnet für medizinische, pädagogische und psychologische Grundberufe! > Beginn am 14. Mai 2025 > Berufsbegleitend | 420 Lerneinheiten | Blended-Learning Anmeldung ab sofort möglich. Profitieren Sie vom Frühbucherrabatt und Mitgliederservice. 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