eJournals mensch & pferd international 17/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art10d
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2025
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Forum: "Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen"

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Gerd Hölter
Es gibt nur wenige Menschen, die wie Prof. Dr. Ewald Isenbügel (im Folgenden auch E. I.) auf ein so facettenreiches, fast 90-jähriges Leben mit Pferden und anderen Tieren zurückblicken können. In einem längeren Gespräch geht der ehemalige Mitherausgeber der Mensch & Pferd international auf einige Aspekte seiner Erfahrungen und Forschungsarbeiten näher ein.
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mup 2|2025|69-73|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art10d | 69 Forum „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“ Ein Gespräch mit Ewald Isenbügel, einem ausgewiesenen Pferdeexperten, über ihre Haltung und den Einsatz in der Förderung Gerd Hölter Es gibt nur wenige Menschen, die wie Prof. Dr. Ewald Isenbügel (im Folgenden auch „E. I.“) auf ein so facettenreiches, fast 90-jähriges Leben mit Pferden und anderen Tieren zurückblicken können. In einem längeren Gespräch geht der ehemalige Mitherausgeber der Mensch & Pferd international auf einige Aspekte seiner Erfahrungen und Forschungsarbeiten näher ein. Sie beziehen sich zum einen auf die geschichtliche Entwicklung des Pferdes vom Beuteüber das Reittier bis zu seinem Einsatz in der Förderung und Therapie sowie auf seine besondere Haltung und Erziehung. Zum anderen auf Aspekte, die für eine heilpädagogisch-therapeutische Förderung von besonderer Bedeutung sind. Das Gespräch endet mit dem Plädoyer, jenseits aller fachspezifischen Erwägungen die Freude am Umgang mit einem so lebendigen Wesen nicht zu verlieren. Das mehrstündige Gespräch fand im November 2024 in dem Haus von Prof. Dr. E. Isenbügel in Greifensee bei Zürich statt. Zur Orientierung bei der Suche nach dem Haus empfahl mir der Hausherr, nach dem Porträtbild eines Löwen auf dem Tor der Doppelgarage Ausschau zu halten. Natürlich kann es bei dem langjährigen Veterinär des Züricher Zoos mit seinen zahlreichen Tierarten nicht nur um Pferde gehen, und ich habe tatsächlich das Haus mit Löwenblick auf den Greifensee schnell gefunden! Trotz seines reichhaltigen Forscherlebens zu und mit allen denkbaren Tieren von A wie Ameisenbär bis Z wie Zebra, haben wir uns als ehemalige Mitherausgeber von Mensch & Pferd international (MuP) trotz gelegentlicher Abschweifungen bemüht, unser gemeinsames Gespräch immer wieder auf Pferde und insbesondere auf ihren Einsatz in Heilpädagogik und Therapie zu konzentrieren. So ganz ist das nicht gelungen, da mich erst der Hund Loa (isländisch: der Goldregenpfeifer) freundlich bellend empfing und ich dann noch im Garten von Zwergseidenhühnern mit einem puschelähnlichen Federkleid begrüßt wurde. Der Hundename Loa verwies aber deutlich auf die intensive lebenslange Verbindung von Ewald Isenbügel zu Island hin, zu seiner Kultur und Sprache und auch zu Islandpferden, einer bis Mitte der 1960er- Jahre außerhalb von Island weithin unbekannten Pferderasse. Um unser Gespräch zu gliedern, hatte ich mir, vor dem Hintergrund der zahlreichen Publikationen von E. I. zu Pferden, vorgenommen, zunächst das Gespräch auf ihre art- und kulturgeschichtlichen Aspekte zu lenken. Danach wollte ich etwas mehr zu seinen Begegnungen mit Menschen und Pferden in allen Teilen der Welt erfahren. Im Mittelpunkt unseres Gesprächs standen aber ausgewählte Aspekte der Pferdehaltung und -erziehung, unter besonderer Berücksichtigung einer heilpädagogischtherapeutischen Förderung. Vom Wildpferd zum Nutztier und Gefährten Mir war nicht bekannt, dass Wildpferde in der Altsteinzeit z. T. systematisch über Felsabstürze getrieben wurden, um das Fleisch zum Verzehr zu nutzen. Das lässt sich gut aus eiszeitlichen Knochenfunden belegen. Das Wildpferd diente demnach sehr lange als Nahrungsquelle, bis im Zweistromland, dem heutigen Irak, zunächst nicht Pferde, sondern Halbesel (Onager) vor Kampfwagen gespannt wurden. Etwa zwischen dem 4. und 3. Jahrtausend vor Chr. wurden zunächst in den Steppen Russlands 70 | mup 2|2025 Forum: Hölter - „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“ Pferde für unterschiedliche Zwecke domestiziert: als Last-und Reittiere und vor allem auch für den kriegerischen Einsatz. Seit der Antike lassen sich auch die besonderen emotionalen Beziehungen zwischen Pferd und Reiter belegen. So beschreibt Xenophon (430-354 v. Chr.) in seinem Werk „Über die Reitkunst“ (350 v. Chr.), dass das Pferd nicht nur Nutztier, sondern auch Gefährte und Begleiter des Menschen sein könne. In dem Titel seiner Schrift wird deutlich, dass der Umgang des Menschen mit dem Tier als „Kunst“ verstanden wurde, also mit Sorgfalt und Einfühlungsvermögen verbunden war. In seiner romanhaften Biografie über Alexander den Großen, fast 400 Jahre später, beschäftigte sich Plutarch (45-125 n. Chr.) ausführlich mit dem bis heute bekanntesten Pferd der Antike, Bucephalos, dem „Ochsenköpfigen“. Folgt man der Legende, konnte es nur von Alexander selbst geritten werden, da es Angst vor den Schatten von Reitern und anderen Pferden hatte. Die Themen Angst und Überforderung werden uns später noch im Zusammenhang mit Pferdehaltung und -erziehung genauer beschäftigen. Auch in den altisländischen Sagas, vorchristlich zunächst nur mündlich überliefert, finden sich ähnliche Legenden: das Pferd ist eng nur mit einem Besitzer verbunden und die unberechtigte Nutzung durch andere Personen führte zu langen Rachegeschichten. Der Weg des Verhältnisses von Mensch und Pferd, vom Nutztier und Streitross zu einer emotional geprägten Beziehung, ist auch gut durch den in Stein gehauenen Leitspruch über einem Pferdestall in Pompeji belegt: „Vincas non vincas - te semper amamus“ (frei: „Du magst siegen oder auch nicht - wir lieben dich immer“). Als einschlägig gebildeter Karl May Leser ist mir aus den 1960er- Jahren auch noch das innige Verhältnis von Winnetou zu seinem Pferd Iltschi im Gedächtnis geblieben: es genügte ein nur leise geflüstertes Wort, um Iltschi gleichsam über die Prärie fliegen zu lassen. Bevor wir in unserem Gespräch näher auf die für Heilpädagogik und Therapie zentrale Frage der besonderen Mensch-Tier-Beziehung zu sprechen kommen, frage ich E. I. nach den prägenden Einflüssen für seine Berufswahl und das besondere Interesse an Pferden. Begegnung mit Menschen und Pferden - weltweit Die ersten Reiterlebnisse von E. I. waren Ritte auf Kaltblüter-Bauernpferden hinter dem Pflug und eine spätere Ausbildung auf Reitpferden in der Reitgesellschaft seines Vaters in Essen. Seine reiterlichen Fähigkeiten und sein Interesse an Tieren führten ihn nach Erfolgen im Dressurreiten und dem Erwerb der Reiterabzeichen u. a. zum Studium der Tiermedizin nach Hannover und Zürich. Nach seiner Promotion über das Islandpferd und als Tierarzt in verschiedenen Zoos in Deutschland sowie der Züricher Universität, übernahm er 1971 dort die Stelle als Zootierarzt, die er über 30 Jahre lang innehatte. Als Professor für Wildtiermedizin initiierte er im Zoo zahlreiche Forschungsprojekte. Mit dem Filmemacher und Autor Roland Blum zusammen realisierte er zudem zahlreiche Filme über Pferde und Reiterkulturen der Welt. Bei der Fülle von Projekten und Reisen in alle Welt mit dem Bezug zu einer Vielzahl von Tieren fällt es mir schwer, immer wieder den Faden zu unserem zentralen Gesprächsthema herzustellen. Bei der Breite und Vielfalt der Aktivitäten von E. I. haben die Beschäftigung mit Pferden und hier insbesondere mit Islandpferden sowie zahlreiche Reisen in das Land ihrer Herkunft immer eine zentrale Rolle gespielt. Aus reitfachlicher sowie aus heilpädagogischer und therapeutischer Sicht sind des Weiteren besonders seine lebenslange fachliche und freundschaftliche Verbundenheit mit der über 10 Jahre älteren Begründerin des Freizeitreitens in Deutschland, Ursula Bruns (1922-2016) und der fast gleichaltrigen Linda Tellington- Jones (*1937) aus den USA hervorzuheben. E. I. ist Ursula Bruns vor 70 Jahren zum ersten Mal begegnet, als er als junger Dressurreiter versuchte, den von ihr in Deutschland erstmalig eingeführten Islandpferden die Vielfalt an Gangarten auszutreiben und sie, wie damals bei Reitpferden üblich, auf Schritt, Trab und Galopp zu beschränken. Ursula Bruns war schon vor dem 2. Weltkrieg eine der wenigen Frauen mit Reitlehrerlizenz (! ) und vor allem eine erfolgreiche Autorin von zahlreichen Büchern für Kinder und Jugendliche, wobei auch heute noch vielen die mehrfache Verfilmung der „Mädchen vom Immensee“ bekannt sein dürfte. In der Folge wurde sie mit 48 Büchern und der Gründung der Zeitschrift „Freizeit im Sattel“ mit einer Auflage von fast 30.000 nicht nur in Deutsch- Forum: Hölter - „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“ mup 2|2025 | 71 land sehr bekannt. Sie gilt u. a. als Entdeckerin der Islandpferde als eine der Pferderassen, die in der Einfachheit der Haltung und der vielen reiterlichen Möglichkeiten besonders für das Freizeitreiten geeignet sind. Aus der ersten Begegnung mit Ursula Bruns „krempelte“ sie nach den Aussagen von E. I. sein Leben mit Pferden „um“, und es ergab sich in der Folge eine lebenslange Beziehung mit vielen gemeinsamen Forschungsreisen und Publikationen. Eine Reise mit ihr und mit seiner Frau führte E. I. u. a. 1970 in den Westwind-Stall von Linda Tellington-Jones nach Los Angeles, und auch in ihr fand er eine außergewöhnliche Partnerin für einen besonders artgerechten Umgang mit Pferden. Linda Tellington-Jones war als Autodidaktin zunächst eine sehr erfolgreiche Turnier und Distanzreiterin. Zusammen mit ihrem Mann, einem professionellen Militärreiter, unterhielt sie ab den 1960er-Jahren in Kalifornien einen eigenen Reitstall. Sie entwickelte dort, u. a. auch in der Arbeit mit geistig und körperlich behinderten Menschen, die Unterrichtsmethode TTEAM (Tellington-Jones Touch Equine Awareness Method), die bis heute weltweit in Kursen und Ausbildungsgängen gelehrt wird. Linda Tellington-Jones war wahrscheinlich auch mit den in etwa zeitgleich entstandenen Arbeiten von Anna Jean Ayres und Moshé Feldenkrais vertraut, deren Bücher „Sensorische Integration“ und „Bewusstheit durch Bewegung“ später weltweite Resonanz erfuhren. Zentrale Elemente dieser körperorientierten Verfahren wie auch der TTEAM sind die Bedeutung der elementaren Wahrnehmung und Stimulation („Propriozeption und vestibuläre Stimulation“) und die Entwicklung von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit („Awareness“) für körperliches Geschehen und hier insbesondere durch die Berücksichtigung von Berührung. Bis heute liegt allen drei renommierten BotschafterInnen einer pferdegestützten Förderung („equine assisted therapy“), die eng miteinander befreundet waren und sind, vor allem die respektvolle und partnerschaftliche Begegnung zwischen Mensch und Tier am Herzen. Ein Ausdruck dieser Grundhaltung findet sich u. a. in dem Geleitwort von E. Isenbügel in der ersten Ausgabe der MuP 2009 unter dem Titel „Von den Ansprüchen eines Therapiepferdes“. Auf den ersten Blick im Titel ein etwas ungewohnter Perspektivwechsel, der die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Befindlichkeiten der ReiterInnen oder AnleiterInnen richtet, sondern auch auf das Tier. Vom Respekt für die Bedürfnisse des Pferdes, seiner Haltung und Abb. 1-5: Einblicke in das Leben eines großen Pferdemenschen 72 | mup 2|2025 Forum: Hölter - „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“ Ausbildung und die besondere heilpädagogisch-therapeutische Situation wird in dem weiteren Teil unseres Gesprächs die Rede sein. Pferdehaltung und Erziehung Die im Folgenden genannten Gesichtspunkte beziehen sich auf den ersten Blick auf die Pferdehaltung allgemein, sie gelten aber gleichermaßen für Pferde, die in der heilpädagogisch-therapeutischen Förderung ausgebildet und eingesetzt werden. Als ersten Aspekt nennt E. I. hier die Notwendigkeit einer angemessenen Entwicklungs- und Ausbildungszeit. Er bemisst diese Zeitspanne zumindest auf vier, zwar nicht wie bei Voltigierpferden oder in der der Spanischen Hofreitschule sogar auf sechs Jahre, aber entscheidend ist die ausreichende funktionelle und psychologische Reife der Tiere, bevor sie allmählich den Belastungen als Freizeit-, Turnier- oder Therapiepferd ausgesetzt werden. E. I. beobachtet bei vielen Pferden leider schwerwiegende Anzeichen von Überforderung im Sinne von „zu früh, zu viel, zu schnell“, die einerseits wie beim Menschen in Symptomen eines Burn-Outs enden können oder auch in einer „erlernten Hilfslosigkeit“ mit Resignation und Angst, der Verweigerung von Futter und fehlender Motivation. Angemessen sind seiner Meinung nach Belastungszeiten von etwa 3 Stunden pro Tag, mit ausreichenden Pausen je nach Belastungsart wie Ausritte, Dressur, Springen oder dem Einsatz als Therapiepferd. Die Einzelstallhaltung widerspricht nach E. I. der Tatsache, dass Pferde vom Wesen eher soziale Wesen seien und die grundsätzlichen Bedingungen einer ausreichend guten Haltung Licht, Luft, Bewegung und Sozialkontakt sind. Pferde werden häufig auch vom langen Stehen und nicht von maßvoller Ausbildung und Nutzung krank. Dabei verkennt E. I. nicht, dass die Haltung in Gruppen freilaufender Tiere durchaus konfliktreich sein kann, wenn es z. B. um die Hierarchie innerhalb einer Herde geht. Dass E. I. besondere Sympathien für Islandpferde im cotherapeutischen Einsatz hegt, hat fachspezifische Gründe. Einmal ist das die angenehme Arbeitshöhe für die allenfalls unterstützenden TherapeutInnen, zum anderen die einfachere Haltung sowie die Kreiselbewegung in der Hüfte, wenn die Einschränkungen des Patienten den Tölt erlauben. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass über 60 % der Pferderassen weltweit laterale Bewegungsabläufe und Fußfolgen zeigen. Noch im ausgehenden Mittelalter waren auch in Europa weichgehende „Zelter“ (Tölter) weit verbreitet. Ein viel diskutiertes Thema ist der Einsatz von Pferden bei Demonstrationen, Volksfesten usw. U.a. Cortisolmessungen als Indikator für Stressbelastungen haben in Untersuchungen an der Pferdeklinik der Universität ergeben, dass sehr gut trainierte Pferde wie z. B. Polizei- oder Militärpferde mit diesem Stress angemessen umgehen können. Als bestes Beispiel einer pferdegerechten Ausbildung und eines respektvollen und gleichzeitig partnerschaftlichen Umgangs mit Pferden gilt für E. I. Fredy Knie jun., Pferdelehrer und gleichzeitig Direktor des Schweizer Nationalzirkus. Sein Kommunikationsstil mit Pferden zeichnet sich u. a. durch leise Kommandos, Modulation in der Stimme sowie durch Gestik und Körperhaltung und -spannung aus. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung lehnt E. I. erzwungene, nicht art- und entwicklungsgerechte Leistungen, wie es z. B. in den sog. Zweijährigen-Rennen im Rennsport und z. T. im Springreiten, besonders aber im Military und Crossreiten der Fall ist, ab. Begegnung, Partnerschaft und Respekt auf der Basis einer Eindeutigkeit und Klarheit in der Kommunikation haben für ihn im Umgang mit Tieren Priorität. Pferdespezifische Aspekte in Heilpädagogik und Therapie Mit Begegnung, Partnerschaft und Respekt sind die Leitideen für den besonderen Einsatz in besonderen Situationen und z. T. behinderten oder kranken Menschen schon benannt. Dabei handelt es sich um eine Erweiterung der ursprünglichen Zweierkonstellation in der Pädagogik um ein drittes lebendiges Element. E. I. bezeichnet das Pferd auch als Co-Therapeut; in der englischsprachigen Literatur wird in diesem Zusammenhang eher von Assistenz gesprochen. Wünschenswert für die Therapie ist dabei ein intuitives Einvernehmen von PädagogInnen, TherapeutInnen und Pferden. Situations- und artgerechtes Handeln setzt zum einen in reittechnischer Hinsicht hinreichende reiterliche Kompetenzen voraus, aber auch ein Wissen um die artgerechte Haltung und Erziehung. Damit die Interventionen in heilpädagogischer und therapeutischer Hinsicht ziel- und adressatengerecht eingesetzt werden können, sind darüber Forum: Hölter - „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“ mup 2|2025 | 73 hinaus hinreichende professionelle Kenntnisse in Heilpädagogik und / oder Therapie notwendig. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass gut ausgebildete Pferde auf die innere und äußere Verfassung von ReiterInnen reagieren. Dies bezieht sich besonders auf Kinder, aber auch auf Menschen mit erheblichen körperlichen und mentalen Einschränkungen. Mehr mit einem Schmunzeln berichtet E. I. von dem alle vier Jahre in Island stattfindenden Islandpferdetreffen Landsmót mit über 500 ReiterInnen, auf dem nicht nur geritten, sondern auch kräftig gefeiert wird. Das alte isländische Sprichwort, dass Kinder und Betrunkene sicher zu Pferde seien, mag sich hier sicher bei manchen TeilnehmerInnen bewahrheiten. Es scheint so zu sein, dass Pferde, ähnlich wie Menschen, besonders ausgeprägt in ihrer frühkindlichen Entwicklung über eine häufig außergewöhnlich hohe coenästhetische Wahrnehmung verfügen, d. h. das Verhalten und die Stimmungen von Personen sowie Umgebungseinflüsse wie Temperatur, Geräusche, Wetter- und Ortswechsel werden komplex wahrgenommen und wirken sich auf ihre Reaktion aus. Gegen Ende unseres Gesprächs verweist E. I. noch auf zwei Aspekte, die auch für Fördersituationen besonders bedeutsam erscheinen: der erste Aspekt lässt sich als das manchmal nur sehr kurze Gefühl der wortlosen Übereinstimmung zwischen Tier und Mensch in der gemeinsamen Bewegung beschreiben. In der neueren psychologischen Literatur wird dies häufig als „Flow-Erleben“ beschrieben, ein Momentum, das sich nicht nur in der Begegnung mit Tieren, sondern auch in anderen Lebenssituationen ereignen kann. Es meint die häufig sehr kurzfristige Verschmelzung von Mensch und Umgebung, die mit einem großen Glücksgefühl verbunden sein kann. Den zweiten Aspekt hebt E. I. in dem Titel einen französischsprachigen Fachbeitrags von 2011 besonders hervor: „Des plaisirs simples avec le cheval“ (frei: „Einfach Freude an dem Umgang mit dem Pferd haben“). Die Möglichkeit des Flow-Erlebens und das Grundempfinden der Freude sind beides Aspekte, die - bei aller Beschäftigung mit Pferdekultur, ihrer Haltung und Erziehung und ihrem Einsatz für vielfältige Zwecke - erhalten bleiben sollten. Zum Abschluss greife ich als Zitat die Teilüberschrift des gerade erwähnten französischen Artikels von 2011 auf: „J’ai vu tellement de choses et j’ai vécu tant d’expériences avec les animaux que j’estime qu’il est mon devoir d’en transmettre le plus possible“ (frei: „Ich habe so viele Dinge mit Tieren gesehen und erlebt, dass ich es als meine Pflicht ansehe, davon so viel wie möglich weiterzugeben“). Mit dieser Botschaft verlasse ich das bereichernde Gespräch mit Ewald Isenbügel und bedanke mich herzlich bei ihm. Loa verabschiedet sich mit isländischem Hundegebell und die Silhouette des Löwenkopfes auf dem Garagentor vermag ich auch im Dunkeln noch eine Weile lang auszumachen. Literatur ■ Swiss Life CSI (2002): „Das Pferd einfach Pferd bleiben lassen“. 15. Swiss Life CSI Zürich vom 31.1.-3.2.2002 ■ Nido, A.(2007): Zwei unermüdliche Botschafter für das Pferd - Ein Treffen mit Linda Tellington- Jones und Ewald Isenbügel. In: Kavallo 12, 68-71 ■ Frei, Thomas (2011): Des plaisirs simples avec le cheval. In: Bulletin 4, 11, 12-13 ■ Isenbügel, E. (1999): Vom Wildpferd zum Reitpferd. In: Tierärztliche Umschau 54, 484490 ■ Isenbügel, E. (2009): Von den Ansprüchen eines Therapiepferdes. In: Mensch und Pferd International 1, 8 ■ Isenbügel, E. (2019): Therapiepartner Pferd. In: Soehnle, A. & S. Lambrecht: Hippotherapie Heidelberg, Springer Der Autor Prof.em Dr. Gerd Hölter Mitherausgeber von MuP von 2009-2019 Kontakt Gerd.hoelter@aol.de