eJournals mensch & pferd international 16/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2024.art06d
41
2024
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Fachbeitrag: Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten

41
2024
Rebecca Bönicke
Andrea Beetz
Manuela Beck
Georg Jungnitsch
An dieser Pilotstudie nahmen acht Jungen im Alter von 8 bis 13 Jahren mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten an einer pferdegestützten Intervention (einmal wöchentlich für vier Wochen) teil. Vier Kinder nahmen direkt an der pferdegestützten Intervention teil. Die vier Kinder der Wartekontrollgruppe erhielten eine ähnliche Intervention am Pferd nach vier Wochen Wartezeit. Gemessen wurden über mehrere Speichelproben je vor und nach den Interventionseinheiten die Spiegel der Hormone Cortisol und Oxytocin. Für die dritte Interventionseinheit ergab sich ein signifikanter Anstieg des Oxytocinspiegels bei drei von vier Probanden, jedoch nicht in den anderen Einheiten. Es zeigte sich ein Trend zur Abnahme des Cortisolspiegels nach dieser Interventionseinheit, der nicht signifikant war. Limitationen der Studie und praktische Implikationen werden diskutiert.
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52 | mup 2|2024|52-64|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art06d Rebecca Bönicke, Andrea Beetz, Manuela Beck, Georg Jungnitsch Schlüsselbegriffe: Tiergestützte Intervention, Pferd, Bindung, Oxytocin, Cortisol, Kind An dieser Pilotstudie nahmen acht Jungen im Alter von 8 bis 13 Jahren mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten an einer pferdegestützten Intervention (einmal wöchentlich für vier Wochen) teil. Vier Kinder nahmen direkt an der pferdegestützten Intervention teil. Die vier Kinder der Wartekontrollgruppe erhielten eine ähnliche Intervention am Pferd nach vier Wochen Wartezeit. Gemessen wurden über mehrere Speichelproben je vor und nach den Interventionseinheiten die Spiegel der Hormone Cortisol und Oxytocin. Für die dritte Interventionseinheit ergab sich ein signifikanter Anstieg des Oxytocinspiegels bei drei von vier Probanden, jedoch nicht in den anderen Einheiten. Es zeigte sich ein Trend zur Abnahme des Cortisolspiegels nach dieser Interventionseinheit, der nicht signifikant war. Limitationen der Studie und praktische Implikationen werden diskutiert. Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten Eine Pilotstudie zu den Effekten auf Oxytocin und Cortisol Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 53 Einführung Pferdegestützte Interventionen als eine speziesspezifische Form der tiergestützten Interventionen bieten eine Möglichkeit, positive Entwicklungsprozesse bei Kindern mit psychischen und sozialen Auffälligkeiten auf ganzheitlicher Ebene in Gang zu setzen (Buss et al. 2009; Kupper-Heilmann 1999). Hierbei spielt auch Bindung (Bowlby 1979; Grossmann / Grossmann 2012) eine Rolle: In tiergestützten (somit auch pferdegestützten) Interventionen ist der Bindungshintergrund der KlientInnen von Bedeutung, denn Bindungsbeziehungen innerhalb der Familie bilden die Basis für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. Außerdem beeinflusst die Art der Bindung, welche die KlientInnen zu ihren Eltern / Bindungsfiguren entwickelt haben, auch die pädagogisch-therapeutische Beziehung, eine der wichtigsten Variablen für den Erfolg einer therapeutischen oder pädagogischen Intervention generell (Julius et al. 2014). Bei bis zu 90 % der Kinder aus sonderpädagogischen Einrichtungen aufgrund von Förderbedarf im sozio-emotionalen Bereich liegt eine unsichere und desorganisierte Bindung vor (Julius et al. 2009). Diese zeichnet sich durch Schwierigkeiten aus, Vertrauen zu anderen zu fassen. In stressauslösenden Situationen kann die emotionale Unterstützung durch Bindungsfiguren oder andere freundliche Personen deshalb kaum zur Stressregulation genutzt werden (Ainsworth et al. 1978; Main / Solomon 1986). Eine unsichere, aber insbesondere desorganisierte Bindung stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dar, da sie die Vulnerabilität gegenüber Belastungen erhöht (Julius et al. 2014). Des Weiteren erschwert sie den Aufbau einer vertrauensvollen pädagogischen oder therapeutischen Beziehung (Julius et al. 2017). Oxytocin und Cortisol Ein Überblick über diverse Studien zu den Effekten von Mensch- Tier-Interaktionen legt nahe, dass das Oxytocin- System als neurobiologische Basis von Bindung eine wesentliche Rolle bei der Erklärung dieser Effekte spielt: Mensch-Tier-Interaktionen können beim Menschen Depression, Aggression, Angst, Stressreaktionen, Schmerzwahrnehmung und Gesundheitsprobleme reduzieren sowie Gesundheit, Vertrauen, Entspannung, Motivation, positive Stimmung, Kommunikation, soziale Interaktion als auch Immunfunktion und Oxytocinausschüttung fördern (Beetz, Julius et al. 2012; Beetz, Uvnäs-Moberg et al. 2012; Julius et al. 2014). Oxytocin ist ein wichtiges Hormon, welches ein ganzes System für Entspannung und Verbundenheit steuert. Oxytocin und Mensch- Tier-Interaktionen haben ein sehr ähnliches Wirkspektrum (s. Beetz, Julius et al. 2012). Eine Erhöhung des Oxytocinspiegels z. B. durch angenehmen Körperkontakt bewirkt ebenso eine Reduktion von Stressparametern, Angst, Depressivität, Aggression und fördert soziale Interaktion, Kommunikation, Vertrauen, soziale Motivation und positive Stimmung (s. Beetz, Julius et al. 2012). Bei unsicher/ desorganisiert gebundenen Kindern stellt sich der basale Oxytocinspiegel im Vergleich zu Kindern mit einer sicheren Bindung niedriger dar (Julius et al. 2014). Da soziale Unterstützung von Personen mit unsicherer/ desorganisierter Bindung kaum zur Stressregulation genutzt werden kann, weisen sie unter anderem in Stresssituationen stärker ausgeprägte Stressreaktionen auf. Diese manifestieren sich zum Beispiel in einem höheren Spiegel des Stresshormons Cortisol, der auch langsamer abgebaut wird (s. Julius et al. 2014). Da Stress auf physiologischer und psychologischer Ebene Lernprozesse hemmt, stellen unsichere / desorganisierte Bindungen mit diesen physiologischen Korrelaten ein Risiko für Entwicklungs- und Lernprozesse auf kognitiver, sozialer und emotionaler Ebene dar. Familiäre Bindungsbeziehungen bilden die Basis für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. 54 | mup 2|2024 Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten Tiergestützte Interventionen Die Etablierung einer bindungsartigen Beziehung innerhalb des Kontextes tiergestützter Interventionen, welche einer sicheren Bindung ähnelt und nicht die bisherigen, unsicheren Bindungsmuster der KlientInnen verstärkt bzw. übernimmt, ist eine wesentliche Grundlage für eine förderliche Entwicklung der Kinder auf allen Ebenen. Tiergestützte Interventionen, gerade mit Hund und Pferd, können solche sicheren bindungsartigen Beziehungen im pädagogisch-therapeutischen Kontext schaffen und fördern (Julius et al. 2014, 2017). Ein hoher Oxytocinspiegel kann bei KlientInnen mit unsicherer Bindung im Sinne eines Primings (= Vorbereitungsreiz) die Bereitschaft, sich auf die therapeutisch-pädagogische Beziehung einzulassen, erhöhen (Julius 2017). Das liegt daran, dass die Erhöhung von Vertrauen, guter Stimmung, Ruhe, Entspannung, positiver Kommunikation und Interaktion ebenso wie die Reduktion von Stressreaktionen, Angst, Depression und Schmerz zu den Wirkungen von Oxytocin zählen (Beetz, Julius et al. 2012), was bei der Etablierung einer positiven Beziehung förderlich ist. In der allgemein tier- und speziell pferdegestützten Intervention kann die Erhöhung des Oxytocin-Levels durch Körperkontakt mit dem Tier oder auch Synchronisation mit dem Tier erreicht werden, wobei beides parallel stattfinden kann: Synchronisation hinsichtlich Bewegung und Emotion ist eine Art Angleichungsprozess und potenziell zwischen allen Säugetieren möglich, sodass es sich anbietet, dafür mit Bezugsfiguren zu arbeiten, zu denen keine negativen Bindungserfahrungen bestehen (Friesenhahn 2017). In der pferdegestützten Intervention stellt idealerweise das Pferd eine solche Bezugsfigur dar, da über das Reiten relativ automatisch eine Synchronisierung mit den Bewegungen des Pferdes stattfinden kann (Julius et al. 2017). Ebenso sind zum Beispiel bei der Pflege oder beim Führen weitere direkte Kontakte mit Körperkontakt gegeben, die Synchronisationserfahrungen ermöglichen. Zusammenfassung und Studienziele In Einklang mit (1) Studien zu einem Zusammenhang zwischen Mensch-Tier-Interaktionen und Oxytocin (Beetz, Julius et al. 2012) und (2) dem angenommenen Priming-Effekt durch Oxytocin bei unsicher gebundenen Kindern und die daraus resultierende Bereitschaft, sich auf die therapeutisch-pädagogische Beziehung einzulassen (Julius 2017), sollten sich bei unsicher / desorganisiert gebundenen Kindern im Zusammenhang mit einer pferdegestützten Intervention Veränderungen im Oxytocinspiegel (Steigerung) und in der Stressregulation (Senkung, z. B. erfasst durch den Cortisol-Spiegel) ergeben. Auch wenn Studien zu konkreten Effekten des Streichelns von Pferden noch ausstehen, liegen bereits Erkenntnisse zur Oxytocinerhöhung durch das Streicheln eines Hundes vor (Odendaal 2000; Odendaal / Meintjes 2003; Handlin et al. 2011), die einen ersten Hinweis bieten, auch wenn die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf Pferde übertragbar sind. Eine Senkung des Cortisolspiegels von teilnehmenden Kindern eines 11-wöchigen Trainingsprogrammes zur Lernunterstützung mit Pferden konnte bereits dokumentiert werden (Pendry et al. 2014) und stützt die Annahme einer oxytocinvermittelten Wirkung auf die Stressreaktion sowie Psyche und Sozialverhalten. Demgegenüber konnten in einer anderen Studie einer pferdegestützten Intervention bei Kindern mit Autismus-Spektrum- Störung keine signifikanten Veränderungen des Cortisolspiegels gefunden werden (Pan et al. 2019). Weitere Forschung steht dementsprechend noch aus. Die hier vorgestellte Pilotstudie geht der Frage nach, ob eine pferdegestützte Intervention Pferdegestützte Interventionen können sichere bindungsartige Beziehungen schaffen und fördern. Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 55 bei Kindern mit unsicherer Bindung den Spiegel des Hormons Oxytocin steigern und den Spiegel des Hormons Cortisol senken kann. Angenommen wird, dass durch die Nähe zum Pferd inklusive direkten Körperkontakt, wie auch durch die über die Interventionen hinweg entstehende Vertrautheit und Synchronisation, die Voraussetzung für eine vermehrte körpereigene Oxytocinproduktion geschaffen wird (vgl. Beetz, Julius et al. 2012; Julius et al. 2014; Julius et al. 2017). Dies könnte dann auf eine bindungsartige Beziehung zwischen Kind und Pferd hindeuten, welche die neurobiologischen Bedingungen für eine erfolgreiche therapeutische / pädagogische Intervention unterstützt (Julius et al. 2014) Angenommen wird, dass eine pferdegestützte Intervention ebenfalls eine stressmindernde Wirkung auf die Kinder hat, wobei im Gegensatz zum Hund eine längere Phase der Vertrauensentwicklung aufgrund der Größe und geringeren Vertrautheit mit Pferden benötigt wird. Methode Versuchsablauf Es wurde eine kontrollierte, randomisierte Pilotstudie durchgeführt. Dazu gab es einen Kontrollgruppenplan, vier Messzeitpunkte und acht Messungen (Tab. 1). Die Kinder wurden per Zufall in eine Interventionsgruppe (IG) und eine Wartekontrollgruppe (KG) aufgeteilt. Die Teilnehmenden der IG erhielten über vier Wochen hinweg wöchentliche Einzelinterventionen mit dem jeweils gleichen Pferd nach einem festgelegten Interventionsplan. Die Kontrollgruppe erhielt nach der Wartezeit von vier Wochen über die folgenden vier Wochen hinweg jeweils einmal pro Woche eine Gruppenintervention mit Pferd. Interventions- und Kontrollgruppe nahmen gemeinsam an einer Einführungsveranstaltung teil. Diese bestand darin, dass die Reitpädagogin eine virtuelle Kennenlerntour mit Bildern und einem kleinen Vortrag über den Stall, die Pferde und das therapeutische Reiten durchführte (60 Min). Interventionsplan Tabelle 2 zeigt den strukturellen Aufbau (Interventionsinhalte und -ziele) für die Interventionsgruppe. Die einzelnen Elemente sind so zusammengesetzt, dass sie von den Kindern ähnlich gut gemeistert werden können. Die Einheiten am Pferd wurden in grundlegende Interaktionen, wie Holen des Pferdes, Putzen, verschiedene gemeinsame Aktionen, Füttern, wieder in die Herde bringen, aufgeteilt (s. Tab. 2). Die Interventionen sind in Bezug auf die Elemente „Körperkontakt zum Pferd“ und „Reiten auf dem Pferd“ entsprechend in der Literatur beschriebener Verfahren konzipiert (vgl. Gäng 2017; Limbrunner / van Elsen 2013; Opgen- Rhein / Kläschen / Dettling 2012; Wolf 2006). Stichprobe Die Teilnehmer (TN) waren männliche Schüler einer privaten Förderschule aus den Klassen 4 (2 TN); 5 (3 TN) und 6 (3 TN). Die Schüler nahmen mit Einwilligung der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten freiwillig an der Woche 1 Woche 2 Woche 3 Woche 4 Prä Post Prä Post Prä Post Prä Post IG Oxy Int-1 Oxy Oxy Int-2 Oxy OC Int-3 OC OC Int-4 OC KG Oxy Kla Oxy Oxy Kla Oxy Oxy Kla Oxy Oxy Kla Oxy Anmerkungen: IG = Interventionsgruppe, KG = Kontrollgruppe, Int-1 bis Int-4 = Intervention der jeweiligen Woche, Kla = Klassenzimmer, Oxy = Oxytocinmessung, OC = Oxytocin- und Cortisolmessung, Prä = Messung vor Intervention / Klassenzimmer, Post = Messung nach Intervention / Klassenzimmer. Tabelle 1: Versuchsplan 56 | mup 2|2024 Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten Studie teil. Die Schüler wiesen die folgenden Diagnosen bzw. Verhaltensmuster auf: ■ Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ■ emotionale Störungen des Kindesalters mit sozialem Rückzug und depressiver und gereizter dysphorischer Stimmung ■ Autismus-Spektrum-Störung ■ expressive Sprachstörungen ■ auffälliges externalisierendes Sozialverhalten. Die Kinder waren im sozialen, emotionalen und auch kognitiven Lernen schwer beeinträchtigt und kaum in der Lage, Freundschaften aufzubauen, und hatten häufig extreme Wutausbrüche und eine gering ausgeprägte Selbstregulation. Beobachtungen, Gespräche mit den Lehrkräften und Aktensichtung wiesen bei allen Schülern auf eine unsichere Bindung und z. T. eine diagnostizierbare Bindungsstörung hin, eine Bindungstestung erfolgte jedoch nicht. Keiner der Teilnehmer hatte intensive Vorerfahrung mit Pferden. Messinstrumente Gewinnung der Speichelproben. Die Speichelproben zur Bestimmung des Oxytocin- und Cortisol-Spiegels wurden mittels Salivetten gewonnen. Die Kinder mussten dafür circa 60 Sekunden lang auf einem Wattebausch kauen und den vollgesogenen Wattebausch dann mit möglichst viel Speichel in das Teströhrchen spucken. Innerhalb von 5 Minuten wurden die Proben in gleiche Teilportionen aufgeteilt und bei -22 ° C eingefroren. Bei den Teilnehmern der KG wurden die Speichelproben an einem Tag pro Woche (Donnerstag) um Woche Inhalte Ziele 1 Annäherung an das Pferd, Beobachtung des Herdenverhaltens, Erklären der Sprache, erste Berührungen, Riechen, Spüren, Hören, Sehen - den Herzschlag des Tieres hören, seinen Geruch wahrnehmen, seine Farbe, seine Größe sehen, seine Wärme spüren, das Pferd putzen, gemeinsam füttern, zurück in die Herde bringen Behutsamer Erstkontakt mit allen Sinnen, Nähe aufbauen, Ängste nehmen 2 Das Pferd aus der Herde holen, putzen, Bodenarbeit im Roundpen - Führparcour, Folgsamkeit, Tempowechsel, Herdenverhalten übernehmen, die Sprache der Pferde kennenlernen, Grenzen spüren und einhalten, Kraft und Stärke des Tieres wahrnehmen, füttern, zurück in die Herde bringen Die Folgschaft des Tieres gewinnen, gemeinsame Sprache finden, gegenseitiges Vertrauen schaffen, Nähe und Distanz ausloten 3 Das Pferd aus der Herde holen, putzen, satteln, erstes Aufsteigen auf dem Reitplatz, Longenarbeit, Grundlagen der Hilfengebung, sich tragen lassen und dennoch die Kontrolle behalten, die innere Schatzkiste auffüllen (Meditation, um positive Gefühle des Momentes zu speichern), liegen und ruhen auf dem Pferd, füttern, zurück in die Herde bringen Körperwahrnehmung, Sinneswahrnehmung, getragen sein, loslassen, Kontrolle übernehmen, eine Einheit werden, Verbundenheit spüren 4 Das Pferd aus der Herde holen, putzen, satteln, geführter Waldausritt zum See, intensive Naturerkundung, Waldschatzsuche vom Pferd aus (Federn, Rinden, Zapfen, Moos, etc.), Abschiednehmen, füttern, zurück in die Herde bringen Tragfähigkeit genießen, Verbundenheit, Natureindrücke wahrnehmen, Erfolg nach getaner Arbeit genießen, Raum für den Abschied Anmerkung: Jede Einheit war 55 Minuten lang. Tabelle 2: Struktur der Interventionen Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 57 10: 00 Uhr (prä) und um 11: 00 Uhr (post) während des normalen Unterrichtes in der Schule genommen. Die Kinder wurden für die Speichelproben aus dem Unterricht geholt, um wie oben beschrieben gleichzeitig ihre Speichelproben an die Reitpädagogin abzugeben. Bei den Teilnehmern der IG wurden die Speichelproben unmittelbar vor (prä) und unmittelbar nach (post) der pferdegestützten Intervention an die Reitpädagogin abgegeben. Bestimmung von Oxytocin und Cortisol im Speichel. Da eine Messung des Oxytocin-Spiegels im Blutplasma bei Kindern aus ethischen Gründen problematisch ist und Messungen im Urin nicht hinreichend validiert sind, stellt die Bestimmung im Speichel die Methode der Wahl dar und wurde in dieser Studie vom Labor RIAgnosis des Max-Planck-Instituts in München ausgewertet (Schladt et al 2017). Die Bestimmung von Speichel-Cortisol wurde bereits in einer Vielzahl von Studien angewandt und stellt eine non-invasive Methode dar, um akut auftretende Unterschiede im freien Cortisol zu bestimmen. Aus technischen Gründen konnten nur Speichelproben des Cortisols für die Interventionsgruppe zu den beiden letzten Interventionseinheiten ausgewertet werden. Auswertung Für die Ergebnisse der Oxytocinmessung sowie des Cortisols werden entsprechend dem Charakter der Studie als Pilotstudie elementare deskriptive und inferenzstatistische Verfahren herangezogen: Die statistische Auswertung der Daten wurde mit der Grafik und Statistiksoftware SigmaPlot 14 / SigmaStat der Systat Sofware GmbH sowie der Software SPSS Version 24 durchgeführt. Der Overall-Vergleich erfolgte mit der 2-faktoriellen nicht-parametrischen Friedmann Rangvarianzanalyse, der statistische Vergleich zweier Gruppen wurde wie in den jeweiligen Abbildungen angegeben mittels Student’s-t-Test durchgeführt, bei abhängigen Messwerten mithilfe des t-Tests. Als statistisch signifikant wurde ein Wert von p ≤ 0.05 gewertet. Da die vorliegende Studie eine Pilotstudie ist, werden auch errechnete Werte von p ≤ 0.1 angegeben. Tabelle 3: Rohdaten der Oxytocinmessung in pg / ml Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 Messzeitpunkt 3 Messzeitpunkt 4 Prä Post Rel Prä Post Rel Prä Post Rel Prä Post Rel IG PB 1 0.50 0.37 0.74 0.77 0.27 0.35 0.72 2.16 3.00 0.85 0.53 0.62 PB 2 0.65 0.55 0.85 1.07 0.52 0.49 0.72 1.22 1.69 1.07 0.52 0.49 PB 3 1.19 1.40 1.18 2.28 1.61 0.71 0.56 0.92 1.64 1.39 0.96 0.69 PB 4 0.54 1.02 1.89 0.72 0.40 0.56 0.77 0.37 0.48 0.52 0.40 0.77 KG KO 1 0.56 0.41 0.73 0.45 0.29 0.64 0.56 0.55 0.98 0.42 0.58 0.38 KO 2 0.85 1.40 1.65 2.98 2.57 0.86 1.74 0.89 0.51 - - - KO 3 3.67 2.35 0.64 1.97 1.95 0.99 5.03 2.27 0.45 2.48 0.76 0.31 KO 4 0.54 0.52 0.96 0.70 0.59 0.84 1.79 1.04 0.58 1.13 0.52 0.46 Anmerkungen: Prä = Messung vor der Intervention, Post = Messung nach der Intervention, Rel = relative Änderung des Oxytocinspiegels, IG = Interventionsgruppe, KG = Kontrollgruppe, PB=Proband, KO = Proband der Kontrollgruppe 58 | mup 2|2024 Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten Ergebnisse Oxytocin In Tabelle 3 sind die Rohdaten der Oxytocinmessungen aufgeführt. Die Änderung von der Präzur Post-Messung wird als relative Änderung angegeben. Dies bedeutet, dass sich eine Abnahme im Oxytocinwert in Werten kleiner Eins, eine Zunahme in Werten größer Eins darstellt. In der globalen Auswertung mit der zweifaktoriellen nicht-parametrischen Friedmann Rangvarianzanalyse ergaben sich bei α = 0.05 keine signifikanten Ergebnisse im Vergleich der Gruppen zwischen den Zeitpunkten und innerhalb der Gruppen. Im Sinne der Anlage dieser Untersuchung als Pilotstudie werden dennoch die Ergebnisse der Oxytocinmessungen im Einzelnen betrachtet und weitergehende Datengruppierungen und Analysen durchgeführt: In Abbildung 1 sind die individuellen relativen Änderungen (von Prä zu Post) der Oxytocinwerte der Interventionsgruppe (links) und der Kontrollgruppe (rechts) für die Interventionen 1-4 (x-Achse) dargestellt. Der Oxytocinspiegel stieg durch die dritte Interventionseinheit (bei der die Probanden das erste Mal auf dem Pferd saßen) bei 3 von 4 Probanden deskriptiv an. In der Kontrollgruppe zeigten sich bei keinem der Probanden relevante Änderungen des Oxytocinspiegels. Es wird weiterhin ersichtlich, dass bei der vierten Interventionseinheit im Gegensatz zur dritten kein Anstieg des Oxytocinspiegels resultierte. In Abbildung 2 sind die Ergebnisse der über die Probanden der IG / KG gemittelten relativen Veränderung des Oxytocinspiegels zusammengefasst dargestellt. Auch hier zeigt sich bei Interventionseinheit 3 ein deskriptiver Oxytocinanstieg im Vergleich zur Kontrollgruppe, wenn auch mit p = 0.09 nicht signifikant. Auf die Darstellung der vierten Intervention wird hier verzichtet, da diese durch das Interventionsende eine eigene Stellung innerhalb der Interventionen innehat. Das bevorstehende Ende der Intervention, die bei den Probanden aufgrund der Involvierung der Tiere sehr beliebt ist, führt oft in tiergestützten Interventionen zu „Abschiedsschmerz“ und ungünstigeren Werten hinsichtlich Stressgeschehen, Stimmung oder Wohlbefinden. Um den spezifischen Effekt des Reitens auf den Oxytocinspiegel näher zu beleuchten, wurden die Daten neu gruppiert. Einmal wurden die Daten der Kontrollgruppe für die ersten drei Durchgänge (ohne Reiten) zusammengefasst und dem Ergebnis der Interventionsgruppe nur im Interventionsdurchgang mit Reiten gegenübergestellt (Abb. 3). Ebenso wurde mit den Daten der Oxytocinänderung der Interventionsgruppe für die ersten beiden Durchgänge (ohne Reiten) verfahren und diese ebenfalls dem dritten Durchgang (mit Reiten) gegenübergestellt (Abb. 4). Hier -- ----- - Abbildung 1: Relative Änderungen der Oxytocinwerte für die Versuchs- und Kontrollgruppe über den Interventionszeitraum Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 59 zeigt sich ein signifikanter Anstieg der Oxytocinkonzentration durch das Reiten der Probanden im Vergleich zur Kontrollgruppe ( p = 0.02). Beim Vergleich der beiden Interventionseinheiten 1 und 2 (ohne Reiten) und der 3. Einheit (mit Reiten) ergab sich ein sehr knapp nicht signifikanter Unterschied ( p = 0.07). Cortisol Wie bereits erwähnt konnten Cortisolbestimmungen im Speichel nur zu den Interventionszeitpunkten 3 und 4 in der IG erhoben werden. Trotz eines eindeutigen Trends zu einer Abnahme des Cortisolspiegels bei beiden Interventionseinheiten erreichen die deutlichen Unterschiede nach statistischer Auswertung keine Signifikanz. Aufgrund der jedoch auch zu niedrigen Power bei einer Fallzahl von 4 pro Gruppe ist dadurch ein statistisch signifikanter Unterschied nicht ausgeschlossen. Zur weiteren Illustration der Effekte werden die individuellen Konzentrationsänderungen des Cortisol- und des Oxytocinspiegels jeweils vor und nach dem Reiten vergleichend dargestellt (Abb. 6). In der direkten Gegenüberstellung der individuellen Änderungen der Cortisol- und Oxytocinkonzentrationen soll ein mögliches Zusammenspiel beider Hormone veranschaulicht werden. Die Abbildung zeigt einen deutlichen Cortisolabfall sowie einen eindeutigen Oxytocinanstieg bei drei von vier Probanden. Auffällig sind hingegen die Werte eines Probanden, dessen Werte sich in die entgegengesetzte Richtung verändern. Die dagegen gleichgerichtete Konzentrationsänderung von Cortisol und Oxytocin bei Proband 3 ist auffällig, da üblicherweise Oxytocin dämpfend auf die Stresssysteme wirkt. Klammert man den Probanden 3 von der Betrachtung aus, ergibt sich deskriptiv ein deutlicher Anstieg des Oxytocins gegenüber einer eindeutigen Abnahme des Cortisols. Aufgrund der bereits beschriebenen „emotionalen Ausnahmesituation“ der Probanden bei der 4. Interventionseinheit wird diese eigenständig Abbildung 2: Durchschnittliche interventionsbedingte Änderung des Oxytocinspiegels in der IG und KG - - Anmerkungen: Die Fehlerbalken stellen die Standardabweichung dar. Ein statistisch signifikanter Unterschied pro Messzeitpunkt zwischen der IG und der KG ergab sich nicht. - - Abbildung 3: Relative Änderung des Oxytocinspiegels in der IG (Einheit 3) und KG (Einheit 1-3 zusammengefasst) - Abbildung 4: Relative Änderung des Oxytocinspiegels in der IG (Einheit 3) und IG (Einheit 1-2 zusammengefasst) 60 | mup 2|2024 Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten betrachtet. Abbildung 7 zeigt, dass die Konzentrationen beider Hormone abfielen (Oxytocin: p = 0.03, Cortisol: p = 0.06). Diskussion Ziel der Studie war die Überprüfung der Hypothese, dass sich durch eine pferdegestützte Intervention ein Einfluss auf den Oxytocin- (Anstieg) und Cortisol-Spiegel (Abfall) bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten zeigt. In Bezug auf die konkrete Forschungsfrage ist festzustellen, dass die Effekte statistisch nicht signifikant waren. Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse im Sinne einer Pilotstudie, deren Ziel es ist, Anhaltspunkte für weitere Untersuchungen herauszuarbeiten, zeigt sich ein differenzierteres Bild: Änderungen bezüglich Oxytocin und Cortisol in die erwartete Richtung zeigten sich in der 3. Interventionseinheit, nicht jedoch in der 4. und letzten Sitzung, welche erfahrungsgemäß mit einem Bedauern über das Ende der Intervention assoziiert ist (Beetz / Grebe 2012). Über Mechanismen, die den Veränderungen zugrunde liegen, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden: Die dritte Intervention zeichnet sich Anmerkungen: Die rot markierte Linie stellt den Verlauf der Cortisol- und Oxytocinkonzentration im Speichel von Proband 3 dar. Abbildung 6: Gegenüberstellung der individuellen Cortisol- und Oxytocinspiegel vor und nach der 3. Interventionseinheit - Anmerkungen: Die Balken stellen die Standardabweichung dar. Signifikante Unterschiede konnten nicht nachgewiesen werden. Der Unterschied bei der 4. Intervention (vor vs. nach Intervention) zeigte bei der Auswertung mittels Student’s T-Test ein p = 0.06. Abbildung 5: Cortisolkonzentration im Speichel vor und nach der 3. und 4. Intervention Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 61 im Kern durch den ersten Aufstieg auf das Pferd aus - und zwar mit allen Sinnen. Bildlich betrachtet waren die Kinder nach der ersten Aufregung durch das „Tal der Konfrontationen“ (Umgang mit einem großen Tier, dem eigenen Körper und Ängsten) gegangen und hatten dann im Pferd einen Freund gefunden, dem sie emotional nahestanden und dem sie vertrauten. Der Aufstieg aufs Pferd kann demnach wie eine Belohnung betrachtet werden und demzufolge zu dem Anstieg des Oxytocins führte. In der dritten Interventionseinheit könnten die Teilnehmer eine emotionale Sicherheit gegenüber dem Pferd verspürt haben, die Kommunikationsebene gefunden sowie Nähe und Distanz für sich ausgelotet zu haben. Zudem hat möglicherweise verstärkt eine Synchronisation zwischen Kind und Pferd stattgefunden, da das erste Mal geritten wurde. Diese angenommene Synchronisation und der mit dem Reiten verbundene Körperkontakt könnten eine Erhöhung des Oxytocinspiegels begünstigen und erklären (vgl. Beetz, Julius et al. 2012; Julius et al. 2017). Nach Zusammenfassen der Einzeldaten aus den Interventionseinheiten und damit einhergehender Erhöhung der Anzahl der Daten, die allerdings nicht unabhängig voneinander sind, konnte ein signifikanter Anstieg des Oxytocinspiegels der IG in Interventionseinheit 3 im Vergleich zur KG und zu den Einheiten 1 und 2 der IG, bei der die Probanden nicht auf dem Pferd reiten konnten, gezeigt werden. Diesen eindeutigen Effekt gilt es über unabhängige Daten durch eine deutliche Erhöhung der Probandenzahlen zu verifizieren. Bei methodisch gesichertem Nachweis eines solchen Anstiegs wäre dann wie eingangs dargestellt bei Kindern mit unsicherer Bindung durch die pferdegestützte Intervention mit einem Zugewinn an verschiedenen neuen Kompetenzen und Verhaltens- und Reaktionsänderungen zu rechnen, unter anderen, weil möglicherweise die therapeutische Beziehung durch das Priming leichter und schneller hergestellt werden kann (vgl. Julius et al. 2014, 2017). Die vierte Interventionseinheit ist durch die teils sehr intensiven Abschiedsgefühle (s. Beetz / Grebe 2012) der Kinder separat zu betrachten. Das laut Ablaufstruktur geplante Thema des Waldausrittes ist stark von der Stimmung des Abschieds dominiert worden. Die Oxytocinwerte zeigten sich anders als in der dritten Abbildung 7: Gegenüberstellung der individuellen Cortisol- und Oxytocinspiegel vor und nach der 4. Interventionseinheit 62 | mup 2|2024 Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten Intervention zwischen den Messzeitpunkten kaum verändert, eher abnehmend. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Intensität der emotionalen Beziehung zum Tier zu, die sich hier widerspiegeln könnte. Schon zu Beginn der vierten Interventionseinheit fragten die Kinder auffallend häufig, ob es denn jetzt wirklich das letzte Mal sei, dass sie bei „ihrem Pferd“ sein dürften. Sie versicherten sich immer wieder. Sie machten viele Fotos und versuchten sich alles genau einzuprägen. Beim Abschied flossen bei einigen Teilnehmern Tränen. Auch wenn die Kinder die Zeit mit den Pferden sicherlich als positives Erlebnis gespeichert haben, ergab sich aus der Beobachtung in der Intervention der Eindruck, dass sie sich mit dem Wissen um den Abschied nicht mehr auf die Beziehung, geschweige denn auf eine Intensivierung der Beziehung eingelassen haben. Im Gegenteil, sie hatten eindeutig Stress. Jedoch nahm der Cortisolspiegel der Kinder in der vierten Intervention wider Erwarten im Gegensatz zu den gezeigten Emotionen mit einem eindeutigen Trend ab. Es stellt sich die Frage der Gewichtung des Abschiedsschmerzes. Denn trotz eines dem Grunde nach positiven sozialen Kontextes, trotz des Vertrauens, der Nähe und des Getragenseins, gab es innerhalb dieser Intervention keinen signifikanten Anstieg des Oxytocin-Spiegels. Im Rahmen dieser Studie mit den angesetzten vier Interventionseinheiten pro Kind am Pferd, waren die Inhalte und Prozesse planmäßig sehr komprimiert. Dies stellt eine wichtige Limitation der Studie dar. Innerhalb der praktischen Reittherapie sind diese Elemente in der Regel auf einen größeren Zeitraum ausgedehnt, was für den Aufbau von Bindungsbeziehungen, Vertrauen und damit der Basis für nachhaltige Veränderungen im sozioemotionalen Verhalten und Erleben unabdingbar ist. Des Weiteren beschränkt die kleine Anzahl der Studienteilnehmer die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Die trotz der genannten Kritikpunkte gewonnenen Einsichten weisen in die Richtung relevanter physiologischer Veränderungen in der Interaktion mit dem Pferd, welche therapeutisch und pädagogische utilisiert werden können. Weitere Forschung mit mehr Interventionseinheiten, ähnlich wie in der Praxis, und größeren Teilnehmerzahlen ist notwendig, um die Befunde der vorliegenden Pilotstudie zu verifizieren. Für die Praxis würde die Steigerung des Oxytocinspiegels sowie Reduktion von Stress während und nach der Interaktion mit dem Pferd bedeuten, dass das therapeutische Reiten gezielt utilisiert werden kann, um vertrauensvolle Beziehungen zwischen Klient und Therapeut aufzubauen. Dieser Effekt von Oxytocin, die Steigerung des Vertrauens und Reduktion von Angst und Stress, beides relevante Elemente sicherer Bindungsbeziehungen, kann im Sinne eines Primings (Julius et al. 2014) den Klienten vorbereiten, offener für die Beziehungsangebote des Therapeuten oder Pädagogen zu sein. Gerade für Klienten mit einem unsicheren Bindungshintergrund und schwierigen Sozialerfahrungen bedeutet dies einen wichtigen Vorteil pferdegestützter Interventionen. In der Praxis wäre es also von Vorteil, nach den ersten Terminen des Vertrautwerdens mit dem Pferd, welches auch mit Angst und Stress assoziiert sein kann, gezielt Beziehungsangebote zu machen. Dies kann in Form von emotionaler Fürsorge gegenüber dem Klienten geschehen, die er aufgrund der möglichen Oxytocineffekte ab diesem Zeitpunkt wahrscheinlich leichter annehmen kann. Aber auch Förderung von Synchronisation, nicht nur mit dem Pferd, sondern auch mit dem Therapeuten, z. B. im Gespräch oder auch beim gemeinsamen Singen als wichtige Erfahrung für den Aufbau sicherer Beziehungen generell, wäre hier zu nennen. Der Kontakt zum Pferd kann eine vertrauensvolle Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn begünstigen. Bönicke et al. - Pferdegestützte Intervention bei Jungen mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten mup 2|2024 | 63 Literatur ■ Ainsworth, M. D. S, Blehar, M. C., Waters, E., & Wall, S. (1978): Patterns of Attachment: A Psychological Study of the Strange Situation. Lawrence Erlbaum, Hillsdale, NJ ■ Barker, S. B., Knisely, J. S., McCain, N. L. & Best, A. M. 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Sozialpädagogin, Reitpädagogin, Kinderzentrum St. Vincent Regensburg Prof. Dr. Georg Jungnitsch bis 2020 als Professor für Psychologie an der OTH Regensburg, bietet seit 2018 eine Ausbildung in tiergestützten Interventionen am Institut für tiergestützte Interventionen auf verhaltenstherapeutischer und verhaltensmedizinischer Basis (www.itivv.de) an. Anschrift Prof. Dr Georg Jungnitsch · Institut für Tiergestützte Interventionen auf verhaltenstherapeutischer und verhaltensmedizinischer Basis - ITIVV · Kreuzstr. 15 · 94374 Schwarzach