eJournals mensch & pferd international 16/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2024.art12d
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Forum: Esel bringen Farbe ins Leben

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Sabine Dell’mour
Obwohl der Esel historisch und mythologisch eine große Rolle spielt – jedes Kind kennt Ochs und Esel in der Krippe zu Bethlehem, die Mutter Jesu, die heilige Maria, wurde laut Überlieferung hochschwanger auf einem Esel von Josef geführt und auch zu Ostern kommt dem Esel eine besondere Bedeutung zu, reitet doch Jesus selbst mit Palmwedeln bestückt auf einem Esel –, zeigt sich die öffentliche Wahrnehmung des Esels im Sprachgebrauch wenig respektvoll.
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102 | mup 3|2024|102-108|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art12d Sabine Dell’mour Forum Esel bringen Farbe ins Leben Wie Esel zur Antriebsstärkung bei Jugendlichen beitragen können Obwohl der Esel historisch und mythologisch eine große Rolle spielt - jedes Kind kennt Ochs und Esel in der Krippe zu Bethlehem, die Mutter Jesu, die heilige Maria, wurde laut Überlieferung hochschwanger auf einem Esel von Josef geführt und auch zu Ostern kommt dem Esel eine besondere Bedeutung zu, reitet doch Jesus selbst mit Palmwedeln bestückt auf einem Esel -, zeigt sich die öffentliche Wahrnehmung des Esels im Sprachgebrauch wenig respektvoll. Die Aussagen „stur wie ein Esel“ und „dummer Esel“ sind nur zwei Beispiele beliebter Zuweisungen an ein Gegenüber. Die Überzeugung von des Esels Dummheit spiegeln auch Redewendungen wie „Der Esel nennt sich immer zuerst“ oder „Wenn man den Esel nennt, kommt er gerennt“ wider. Die geringe Wertigkeit des Esels gegenüber dem stolzen Pferd zeigen Floskeln wie „Aus einem Esel kann man kein Rennpferd machen“ und „Vom Pferd auf den Esel kommen“. Wie kommt ein Tier, das in unserer Kultur als Träger vieler negativer Eigenschaften gilt, das angeblich störrisch, stur, ungeschickt und dumm ist, dazu, in reittherapeutischen und reitpädagogischen Settings als Hilfe für Menschen eingesetzt zu werden? Gilt doch allein „Du Esel“ schon als ein Schimpfwort! Wie schaut es also aus mit den Eseln? Was sind das für Tiere? Das Spezielle der Esel in Bezug auf Herkunft, Haltung und Pflege Esel sind Unpaarhufer und zählen zu den Equiden. Unter diesem Begriff werden Pferde, Ponys, Esel, Maultiere und Maulesel zusammengefasst. Esel sind jedoch für sich gesehen sehr spezielle Equide und in keinem Fall als kleine Pferde zu betrachten. Sie schauen vollkommen anders aus als Pferde und unterscheiden sich auch genetisch. Sie werden deutlich älter und können ein Alter von 45 Jahren erreichen. Viele Unterschiede zum Pferd erfordern im Falle einer medizinischen Versorgung und eines Eingriffes spezielle veterinärmedizinische Kenntnisse. Allein die Tatsache, dass beim Eselhengst die Hoden deutlich größer als beim Pferd sind und eine sehr gute Blutversorgung aufweisen, macht die Kastration schwieriger. Ein interessantes Detail ist, dass Eselhengste auf der Vorhaut zwei Zitzen haben und diese von Laien leicht mit einem Sarkoid (Hauttumor) verwechselt werden. Aber auch die Abweichung des Eselhufes vom Pferdehuf setzt spezielle Kenntnisse für die Hufbearbeitung voraus. Esel können auch viel besser mit wenig Wasser auskommen als das Pferd. Sie sind an warme Klimazonen mit Abb. 1: Erwin und Benny (Alle Abb.: Andrea Thomayer, Tiefgraben) Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben mup 3|2024 | 103 geringen Wasservorkommen angepasst (Listmann et al. 2017). Es gibt 58 Eselrassen, deren Größe von 90 cm Stockmaß (Miniaturesel) bis zu 150 cm Stockmaß (Poitou-Esel) reicht. Der Katalanische Riesenesel erreicht sogar ein Stockmaß von 160 cm. Der Hausesel (Equus asinus asinus) stammt vom Afrikanischen Esel ab und wurde bereits 4000 v. Chr. von den alten Ägyptern domestiziert und zum Reiten und Lastentragen eingesetzt. Er zählt zu den wahrscheinlich ältesten Haustieren. Esel leben im Herdenverband. Zwei mittelgroße Esel benötigen eine Mindestfläche von 50 m 2 . Sie können ganzjährig im Freien gehalten werden, sofern sie einen windgeschützten Unterstand nützen können und trockene Flächen zur Verfügung haben. Esel benötigen Futter mit einem hohen Rauhfaseranteil und wenig Proteinen, bei Verfettung reagieren sie gerne mit Stoffwechselerkrankungen (Dohmen, 2014). Es muss darauf geachtet werden, dass das Fell nicht verfilzt und die Hufe müssen regelmäßig gepflegt und ausgeschnitten werden. Es ist empfehlenswert die Freilaufflächen als Langrechteck zu gestalten, Esel lieben es, lange Strecken zu laufen (Otterstedt 2007). Artspezifisches Verhalten des Esels im Unterschied zu Pferden Esel haben ein wenig ausgeprägtes Fluchtverhalten. Eher bleiben sie stehen und sondieren die Lage, als dass sie losrennen würden. Ihr Fluchtverhalten ist kontrovers zu den meisten Pferderassen. Auch das Verteidigungsverhalten ist näher dem Angriff als der Flucht, obwohl Esel gutmütige Tiere sind. Aber Eselhengste haben ein deutlich höheres Territorialverhalten als Pferdehengste. Im Umgang mit anderen Tieren und Menschen ist beim geschlechtsreifen Eselhengst mit aggressiverem Verhalten zu rechnen (Listmann 2017). Die Lautäußerungen unterscheiden sich durch das typische Iah, das je nach Situation sehr unterschiedlich ausfallen kann. Das kann von einem ohrenbetäubenden Laut bis zu Varianten mit Abschlussgrunzen oder einem Abschlussschnauben gehen. Esel können sogar „singen“, wenn sie etwas Freudiges erwarten. Neben Luftsprüngen, die pure Lebensfreude zeigen, können sie auch mittels Kopf hoch, Nase hoch und mit kreisenden Schwanzbewegungen Freude ausdrücken (Otterstedt 2007). Ein weiteres für den Umgang mit den Eseln nicht unbedeutendes Merkmal ist die hohe Schmerztoleranz dieser Tiere. Viele klinische Symptome unterscheiden sich drastisch von denen eines Pferdes. Der Esel zeigt keinen Schmerz. Daher werden schwerwiegende Erkrankungen oft übersehen. Wer jedoch seinen Esel kennt, muss auf die geringsten Symptome eines verminderten Allgemeinbefindens achten (Listmann et al. 2017). Esel und Pferde zur Steigerung des Selbstvertrauens und der Selbsttätigkeit - eine wissenschaftliche Abschlussarbeit Thomayer (2023) beschäftigt sich in ihrer Studie mit dem Thema der landwirtschaftlichen Arbeit in Kombination mit dem Einsatz von Equiden zur Förderung kognitiv eingeschränkter Kinder und Jugendlicher. Die Studie wurde im Zusammenhang des Abschlusses zur akademischen Expertin für HIPS-Reittherapie des Hochschullehrganges „Heilsames, intuitives Pferdesetting“ an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien verfasst. Die Eckdaten der Studie Eine Schulklasse einer Sonderschule aus Salzburg kam ein Jahr lang (Herbst 2022- 2023) im Rahmen eines Projektes einmal in der Woche für je drei Stunden auf den Betrieb der Familie Thomayer. Das Altersspektrum war breit gestreut. Die Kinder und Jugendlichen waren sieben bis 18 Jahre alt. Im Wesentlichen ging es darum, die Jugendlichen im Rahmen des Projektes für die Arbeit außerhalb der Schule fit zu machen, was auch die Arbeit in integrativen Werkstätten beinhaltet hat. Im Oktober 2022 konnten jeweils 7 von 8 Personen mit vier Terminen versorgt werden. Ab März 2023 konnte das Projekt wöchentlich durchgeführt 104 | mup 3|2024 Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben werden. Insgesamt wurden 16 Termine abgehalten. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler war immer unterschiedlich. Jeder Projekttag hatte einen besonderen Fixpunkt, der gemeinsam mit den Lehrerinnen besprochen, aber den Jugendlichen erst am selben Tag mitgeteilt wurde. Die Tagesthemen hatten gärtnerische oder handwerkliche Schwerpunkte. Bei allen Arbeiten waren die Pferde, Ponys und Esel immer in der Nähe und sichtbar. Es wurden auch weitere spezielle Schwerpunkte mit den Equiden gesetzt und entweder mit der ganzen Klasse oder in zwei Gruppen geteilt gearbeitet. Kurzbeschreibungen der Schülerinnen und der Schüler Schülerin Af ist 15 Jahre alt, Einzelkind und lebt in einer Sozialwohnung. Sie ist sehr schüchtern und in der Gruppe kaum sichtbar. Es wird selektiver Mutismus vermutet, sie spricht kaum. Schüler Bm ist 15 Jahre alt und stammt aus einer syrischen Flüchtlingsfamilie. Er ist erst drei Jahre in Österreich und hat in dieser Zeit Deutsch in Wort und Schrift gelernt. Er ist sprunghaft und sehr aktiv. Schüler Cm ist 15 Jahre alt, sehr ruhig, aber aufmerksam. Er arbeitet gerne. Aufgrund seiner Neurodermitis wurde er in die Sonderschule geschickt. Schüler Dm ist 16 Jahre alt mit der Diagnose Trisomie 21 (Down-Syndrom), aufgrund eines Herzfehlers ermüdet er rasch. Schülerin Ef ist sieben Jahre alt, sie hat ein diagnostiziertes ADHS, eine Persönlichkeitsstörung und eine Reduzierung des IQs. Herangehensweise Die gewählten Untersuchungsmethoden waren die teilnehmende Beobachtung und Interviews hinsichtlich potenzieller Veränderungen im schulischen Bereich mit den Lehrerinnen. Die teilnehmenden Beobachtungen hatten die Parameter Sozialverhalten und Gestaltung von Arbeitsprozessen und wurden in eine soziale, sachliche und zeitliche Dimension gegliedert, wobei besonderes Augenmerk auf das sich verändernde Selbstbewusstsein in der Durchführung von Arbeiten gelegt wurde. Feinziel des Projektes war es, die Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Selbständigkeit, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit zu fördern. Die Wirkebenen waren die teilnehmenden Personen, die Umgebung und die Tiere. Im Mittelpunkt standen die Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen Kompetenzen und Ressourcen. Die Prozesse der einzelnen Personen wurden interpretiert, reflektiert und mit relevanten Beispielen der Beobachtung verglichen. Konzepte und Praxeologie des Projektes Die angewandte Praxis basierte auf Konzepten und der Praxeologie des heilsamen, intuitiven Pferdesettings. Das heilsame, intuitive Pferdesetting (HIPS) ist eine körpertherapeutisch orientierte Methode. Die Stärkung sozialer und personaler Fähigkeiten erfolgt unter Miteinbeziehung vorhandener Ressourcen unter besonderer Berücksichtigung des Lebensumfeldes und auch mittels Einbeziehung der umgebenden Abb. 2: Modell des Schulprojektes - Einflussfaktoren (nach Thomayer, 2023) Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben mup 3|2024 | 105 Natur (Hager & Dell’mour 2023). Im Zusammenhang mit diesem Projekt standen die Fokussierung des Leiberlebnisses, die Angebote hinsichtlich Leiberfahrung im Kontext zur erwünschten Lernerfahrung. Umgesetzt wurden diese Aspekte über die zielgerichtete Wahl der äußeren Rahmenbedingungen. So war ein Bereich „Aktivitäten bei den Pferden und Eseln“. Es stand nicht die Beobachtung der Tiere im Zentrum, sondern das Beobachtetwerden von den Eseln und Pferden, die sicher abgetrennt in ihrer Koppel waren. Es wurden dabei gärtnerische, handwerkliche und landwirtschaftliche Tätigkeiten durchgeführt. Ein weiterer Bereich war „Aktivitäten für die Pferde und Esel“. Dazu gehörten alle Tätigkeiten, welche Fürsorge für die Tiere beinhalteten. Das waren das Füttern, das Putzen, aber auch das Zusammenbauen der Heuraufe. Dann wurde das Setting „Aktivitäten mit den Pferden und Eseln ohne zusätzliche Aufgabenstellungen“ gewählt. Dazu gehörten das Führen und das geführte Reiten. Alle diese Aktivitäten hatten den Blick auf eine Aktivierung der Erlebnisfähigkeit und Erlebnisqualität der Betroffenen und die Bewusstmachung unterschiedlicher Spannungsfelder, die sich im Beisein und im Umgang mit den Eseln und Pferden aufgetan hatten (Dell’mour 2018). Das Menschenbild aller mitwirkenden Fachkräfte war getragen von Viktor E. Frankls These, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach Sinn und Würde hat. Der würdevolle Umgang mit Menschen mit kognitiver Einschränkung zeigt sich auch über die Anerkennung der Einzigartigkeit, über die Förderung von Autonomie, Wertschätzung und Empathie und über die Unterstützung nach der Suche von Sinn (Frankl 2005). Im Vordergrund standen das handlungsorientierte Lernen, Möglichkeiten zum kooperativen Austausch im Sinne eines kooperativen Lernens, aber auch Angebote in Form von projektbasiertem Lernen. Gegründet auf den Konzepten des heilsamen, intuitiven Pferdesettings wurde darauf geachtet, den übungszentrierten, funktionalen Weg nicht zu verlassen. Dieser entspricht der ersten reittherapeutischen Modalität (im Sinne einer Tiefung) in HIPS und will bewusst auf einer phänomenalen Ebene bleiben. Erlebniszentriertes und Emotionales ist bei manchen Teilenehmenden aufgetaucht, wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Auch der Bereich der lebensgeschichtlichen Aufarbeitung wurde nicht aufgegriffen und nicht bearbeitet. Die stete Rückbesinnung auf das Funktionale, in diesem Fall die Arbeiten, die zu erledigen notwendig war, unterstützt den Anspruch des handlungsorientieren Lernens und des projektbasierten Lernens. Bemerkungen und Ergebnisse zum Einsatz von Eseln und Pferden Das Interesse der Pferde und Esel an der Arbeit und den Tätigkeiten der 15-jährigen Schülerin Af war dieser wichtig. Sie konnte über das Interesse der Tiere ihr Zutrauen beim Gebrauch von Maschinen deutlich steigern. Diese Schülerin, bei der selektiver Mutismus vorlag, konnte sich in den Anfangszeiten des Projektes nur im Beisein der Pferde und Esel von anderen verabschieden. Gegen Ende waren ihr auch zaghafte Fragestellungen ohne Beisein der Tiere möglich. Schüler Bm (aus Syrien stammend) hatte schon beim Betreten des Hofes eine hohe Affinität zu den Pferden und zum Esel und wollte sofort zu ihnen hin. Auch wenn er sich zum Putzen vorerst ein Pony ausgesucht hatte, so zeigte sich, dass er vor allem bei den Interaktionen mit den Eseln zur Ruhe kommen konnte. Bei der Anwesenheit der Pferde und Esel wurden Modalitäten des heilsamen, intuitiven Pferdesettings HIPS 1. Ebene der Phänomene - übungszentriert und funktional - „ich füttere“ 2. Ebene der Emotionen - erlebniszentriert - „ich spüre, ich fühle“ 3. Ebene der Narration - lebensgeschichtlich - „das erinnert mich an etwas, das ist mir vertraut“ Infobox 106 | mup 3|2024 Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben Arbeitsanleitungen besser verstanden und konnten gut umgesetzt werden. Insgesamt konnte durch das Projekt seine Aufmerksamkeit und Konzentration verbessert werden. Sein allgemeiner Unruhezustand konnte vermindert werden. Die landwirtschaftliche Tätigkeit und die Tiere regten den Schüler dazu an, über seine Herkunft und Vergangenheit zu sprechen. Der 15-jährige, ruhige Schüler Cm bevorzugte im Projekt das Führen der Pferde. Hier zeigte sich, dass sich seine Ruhe auf die unterschiedlichen Charaktere der Pferde übertrug. Er bevorzugte das Führen und Pflegen der Pferde, weil er sich selbst für zu schwer einschätzte. Die landwirtschaftliche Arbeit gefiel ihm so gut, dass er am Ende des Projektes eine landwirtschaftliche Lehre abschließen wollte. Neben einem klaren Ziel getraute er sich selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Bisher wurde er vom Samariterbund in die Schule gefahren. Der 16-jährige Schüler Dm war trotz des schlechten Wetters bereit, beim Bau des Offenstalls für zwei Ponys mitzuhelfen. Die Selbstmotivation war bemerkenswert. Offensichtlich war für ihn die Sinnhaftigkeit der Arbeit erkennbar. Auch für die siebenjährige Schülerin Ef ist die Anwesenheit der Pferde und Esel sehr wichtig. Sie findet es sehr gut, dass diese ihr beim Arbeiten zusehen, was sich in ihrer Aussage „Super, die schaun ma zu! “ offenbart. Zusammenfassung und Vergleich mit einem anderen Eselbericht Thomayer kommt zu dem Schluss, dass alleine die Anwesenheit der Esel und Pferde eine beruhigende Wirkung auf die Jugendlichen hatte. Es konnte festgestellt werden, dass die Schülerinnen und Schüler während des Aufenthaltes am Hof stets sozial kompetent agierten, was sich im normalen Schulalltag nicht so gestaltet hatte. Alle Schülerinnen und Schüler konnten von dem Projekt hinsichtlich Steigerung des Selbstvertrauens, Selbständigkeit und Selbsttätigkeit profitieren. Die individuelle Förderung ermöglichte eine ganzheitliche Abb. 3: Entspannung auf Erwin Abb. 4: Aufsteigen Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben mup 3|2024 | 107 Entwicklung, Verbesserung der Lebensqualität und eine bessere Integration in das gesamtgesellschaftliche Leben. Es konnten sowohl die Grobziele - Veränderung des Selbstbewusstseins und das Durchführen von Arbeiten, also die Handlungsplanung - als auch die Feinziele mithilfe des Projektes positiv beeinflusst werden. Die Selbständigkeit, das Selbstvertrauen und das Bewusstwerden der eigenen Selbstwirksamkeit zeigten sich in einem positiven Wirkzusammenhang. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Fritz (2016) in ihrem Erfahrungsbericht über einen Jungen, der sich im Rahmen von landwirtschaftlicher Tätigkeit und der Arbeit mit Eseln sehr positiv entwickeln konnte. Sie beschreibt den Entwicklungsweg eines Jugendlichen. Der Junge ging in die Paracelsus Schule in Salzburg. Diese heilpädagogische Sonderschule ist eine Bildungsstätte für „seelenpflegebedürftige Kinder und Jugendliche“ (6-18 Jahre) und eine Einrichtung der Salzburger Behindertenhilfe. Die anthroposophisch geführte Schule arbeitet auf Grundlage der Pädagogik Rudolf Steiners. Der schuleigene Paracelsus Hof ermöglicht verschiedene Arbeitsbereiche, wie Tierhaltung, Gartenbau, Landschaftsgestaltung und andere mit der Landwirtschaft verbundene Tätigkeiten. Ähnlich wie das Projekt am Thomayerhof soll in der sogenannten „Aufbaustufe“ der junge Mensch, dem es nach der Schulpflicht noch nicht möglich ist, am „ersten Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen, sich diesem langsam annähern und für diesen fit gemacht werden. Besagter Schüler hatte wenig Selbstwertgefühl und eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Trotz Schulzeitverkürzung war er schwer zu führen. Nach nur eineinhalb Jahren Tätigkeit am Hof in der Aufbaustufe konnte er seine Empathiefähigkeit stärken, sein Selbstvertrauen aufbauen und auch seine Ängste abbauen und insgesamt mehr Vertrauen zur Umwelt entwickeln. Dadurch stieg die Frustrationstoleranz deutlich an und es waren auch Gespräche hinsichtlich seiner Schwächen und Stärken möglich. Fritz (2016) kommt zum Schluss, dass „ …vor allem die ständige Anwesenheit der Tiere in ein seelisches Gleichgewicht bringen …“. Sie betont die besondere Eignung von Eseln zum Führen. Die körperliche Überschaubarkeit hält sie für wichtig, weil sich Kinder dann leichter auf die Begegnung mit ihnen einlassen. Es können speziell mit Eseln Geduld und Kommunikation geübt werden. Sich selbst als „Chef“ wahrzunehmen, war für den Jugendlichen essenziell. Aber auch die Erfahrung, dass Schimpfworte und Wut beim Esel nicht helfen, waren wichtige Erkenntnisse für den Jugendlichen. Esel-Mensch-Beziehung - ein Ausblick Wie die Abschlussarbeit und der Erfahrungsbericht aufzeigen, darf gesagt werden: Esel können was! Der Esel löst im Gegenüber offensichtlich spezielle Emotionen aus, ermöglicht ein besonderes Zugehen und eignet sich für bestimmte Einsatzgebiete möglicherweise sogar besser als Pferde. Die vermeintliche Sturheit wird im reittherapeutischen und reitpädagogischen Einsatz zum Geschenk. Die fehlenden Panikreaktionen machen ihn zu einem sicheren und ermutigenden Gefährten, solide Erziehung und Sozialisation vorausgesetzt. Offensichtlich war der Esel in Dipl. Päd. Andrea Thomayer, zahlreiche Aus- und Weiterbildungen u. a. Logotherapie und Existenzanalyse, akademische Expertin für HIPS-Reittherapie, Reitpädagogische Betreuerin FEBS, Certified horse assisted Trainer www.pferd-und-mensch.at Eva Fritz, zahlreiche Aus- und Weiterbildungen, Pädagogin in der „Aufbaustufe“ am schuleigenen Bauernhof, Fachkraft für tiergestützte Therapie / Pädagogik und soziale Arbeit am Bauernhof www.paracelsusschule.at Infobox 108 | mup 3|2024 Forum: Dell’mour - Esel bringen Farbe ins Leben beiden Berichten maßgeblich für die Stärkung des eigenen Antriebes wirksam. Diese Motivationsstärkung zeigte sich über ein vermehrtes Zutrauen der jeweiligen Personen, also einer Steigerung des Selbstvertrauens mit dem Bewusstsein, der eigenen Selbstwirksamkeit und in weiterer Folge in Form einer Selbsttätigkeit und Selbstorganisation. Angesichts der interessanten Ergebnisse, die trotz vorhandener Limitationen beachtenswert sind, eröffnet sich ein großes Feld interessanter Fragen, die zu weiteren Untersuchungen anregen können. Fragen, wie zum Beispiel: Welche Bedeutung hat die mythologische Verbundenheit des Esels für die Arbeit in reittherapeutischen Settings? Eine weitere Fragestellung könnte sein: Wie wirkt sich die Bewegungsübertragung des Esels im Schritt im Unterschied zur Bewegungsübertragung des Pferdes auf die Beweglichkeit der Hüfte, auf die Aufrichtung usw. aus? Welche Unterschiede gibt es bei reittherapeutischen und reitpädagogischen Zielsetzungen zwischen dem Einsatz von Eseln oder dem von Pferden? Literatur ■ Dell’mour, S. (März 2018). Heilsames, intuitives Pferdesetting. Ein ganzheitlicher Weg leibbezogener Reittherapie. (Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, Hrsg.) Green Care. Die Fachzeitschrift für naturgestützte Interaktion, S. 20-22. http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ mup2022.art17d ■ Dohmen, M. (2014). Qualitätsmerkmale und Sachkundewissen für die Arbeit mit Schau- und Nutztieren in der sozialen Landwirtschaft, Pädagogik und Therapie. BoD-Books on Demand, Nordersted ■ Frankl, V. E. (2005). Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Paul Zsolnay, Wien ■ Fritz, E. (2016). Paracelsus-Schule. In S. Scholl, K. Zipper, J. Bäckenberger, C. Gupta, &Ö. K. ÖKL (Hrsg.), Tiergestützte Interventionen mit landwirtschaftlichen Nutztieren. Grundlagen, Methoden und Beispiele aus der Praxis (S. 283-289). Wien ■ Hager, V., Dell’mour, S. (25. April 2023). Hochschullehrgang HIPS-Reittherapie heilsames intuitives Pferdesetting. Von Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik: https: / / www. haup.ac.at/ fortbildung/ hochschullehrgang-hipsreittherapie-heilsames-intuitives-pferdesetting/ http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ mup2022.art17d ■ Listmann, L., Burden, F., du Toit, N., Hazell- Smith, E., Burnham, S., & Collins, S. (2017). Ein Esel ist kein kleines Pferd - Konsequenzen für die tierärtzliche Behandlung. pferde spiegel, 01, S. 8-14. http: / / dx.doi.org / 10.1055 / s-0042- 109439 http: / / dx.doi.org / 10.1055 / s-0042-109439 ■ Otterstedt, C. (2007). Mensch und Tier im Dialog. Kosmos, Stuttgart Die Autorin Sabine Dell’mour M.Sc. betreibt in der Steiermark (Österreich) eine reittherapeutische Praxis. Sie entwickelt Methoden für Reitpädagogik und Reittherapie und lehrt an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien und anderen Bildungseinrichtungen im In- und Ausland. Kontakt office@reitpaedagogik.at · www. reitpaedagogik.at www.reitpaedagogikdellmour.de www.haup.ac.at/ hochschullehrgang-hips-reittherapieheilsames-intuitives-pferdesetting/