mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2024.art17d
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Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings
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Erwin Breitenbach
Annette Gomolla
In der vorliegenden Evaluationsstudie wurde ein 11-wöchiges pferdegestütztes ADHS-Training bei 12 Kindern mit der medizinischen Diagnose ADHS überprüft. Das Training enthielt neben typisch reittherapeutischen Elementen auch spezielle Übungen zur Förderung der Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen und zur Entspannung. Der Prä-Post-Vergleich zeigte signifikante positive Veränderungen in allen Bereichen der Kern- und Begleitsymptomatik.
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136 | mup 4|2024|136-147|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2024.art17d Erwin Breitenbach und Annette Gomolla Ergebnisse eines Ein-Gruppen Prä-Post-Designs Schlüsselbegriffe: ADHS, ADHS-Training, pferdegestützte Therapie, Evaluation In der vorliegenden Evaluationsstudie wurde ein 11-wöchiges pferdegestütztes ADHS-Training bei 12 Kindern mit der medizinischen Diagnose ADHS überprüft. Das Training enthielt neben typisch reittherapeutischen Elementen auch spezielle Übungen zur Förderung der Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen und zur Entspannung. Der Prä-Post-Vergleich zeigte signifikante positive Veränderungen in allen Bereichen der Kern- und Begleitsymptomatik. Evaluation eines pferdegestützten ADHS -Trainings Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings mup 4|2024 | 137 1 Einführung Die S3-Leitlinien als evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zur Diagnostik und Therapie von ADHS im Kindes- und Jugendalter sehen eine multimodale Behandlung vor. In dieser sind kindzentrierte Angebote ein Baustein neben Medikation, Elternberatung und Handlungsempfehlungen für das Umfeld. Die in der für die Leitlinien durchgeführten Analyse bisheriger Studien zur Wirksamkeit der bestehenden klinischen Angebote kommt zum Ergebnis, dass elternzentrierte Trainings einen wesentlichen Beitrag für die Verbesserung der Symptomatik der Kinder liefern (Heinzl 2018). Die Effektivität und Wirkweise der kindzentrierten Angebote (patientenbezogene Präventions- und Trainingsprogramme) gelten hingegen keineswegs als gesichert und geklärt (Banaschewski et al. 2017). Aus wenigen kontrollierten, vor allem aber aus nicht kontrollierten Untersuchungen werden diesbezüglich geringe bis moderate Effekte berichtet (Aust- Claus et al. 2010; Braun / Döpfner 2017; Ettrich 2004; Jacobs et al. 2013; Krowatschek 2007). Alle diese Trainings fokussieren in Einzel- oder Gruppenangeboten auf die Organisationsfähigkeit, üben Entspannungstechniken und trainieren die Konzentrationsfähigkeit in verschiedenen Aufgabenformaten. Das „Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern“ (Lauth / Schlottke 2009) ist hervorzuheben, da es in mehreren Prä-Post-Studien und drei Kontrollgruppenstudien mit zwar teilweise widersprüchlichen Ergebnissen am besten abschneidet (Banaschewski et al. 2017). Es handelt sich dabei um ein verhaltenstherapeutisches Trainingsprogramm, welches sich in ein Basis- und ein Strategietraining aufgliedert. Im Basistraining erlernen die Kinder Grundfertigkeiten (genaues Hinschauen und Hinhören), um dann mit der nötigen Aufmerksamkeit komplexere Aufgaben lösen zu können. Weiterhin erlernen die Kinder, sich über Selbstinstruktion anzuleiten, um mehrere Arbeitsschritte nacheinander eigenständig umsetzen zu können. Impulssteuerung wird mit einem Stoppsignal eingeübt und der Lernerfolg über ein Token-System verstärkt. In verhaltenstherapeutischen Programmen wird die Motivation der Kinder für eine Verhaltensänderung und eine konstruktive Mitarbeit über kontingente Verstärkung hergestellt. Diese Motivation könnte vermutlich durch tiergestützte Ansätze erhöht werden. Weiterhin sehen die Trainingsprogramme keine Bewegungsansätze vor, sondern beschränken sich auf kognitive Techniken. Zu bewegungsorientierten Ansätzen aus der Bewegungs- und Sporttherapie bei ADHS gibt es erste positive Befunde, allerdings noch keine befriedigende Studienlage. Als Erklärung für die positiven Veränderungen werden hier bewegungsinduzierte Verbesserungen bei den Exekutivfunktionen genannt, die eine entscheidende Rolle beim Ent- Der Überprüfung des ADHS-Trainings mit Pferd vorausgegangen sind zwei Untersuchungen zur Wirkung der Reittherapie auf die Kernsymptomatik bei ADHS. Studie 1 von Breitenbach et al. 2021: Der Prä-Post-Vergleich bei elf Kindern mit ADHS nach dreizehn Sitzungen standardisierter Intervention auf dem Pferd (Schwerpunkt Schritt und Trab reiten mit Aufgaben) ergab eine signifikante Verbesserung der Aufmerksamkeit bei den Kindern im bp-Test und in der Befragung der Eltern mit dem Conners-Bogen im Bereich Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität. Studie 2 von Breitenbach et al. 2023: Die quasi-experimentelle Studie untersuchte 12 Kinder in einer 11-wöchigen Intervention am Pferd (standardisierte Reittherapie mit Vorbereitung des Pferdes, Führen und Reiten) und verglich sie mit einer WartelistenKontrollgruppe. Im Prä-Post-Vergleich konnten die Verbesserungen aus Studie 1 bestätigt werden. Die Verbesserung im Bereich Unaufmerksamkeit war signifikant im Gruppenvergleich mit hoher Effektstärke. Im Bereich Hyperaktivität konnte in der Studie keine Verbesserung nachgewiesen werden. Befunde der Wirksamkeitsstudie 138 | mup 4|2024 Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings wickeln und Durchführen von Handlungsplänen spielen. Damit sprechen solche koordinativen Bewegungsübungen auch zentrale „Problembereiche“ bei ADHS an und können sie positiv beeinflussen (Chang et al. 2012). In den letzten zehn Jahren gibt es bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen mit ADHS immer mehr Hinweise zum erfolgreichen Einsatz von tiergestützten Interventionen (Chadwick et al. 2022; Narvekar / Narvekar 2022; Shotwell / Wagner 2019). Hediger und Turner (2014) berichten beispielsweise, dass die bloße Anwesenheit eines Hundes die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung von Kindern erhöht. Zur Wirkweise der pferdegestützten Therapie bieten Breitenbach et al. (2015) folgende Erklärung an: Die pferdegestützte Therapie ist ein bewegungsorientierter Ansatz, welcher passives Bewegtwerden auf dem Pferd mit aktivem Handeln rund um das Pferd verbindet. Bewegungstherapie mit verschiedenen Ansätzen aus Sport, Psychomotorik oder Yoga wurde bei Kindern mit ADHS in einigen Studien bereits als positiv herausgestellt (vgl. Hamsen et al. 2004; Beudels / Hamsen 2005; Haffner et al. 2006). Der Hypothese in Bezug auf die pferdegestützte Therapie nach regen die Bewegungs- und Gleichgewichtsreize beim (passiven) Reiten das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) an, verbessern die exekutiven Funktionen und erleichtern so die Aufmerksamkeits- und Verhaltenssteuerung. Rund um das Pferd sind es gleichbleibende Handlungsabläufe, welche den Kindern mit ADHS-Struktur Orientierung und Sicherheit geben. Die sukzessive Übernahme dieser Handlungsstrukturen durch die Kinder verbessert zusätzlich die Verhaltensplanung und Verhaltenssteuerung. Impulsivität und Hyperaktivität können sich in diesem Zusammenhang vermindern. Hinzu kommt, dass das Pferd als Fluchttier einen ruhigen und sorgsamen Umgang vom Menschen fordert. Unruhe und chaotisches Verhalten wird von ihm sofort gespiegelt und quasi als „Biofeedback“ rückgemeldet. Es ist nun zu klären, ob eine kindzentrierte, bewegungsorientierte pferdegestützte Therapie, die kognitive Elemente aus der Verhaltenstherapie integriert und die gesteigerte Motivation durch das Tier nutzt, als weiterer sinnvoller Baustein in einer multimodalen Behandlung Anwendung finden könnte. Der Lehrstuhl für Rehabilitationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin und das German Research Center for Equine Assisted Therapie (GREAT) führten eine entsprechende Wirksamkeitsstudie in den Jahren 2015 bis 2022 durch. Erste Ergebnisse zur Effektivität und Wirkweise einer bewegungsorientierten pferdegestützten Therapie wurden bereits veröffentlicht (Breitenbach et al. 2021; Breitenbach et al. 2023). Sie legen nahe, dass vor allem die Aufmerksamkeitssteuerung und Aufmerksamkeitsspanne durch eine pferdegestützte Intervention verbessert und Unaufmerksamkeit reduziert werden können. In Bezug auf die Verringerung der Hyperaktivität und Impulsivität sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Die erste Studie, die das passive Getragenwerden auf dem Pferd im Schritt und Trab fokussierte, zeigte auch einen Hinweis auf eine Verbesserung der Hyperaktivität, dies wurde in der zweiten Studie, in der neben dem Reiten ein Fokus auf die Handlungen rund ums Pferd gelegt wurde, nicht gestützt. Das zusätzliche Einbeziehen verhaltenstherapeutischer Elemente aus spezifischen ADHS-Trainings, insbesondere aus dem bereits beschriebenen Training von Lauth und Schlottke (2009) in das bisherige Trainingskonzept könnte nun eine Möglichkeit sein, die bisher belegten Effekte zu steigern und vor allem auch die Exekutivfunktionen im Sinne einer verbesserten Planung und gezielteren Durchführung von Handlungen sig- Kann PI mit Elementen der Verhaltenstherapie sinnvoller Teil der multimodalen ADHS-Therapie sein? Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings mup 4|2024 | 139 nifikant zu verbessern und damit Impulsivität und Hyperaktivität ebenfalls zu reduzieren. Im Gesamtforschungskonzept war deshalb auch eine Experimentalgruppe vorgesehen, deren pferdegestützte Behandlung mit verhaltenstherapeutischen ADHS-spezifischen Elementen zur kognitiven Strukturierung kombiniert wurde. Aufgrund einer zu stark unterschiedlichen Ausprägung der ADHS-Symptomatik im Prä-Test konnten die Ergebnisse dieser Experimentalgruppe allerdings nicht mit denen der anderen Experimental- und Kontrollgruppen verglichen werden. Deshalb werden die Untersuchungsergebnisse dieser besonderen Experimentalgruppe hier separat als unkontrollierter Prä-Post-Vergleich präsentiert. 2 Hypothesen Die vorliegende Evaluationsstudie geht der Frage nach, inwiefern ein pferdegestütztes Training mit zusätzlichen kognitiven Strukturierungshilfen aus verhaltenstherapeutischen Trainingsprogrammen eine Reduktion der ADHS-spezifischen Kernsymptomatik bewirkt. Weiterhin sollen die Auswirkungen auf die Begleitsymptomatik im Lern- und Sozialverhalten explorativ erhoben werden. Aus dieser Fragestellung heraus werden im Prä-Post-Vergleich folgende signifikante Veränderungen erwartet: H1: Die Aufmerksamkeitssteuerung beim Kind wird gesteigert und die Unaufmerksamkeit (beobachtet durch die Eltern und Kinder) wird reduziert. H2: Hyperaktivität und Impulsivität (beobachtet durch die Eltern und Kinder) verringern sich. H3: Die ADHS-Gesamtsymptomatik (beobachtet von den Eltern und Kindern) verringert sich und wird als weniger belastend erlebt. H4: Die Begleitsymptomatik im Lern- und Sozialverhalten (beobachtet durch die Eltern und Kinder) wird reduziert. 3 Methode 3.1 Studiendesign und Durchführung Im Laufe eines Jahres wurden 12 Kinder über eine kinder- und jugendpsychiatrische Praxis und ein Sozialpädiatrisches Zentrum einer Kinderklinik für die Studie rekrutiert. Die Kinder hatten eine ADHS-Diagnose bzw. Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens. Die Kinder durften während der Teilnahme an der Studie keine andere therapeutische Maßnahme erhalten. Zusätzliche Ausschlusskriterien waren weitere psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen oder kognitive Beeinträchtigungen. Die Fragebögen in der Vor- und Nachbefragung wurden vom jeweils gleichen Elternteil ausgefüllt. Die teilnehmenden Kinder erhielten insgesamt neun standardisierte Einzeltherapien von 50 Minuten sowie zwei Doppelstunden von 90 Minuten. Anmerkung: Vertiefende Informationen zu den Inhalten, konkrete Beispiele und Übungen sind dem ergänzenden Praxistipp in diesem Heft zu entnehmen. Im Training wurde das Pferd zunächst vom Kind in Begleitung der Fachkraft begrüßt und angeleitet, Kontakt aufzunehmen. Danach folgte eine 15-minütige Sequenz mit Putzen des Pferdes und weiterer Vorbereitung auf das Reiten mit Decke und Therapiegurt. Dieser Zeitraum wurde genutzt, um verschiedene Techniken aus dem ADHS-Training nach Lauth und Schlottke (2009) im Sinne der Verbesserung der Exekutivfunktionen einzusetzen: Stimmungsbarometer, Training der Basisfertigkeiten „genaues Fühlen und Hinschauen“, angeleitete Handlungsplanung mit Visualisierung und Selbstinstruktion. Daran schloss sich eine Führaufgabe auf dem Reitplatz an, die planerisches Handeln und geteilte bzw. fokussierte Aufmerksamkeit adressierte. Der Einsatz eines „Stoppsignals“ sollte das willkürliche Innehalten üben. Danach ritt das Kind passiv sitzend und von 140 | mup 4|2024 Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings der Fachkraft geführt für 20 Minuten im Schritt und Trab und führte Aufgaben zur Daueraufmerksamkeit, zum Training des Arbeitsgedächtnisses und zu fokussierter wie geteilter Aufmerksamkeit durch. Es wurden zusätzlich noch ein bis zwei kurze Trabsequenzen umgesetzt sowie abschließend eine Liegeübung auf dem stehenden Pferd, bei der das Kind zwischen einer und drei Minuten auf dem Pferd über der Kruppe bäuchlings lag und zur Ruhe kommen sollte. Dies wurde zum Teil durch eine Entspannungsgeschichte unterstützt. Falls ein Kind nicht liegen wollte, wurde die Entspannungsübung sitzend auf dem Pferd durchgeführt. Die Doppelstunden bestanden aus einem 40-minütigen Ausritt ins Gelände mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspielen. Die Kinder ritten in den Einheiten mit einem Reitpad und einem Reitgurt. Die Pferde waren mit einem Arbeitshalfter und einem Strick ausgestattet. Die Kinder wurden geführt und benutzten keine Zügel. Sie lernten die Pferde durch Ein- und Ausatmung sowie leise „Schnalzgeräusche“ zum Antreten und „Ho“ zum Stehenbleiben zu beeinflussen, ebenso durch Gewichtsverlagerung. Am Ende der Therapiestunde führte das Kind das Pferd zurück in den Stall, räumte die Materialien auf und verabschiedete sich. Diese Sequenz nahm wieder 15 Minuten in Anspruch. Auch hierbei wurden Handlungspläne, Selbstinstruktion und fokussierte Aufmerksamkeit eingeübt. Nach und nach wurden Störreize im Umfeld eingebaut, sodass das Kind üben konnte, sich nicht ablenken zu lassen. Weiterhin wurde ab der dritten Einheit ein „Token- System“ eingesetzt, mit dem das Kind für korrekt ausgeführte Aufgaben Punkte sammeln und eine Belohnung am Ende der Stunde oder nach ein paar Einheiten erhalten konnte. Es kamen drei ausgebildete Therapiepferde zum Einsatz: zwei Fjordpferde (Stute und Wallach) und ein Criollo (Stute), somit Pferde mit einem Stockmaß zwischen 1,42 m bis 1,47 m. Die Fachkräfte waren im Grundberuf Psychologinnen und verfügten alle über eine Weiterbildung in pferdegestützter Therapie. Wie auch in den Studien von Breitenbach et al. (2021, 2023) erhielten die Bezugspersonen der Kinder keine zusätzliche Betreuung oder Beratung, da die reine kindzentrierte Intervention überprüft werden sollte. Sie wurden lediglich zu Beginn über den Ablauf der Studie aufgeklärt und nach den Einheiten und der Nachbefragung zu einem kurzen Abschlussgespräch gebeten. Alle Kinder nahmen freiwillig mit Zustimmung ihrer Bezugsperson und ohne Fehlzeiten teil. Es kam zu keinen Therapieabbrüchen. Je nach Familieneinkommen wurden die Therapiekosten ganz oder teilweise von der Collette-Hecht- und der Roman-Schenk-Stiftung übernommen. 3.2 Stichprobe Bei allen teilnehmenden Kindern war gemäß ICD-10 eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0) diagnostiziert oder eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1). Ihr Alter lag in der Voruntersuchung zwischen 7.4 und 12.08 Jahren ( M = 9.50, SD = 1.34). Unter den zwölf Kindern waren fünf Mädchen und sieben Jungen. Fünf Kinder nahmen Medikamente ein, dies wurde aus ethischen Gründen während des Erhebungszeitraums nicht ausgesetzt. Die verordneten Medikamente wurden vor der ersten Datenerhebung bereits seit mindestens 4 Wochen eingenommen. 3.3 Untersuchungsinstrumente Zur Erfassung der Veränderung im Bereich Aufmerksamkeit wurde der bp-Untertest aus der Basisdiagnostik Umschriebener Entwicklungsstörungen, BUEGA (Esser et al. 2008), verwendet. Es wurde die Version der Selbststeuerung durchgeführt, in denen das Kind eigenständig 4 Minuten die Aufgabe bearbeitet. Die Zielbereiche Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/ Impulsivität wurden mithilfe der Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten - 3 (Lidzba et al. 2013) erfasst. Dieses Verfahren orientiert sich an der Diagnostik nach ICD-10 und beinhaltet verschiedene Fragebögen, die im Alter von 6 bis 18 Jahren Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings mup 4|2024 | 141 angewendet werden können. Die Befragung der Kinder wurde von einer neutralen Person begleitet und Fragen zu den Items geklärt, falls bei den Kindern Verständnisschwierigkeiten aufkamen. Die Inhaltsskalen, welche die Bereiche Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/ Impulsivität beinhalten, geben Auskunft über das Verhalten des Kindes und die damit im Zusammenhang stehenden Auffälligkeiten. Hier wird also nach konkreten kindlichen Verhaltensweisen gefragt. Die Symptomskala dagegen gibt an, wie die Symptomatik Hyperaktivität/ Impulsivität bzw. Unaufmerksamkeit nach den Kriterien des Klassifikationssystems DSM-IV oder ICD-10 eingeschätzt wird. Für die Erhebung wurden die Langversionen als Selbstbeurteilung mit 98 Items (z. B. Zustimmung zu „Ich kann mich schlecht auf das konzentrieren, was ich tue“) und die Fremdbeurteilung durch die Eltern mit 109 Items (z. B. Zustimmung zu „Hat Schwierigkeiten, Aufgaben zu beginnen oder Pläne in Angriff zu nehmen“) verwendet. Störungen des Sozialverhaltens wurden zusätzlich mit dem Fremdbeurteilungsbogen aus dem Diagnostik-System für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder und Jugendliche, DISYPS-II (Döpfner et al. 2008) eingeschätzt. 3.4 Statistische Auswertung Die Datenanalyse wurde mit SPSS (Version 29.0) durchgeführt. In die Analyse der Daten aus den Prä-Post-Messungen wurden nur T-Werte sowie Stanine-Werte einbezogen. Die vorliegenden Datensätze wurden mit dem Kolmogorow-Smirnow- Test auf Normalverteilung geprüft. Für die Signifikanzprüfung wurde bei normalverteilten Daten der gepaarte t-Test verwendet, bei nicht normalverteilten Daten der Wilcoxon-Vorzeichen- Rang-Test. Das Signifikanzniveau wurde auf α < .05 festgelegt. Eine Adjustierung von Alpha wurde nicht vorgenommen, da das Auffinden von Signifikanzen und Effekten durch den geringen Stichprobenumfang ohnehin stark erschwert ist. Zusätzlich wurden Effektstärken berechnet. Im Zusammenhang mit dem t-Test wurde als Maß für die Effektstärke das Differenzmaß von Cohen’s d und im Zusammenhang mit dem Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test der Korrelationskoeffizient r ermittelt. Dabei wurde bei Cohen’s d ab d = 0.5 von einem mittleren und ab d = 0.8 von einem hohen Effekt gesprochen, bei dem Korrelationsmaß r bei .3 bis .5 von einem mittleren und darüber von einem starken Effekt (Cohen 2009). 4 Ergebnisse 4.1 Aufmerksamkeit Die Daten aus dem bp-Test zur Überprüfung der Veränderungen in der direkt messbaren Aufmerksamkeit beim Kind zeigen hoch signifikante Verbesserungen in allen erfassten Bereichen mit hohen Effektstärken ( d = 0.83-1.27). Sowohl die Arbeitsgeschwindigkeit als auch die Arbeitsgenauigkeit haben sich somit deutlich verbessert. Tabelle 1: Ergebnisse bp-Test (n = 12) prä post p d M SD M SD Richtige 50.00 9.80 55.25 12.20 .007* 0.83 Fehler 47.58 10.08 54.92 12.10 .003** 0.95 Fehlerprozent 47.75 10.03 56.67 12.04 <.001** 1.27 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 einseitig signifikant ** Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.005 einseitig signifikant 142 | mup 4|2024 Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings 4.2 Unaufmerksamkeit In der Befragung werden Symptome der Unaufmerksamkeit erhoben. Alle mit den Conners Skalen erhobenen Daten ergeben im Prä-Post-Vergleich signifikante Verbesserungen mit mittleren Effektstärken ( r =.47-.49). Dies gilt sowohl für die Selbst- und Fremdbefragung als auch für die Einschätzung mit der Inhalts- und Symptomskala. 4.3 Hyperaktivität/ Impulsivität Auch Hyperaktivität bzw. Impulsivität gehen signifikant zurück; und zwar bei den Messungen mit der Inhaltsskala in der Fremd- und Selbstbefragung und mit der Symptomskala in der Fremdbefragung mit mittleren bis hohen Effektstärken ( d = 0.81, r = .58). 4.4 ADHS-Gesamtsymptomatik Die ADHS-Gesamtsymptomatik (ADHS-Index) verringert sich in der Selbst- und Fremdbefragung mit dem Conners-Bogen signifikant mit hohen Effektstärken (Selbstbeurteilung r =.57, Fremdbeurteilung d = 1.05) im Prä-Post-Vergleich. Auch die Beurteilung der Schwere der ADHS- Störung (ADHS-Index, ADHS-Global Index) bzw. der Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (ICD HKS) weist deskriptiv sowohl in der Selbstals auch in der Fremdbeurteilung auf Tabelle 2: Ergebnisse Unaufmerksamkeit Selbst- und Fremdbefragung im Prä-Post-Vergleich prä post p r M SD M SD SB Inhaltsskala (n = 12) 64.67 9.21 60.17 11.23 .017* .49 FB Inhaltsskala (n = 12) 70.92 3.37 64.33 8.04 .019* .48 SB ICD Symptomskala (n = 11) 64.73 8.61 59.67 11.06 .021* .49 FB ICD Symptomskala (n = 11) 69,09 6,363 63,83 7,590 .028* .47 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p < .05 zweiseitig signifikant Tabelle 3: Ergebnisse zur Hyperaktivität/ Impulsivität in der Selbst- und Fremdbefragung im Prä-Post-Vergleich prä post Test p d / r M SD M SD SB Inhaltsskala (n = 12) 66.08 9.02 60.67 10.17 Wilcoxon .014* .58 FB Inhaltsskala (n = 12) 66.25 6.06 63.00 6.38 t-Test .008* 0.81 * Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 zweiseitig (Wilcoxon) bzw. einseitig (t-Test) signifikant ** Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.005 einseitig signifikant Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings mup 4|2024 | 143 einen deutlichen Rückgang der Symptomatik hin. Der Ausprägungsgrad wird am Ende der Intervention vermehrt als eher leicht oder gar im subklinischen Bereich liegend eingeschätzt. 4.5 Lernprobleme Der Prä-Post-Vergleich der Befragungsdaten bezüglich der Lernprobleme führt zu einer hochsignifikanten Verringerung mit hoher Effektstärke ( d = 1.19) in der Fremdeinschätzung durch die Eltern. Bei der Selbsteinschätzung der Kinder verfehlt die positive Veränderung knapp die Signifikanz ( p = .057) bei einer mittleren Effektstärke ( r =.49). 4.6 Sozialverhalten Die Datenanalyse zum Sozialverhalten zeigt zwar im Mittelwertvergleich eine Reduktion der Symptomatik mit geringen Effektstärken, jedoch ohne Signifikanz. Die Symptomskala des ICD zum Sozialverhalten zeigt im Prä-Post-Vergleich eine signifikante Tabelle 4: ADHS-Gesamtsymptomatik im Prä-Post-Vergleich Tabelle 5: Beurteilung zur Schwere der ADHS-Symptomatik - absolute Häufigkeiten im Prä-Post- Vergleich anhand Selbst- (SB) und Fremdbeurteilung (FB) mit dem Conners-Fragebogen (n = 12) prä post Test p d / r M SD M SD SB Inhaltsskala ADHS-Index (n = 11) 68.36 7.69 61.17 10.12 Wilcoxon .008* .57 FB Inhaltsskala ADHS-Index (n = 11) 67.73 4.98 61.00 7.31 t-Test .003* 1.05 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 zweiseitig (Wilcoxon) bzw. einseitig (t-Test) signifikant Häufigkeit SB ADHS Index Prä SB ADHS Index Post FB ADHS Global Index Prä FB ADHS Global Index Post FB ADHS Index Prä FB ADHS Index Post FB ICD HKS* Prä FB ICD HKS* Post Bewertung unauffällig 2 4 0 3 1 4 0 4 grenzwertig 1 2 1 2 1 3 2 1 auffällig 1 4 4 4 7 5 4 5 sehr auffällig 8 2 7 3 3 0 6 2 * Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens nach ICD-10 prä post Test p r M SD M SD SB Inhaltsskala Lernprobleme (n = 12) 63.50 11.18 59.17 10.95 Wilcoxon .057 .49 FB Inhaltsskala Lernprobleme (n = 11) 66.27 5.78 59.64 6.386 t-Test .001* 1.19 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 einseitig signifikant Tabelle 6: Lernprobleme Prä-Post-Vergleich Conners Skala 144 | mup 4|2024 Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings Verbesserung (p = .032) mit mittlerer Effektstärke (r = .46). Dies gilt jedoch nur für die Fremdeinschätzung. Die Selbsteinschätzung verweist zwar auf eine Verbesserung, die aber nicht signifikant wird. Des Weiteren bilden die Ergebnisse aus der Elternbefragung mit der DISYPS-Skala eine signifikante Verbesserung im Bereich der Störungen des Sozialverhaltens (p = .012) und einen ebenfalls signifikanten Rückgang beim oppositionellaggressiven Verhalten ab (r = .006). Die dazugehörigen Effektstärken bewegen sich im mittleren Bereich. Darüber hinaus ist eine nicht signifikante Verringerung beim dissozial-aggressiven Verhalten und eine nicht signifikant werdende Zunahme beim prosozialen Verhalten zu beobachten. 5 Diskussion 5.1 Interpretation der Ergebnisse Die Daten zeigen nach der pferdegestützten Intervention auf allen untersuchten Dimensionen die erwarteten Verbesserungen. Die ADHS-Kernsymptomatik hat sich deutlich verringert. Entsprechende Prä-Post-Vergleiche belegen teils hoch signifikant verbesserte Aufmerksamkeitsleistungen und deutlich verringerte Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/ Impulsivität. Die dazugehörigen mittleren und hohen Effektstärken bestätigen die Bedeutsamkeit der Ergebnisse trotz geringer Stichprobengröße. Bei keinem ausgewerteten Item wurden Verschlechterungen festgestellt. Damit fügen sich die positiven Tabelle 7: Auswertung Conners-Fragebogen zum Sozialverhalten in der Selbst- und Fremdbeurteilung prä post Test p d / r M SD M SD SB Inhaltsskala Aggressivität/ Trotz (n = 12) 63.58 8.66 61.58 7.93 t-Test .215 0.23 FB Inhaltsskala Aggressivität/ Trotz (n = 12) 64.50 7.46 60.42 7.14 Wilcoxon .096 .34 SB ICD Symptomskala Sozialverhalten (n = 11) 66.64 8.32 63.64 7.77 t-Test .100 0.41 FB ICD Symptomskala Sozialverhalten (n = 11) 66.00 5.60 60.75 8.97 Wilcoxon .032* .46 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 zweiseitig (Wilcoxon) bzw. einseitig (t-Test) signifikant Tabelle 8: DISYPS-Skala Elternbefragung Störung des Sozialverhaltens prä post Test p r/ d M SD M SD Dissozial-aggressives Verhalten 7.33 1.72 6.75 1.05 Wilcoxon .083 .35 Oppositionell-aggressives Verhalten 7.92 .90 6.75 1.28 t-Test .006* 0.87 Gesamtskala Störung Sozialverhalten (SSV) 7.92 1.08 6.83 1.11 Wilcoxon .012* .51 Prosoziales Verhalten 2.58 1.16 3.00 1.59 t-Test .088 0.39 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 zweiseitig (Wilcoxon) bzw. einseitig (t-Test) signifikant Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings mup 4|2024 | 145 Ergebnisse dieser Studie in die der vorausgegangen Untersuchungen zur Wirkung pferdegestützter Intervention bei ADHS sinnvoll ein. Im Prä-Post-Vergleich des Trainings werden die positiven Befunde der Studien Breitenbach et al. 2021 und 2023 im Hinblick auf die Verbesserung der Aufmerksamkeit und Reduzierung der Unaufmerksamkeit bei Kindern mit ADHS gestützt. Weiterhin werden die in der Studie 2021 gefundenen Verbesserungen in der Hyperaktivität ebenfalls gestützt. Erfreulich sind auch die signifikanten Verbesserungen im Lern- und Sozialverhalten, die in den vorherigen Studien zur pferdegestützten Therapie bei ADHS nicht beobachtet werden konnten. Damit wird erneut sichtbar, wie stark eine ausgeprägte ADHS-Symptomatik in die Bereiche Lernen und soziales Miteinander hineinwirkt und auch dort zu ernsthaften Problemen führt. Gleichzeitig verbirgt sich hier der zarte Hinweis, dass ein intensiviertes pferdegestütztes Training möglicherweise auch diese Problembereiche erfasst und entsprechende Verbesserungen mit sich bringt. Für das durchgeführte Trainingsbzw. Förderprogramm und seine Qualität spricht auch die Tatsache, dass die Teilnahmequote bei 100 Prozent lag und es keine Therapieabbrüche und keine Negativbefunde im Sinne einer Symptomverschlechterung gibt. Alle Kinder profitierten offensichtlich vom Training und entwickelten sich in der gewünschten und erwarteten positiven Weise. Die Ergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass auch kognitive Strukturierungs- und Orientierungsmaßnahmen in die kindorientierte Therapie einbezogen werden sollten. Das gesamte Maßnahmenbündel bestehend aus hoher Therapiemotivation durch das Tier, passivem Bewegtwerden auf dem Pferd, aktivem Handeln und kognitiven Strukturierungshilfen vor allem bei der Versorgung des Pferdes scheint ein hoch effektives Therapiesetting zu sein, das nicht nur die ADHS-Symptomatik lindert, sondern sich auch förderlich auf das Lern- und Sozialverhalten auswirkt. Im Rahmen der multimodalen ADHS- Therapie kann die pferdgestützte Therapie bei den kindorientierten Maßnahmen problemlos eingeordnet werden. Über die Wirkfaktoren oder die Bedeutung einzelner Therapiebestandteile im Gesamtmaßnahmenpaket lassen sich allerdings auf der Grundlage der vorliegenden Forschungsbefunde keine verlässlichen Aussagen treffen. Spekulationen über die Wirkmächtigkeit des Pferdes als Motivator, der Bewegungs- und Handlungsorientierung oder der kognitiven Strukturierungshilfen verbieten sich. Gleiches gilt logischerweise damit auch für die mit den unterschiedlichen Therapieelementen verbundenen Erklärungsansätze bezüglich der Wirkmechanismen. 5.2 Limitationen Die geringe Stichprobengröße sowie die fehlende Kontrollgruppe und Follow-up-Untersuchung führen zu wesentlichen Limitationen und reduzieren die Reichweite und Interpretierbarkeit der Ergebnisse erheblich. Die geringe Stichprobengröße schränkt die Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse trotz beachtlicher Effektstärken extrem ein. Die fehlende Kontrollgruppe erlaubt keine Aussage zu Effektivität und Wirkweise des durchgeführten pferdegestützten Trainings. Dennoch beeindrucken die vorliegenden teils hohen Signifikanzen und hohen Effektstärken und lassen die Annahmen über die Wirksamkeit des durchgeführten Trainings etwas wahrscheinlicher erscheinen. Die fehlende Follow-up-Untersuchung schränkt die Bedeutsamkeit der Untersuchungsergebnisse weiter ein, da auf diese Weise keine Erkenntnisse über die Stabilität der beobachteten Veränderungen vorliegen. Die Frage, ob die positiven Veränderungen gerade im Lern- und Sozialverhalten langfristig erhalten bleiben und damit ihre Wirkung erst voll entfalten können, kann nicht beantwortet werden. 146 | mup 4|2024 Breitenbach, Gomolla - Evaluation eines pferdegestützten ADHS-Trainings 5.3 Implikationen für Forschung und Praxis Die gewonnenen Ergebnisse mit den überzeugend positiven Veränderungen bilden eine Grundlage für künftige und weitergehende Forschung. Unabdingbar wäre eine großangelegte, kontrollierte Studie, auf deren Grundlage die beobachteten Veränderungen auf die durchgeführte pferdegestützte Intervention ursächlich zurückgeführt werden und als Therapieeffekte interpretiert werden können. Auch die Frage nach den Wirkfaktoren ist noch weitgehend offen und bedarf dringend einer Klärung. Ist das Pferd eher der Motivationsträger? Können die Bewegungsübertragungen tatsächlich als Regulator der Aufmerksamkeit und eventuell auch Impulsivität gelten? Wieviel passives Bewegtwerden und aktives Handeln benötigt es für einen positiven Effekt auf die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssymptomatik? Da es sich bei ADHS um eine komplexe Verhaltensstörung handelt mit Auswirkungen in viele Lebensbereiche, ist womöglich auch von einer entsprechend komplexen Therapie auszugehen. Eines kann jedoch mit Sicherheit festgehalten werden: Mithilfe des Pferdes lassen sich alle Therapieelemente (Motivation, Bewegung und Handlung, kognitive Strukturierung) organisch und harmonisch zusammenführen. Und mithilfe des Pferdes können somit auch unterschiedliche Faktoren ihre Wirkung entfalten. In welchem Ausmaß nun die einzelnen Therapiebestandteile im konkreten therapeutischen Handeln umgesetzt und einbezogen werden sollen, lässt sich wahrscheinlich mit wissenschaftlichen Studien nur schwer bestimmen, selbst wenn die Wirksamkeit im Einzelnen verlässlich nachgewiesen ist. An dieser Stelle fordern wohl die Subjektivität von Kind und TherapeutIn sowie die Eigenart eines bestimmten Pferdes ihren berechtigten Tribut. Die Zusammenstellung des therapeutischen Geschehens aus den unterschiedlichen Komponenten wird jenseits aller Wirksamkeitsforschung der subjektiven und verantwortlichen Einschätzung der TherapeutInnen überlassen bleiben. Bislang stehen PraktikerInnen aber vor allem betroffene Eltern einer multimodalen Therapie gegenüber, deren Bestandteile neben der Medikation im Großen und Ganzen in gleicher Weise hilfreich sein können, da auch die bestehenden Trainings verschiedene Bausteine und Elemente integrieren, ohne den genauen, spezifischen Nutzen der einzelnen wissenschaftlich dargelegt zu haben. Wünschenswert wären deshalb auch vergleichende Studien, um eine unter Umständen vorhandene spezifische Indikation für die pferdegestützte Intervention bei Kindern mit ADHS herauszuarbeiten. Literatur ■ Aust-Claus, E., Hammer, P. M. (2010): OptiMind. 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R. für Rehabilitationspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Sonderpädagogik I der Universität Würzburg Dr. rer. nat. Annette Gomolla Diplom- Psychologin, M. A. Erwachsenenbildung, Geschäftsführung des gemeinnützigen Forschungszentrums GREAT, Leiterin des Instituts für Pferdegestützte Therapie, Vorstandsmitglied im Berufsverband für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen e. V., seit über 20 Jahren in der Pferdegestützten Therapie und Pädagogik tätig Anschriften Prof. i. R. Dr. Erwin Breitenbach · Am Hirzrain 7 · 36103 Flieden breitene@rz.hu-berlin.de Dr. Annette Gomolla Nachfragen bitte an diese Autorin richten. Bruder-Klaus-Str. 8 · 78467 Konstanz A.Gomolla@great-horses.org
