mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art06d
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Praxistipp: Medical Training
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Ina Keckstein
Vor einiger Zeit habe ich es für mich entdeckt und nun möchte ich es nicht mehr missen: das Medical Training.
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36 | mup 1|2025|36-40|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art06d Ina Keckstein Praxistipp Medical Training 5 gute Gründe für eine Anwendung im Rahmen tiergestützter Interventionen Vor einiger Zeit habe ich es für mich entdeckt und nun möchte ich es nicht mehr missen: das Medical Training. Mensch-Tier-Beziehungen profitieren enorm davon. Warum dem Thema im Kontext tiergestützter Interventionen besondere Bedeutung zukommt, hat unterschiedliche Gründe. Lisa Tometten hat in Heft 3 (2024) im Stichwort wertvolle Grundlagen dazu beschrieben, an dieser Stelle daher nur kurz ein paar allgemeine Aspekte dazu. Mithilfe des Medical Trainings gestalten wir Besuche beim Tierarzt/ bei der Tierärztin angenehm für alle Beteiligten und in Absprache mit dem Tier. Über positive Verstärkung, das belohnungsbasierte Training, erklären wir den Tieren, was, wann, wie gemacht wird, welche Eingriffe vorgenommen werden und bereiten sie auf jeden einzelnen Schritt sorgfältig vor. Das Tier bekommt die Möglichkeit, aktiv seine Einwilligung zu geben - oder nicht zuzustimmen. Die Möglichkeit Nein zu sagen, ist ein kraftvolles Werkzeug, das dem Tier beigebracht wird und dessen Bereitschaft zur Kooperation erhöht (siehe Abbildung 1). Stelle dir vor, du bist bei deiner Zahnärztin und du hast keinerlei Möglichkeit für ein Veto, keine Stimme, um eine Pause zu erbitten oder mitzuteilen, dass es gerade schmerzhaft und schwierig für dich ist. Das fühlt sich nicht gut an. Aber genau das verlangen wir unseren Tieren ab. Durch Medical Training werden auch alltägliche Pflegemaßnahmen, wie das Bürsten oder Abb. 1: Medical Training mit dem Kooperator (Lichtblickhof, Wien) Abb. 2: Medical Training zur Gewöhnung an die Spritze (Lichtblickhof, Wien) Praxistipp: Keckstein - Medical Training mup 1|2025 | 37 Krallenschneiden mithilfe von MT entspannt und unkompliziert. Täglich notwendige Handgriffe, wie dem Pferd das Halfter anziehen oder dem Hund die Pfoten nach dem Spaziergang abzuwischen, lassen sich auf diesem Wege fair und stressfrei erledigen. Im Zootierbereich ist Medical Training schon seit vielen Jahren weit verbreitet. Löwen, Elefanten und andere Wildtiere werden erfolgreich auf diesem Weg trainiert und kleinere und größere Eingriffe können gefahrlos vorgenommen werden. Bei unseren Haustieren kommt Medical Training erst langsam an. Oft nehmen wir uns nicht die Zeit, um Trainingsschritte festzulegen und um Pferd oder Hund an Behandlungen zu gewöhnen. Kleintiere werden meist festgehalten, wenn sie nicht kooperieren, während wir sie mit ein wenig Training zum kooperativen Verhalten motivieren könnten. Pferde werden meist angebunden und mit der Anwendung von Druck dazu gebracht, die Behandlung über sich ergehen zu lassen. Stattdessen kann über Medical Training die freiwillige Kooperation mit dem Tier erarbeitet werden (siehe Abbildung 2). Klar, wenn die Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Tier grundsätzlich stimmig ist, werden diese Situationen keine Katastrophen auslösen. Stress bedeuten sie dennoch und viele der Maßnahmen werden mit großer Regelmäßigkeit ausgeführt, da summieren sich Stress und negative Emotionen schon mal. Fünf Gründe, die Medical Training für den tiergestützten Bereich besonders wertvoll machen: 1. Ich lerne mein Tier besser kennen, 2. mehr Lebensqualität für das Tier, 3. Situationen der tiergestützten Praxis können professioneller und entspannter gestaltet werden, 4. konkrete Handlungsoptionen für eine respektvolle Kommunikation werden erarbeitet, 5. Selbstbestimmung und Gewaltprävention. werden ermöglicht. Bei der Beschreibung der einzelnen Punkte gebe ich Beispiele aus meinen tiergestützten Interventionen, bei denen ich nicht nur mit Pferden, sondern auch mit Hunden, Meerschweinchen oder Kaninchen zusammenarbeite. 1. Ich lerne mein Tier besser kennen Durch das kleinschrittige und gut strukturierte Training verbringe ich viel wertvolle Zeit damit, meinen Hund oder meine Katze besser einzuschätzen. Ich kann sehr fein beobachten, welche Reize eine Herausforderung für mein Tier darstellen und wie es mit unterschiedlichen Situationen umgeht. Im Laufe meines eigenen Lernens ist mir zum Beispiel aufgefallen, wie stark mein Hund durch Veränderungen im Raum beeinflusst wird. So wunderte ich mich, wie holprig eines Tages eine eigentlich viel besser gefestigte Verhaltensweise funktionierte. Bei der Übung „Liegen auf der Seite“ waren wir schon bei 10 Sekunden ruhigem Liegen unter Ablenkung, doch dieses Mal war mein Hund viel unruhiger und hob nach 3 bis 4 Sekunden immer wieder den Kopf. Auch die Spannung in seinem Körper war deutlich höher als gewöhnlich. Nach ein paar Versuchen fiel mir auf, dass ich das Handystativ, das ich regelmäßig benutze, um mein Training zu filmen, an einer anderen Stelle als sonst platziert habe. Sobald ich es an die gewohnte Stelle brachte, war wieder alles easy und das Liegen klappte so wie die Tage zuvor. Generalisierung ist hier das Zauberwort, etwas, was in dem Fall noch nicht passiert war. Mein Tier konnte die Verhaltensweise nur unter bestimmten Bedingungen zeigen, hatte das Verhalten aber noch nicht so gefestigt, dass die Bedingungen in der Umgebung gleichgültig waren. Klar macht es Sinn, dass ein Stativ mal da und mal dort während des Trainings aufgebaut ist, um möglichst gut aufnehmen zu können. Wichtig und hilfreich ist, so etwas in die Trainingsplanung mit- 38 | mup 1|2025 Praxistipp: Keckstein - Medical Training einzubeziehen: Neue Anordnung von Gegenständen bedeutet eine neue, unbekannte Variable im Bühnenbild und es gibt individuelle Unterschiede, wie Tiere damit umgehen. Für meinen Hund hat es in dem Fall gereicht, für ein paar Minuten die Anforderungen an die Übung zurückzuschrauben, um sich mit dem bisher unbekannten Aufbau des Teils anzufreunden. Ich habe zunächst schon das Hinsetzen auf die Trainingsdecke gemarkert und belohnt, dann das Auf-die-Seite-Legen für eine Sekunde und schließlich die Dauer wieder hinaufgesetzt, Stück für Stück, bis wir wieder da waren, wo wir vorher standen. Die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen in Bezug auf körpersprachliche Signale des Hundes wird beim Medical Training sehr fein geschult, das Vertrauen zwischen dem Menschen und dem Tier gestärkt und das wiederum erhöht Qualität und Sicherheit der tiergestützten Arbeit. 2. Mehr Lebensqualität für mein Tier Auf tierärztliche Eingriffe und Pflegemaßnahmen vorbereitet zu sein, bedeutet eine erhebliche Reduktion von Stress für unsere Tiere. Da tiergestützte Einsätze selbst bei optimaler Vorbereitung des Tieres immer wieder mal anstrengend sein können, bekommt diese Tatsache eine ganz besonders wertvolle Bedeutung in unserem Arbeitsbereich. Manchmal verhalten sich AdressatInnen von tiergestützten Angeboten unerwartet impulsiv oder Situationen werden trotz sorgfältiger Planung unübersichtlich, gerade wenn wir mit Gruppen arbeiten. Wir erwarten von unseren Tieren Geduld und Kooperation - und daher finde ich es nur fair, alles dafür zu tun, um Stress und Unwohlsein in anderen Situationen zu minimieren. Tiergestützte Aktivitäten können für unsere Tiere eine Bereicherung, eine schöne Abwechslung und eine positive Herausforderung in einem Leben sein, das recht frei von Gefahren und notwendigen, lebenserhaltenden Aufgaben ist - die Betonung liegt auf können. Instrumentalisierung ist zu vermeiden und das Wohlbefinden der Tiere im Fokus zu behalten. Medical Training ist ein wichtiger Baustein dabei, dass dies keine hohle Phrase bleibt. Für das Wohlbefinden eines Tieres ist es maßgeblich, gehört und gesehen zu werden und ein Veto einlegen zu können. Dies üben wir gemeinsam über das Medical Training so fein und präzise wie sonst nirgendwo. Die erlernte Kommunikation können wir im tiergestützten Alltag ganz wunderbar verwenden, um Überforderung vorzubeugen und den Tieren Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. 3. Situationen der tiergestützten Praxis können professioneller und entspannter gestaltet werden Mit meinen erweiterten Trainingskompetenzen kann ich Handgriffe aus dem tiergestützten Alltag und sämtliche Tätigkeiten mit und an dem Tier präziser und klarer gestalten. Mehr Klarheit für das Tier, für die Kids und für mich. Und das bedeutet auch: mehr Sicherheit für uns alle. Der Einsatz unterschiedlicher Kooperationssignale macht vieles anschaulicher und nachvollziehbarer. Wenn wir dem Tier zum Beispiel das Brustgeschirr anziehen, fragen wir ihn zuerst, ob er grundsätzlich bereit ist, etwas mit uns zu unternehmen; wenn er mit den Pfoten auf den Kinderhocker steigt, bedeutet das „Ja ich bin bereit“. Dann zeigen wir ihm das Geschirr und wenn er das Kinn darauf ablegt, ist das seine Einwilligung zum Anziehen (siehe Abbildung 3). Ähnlich gehen wir vor, wenn es um Berührungen geht. Klar, streicheln ist für viele Kinder ein Highlight. Das weiche, warme Fell zu spüren, ist einfach ein tolles Gefühl. Wichtig ist mir, den Kindern zu vermitteln, dass wir vorab fragen, ob der Hund, das Pferd oder das Kaninchen gestreichelt werden möchte und dass das Tier selbst darüber entscheiden kann. Auch dazu ist der Einsatz von Kooperationssignalen ganz wunderbar geeignet. Das Pferd kann zum Beispiel durch das Steigen auf eine Matte (in dem Zusammenhang oft als „Bodentarget“ bezeichnet) sein Einverständnis anzeigen. Praxistipp: Keckstein - Medical Training mup 1|2025 | 39 So bleibt die Situation klar und übersichtlich (siehe Abbildung 4). 4. Konkrete Handlungsoptionen für eine respektvolle Kommunikation werden entwickelt Teilnehmende von tiergestützten Angeboten bekommen gut verständliche Hilfestellungen, um Respekt vor den Tieren und ihren Bedürfnissen zu zeigen - sozioemotionale Kompetenzen werden häufig als Zielorientierung von tiergestützten Interventionen beschrieben. Methoden aus dem Medical Training zeigen konkrete Wege auf, um wertschätzend und einfühlsam mit den Tieren umzugehen. Wo genau legt der Hund den Kopf ab, um seine Kooperationsbereitschaft zu zeigen? In welchem Moment hat das Ohr gezuckt, bei welcher Berührung hat das Pferd geblinzelt und somit ein Deeskalationssignal gezeigt (siehe Abbildung 5)? Die Motivation der Kids ist meist schnell geweckt, wenn es darum geht, „lieb“ zu den Tieren zu sein. Die tatsächliche Umsetzung in die Praxis braucht Unterstützung, Lösungsvorschläge und uns als Vorbild. Medical Training ist eine wertvolle Lernerfahrung für Fachkräfte für tiergestützte Interventionen und die Trainingstools können an die Kids altersentsprechend weitergegeben werden. Mithilfe von Medical Training können wir abstrakte Begriffe wie Respekt oder Achtsamkeit mit Inhalt füllen (siehe Abbildung 6). 5. Selbstbestimmung und Gewaltprävention Auch hier leistet Medical Training einen Beitrag, vorrangig durch die Haltung, die wir vermitteln und das Modell von Beziehung, das wir vorleben. Nein zu sagen, selbstbestimmt zu handeln und sich und den eigenen Körper zu schützen - all das wollen wir an die Kids weitergeben. Gleichzeitig ist es immer noch üblich, Tieren gegenüber Grenzen zu überschreiten und Gewalt anzuwenden. Das passt nicht zusammen. Im Training und in der tiergestützten Arbeit mit Hunden ist es immerhin schon relativ weit verbreitet, über positive Verstärkung zu kommunizieren. Bei Pferden sieht es da noch recht verbesserungswürdig aus. Hier läuft es fast überall über negative Verstärkung und Druck. Selbst dort, wo es relativ „freundlich“ umgesetzt wird, haben die Lehrenden oft selbst nicht so viel Wissen zum Thema Lerntheorien, was das differenzierte und vor allem das positiv verstärkte Arbeiten nun mal voraussetzt. Dennoch entstehen häufig Widersprüche und wichtige Werte werden dabei aus den Augen verloren. Indem wir der Selbstbestimmung und der Selbstwirksamkeit unserer Tiere hohen Stellenwert geben, Abb. 3: Einwilligung zum Anziehen des Brustgeschirrs durch Steigen auf einen Hocker Abb. 4: Einwilligung zum Streicheln durch Steigen auf ein Bodentarget (Caroline Ritter) Abb. 5: Blinzeln des Pferdes als Deeskalationssignal (von neelam279 über Pixabay) Abb. 6: gemeinsam Handeln zur Förderung der sozioemotionalen Kompetenzen 40 | mup 1|2025 Praxistipp: Keckstein - Medical Training bieten wir ein Modell an, das frei von Gewalt ist. Wir können so auch die Kinder ermutigen, sich abzugrenzen und Nein zu sagen, da wo es wichtig ist. Wir sind diesbezüglich nicht authentisch, wenn wir über die Grenzen des Pferdes trampeln, über seinen Körper verfügen und ihm nicht die Möglichkeit geben, Nein zu sagen. Zum Weiterlesen Astou Maraszto hat in ihrer Arbeit zu Gewalt und tiergestützten Interventionen herausgearbeitet, welche Werte und Konzepte durch klassische Arbeit mit dem Pferd weitergetragen werden. Sie hinterfragt bestehende Machtkonstrukte und sieht das Arbeiten über positive Verstärkung als Chance für eine neue Richtung. Literatur ■ Oblasser-Mirtl, A., Glatz, B. (2016): Medical Training für Hunde. Cadmos, München ■ Maraszto, A. (2023): Gewalt und tiergestützte Intervention: Analyse einer Modellgeschichte einer pferdegestützten Intervention (Bachelorarbeit). Universität Wien ■ Stein, N. (2022): Animal College, Medical Training (Ausbildungsskript). In: https: / / animalcollege.de / medical-training, 01.08.2024 Ausbildungstipp „Werde medical Trainer*in für Pferde“ (Intensivlehrgang Medical Trainer*in für Pferde), https: / / www.diemedical-trainerinnen.at Die Autorin Ina Keckstein Tiergestützte Pädagogik seit 2002, Dipl. Sozialarbeiterin, Heilpädagogisches Voltigieren (OKTR), Gordon Familientrainerin, Medical Trainerin für Hunde, Ausbildungszentrum Schottenhof 2008 bis Anfang 2024 Kontakt www.hund-katz-pferd.at · ina_keckstein@hotmail.com
