eJournals mensch & pferd international 17/1

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2025
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Stichwort: Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik (Teil 1 / 2)

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2025
Maike Horend
Kommunikation findet immer und überall statt, also auch im Pferdestall im Kontakt mit Mensch und Tier. Doch wer kennt das nicht? Die Verständigung gelingt nicht immer reibungslos.
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22 | mup 1|2025|22-30|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art04d Maike Horend Stichwort Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik (Teil 1/ 2) Grundlagen der UK und der Einsatz von Symbolen Kommunikation findet immer und überall statt, also auch im Pferdestall im Kontakt mit Mensch und Tier. Doch wer kennt das nicht? Die Verständigung gelingt nicht immer reibungslos. „Sarah, mit welchem Pferd möchtest du heute etwas machen? “ Das 3-jährige Mädchen schaut zu den Pferden, deutet in die dicht beieinanderstehende Pferdeherde und sagt „da“. „Welches Pferd meinst du denn, Sarah? “ Wir gehen gemeinsam zu den Pferden und nun kann sie eindeutig auf ihr Lieblingspony zeigen. Der 5-jährige nicht-sprechende Max hilft beim Putzen des Pferdes. „Max, hier ist die grüne Bürste zum Putzen.“ Der Junge nimmt diese in die Hand, schreit und wirft sie in hohem Bogen in die Stallgasse. „Was ist denn heute los mit dir, Max? “ Im Verlauf der Putzsituation wird deutlich, dass Max nicht die grüne, sondern die rote Bürste möchte. Probleme in der Kommunikation verunsichern, kosten Zeit und Geduld aller Beteiligten und hinterlassen teilweise ratlose und entmutigte Interaktionspartner, wenn die sprachlichen und kommunikativen Barrieren nicht überwunden werden können. Zurück bleiben viele Emotionen und Fragen: „Ich kann dich einfach nicht verstehen! “, „Was meinst du denn? “, „Warum reagierst du so komisch? “ oder auch „Du verstehst mich nicht! “ und „Was soll ich denn noch alles machen? Ich gebe es auf…“ Und nun, was tun? Haben Sie schon mal von „Unterstützter Kommunikation“ gehört? Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und jeder Mensch ist von Geburt an mit dem Wunsch nach Kontakt, dem Bedürfnis nach Kommunikation und mit individuellen Fähigkeiten ausgestattet. Sprache ist ein System von Zeichen und Regeln und dient der Verständigung in der jeweiligen Sprachgemeinschaft und ermöglicht Partizipation und Autonomie. Insbesondere die Lautsprache spielt hierbei eine sehr bedeutende Rolle und Beeinträchtigungen der verbalen und kommunikativen Kompetenzen führen oftmals zu frustrierenden Erlebnissen des Nicht- oder Falschverstehens. Die Tatsache, dass sich ein Kind nur eingeschränkt oder gar nicht mitteilen kann, vermittelt das Gefühl der Hilflosigkeit und kann Beeinträchtigungen in der Identitätsentwicklung, der sozialen, kognitiven und emotionalen Entwicklung zur Folge haben. Die Beeinträchtigungen stellen eine Belastung für die betroffenen Personen und deren Umfeld dar (Kitzinger, Kristen, Leber, 2004, 12-16). Auch im Kontext pferdegestützter Interventionen können uns Menschen mit schweren Beeinträchtigungen der Lautsprache, beispielsweise im Rahmen einer Autismus-Spektrum-Störung, Trisomie 21, einer globalen Entwicklungsstörung oder einer verbalen Entwicklungsdyspraxie (VED) begegnen. Die Betroffenen können sehr von einem Zugang zu alternativen Kommunikationsformen profitieren. In diesem Artikel (Teil 1 von 2) geht es schwerpunktmäßig um die Vermittlung von Grundlagen- Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 1|2025 | 23 Maike Horend wissen zum Thema „Unterstützte Kommunikation“ (UK) sowie um den Einsatz von Symbolen mit Praxisbeispielen für die Umsetzung im Kontext der Reittherapie und Reitpädagogik. Der Schwerpunkt meiner Arbeitstätigkeit liegt in der UK-Förderung mit Kindern. Bei der Vorstellung von elektronischen Hilfen ist die Auswahl exemplarisch. Was ist Unterstützte Kommunikation (UK)? Bereits 1992 wurde durch die deutschsprachige Sektion der International Society for Augmentative und Alternative Communication (ISAAC) der Terminus folgendermaßen definiert: „Unterstützte Kommunikation (UK) ist der deutsche Sammelbegriff für alle Maßnahmen, die bei Menschen mit unzureichenden oder fehlenden lautsprachlichen Fähigkeiten dazu beitragen, Kommunikation und Mitbestimmung zu verbessern“ (Braun 2020, 20). International wird der Begriff „Augmentative and Alternative Communication“ (AAC) verwendet und betont die kommunikativen Formen, die unzureichende Lautsprache ergänzen (augmentative) oder ersetzen (alternative). Wer kann von UK profitieren? Von Maßnahmen der UK profitiert ein insgesamt sehr großer, heterogener Personenkreis und betrifft Menschen jeden Alters, die von einer angeborenen oder erworbenen Schädigung betroffen sind, die sie in der Kommunikation und der verbalen Verständigung temporär oder dauerhaft stark beeinträchtigt. v. Tetzchner / Martinsen (2000, 79 ff) differenzieren drei Gruppen der UK-Nutzer: ■ 1. Gruppe: Menschen mit einem guten Sprachverständnis, bei denen die UK ein reines Ausdrucksmittel darstellt, ■ 2. Gruppe: Personengruppe, bei denen noch ein Lautspracherwerb erhofft wird und Personen, bei denen unter bestimmten Bedingungen die Verständigung über Lautsprache mitunter gelingt, ■ 3. Gruppe: Menschen, für die die UK eine Ersatzsprache darstellt und sowohl rezeptive als auch expressive Funktionen übernimmt. Bei den verschiedenen Zielgruppen kann UK somit ■ als ständige Hilfe, ■ als vorübergehende Hilfe ■ oder als Hilfe zum Lautspracherwerb dienen.  UK-Förderung ist voraussetzungslos. Kommunikation ist unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung möglich. Die individuelle Art der Kommunikation wird durch UK ergänzt und unterstützt. Was ist das Ziel von UK? Laut Wilken (2020, 9) hat UK das Ziel, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht nur besondere Möglichkeiten zum Verstehen und Verständigen anzubieten, sondern auch die gesamte Lebenswirklichkeit in den Blick zu nehmen, angemessene Bedingungen für Partizipation und Selbstbestimmung zu schaffen und sprachspezifisches, nicht sprechgebundenes Lernen zu ermöglichen.  UK ist bedeutend und benötigt Priorität. Wann kann mit UK begonnen werden? UK- Interventionen sollten möglichst frühzeitig beginnen, da der Erwerb sprachlicher und kommunikativer Funktionen in Abhängigkeit zu biologischen Zeitfenstern steht. Diese alters- und erfahrungsabhängigen Zeitfenster schließen sich nach bestimmter Zeit, sodass sich sprachliche und kommunikative Fähigkeiten nach dieser sensiblen Phase gar nicht oder nur unter größten therapeutischen und pädagogischen Mühen erworben werden (Nonn, 2011, 9 f).  UK-Förderung sollte so früh wie möglich beginnen. Es gibt kein zu früh und auch kein zu spät. Der Erwerb von UK-Kompetenzen benötigt Zeit und Intensität. 24 | mup 1|2025 Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik Körpereigene Kommunikationsformen Nicht-elektronische Kommunikationsformen Elektronische Kommunikationsformen Basale Kommunikation (Atmung, Muskelspannung, Körperhaltung), Blick, Zeigen, Lautäußerungen, Vokalisation, Lautsprache, gestische und mimische Zeichen, Gebärden Realgegenstände, Miniaturen, Fotos, Zeichnungen, Schrift, Grafische Symbole (in Form von einzelnen Symbolkarten, Kommunikationstafeln, Kommunikationsordnern), Ich-Bücher, Tagebücher Sprechende Tasten (mit natürlichen Sprachaufnahmen, wie bspw. Big- Point, BIGmack, Step-by-Step), Statische Kommunikationshilfen (mit natürlichen Sprachaufnahmen, wie bspw. SuperTalker, QuickTalker), komplexe / dynamische Kommunikationshilfen mit symbol- oder schriftsprachbasierten Programmen Was für Auswirkungen hat UK auf die Lautsprache? Die Befürchtungen, UK würde die Sprachentwicklung hemmen, sind wissenschaftlich seit vielen Jahren widerlegt und zahlreiche Studien bestätigen einen positiven Einfluss von UK auf die kindliche Sprach- und Kommunikationsentwicklung (Boenisch 2008, 25 ff; Braun / Baunach 2008, 7 ff). Auch die Praxiserfahrungen zeigen, dass durch UK verstärkt Eigenwirksamkeit erlebt und infolgedessen eine erfolgreiche Kommunikation angestrebt wird. Der Einsatz von UK muss erlernt werden und die alternative Kommunikation ist langsamer als der Gebrauch von Lautsprache. Daher würde jedes Kind die Lautsprache als Mittel zur Kommunikation bevorzugen, wenn die verbalen Fähigkeiten in ausreichendem Maß zur Verfügung stünden. Oftmals regt die Nutzung einer Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe die Kinder zum Nachsprechen an, motiviert sie zum Gebrauch der Lautsprache und nicht selten wird eine Kommunikationshilfe nur vorübergehend eingesetzt.  UK-Maßnahmen unterstützten die Sprachentwicklung. Was gibt es für Formen der Unterstützten Kommunikation? Die verschiedenen Formen der UK sind insgesamt drei Kategorien zuzuordnen, nämlich den körpereigenen-, den nicht-elektronischen- und den elektronischen Kommunikationsformen (siehe Tab. 1) Welche Aspekte haben Sprache und Kommunikation? Bloom und Lahey haben bereits 1978 beschrieben, dass Kommunikation und Sprache von 3 wichtigen Aspekten bestimmt wird, nämlich ■ dem Inhalt (über „WAS“ wollen wir sprechen? „Was“ ist das Thema der Kommunikation? ), ■ der Funktion („WOZU“ sprechen wir? Was wollen wir mit der Kommunikation erreichen? ), ■ der Form („WIE“ sprechen / kommunizieren wir? ). „UK wird erst dann ein Erfolg, wenn die drei Faktoren angemessen berücksichtigt werden. Umgekehrt gilt: Verläuft die Kommunikation nicht zufriedenstellend, lässt sich u. a. anhand der drei Faktoren prüfen, welche die entscheidenden Die Finanzierung zahlreicher UK-Hilfsmittel wird in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. UK- Beratungsstellen oder Hilfsmittelfirmen unterstützen gerne bei der Auswahl und Beantragung. Suchen Sie nach Unterstützung? https: / / www.gesellschaft-uk.org/ ueber-uk/ unterstuetzungsangebote.html (abgerufen am 25.08.2024). Tipp Tab. 1: Die drei Formen der Unterstützten Kommunikation Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 1|2025 | 25 Hürden sind.“ (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung ISB, 86) Was bedeutet „multimodale Kommunikation“? Kommunikation findet gleichzeitig auf der verbalen und nonverbalen Ebene statt und nach Pivit (2003) gilt: „Je mehr Kommunikationsformen ich einsetze, umso eindeutiger werde ich verstanden“. Auch in der UK wird diese multimodale Kommunikation durch das individuelle Angebot von körpereigenen und externen Hilfsmitteln angestrebt. Ziel ist der Aufbau eines individuellen UK-Systems.  UK sollte jederzeit möglich sein, immer und überall. Es gibt keine bevorzugte Kommunikationsform. Welches Vokabular sollte angeboten werden? Beim Einsatz von Kommunikationshilfen jeglicher Art bestimmt das Umfeld, welches Vokabular den UK-Nutzern zur Verfügung steht und trägt somit eine entsprechende Verantwortung bei der Auswahl, die sich nicht nur nach den individuellen Interessen und verschiedenen Kommunikationsanlässen richtet, sondern auch das Konzept des Kern- und Randvokabulars beachten sollte, damit eine effektive Kommunikation möglich ist. Sachse (2007, 7 ff) beschreibt diese Begriffe wie folgt: „Kernvokabular bezeichnet die 200-300 Wörter einer Sprache, die am häufigsten genutzt werden. Interessant ist, dass diese Wörter, die nach Baker et al. (2000) ca. 80 % des Gesprochenen ausmachen, unabhängig von Gesprächsthema oder Alter sind. Vom Kernvokabular zu unterscheiden ist das sogenannte Randvokabular. Diese Gruppe umfasst unzählige und individuell höchst unterschiedliche Wörter und fügt dem Kernvokabular die Inhalte hinzu.“ Das Kernvokabular bildet somit den zentralen Wortschatz, der im Alltag benötigt wird und besteht aus sogenannten „kleinen Wörtern“ (Adverbien, Konjunktionen, Pronomen, Präpositionen) sowie einigen Hilfs-, Modal- und Vollverben (Boenisch / Sachse / Musketa 2007, 362 f). Diese Wörter sind themenunspezifisch, häufig und flexibel einsetzbar und lassen sich vielseitig miteinander kombinieren. Die Vokabularauswahl für Kommunikationshilfen dient somit nicht nur der aktuellen Verständigung, sondern hat unmittelbaren Einfluss auf die weitere Sprachentwicklung. Das Erlernen des Kernvokabulars ermöglicht dem Kind eine grundlegende Ausdrucksmöglichkeit Abb. 1: Inhalt, Form und Funktion von Kommunikation (Castañeda / Fröhlich / Weigand, 2020, 21) Abb. 2: Kern- und Randvokabular Randvokabular - viele 1.000 Wörter - v. a. Inhaltswörter - themenspezifisch - individuell „Pferd“, „Mähne“, „Hufauskratzer“, „führen“, „reiten“ … Kernvokabular - 200-300 Wörter - = 80 % des Gesprochenen - Funktionswörter - situations- und themenunspezifisch „auf, „zu“, „ich“, „du“, „nochmal“, „auch“, „möchten“, „brauchen“ … 26 | mup 1|2025 Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik für die gesamte Lebensspanne (Nonn, 2011, 71). Im Gegensatz dazu besteht das sogenannte Randvokabular aus spezifischen Wörtern, die genutzt werden, um Aussagen an bestimmte Themen oder Situationen anzupassen. Es ist vor allem interessen- und bedürfnisorientiert und somit sehr individuell. Randvokabular enthält vor allem Inhaltswörter, wie Substantive, Verben, Adjektive und einige Floskeln. Auch bei der Vokabularauswahl im Rahmen pferdegestützter Interventionen sollte die Unterscheidung von Kern- und Randvokabular mit einfließen. Am Beispiel der ausgewählten Äußerungen für die Putzsituation (siehe Abb. 3) wird deutlich, dass sogar vollständig auf Nomen (in dem Fall Körperteile des Pferdes und Putzzeug) verzichtet werden könnte. Es wird über METACOM- Symbole ausschließlich themenunspezifisches Vokabular angeboten, welches auch in anderen kommunikativen Kontexten genutzt werden kann und somit ein Transfer in den Alltag möglich ist. Die Äußerungen, die unterschiedlichsten Wortarten zugeordnet werden können und in diesem Fall farblich entsprechend markiert sind, laden zum Steuern der Interaktion, Kommentieren, Fragen ein und sind somit verschiedenen Kommunikationsfunktionen zuzuordnen. Viele Äußerungen lassen sich miteinander kombinieren, sodass bereits kleine Mehrwortäußerungen gebildet werden können („Ich möchte mehr“, „Ich möchte allein“, „wo schmutzig, „nochmal weich“). Im folgenden Beispiel für das Füttern des Pferdes (siehe Abbildung 4) stehen auch einige themenspezifische Nomen, wie „Hafer“, „Heu“ und „Mash“ zur Verfügung, denn langfristig ermöglicht der kombinierte Einsatz von Kern- und Randvokabular die effektivste, erfolgreichste Kommunikation. Die konkreten Substantive sind auch ohne Lesekompetenz gut zu erkennen, da sie deutlich über Fotos und Symbole abgebildet werden können. Zahlreiche andere Symbole auf dieser Kommunikationstafel sind weniger bzw. nicht selbsterklärend. Insbesondere das für die Kommunikation bedeutsame Kernvokabular ist nicht eindeutig bzw. keineswegs bildproduzierend und somit schwer darstellbar. Die Bedeutung der meisten Symbole muss also erlernt werden. Abb. 3: beispielhafte Vokabularauswahl für die Situation „Pferd putzen“ (METACOM Symbole © Annette Kitzinger) Abb. 4: beispielhafte Vokabularauswahl für die Situation „Pferd füttern“ (METACOM Symbole © Annette Kitzinger) Bei der Auswahl erster Wörter kann die 2019 von Weigand und Fröhlich zusammengestellte Wortliste eine gute Orientierung bieten. Diese steht zum Download zur Verfügung unter https: / / uk-couch.de/ download-kategorie/ think-big/ zur Verfügung (abgerufen 25.08.2024). Tipp Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 1|2025 | 27 Die Beschriftung der Symbole und Felder ermöglicht eine gute Orientierung für das lesende Umfeld. Lassen Sie sich nicht von abstrakten und schwer erkennbaren Symbolen abschrecken. Für die Kommunikation unverzichtbares Kernvokabular ist schwer grafisch darzustellen, muss kleinschrittig und konsequent angeboten und vermittelt werden. UK ist vergleichbar mit einer Fremdsprache, die Anleitung und Vorbilder braucht. Wie kann der Schwierigkeitsgrad beim Einsatz von Symbolen beeinflusst werden? Die Komplexität der eingesetzten UK-Hilfen (in Form einzelner Symbolkarten, einer Kommunikationstafel oder einer Oberfläche für eine statische, elektronische Kommunikationshilfe etc.) sollte stets individuell auf den Nutzer ausgerichtet und angepasst werden. Dabei zu beachtende Kriterien sind: ■ Größe der Symbole bzw. Tasten ■ Menge des angebotenen Wortschatzes ■ Auswahl des Vokabulars hinsichtlich der Darstellbarkeit (Einsatz von Fotos und / oder Symbolen) ■ Ist eine Zufallsauswahl möglich oder eine Zielauswahl erforderlich? Was sind „Zufalls- und Zieloberflächen“? Sie können sogenannte „Zufallsoberflächen“ gestalten, bei denen kein Symbolverständnis vorhanden und beim Einsatz der Kommunikationshilfe keine bestimmte Reihenfolge beim Zeigen bzw. Drücken einhalten muss. Diese Art der Vokabularauswahl eignet sich daher besonders für Kommunikationsanfänger, da jede Tastenaktivierung ein Erfolg bedeutet. Die Interaktion gelingt immer, egal wo und wie oft der Nutzer eine bestimmte Äußerung mit der Kommunikationshilfe produziert. Es gibt somit kein „Richtig“ und kein „Falsch“. Abb. 5: statische elektronische Kommunikationshilfe QuickTalker 12 (mit METACOM Symbolen © Annette Kitzinger ) Abb. 6: Zufallsoberfläche für geführtes Reiten (beispielhafte Gestaltung für QuickTalker mit METACOM Symbolen © Annette Kitzinger ) Auf einer statischen Kommunikationsoberfläche, wie beispielsweise der eines QuickTalkers (siehe Abbildung 5), können auch Felder freigelassen werden, sodass zum genauen Hinschauen und zielgerichtetem Drücken animiert wird. Tipp 28 | mup 1|2025 Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik Mit der in Abbildung 6 dargestellten Kommunikationsoberfläche für die Reittherapie kann über die Zufallsauswahl beim geführten Reiten die Richtung, das Tempo der Fortbewegung und das Anhalten gesteuert werden. Dafür stehen die Äußerungen „schnell“, „langsam“, „vor“, „zurück“, „links“, „rechts“ und „Halt! “ zur Verfügung. Die Aussagen können auch in ganzen Sätzen ausformuliert werden. Mit zunehmenden Fähigkeiten können auch „Zieloberflächen“ in die Reittherapie eingebunden werden. Nun ist es wichtig, dass Symbole zielgerichtet ausgewählt werden und evtl. eine festgelegte Reihenfolge eingehalten wird. Hilfreich ist in diesem Fall eine entsprechende Anordnung der Symbole von oben nach unten oder von links nach rechts. Beispielsweise kann beim geführten Reiten mit den Aussagen „Achtung! “, „Fertig! “, „Los! “ ein Startzeichen gegeben werden (siehe Abb. 7). Oder es stehen beim Reiten die Äußerungen „Ich möchte“, „langsam“, „schnell“, „zu“ und die verschiedenen Bahnpunkte (ggf. mit verschiedenen Aktivitäten zum Anreiz) zur Verfügung. Auch hier müssen die Aussagen auf dem Talker mit Ausnahme der Bahnpunkte in einer vorbestimmten Reihenfolge zielgerichtet angesteuert und ausgewählt werden (siehe Abb. 8). Die Komplexität der Fördersituation wird des Weiteren durch die Art der Fragestellungen beeinflusst, die an die UK-Nutzer gerichtet werden. So ermöglicht die oben gestaltete Zufallsoberfläche je nach Formulierung der Frage eine beliebige Auswahl oder erfordert eine gezielte Auswahl: ■ Die offene Frage „Und wie geht es nun weiter? “ erlaubt eine Zufallsauswahl. ■ Die gelenkte Frage „In welche Richtung willst du reiten? “ erfordert die Auswahl von „vor“, „zurück“, „rechts“ oder „links“. ■ Die Alternativfrage „Möchtest du schnell oder langsam reiten? “ erfordert die Auswahl einer der beiden Geschwindigkeiten. Welche Bild- und Symbolsammlungen eignen sich für UK-Angebote in der Reittherapie und -pädagogik? Für die Gestaltung von Karten, Kommunikationstafeln und -ordnern werden Symbolsammlungen und Bildmaterialien benötigt. Eine kleine, vielseitig einsetzbare und kostengünstige Auswahl wird hier exemplarisch vorgestellt: ■ METACOM-Symbole: Die ca. 17.000 Symbole umfassende Symbolsammlung ist im deutsch- Abb. 7: Zieloberfläche „Startzeichen geben“ (beispielhafte Gestaltung mit der App GoTalkNOW für iPads und iPad-basierte Kommunikationshilfen mit METACOM Symbolen © Annette Kitzinger ) Abb. 8: Zieloberfläche „Bahnpunkte anreiten“ (beispielhafte Gestaltung mit der App GoTalkNOW auf dem Via Air von Prentke Romich Deutschland mit METACOM Symbolen © Annette Kitzinger ) Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 1|2025 | 29 sprachigen Raum sehr verbreitet. Es wird sowohl Kernals auch Randvokabular dargestellt. Die Symbole sind nicht spezifisch auf die Reittherapie und Reitpädagogik abgestimmt. Die Einzellizenz Metacom 9 Desktop kostet aktuell 80,00 Euro (http: / / www.metacom-symbole.de, abgerufen am 25.08.2024). ■ Seppiswelt: Verschiedene Materialpakete zum Download und Ausdrucken stellen Bild- und Bastelmaterial und Arbeitsblätter zum Thema Pferd, Pferdeverhalten, Stall, Aktivitäten in der Reittherapie etc. zur Verfügung. Die von Melanie Kotsch gestalteten Materialien sind ab ca. 4,90 Euro erhältlich (http: / / www.seppiswelt.de, abgerufen am 25.08.2024). ■ Kartenset „Heilpädagogisches Reiten“: Das aus 42 PCS-Symbolen bestehende Kartenset kann über das UK-Büro Dortmund bezogen werden (https: / / www.awo-werkstaetten.de) und kostet ca. 20 Euro. ■ Wunschkarten von Julie Rauert: Das 5-teilige Kartenset à 24 Karten ist unter http: / / www. wunschkarten-reiten.de für jeweils 10 Euro zu erwerben (abgerufen am 25.08.2024). Abschließende Gedanken und Ausblick: Unterstützte Kommunikation in Therapie und Pädagogik bietet vielen Menschen, die sich verbal nicht oder nur unzureichend ausdrücken können, mannigfaltige Möglichkeiten. Es bedarf Menschen in deren Umfeld, die sich der großen Bedeutsamkeit von Kommunikation im Sinne eines Grundbedürfnisses und eines Grundrechtes bewusst sind und von einem entsprechenden Menschenbild geprägt sind. Menschen mit UK- Bedarf benötigen eine angemessene Förderung und Unterstützung. Es lassen sich viele Gründe FÜR UK finden! Und weil UK so bunt, vielfältig und spannend ist, gibt es in der folgenden Ausgabe dieser Zeitschrift noch einen zweiten Beitrag mit zahlreichen Anregungen und weiteren Praxisideen zum Thema „UK in der Reittherapie und Reitpädagogik“. Bis dahin! Literatur ■ Boenisch, J., Musketa, B., Sachse, S. (2007): Die Bedeutung des Vokabulars für den Spracherwerb und Konsequenzen für die Gestaltung von Kommunikationsoberflächen. In: Sachse, S., Birngruber, C., Arendes, S. (Hrsg): Lernen und Lehren in der Unterstützten Kommunikation, von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe, 362 f ■ Boenisch, J. (2008): Märchen und Mythen in der Unterstützten Kommunikation. In: isaac - Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.): Unterstützte Kommunikation - isaac’s Zeitung 2008(2), von Loeper, Karlsruhe, 25-31 ■ Braun, U., Baunach, M. (2008): Märchen und Mythen in der Unterstützten Kommunikation. In: isaac - Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.): Unterstützte Kommunikation - isaac’s Zeitung 2008(2), von Loeper, Karlsruhe, 7-13 ■ Braun, U. (2020): Entwicklung der Unterstützten Kommunikation in Deutschland - eine systematische Einführung. In: Boenisch, J. / Sachse, S. (Hrsg.): Kompendium Unterstützte Kommunikation, 1. Aufl. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 20 ■ Castañeda, C., Fröhlich, N., Waigand, M. (2020): Unterstütze Kommunikation, Die UKIdeenkiste, Monika Waigand (Hrsg.), Heigenbrücken, 21 ■ Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (2024): Beratungs- und Unterstützungsangebote für UK, https: / / www.gesellschaft-uk.org / ueberuk / unterstuetzungsangebote.html, 25.08.2024 ■ Kitzinger, A., Kristen, U., Leber, I. (2004): Jetzt sag ich’s dir auf meine Weise! 2. Aufl. von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe, 12-16 ■ Nonn, K. (2011): Unterstützte Kommunikation in der Logopädie, Forum Logopädie, Thieme 2011, Stuttgart, 9 f und 71 ■ Pivit, C. (2003): Individuelle Kommunikationssysteme. In: von Loeper Literaturverlag und Die METACOM-Symbolsammlung kann für UK-Nutzer bei der Krankenkasse beantragt werden. Tipp 30 | mup 1|2025 Stichwort: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik Die Autorin Maike Horend Logopädin, UK-Coach, Medizinprodukteberaterin, Reittherapeutin (IPTh) Kontakt Märzenbachweg 49 · 87600 Kaufbeuren m.horend@prentke-romich.de Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.): Handbuch der Unterstützten Kommunikation, 13. erweiterte Auflage 2017, Karlsruhe, 01.006.001-01.007.001 ■ Sachse, S. (2007): Zur Bedeutung von Kern- und Randvokabular in der Alltagssituation. In: isaac - Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.): Unterstützte Kommunikation - isaac’s Zeitung 2007(3), von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe, 7-11 ■ von Tetzchner, St., Martinsen, H. (2000): Einführung in Unterstützte Kommunikation, Edition Schindele im Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg, 79 ff ■ Waigand, M., Fröhlich, N. (2019): 100 erste Wörter, https: / / uk-couch.de/ download-kategorie/ think-big/ , 25.08.2024 ■ Wilken, E. (2020): Teilhabe und Mitbestimmen. Unterstützte Kommunikation hat viele Facetten. In: Boenisch, J / Sachse, S. (Hrsg): Kompendium Unterstützte Kommunikation, 1. Aufl. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 9 ■ Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (Hrsg): Handreichung Unterstützte Kommunikation (UK) in Unterricht und Schule, 3. Auflage 2022, München, 86, https: / / www.isb.bayern.de/ fileadmin/ user_upload/ Foerderschulen/ Koerperlich-motorisch/ uk_gesamtdatei_10_2022_final.pdf, 25.08.2024 Im „falschen“ Körper gefangen? Es gibt Kinder und Jugendliche mit dem Körper eines Jungen, die sich als Mädchen fühlen - und umgekehrt. Sie leiden oft stark unter ihren nicht stimmigen Geschlechtsmerkmalen. In der Pubertät werden sie massiv damit konfrontiert, dass ihre körperliche Entwicklung nicht zu ihrem Empfinden passt. Man spricht dann von „geschlechtlichem Unbehagen“ oder „Geschlechtsdysphorie“. Bei einigen Jugendlichen ist der Leidensdruck nur mit einer pubertätsaufhaltenden Behandlung und einer darauf folgenden gegengeschlechtlichen Hormontherapie zu lindern. Das Buch zeigt, wie Fachleute erkennen können, was geschlechtsdysphorische Heranwachsende für ihre Persönlichkeitsentwicklung brauchen. Es beschreibt, wie man sie bei ihrer Identitätsfindung therapeutisch begleiten und ihre Rat suchenden Angehörigen unterstützen kann. 3., überarbeitete Auflage 2021. 304 Seiten. 4 Tab. (978-3-497-03093-4) kt a w