eJournals mensch & pferd international 16/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2024.art07d
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2024
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Forum: Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag

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2024
Sandra Großhausmann
In der letzten Ausgabe 01/2024 habe ich über die Wirkung der pferdegestützten Psychotherapie berichtet. Die wichtigsten Aspekte stellten da die aufrechte, sichere Körperhaltung, das Zulassen von Nähe, lernen verantwortungsbewusst zu handeln und neue Kompetenzen zu erlangen dar. Die verschiedenen Faktoren habe ich im Kontakt mit den Pferden gut verinnerlichen können. Irgendwann ist es aber wichtig, diese neuen Kompetenzen und Erfahrungen in den Alltag zu integrieren. Die Übungen mit den Pferden und der Psychotherapeutin zusammen stellen einen sicheren Rahmen dar. Funktionierte ein Kommando mit den Pferden nicht,
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mup 2|2024|65-71|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art07d | 65 Sandra Großhausmann Forum Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag In der letzten Ausgabe 01 / 2024 habe ich über die Wirkung der pferdegestützten Psychotherapie berichtet. Die wichtigsten Aspekte stellten da die aufrechte, sichere Körperhaltung, das Zulassen von Nähe, lernen verantwortungsbewusst zu handeln und neue Kompetenzen zu erlangen dar. Die verschiedenen Faktoren habe ich im Kontakt mit den Pferden gut verinnerlichen können. Irgendwann ist es aber wichtig, diese neuen Kompetenzen und Erfahrungen in den Alltag zu integrieren. Die Übungen mit den Pferden und der Psychotherapeutin zusammen stellen einen sicheren Rahmen dar. Funktionierte ein Kommando mit den Pferden nicht, konnte ich es zigmal wiederholen. Gemeinsam haben die Therapeutin und ich analysiert, wo das Problem liegen könnte. War das Pferd abgelenkt? Habe ich ein falsches Kommando gegeben und es kam zu einem Missverständnis? War meine Körperhaltung unsicher und unklar? Im „echten“ Leben ist es anders, denn nicht jeden Kontakt kann ich mehrfach wiederholen. Deshalb war es für mich in den ersten Jahren wichtig, Situationen aus dem Alltag wieder und wieder mit den Pferden zu trainieren, um sicherer zu werden. Nach fast 6 Jahren intensiver „Arbeit“ mit den Pferden kann ich ganz klar sagen, dass ich mich im Alltag sicherer fühle. Und mit genau diesen Erfahrungen möchte ich mich in dieser Ausgabe beschäftigen. Wie konnte ich die Therapie in den Alltag integrieren? Und wie haben sich die Veränderungen der Selbstwahrnehmung und Körpersprache auf die Kommunikation ausgewirkt? Am Ende möchte ich einen kleinen Abstecher zu der Veränderung des Selbstbewusstseins durch die neuen Erfahrungen machen. Wie hat die Therapie mit den Pferden meine Körpersprache konkret verändert? Wie in der letzten Ausgabe schon erwähnt, habe ich eine aufrechte und sichere Körperhaltung verinnerlicht. Unabhängig von meiner inneren Verfassung Abb. 1: Unsere Kommunikation ist sehr klar. Das hat viele Jahre gedauert und geht nicht nach ein paar Mal Pferde führen. Hier wollte ich, dass Fee über ein paar Stangen springt - der Blick war ihre Reaktion. 66 | mup 2|2024 Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag ist mein Stand sicher und aufrecht. Besonders in schwierigen Situationen, in denen ich innerlich das Gefühl habe sie nicht meistern zu können, macht der Stand etwas mit mir. Sitze ich in mich gekehrt und den Kopf nach unten gerichtet, verstärke ich meine Unsicherheit dadurch noch. Stehe ich aber aufrecht und richte meinen Blick nach vorne statt auf den Boden, werde ich auch innerlich sicherer. Zusätzlich biete ich weniger Angriffsfläche, wenn ich eine klare und sichere Haltung einnehme. Im Alltag habe ich keinen Spiegel dabei, in dem ich meine Haltung kontrollieren kann. Die Pferde haben mir in den vielen Jahren in jeder Situation direkt gezeigt, wie ich auf sie wirke: Sage ich z. B. „Komm! “ zu einem Pferd, bin dabei aber von meiner Haltung nicht eindeutig und überzeugt genug, dass ich es ernst meine, wird es dazu führen, dass das Pferd mich nicht ernst nimmt und gar nicht erst mit mir zusammen losgeht. Am Halfter zu zerren ist zum einen nicht das was ich will, aber ich könnte ziehen so viel ich will, die Pferde sind mir kräftemäßig überlegen. Im Alltag gibt es vergleichbare Situationen, in denen es wichtig ist, klar und mit voller Überzeugung zu vermitteln. Im Rahmen schwerer Traumatisierungen ist es für mich wichtig gewesen, ein klares „Nein“ vermitteln zu können. Ich konnte mich in meinem Leben oft nicht wehren und keine Grenzen kommunizieren. Wenn ich im alltäglichen Kontakt ein „Nein“ oder „Stopp“ durchsetzen möchte, ist es von großer Bedeutung, dass meine Körpersprache, Mimik und Gestik klar ausdrücken, dass ich meine Grenze aus tiefster Überzeugung durchsetzen möchte und kein Zweifel in mir ist - unabhängig davon, ob ich innerlich hadere. Nach Außen will ich klar wirken und mich durchsetzen. Durch das Verinnerlichen dieser „klaren“ Haltung kann ich meine Bedürfnisse und Grenzen viel besser durchsetzen als früher. Natürlich bin auch ich „nur“ ein Mensch und schaffe es selbst nach fast 6 Jahren Pferdekontakt nicht, in jeder Situation klar zu wirken und mich durchsetzen zu können. Aber viel öfter als vor ein paar Jahren noch. Würde ich einem Pferd sagen: „Könntest du bitte losgehen? Ich hatte einen stressigen Tag und keine Energie mehr zu kämpfen und außerdem bin ich traurig. Ich wollte zwar bei dir sein …“, würde das Pferd nicht verstehen, was ich jetzt will. Denn ich komme durch die Erklärungen in die Rechtfertigung. Auch das lässt sich gut in den Alltag integrieren. Ich kenne es als Empfänger von Botschaften selbst: Eine Aussage, die mehrere Rechtfertigungen und Schachtelsätze hat, ist zum einen schwer zu verstehen und zum anderen bieten Rechtfertigungen immer die Möglichkeit, Gegenargumente zu finden. Und genau das will ich in dem Moment, in dem ich meine Grenzen und Bedürfnisse äußere, auf jeden Fall vermeiden. Somit haben die Pferde mir beigebracht in kurzen Sätzen, ohne Rechtfertigungen, klare Botschaften zu vermitteln. Wenn ich mir Gespräche anderer Menschen anhöre, bekomme ich immer wieder mit, dass auch Personen, die nicht psychisch angeschlagen sind, diese klare Kommunikation nicht nutzen können. Von daher sollte man mit sich selbst gnädig und geduldig sein, was das Umsetzen angeht. Alleine im Nachhinein zu erkennen, in alte Muster gerutscht zu sein, ist ein wichtiger Schritt! Ein weiterer, oft nicht bewusster Teil der Körpersprache ist die Atmung. Wer achtet da schon immer drauf? Schließlich atmen wir automatisch, ganz ohne daran zu denken. Ich habe als Kind mal versucht, nicht mehr zu atmen und zu ersticken. Das funktioniert auf Dauer nicht, irgendwann setzte der Atemreflex wieder ein. Warum sich also der Thematik widmen, wenn wir doch automatisch weiter atmen? Weil ich die Erfahrung gemacht habe, über die Atmung viel regulieren zu können. Wahrscheinlich kennt jeder die Situation: Wenn etwas viel Konzentration erfordert, habe ich die Luft oft angehalten. Dabei kann ein bewusstes Ausatmen gut helfen, sich selbst zu regulieren. Auch dieser Möglichkeit wurde ich mir im Pferdekontakt bewusst. Das bewusste Ausatmen kann ein Kommando sein, vom Trab in den Schritt durchzuparieren. Oder bei der Bodenarbeit ein „Stopp“ signalisieren. Allein das Bewusstmachen, dass die Atmung eine große Ressource ist, war ein erster wichtiger Schritt! Ich habe den Vorteil, dass ich lange Gesangsunterricht hatte und die Bauchatmung dort einen wichtigen Bestandteil darstellt. Meine Aufgabe war es also eher, mir der Möglichkeit, mich über meine Atmung regulieren zu können, bewusst zu werden, als Techniken zu erlernen. Neben der klaren Kommunikation von Grenzen war es im ersten Schritt wichtig zu lernen, dass ein „Nein“ nicht das Ende einer Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag mup 2|2024 | 67 Beziehung bedeutet. Die Pferde kommen immer wieder zu mir zurück. Egal, ob ich sie auf Distanz führe, wegschicke oder auf dem Hals liege und kuschle. Im Zwischenmenschlichen ist es ähnlich: Ein „Nein“ oder „nicht jetzt“ bedeuten nicht das Ende einer Beziehung. Wie hat die Körpersprache sich in Verbindung mit der Wahrnehmung verändert? Ein Gedanke, der mir selbst Sicherheit vermittelt ist, dass ich stark und durchsetzungsfähig bin. Gibt es einen größeren Beweis als die Tatsache, dass ich mehrere hundert Kilo führen und in einem gewissen Ausmaß kontrollieren kann? In den Sommermonaten stehen beide Pferde, die unsere Co- Therapeuten sind, auf einer großen Wiese und genießen dort das Herdenleben. Das führt dann dazu, dass ich an manchen Tagen zwei Pferde zeitgleich durch diverse Litzen zur Reithalle führe. Das genaue Gewicht kenne ich nicht, aber es sind mehrere hundert Kilo, die ich alleine führe. Wenn ich in den Momenten in mich hineinhorche, nehme ich wahr, wie viel Stärke und Kompetenz ich habe. In schwierigen Alltagssituationen versuche ich, mich an diese Momente zu erinnern. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass man ein paarmal Pferde über den Hof führt und sich dann im Alltag sofort sicher fühlt und sich der Gedanke „Mir kann keiner etwas antun. Die Pferde sind schwerer als jeder Mensch“ direkt manifestiert hat. Das ist zum einen ein langer Prozess und zum anderen eine bewusste Entscheidung. Ich muss bei der Thematik an meine Untersuchung bei einem Radiologen denken. Dort wurde ein MRT durchgeführt. In dem Moment, in dem ich in die enge Röhre gefahren wurde, spürte ich die Panik in mir aufsteigen. Ich sagte zu mir selbst: „Du hast die Wahl, worauf du dich fokussierst. Entweder auf die Panik oder auf deine Atmung.“ Hätte ich mich dafür entschieden, die Panik überhandnehmen zu lassen, hätte die Untersuchung abgebrochen werden müssen und wahrscheinlich hätte sich das Prozedere am Ende nur in die Länge gezogen. Ich wollte es aber schnell hinter mich bringen und habe mich deshalb bewusst dazu entschieden, mich auf meine Atmung zu fokussieren und an die Pferde zu denken. Denn wie oft gab es am Stall Situationen, in denen ich mich selbst aufgrund äußerer Umstände, wie Sturm, Regen, Sägearbeiten etc. nicht sicher gefühlt habe. In diesen Momenten habe ich mich entschieden, Sicherheit auszustrahlen. Für mich selbst, aber auch für die Pferde, die als Fluchttier eine Art sicheren Anker brauchen. Solche Beispiele finde ich in vielen Alltagssituationen. Manchmal bedanke ich mich dann innerlich bei den Pferden, dass sie mir durch ihr pures Sein beigebracht haben, gegen die Angst zu handeln und meine bekannten Mechanismen zu nutzen. Diese Fähigkeit übe ich auch heute noch in guten Momenten. Abb. 2: Von der Zauberfee durch die Natur getragen zu werden, ist meine Tankstelle für neue Energien im Alltag. 68 | mup 2|2024 Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag Eine Annahme konnte ich bis heute noch nicht vollständig beiseitelegen. Ich kann mir und meinen Kompetenzen selbst kaum vertrauen. Ich hege schon seit zig Jahren den Wunsch, zwei Kaninchen zu halten. Aber auch diese Verantwortung traue ich mir noch nicht zu. Was, wenn ich etwas übersehe? Wenn ich nicht mitbekomme, wenn sie Schmerzen haben oder krank sind? Diese Annahme hat aber schon ein paar Risse bekommen! Wenn ein Pferd als Fluchttier mir vertraut und mich ernst nimmt, kann mein Vertrauen in mich selbst auch wachsen. Auch situativ kann ich am Stall von dem Sicherheitsgefühl profitieren. Mittlerweile habe ich mit verschiedenen Pferden arbeiten dürfen. Manche waren gelassen, andere sehr ängstlich. Wenn ich mit extrem ängstlichen Pferden arbeite, muss ich noch mehr Ruhe und Sicherheit ausstrahlen, als z. B. bei der Zauberfee, über die ich in meinem letzten Artikel ausführlich berichtet habe. Meine tiefe und beruhigende Stimme wirkt sich nicht nur auf das Pferd, sondern auch auf mein eigenes Empfinden aus. In Alltagssituationen, die in mir ein Unbehagen oder Unsicherheit auslösen, erinnere ich mich selbst daran, wie ich mit den Pferden am Stall kommuniziere. Also atme ich tief durch und rede mir selbst mit dieser tiefen und ruhigen Stimme Sicherheit zu. Man kann kaum verlangen, dass sich dieser „Skill“ nach ein paar Monaten am Stall direkt verfestigt. Es braucht viel Übung: Zuerst habe ich es mehrere Jahre am Stall geübt. Dann wurde mir im Alltag nach schwierigen Situationen erst klar, dass ich die Fertigkeit, die ich am Stall im Kontakt mit den Pferden erlernt habe, auch für mich selbst hätte anwenden können. Und dann hat es sich ganz langsam eingeschlichen, dass ich mir in den Krisensituationen bewusst werde, dass ich mir selbst Sicherheit vermitteln kann. Dieser Prozess ist langwierig und ich werde wohl nie aufhören, mir in immer mehr Situationen bewusst zu machen, dass ich die „Stallfertigkeiten“ in den Alltag mitnehmen kann. Die positiven Stallerfahrungen, das Gefühl, neue Kompetenzen erlernt zu haben und der Zuspruch der Therapeutin am Stall - all diese Faktoren haben mir ein Selbstvertrauen gegeben, das ich niemals für möglich gehalten habe. Ich stehe vor Menschen und halte Vorträge über meine Erfahrungen mit der pferdegestützten Psychotherapie. Ich habe mich an diesen Verlag gewandt und teile meine Erfahrungen. Nicht, weil ich denke, dass ich die größte Kompetenz habe, sondern weil ich die Sicht einer Betroffenen, die aus klassischen Gesprächstherapien nicht langfristig profitieren kann, die vor ein paar Jahren keinerlei Nähe zulassen konnte, die teilweise so leise sprach, dass man sie kaum verstand, als wertvoll erachte. Zeitgleich habe ich das Selbstvertrauen in andere Lebensbereiche mitgenommen. Ich habe mir zugetraut, ein Fernstudium der Psychologie zu beginnen, denn die Grundan- Abb. 3: Mit ängstlichen Pferden zu arbeiten war eine neue Herausforderung für mich, die mich immer weiter hat wachsen lassen. Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag mup 2|2024 | 69 nahme, dass ich „zu dumm“ für ein Studium sei, wurde immer kleiner und verschwand irgendwann ganz. Der Entschluss, nicht weiter zu studieren hatte 2022 finanzielle Gründe. Mein finanzieller Spielraum ist durch die Rente und meine Hobbys, wie die pferdegestützte Psychotherapie, eingeschränkt und ein Fernstudium nicht gerade günstig. Zeitgleich war die Anorexie erneut so stark geworden, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Das Gehirn braucht nun mal Glukose und Kalorien. Beides habe ich meinem Körper irgendwann fast komplett verwehrt. Trotzdem sehe ich die Tatsache, dass ich keinen akademischen Abschluss habe, nicht als Scheitern an. Viel mehr bin ich dankbar für die Erfahrung und das Hintergrundwissen der kurzen Zeit. Oft schäme ich mich zu sehr, um über meine Ergebnisse zu reden. Ein „Prahlen“ mit guten Noten erscheint oft eingebildet. Dennoch weiß ich, dass ich mit einem Klausurergebnis von 1,0 theoretisch in der Lage gewesen wäre, ein Studium abzuschließen. Doch statt den Kopf in den Boden zu stecken, habe ich mich meiner Leidenschaft, dem Schreiben gewidmet. Selbstvertrauen ist etwas, was man hegen und pflegen muss, damit es wachsen kann und nicht direkt eingeht. Und das habe ich wieder und wieder getan. Seit einem Jahr schreibe ich endlich wieder. Aber nicht mehr „nur“ Kurzgeschichten. Ich, die Frau ohne einen Studienabschluss und mit durchweg miserablen Deutschnoten in der Oberstufe, schreibe einen Roman. Den Samen, um dieses neue Selbstvertrauen zu sähen, haben mir die Pferde geschenkt und ich kann den beiden gar nicht genug danken. Wenn meine Erfahrung als wichtig genug angesehen wird, dass ich darüber referieren und schreiben darf, fühle ich mich als eine erwachsene Frau wahrgenommen. Nicht mehr wie eine schwache, ausgelieferte junge Frau, die sich nicht wehren kann. Das Gefühl kennen sicherlich viele, die traumatische Situationen erlebt haben. Ich konnte mich damals nicht aus der Situation befreien. Das Gefühl hat sich in all den Jahren so eingebrannt, dass es durch Lappalien direkt angetriggert wird. In meiner Biografie befindet sich neben der komplexen Traumafolgestörung eine schwere Essstörung. Oft hungerte ich mich auf das Gewicht einer Zehnjährigen herunter. Die Pferde haben mir beigebracht, dass sie mich annehmen und meinen Körper sowie das ganze Aussehen nicht bewerten. Ich habe im Kontakt mit Pferden lernen dürfen, dass ich ernst genommen Abb. 4-6: von einer jungen Frau im Körper eines Kindes und Angst vor Weiblichkeit zu einer erwachsenen Frau in nicht mal einem Jahr 70 | mup 2|2024 Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag werde, dass ich wie eine erwachsene Frau wirken kann, ohne in Gefahr zu geraten. Ich reite mittlerweile seit mehreren Jahren. Für mich gab es keine bessere Körperwahrnehmungsübung als das Reiten. Ich möchte andere Techniken gar nicht kleinreden. Ich weiß aber nicht, wie oft ich meinen Körperumfang mit Seilen geformt habe und im nächsten Schritt einen Vergleich mit meinem realen Umfang gemacht habe. Ja, ich habe da erlernt, dass ich meinen Körper nicht realistisch einschätze. Aber was hatte ich davon? Wofür sollte ich einen starken und belastbaren Körper haben, wenn ich mit der Idee der Weiblichkeit ein Gefühl der Gefahr verband? Als ich im Sommer 2022 wieder so dünn war, litt natürlich meine Körperhaltung. Es fehlte die Kraft, eine Grundspannung aufzubauen. Mittlerweile habe ich ein gesundes Körpergewicht erreicht und spüre, wie entspannt das Reiten ist. Ich bin durch meine Körperspannung klarer, die Zauberfee diskutiert weniger mit mir und ich habe den Eindruck, dass das Mehr an Gewicht auch Auswirkungen auf den Kontakt zum Pferd hat. Zum ersten Mal in meinem Leben überwiegt der Stolz auf die Zunahme. In der Vergangenheit wollte ich jedes Gramm am liebsten sofort wieder loswerden. Ich möchte hier ein realistisches Bild vermitteln. Deshalb verschweige ich die Tatsache, dass ich mich in meinem „neuen“ Körper oft unwohl fühle, nicht. Natürlich sind ein paar Kilo weniger immer noch ein verlockender Gedanke. Aber ich möchte nicht mehr in den extrem niedrigen Gewichtsbereich zurück. Nein! Ich möchte endlich erwachsen sein! Ich möchte ernst genommen werden und gesehen werden! Ich möchte im Winter nicht mit vor Kälte tauben Händen und Füßen am Stall sein, weil kein Gramm Fett an meinem Körper ist. Und diese Einstellung hatte ich noch nie. Es ist für mich immer wieder unfassbar, wie tief die pferdegestützte Psychotherapie einwirkt und was sie alles verändert hat. Wie würde ich eine konkrete Alltagsrelevanz formulieren? Ich gehe offen und mit einer klaren Haltung in Gespräche. Diese Klarheit und der feste Entschluss etwas durchzusetzen sind im Kontakt mit den Pferden das A und O. Wie oft hörte ich den Hinweis: „Strahlen Sie aus, dass Sie einen festen Entschluss haben.“ Bei Behördengängen oder anderen wichtigen Terminen kann diese Ausstrahlung hilfreich sein. Was hat sich konkret an meinem Selbstbewusstsein geändert? Was macht es mit jemanden, der sich für schwach hält, wenn der mehrere hundert Kilo führen kann? Das Selbstbewusstsein steigt! Und es macht mich stolz! Endlich habe ich einen friedvollen Ort gefunden, an dem ich mich sicher und stark fühle. Ich habe gelernt, mich durch klare Aussagen und meine aufrechte Körperhaltung durchzusetzen oder Grenzen zu setzen. Diese Erfahrung macht mich auch im Alltag sicher. Ich habe immer häufiger Erfolgserlebnisse, wenn ich ein Bedürfnis oder eine Grenze im zwischenmenschlichen Bereich durchsetzen möchte. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und mein Selbstbewusstsein wächst. Am Stall lerne ich nie aus. Besonders, was die ganz feine Kommunikation mit den Pferden angeht. Eine so feine und niederschwellige, dass sie kaum jemand von außen sehen könnte. Durch die Fortschritte, die nie aufhören, habe ich regelmäßig Erfolgserlebnisse und das hat mein Selbstbewusstsein immer wieder wachsen lassen. Zum Abschluss möchte ich die verschiedenen Faktoren zusammenfassen: ■ Kompetenzentwicklung, ■ Fortschritte im Reiten und bei der Bodenarbeit, ■ Lernen, das Verhalten der Pferde in der Herde zu verstehen und dann im Alltag fremde Herden in Bezug auf die Rangordnung analysieren können. Ich darf neben der Therapie immer mehr eigenständig am Stall Verantwortung übernehmen und selbstständig arbeiten. ■ Durch das Schreiben über die pferdegestützte Psychotherapie fühle ich mich zusätzlich ernst genommen und selbstbewusster. Forum: Großhausmann - Therapie mit Pferden - der Transfer in den Alltag mup 2|2024 | 71 Die Autorin Sandra Großhausmann 36 Jahre und von der Grundausbildung Sachbearbeiterin bei einer Krankenkasse. Ich erlebte sehr früh erste traumatische Erfahrungen, wurde früh berufsunfähig und zog mich zurück. Als ich Anfang 2018 erstmals auf die Pferde traf, bekam mein Leben eine schöne Wendung. Ich bin von der positiven Wirkung der Pferde im therapeutischen Bereich so überzeugt, dass ich meine Erfahrungen gerne teile. Zurückgezogen lebe ich weiterhin, widme mich aber dem Schreiben von Texten und Briefen. Aktuell schreibe ich einen eigenen Roman sowie Kurzgeschichten. Durch das Schreiben kann ich der Realität entfliehen und mir Auszeiten schaffen. Kontakt 58099 Hagen · s-grosshausmann@hotmail.de 015 90 / 646 96 85 All diese Veränderungen können nicht nach ein paar Terminen am Stall oder ein paar Mal Pferde streicheln verinnerlicht werden. Diese Prozesse brauchen besonders zweierlei: viel Zeit und Geduld! Bei all den Dingen darf man aber eine Sache nicht vergessen: Die Pferde sind Lebewesen, mit eigenen Bedürfnissen, Charaktereigenschaften - und auch die Stimmung kann jeden Tag anders sein. Deshalb kann ich ihre Reaktion oder das Verhalten der Pferde nie zu 100 % voraussehen. Genauso, wie ich die Pferde so annehme, wie sie an dem Tag sind, nehmen sie mich auch so an, wie ich in verschiedenen Gemütszuständen bin. Sie haben mich gelehrt, dass ich gut so bin, wie ich bin. Und dass ist ein wunderschöner Gedanke, oder? Wer bekommt das denn nicht gerne vermittelt: Du bist gut so, wie du bist! a w Auf dem Rücken der Pferde Die Handorfer Spielekartei ist eine Sammlung von Spielen und Übungen zur Voltigier- und Reitpädagogik mit Kindern. Mit über 140 Aktionen lassen sich Voltigier- und Reitstunden immer wieder neu und abwechslungsreich gestalten. Es gibt Tätigkeiten mit dem Pferd, am Pferd und auf dem Pferd, Einzel-, Paar- und Gruppenübungen. Förderbereiche sind z. B. Körperwahrnehmung, Sinneswahrnehmung, Visuomotorik, Verbale Kommunikation, Merkfähigkeit, Kreativität und Gruppenverhalten. Durch das praktische Karteikartenformat lassen sich die Spiele zur Voltigier- und Reitpädagogik vor der Stunde auswählen und mit in die Reithalle nehmen. Barbara Ehring-Hüttemann / Hildegard Berger / Mechthild Everding-Kraß / Uschi Gohl / Sigrid Heermann Handorfer Spielekartei für Voltigier- und Reitpädagogen 4. Auflage 2019. 161 farbige Karteikarten. DIN A6. Mit Kartenschutzhülle. In Karteibox. (978-3-497-02860-3) Karten