eJournals mensch & pferd international 17/2

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art11d
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Praxistipp: Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik (Teil 2/2)

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Maike Horend
Während sich der bereits in der letzten Ausgabe erschienene Teil meines UK-Beitrages schwerpunktmäßig mit den Grundlagen der Unterstützten Kommunikation und den Einsatzmöglichkeiten von Symbolen im Kontext pferdegestützter Interventionen beschäftigt hat, geht es in dem aktuellen Artikel um die Kommunikationsförderung mithilfe von sprechenden Tasten, dem Konzept der „Plauderpläne“ sowie um zahlreiche praxisbezogene UK-Ideen für den Einsatz im Stall - mit und auf dem Pferd.
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74 | mup 2|2025|74-82|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art11d Maike Horend Praxistipp Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik (Teil 2/ 2) Einsatz von sprechenden Tasten und UK-Praxistipps Während sich der bereits in der letzten Ausgabe erschienene Teil meines UK-Beitrages schwerpunktmäßig mit den Grundlagen der Unterstützten Kommunikation und den Einsatzmöglichkeiten von Symbolen im Kontext pferdegestützter Interventionen beschäftigt hat, geht es in dem aktuellen Artikel um die Kommunikationsförderung mithilfe von sprechenden Tasten, dem Konzept der „Plauderpläne“ sowie um zahlreiche praxisbezogene UK-Ideen für den Einsatz im Stall - mit und auf dem Pferd. Ganz nach dem Motto: Kommunikation immer und überall! Was sind sprechende Tasten? Sprechende Tasten sind den einfachen elektronischen Kommunikationshilfen zuzuordnen und bieten die Möglichkeit, Sprache aufzunehmen und zu speichern (s. Abb. 1). Durch Betätigung der Taste werden die vom Umfeld für die UK-Nutzer aufgenommenen Äußerungen abgerufen. Obwohl die sprachlichen Inhalte und auch die Reihenfolge vom Umfeld festgelegt werden, sind die Einsatzmöglichkeiten vielseitig. Es gibt eine große Auswahl an verschiedenen sprechenden Tasten auf dem Markt, die hinsichtlich folgender Aspekte stark variieren: Größe, Gewicht, Lautstärke, Aufnahmequalität, Aufnahmedauer, Auslösung und Preis. Ein weiteres sehr bedeutsames Kriterium ist die Aufnahmeoption in Sequenzen. Die einzelnen Teiläußerungen werden dabei nacheinander abgespielt, wobei jede Sequenz ein Drücken der Taste erfordert. Diese technische Möglichkeit besteht nur bei wenigen Tasten, wie bspw. einem Step-by-Step. Diese Taste ist ein anerkanntes Hilfsmittel und kann bei der zuständigen Krankenkasse beantragt werden - die Möglichkeit, Äußerungen in Abschnitte unterteilen zu können bringt einen überaus großen Mehrwert mit sich. Sprechende Tasten erfüllen zahlreiche kommunikative Funktionen: Die UK-Nutzer können das Ursache-Wirkungs-Prinzip erleben, erzählen, begrüßen, Fragen stellen, sodass nach und nach spielerisch der kommunikative Einsatz der Taste erlernt und erweitert werden kann. Unabhängig von der genutzten Taste werden die digitalen Äußerungen immer aus Sicht des Nutzers, also in der Ich- oder Wir-Form aufgenommen (z. B. „Ich bin heute auf Pony Franz geritten“ versus „Heute ist Leon auf Pony Franz Abb. 1: Exemplarische Auswahl von sprechenden Tasten: v.l. n.r. BIGmack, Step-by-Step, sprechende Klammer, Big-Point Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 2|2025 | 75 geritten“) und sollten immer im Beisein des Nutzers erfolgen (s. Abb. 2). Versetzen Sie sich beim Besprechen der Tasten in die Situation des Nutzers und überlegen Sie vorab: „Was würde die nicht-sprechende oder lautsprachlich stark beeinträchtigte Person in dieser konkreten Situation wohl gerne sagen? “ Mit welchen Äußerungen könnten sprechende Tasten in der Reittherapie und -pädagogik besprochen sein? Was sind „Plauderpläne“? Das Konzept der „Co-Planned Sequenced Social Scripts“ nach Caroline R. Musselwhite und Linda Burkhart ermöglicht mithilfe einer sprechenden Taste in vielen alltäglichen Situationen Erfahrungen rund ums „Gespräche-Führen“ zu machen. Ziel ist es, Kommunikation als lustbetont, motivierend zu erleben und Gespräche selbst initiieren und mitgestalten zu können. Plauderpläne sind geplant und durch einen strukturierten Gesprächsaufbau gekennzeichnet, der sich für Kommunikationsmuster wie Aufgaben stellen, von Erlebnissen berichten, Witze erzählen etc. eignet. Voraussetzung für die Umsetzung eines Plauderplans ist eine sprechende Taste, die Aufnahmen in Sequenzen ermöglicht! Um effektive, vielfältige, fortlaufende und kreative Kommunikationserfahrungen zu ermöglichen, ist die typische Struktur eines Plauderplans zu beachten (Prentke Romich Deutschland GmbH): ■ Aufmerksamkeit erregen / Einstiegsfloskeln ■ Themenstarter ■ Fortsetzungsfloskeln / Gesprächsfluss in Gang halten ■ Sprecherwechsel bewirken ■ Gespräch beenden / Abschlussfloskeln In den folgenden Tabellen 1 und 2 finden Sie zwei Plauderplan-Beispiele aus dem Kontext der Reittherapie und Reitpädagogik: Abb. 2: Beispielhafte Sprachaufnahmen für sprechende Tasten im Kontext pferdegestützter Interventionen (METACOM-Symbol © Annette Kitzinger) Interaktion steuern beim Reiten: „Erstmal reiten wir langsam eine Runde und dann ganz schnell! “ Begrüßung PI- Kraft / Fragen stellen: „Servus! Ich hoffe, es geht dir gut! Mit welchem Pferd machen wir denn heute etwas? “ Startzeichen beim Reiten geben: „Auf die Plätze, fertig, los! “ Vorlesen des Stundenablaufes: „Heute haben wir folgendes vor: Erst holen wir Franz von der Weide, dann putzen wir ihn, dann bauen wir einen Parcours auf, dann reiten wir den Parcours und am Schluss geben wir Franz noch sein Fressen.“ Anfangs- oder Abschlusslied abspielen (Aufnahme des gesamten Liedes, des Refrains, sequenzielle Aufnahme der Strophen) Begrüßung des Pferdes/ Fragen stellen: „Hallo, Pony Franz! Hier bin ich mal wieder! Wie geht es dir denn heute? “ 76 | mup 2|2025 Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik Tabelle 1: Beispiel Aktionsplauderplan „Futter zubereiten“ Kommunikative Funktion Sprachaufnahmen in Sequenzen Aufmerksamkeit erregen / Einstiegsfloskeln * So, nun geht es weiter! * Wisst ihr schon, was wir jetzt machen? Themenstarter * Nun bereiten wir das Futter von Franz vor! * Kannst du mir dabei helfen? Fortsetzungsfloskeln / Sprecherwechsel * Lass uns mal überlegen, was wir alles brauchen. * Also, zuerst brauchen wir die Schüssel. * Da kommt ein bisschen Hafer rein. * Und nun noch ein bisschen Leinöl. * Das sieht ja schon ganz gut aus. Was meinst du? * Aber wo ist denn das Mineralfutter? * Jetzt alles gut umrühren. * Mmmm, ich glaube das wird Franz schmecken, oder was sagst du? Beenden / Abschlussfloskeln * So, jetzt geht es gleich los…! * Da läuft Franz bestimmt schon das Wasser im Maul zusammen. * Was ist denn eigentlich DEIN Lieblingsessen? Tabelle 2: Beispiel Gesprächsplauderplan „Erzählen von der Reittherapiestunde“ Kommunikative Funktion Sprachaufnahmen in Sequenzen Aufmerksamkeit erregen / Einstiegsfloskeln * Warte doch mal kurz! * Ich würde dir gerne was erzählen. * Hast du mal ’ne Minute? Themenstarter * Ich komme nämlich gerade wieder vom Pferdehof! * Willst du hören, was ich da gemacht habe? Fortsetzungsfloskeln / Sprecherwechsel * Ich hatte heute Kärtchen mit Bildern und konnte damit ganz viel sagen! * Was auf den Karten drauf war? * Ich konnte „Halt! “, „los! “, „rechts“, „links“, „schnell“ und „langsam“ sagen. * Rate doch mal, welches mein Lieblingswort war. * Mein Lieblingswort war „schnell“, denn schnell reiten ist voll lustig! * Bist du auch schon mal geritten? Beenden / Abschlussfloskeln * Nächste Woche gehe ich da wieder hin und hoffe, dass ich ganz oft schnell reiten darf. * Vielleicht kannst du ja mal mitkommen und zuschauen. Das wäre schön! Auch wenn die Plauderpläne inhaltlich sehr komplex erscheinen und aufgrund eines eingeschränkten Sprachverständnisses ggf. nicht in voller Gänze verstanden werden, vermitteln Sie den nutzenden Personen zahlreiche positive Kommunikationserfahrungen. Aufmerksamkeit, Zuwendung erleben und vermitteln Plauderpläne sind auch für unerfahrene UK-NutzerInnen geeignet und lassen Aufmerksamkeit, Zuwendung und soziale Nähe erleben. Sie ermöglichen die Teilhabe an Gesprächen und Aktivitäten, den Austausch von Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 2|2025 | 77 Informationen und den Aufbau erster kleiner Dialoge. Wie kann eine Auswahlfähigkeit mit Tasten angebahnt werden? Durch den Einsatz von zwei Tasten kann die Fähigkeit zur Auswahl angebahnt und gefördert werden (s. Abb. 3). Die beiden Auswahlmöglichkeiten können sich darauf beziehen, ■ ob eine Handlung wiederholt oder beendet werden soll („nochmal“ / „fertig“), ■ welche Handlung ausgeführt werden soll (z. B. „Heu füttern“ / „Karottenstück“, „vorwärts reiten“ / „rückwärts reiten“, „über die Stange reiten“ / „um die Pylone reiten“) ■ bzw. wie die Handlung ausgeführt werden soll (z. B. „langsam“ / „schnell“, „allein“ / „zusammen“). In der Praxis hat sich als wertvoll erwiesen, in der Anbahnungsphase einen neutralen und einen sehr positiven Reiz anzubieten. Achten Sie zu Beginn der Aktivitäten darauf, dass nach Drücken der Taste und der Sprachausgabe eine unmittelbare Reaktion des Umfeldes erlebt werden kann. So wird der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang eindeutig erfahrbar. Sinnvoll ist die optionale Auswahl von Aktivitäten, die mehrfach bzw. möglichst häufig wiederholt werden können („schnell reiten“ / „langsam reiten“ mit Stoppen der Aktivität nach einigen Schritten versus Auswahl des Pferdes für die gesamte Therapieeinheit). Die oftmals angestrebte Fähigkeit zur Ja- Nein-Kommunikation ist eine komplexe kognitive Leistung. Ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung zum „Ja“ und „Nein“ ist die bei intentionalen Fragen sichere Auswahl aus zwei verschiedenen Alternativen. ■ „Willst du eine Karotte füttern oder einen Apfel? “ ■ „Möchtest du reiten oder führen? “ Hierbei ist die Beantwortung der Frage nach einem Gegenstand einfacher als die nach einer Handlung. Wie können UK-Hilfsmittel bei Aktivitäten mit und auf dem Pferd zugänglich gemacht werden? Die Kommunikationshilfen sollten bei allen Tätigkeiten im Rahmen der reittherapeutischen und reitpädagogischen Angebote erreichbar und nutzbar sein. Eine Rolle aus einer Teppichfliese, die über den Unterarm geschoben wird, hat sich im praktischen Einsatz sehr bewährt (s. Abb. 4). Beim Führen des Pferdes, Putzen, Herrichten und Füttern stehen die mit einem Klettpunkt versehenen laminierten Symbolkarten auf der Arm-Rolle stets zur Verfügung und stören bei den gemeinsamen Abb. 3: Anbahnung von Auswahl mit 2 Tasten ( METACOM- Symbole © Annette Kitzinger und Symbole www. seppiswelt.de) Abb. 4: Arm-Rolle aus Teppichfliese mit Symbolen 78 | mup 2|2025 Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik handlungsorientierten Aktivitäten nicht. Die Anzahl des zur Verfügung gestellten Vokabulars kann schnell variiert und spontan an die jeweilige Situation angepasst werden. Bei der Befestigung von UK-Hilfen auf dem Pferd eignet sich ebenfalls eine Teppichfliese, die auf einem Voltigierpad vor dem Gurt befestigt werden kann (s. Abb. 5 und 6). Selbst einfache elektronische Kommunikationshilfen geringen Gewichtes, wie sprechende Tasten, können recht sicher mit robustem Industrie-Klett an der Teppichfliese fixiert werden. Ggf. bedarf es bei schweren und größeren UK- Hilfsmitteln, wie bspw. einem QuickTalker, noch einer weiteren Sicherung / Stabilisierung durch ein Klettband, das bei Bedarf schnell geöffnet werden kann, um ein Hängenbleiben der reitenden Person und Verletzungen zu vermeiden. Das Tagebuch für die Reittherapie Die Gestaltung eines Tagebuchs ermöglicht zahlreiche Kommunikations- und Gesprächsanlässe. So können die gemeinsamen Stunden mit Unterstützung von Symbolen, Fotos, Zeichnungen und Schrift festgehalten und reflektiert werden, sodass die UK-Nutzer anderen Personen über das Erlebte berichten können. Ggf. dient das Tagebuch auch als zeitliche Orientierungshilfe bezüglich bereits erfolgter Reittherapieeinheiten, einer Therapiepause oder des geplanten Therapieendes Therapieendes (s. Abb. 7 und 8). Wie kann UK vermittelt werden? Menschen mit UK-Hilfen lernen nicht von selbst unterstützt zu kommunizieren. Die Abhängigkeit der nichtsprechenden Personen von ihren primären Bezugspersonen ist groß und die Entwicklung von kommunikativen Kompetenzen erfordert einen liebevollen und stabilen Kontakt zu Bezugspersonen und geeignete Lebens- und Förderbedingungen. Laut Nonn (2011, 122 ff) umfasst ein differenziertes Behandlungskonzept 5 Bereiche: 1. Arbeit im Kernteam (UK gehört an den runden Tisch) 2. Modellorientierte Entwicklungsförderung von Kommunikation, Kognition und Sprache 3. Einsatz elektronischer Hilfsmittel 4. Förderung schriftsprachvorbereitender Fähigkeiten 5. Gestaltung der Interaktion (Vermittlung von Partnerstrategien, Kommunikation rund um die Uhr, Beachtung der kindlichen Aufmerksam- Teppichfliesen und Klett in jeglicher Form (Punkte, Streifen, Industrie-Klett) sind günstig in der Anschaffung und äußerst vielseitig in der UK-Förderung einsetzbar. Tipp Abb. 5 & 6: Step-by-Step und Symbolkarten auf Voltigierpad mit Teppichfliese (Symbole: www. seppiswelt.de) Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 2|2025 | 79 keitsausrichtung, der Führung des Kindes folgen, positive Verstärkung aller Kommunikationsversuche und Modellierungsstrategien) Was ist Modelling? Eine von vielen Modellierungsstrategien ist das Prinzip des kontinuierlichen Modellings der alternativen Kommunikationsform. Dabei nutzt das Umfeld die alternative Kommunikationsform mit und dient somit als Vorbild. So lernen die UK-Nutzer ihre Kommunikationshilfen in der Verständigung mit anderen Menschen einzusetzen. Es geht beim Modell-Sein um die Vermittlung von Lexikon und Pragmatik. Es wird gezeigt, WO der benötigte Wortschatz zu finden ist und WIE dieser dargestellt ist (lexikalische Ebene). Hierbei ist das Konzept von Kern- und Randvokabular zu beachten (s. Artikel 1 / 2025). Besonders bedeutend ist der pragmatische Aspekt, nämlich WIE kann der erlernte Wortschatz unter Berücksichtigung der verschiedenen Kommunikationsfunktionen eingesetzt und verwendet werden? Beim handlungsbegleitenden Sprechen unterscheidet Nonn zwei (2011, 126), Self Talk und Parallel Talk. Beim Self Talk, den sog. „Selbstgesprächen“ begleitet die Bezugsperson die eigenen Handlungen und Wahrnehmungen sprachlich. Zum Beispiel kommentiert die Reittherapeutin beim Putzen des Pferdes: „Heute bist du aber wieder dreckig, Franz. Da werden wir wohl eine Weile putzen müssen! “ und zeigt in der UK-Förderung parallel dazu auf die Bildsymbole „dreckig“ und „putzen“. Aus der persönlichen Perspektive werden Anteile der eigenen Äußerungen gemodelt. Beim Parallel Talk werden die Handlungen, Gefühle und Wünsche des UK-Nutzers aufgegriffen und beschrieben. Zum Beispiel sagt die Reittherapeutin: „Du hast ja schon einen Apfel in der Hand. Du darfst Franz den Apfel jetzt geben“ und zeigt parallel auf die Bildsymbole „jetzt“ und „geben“. Somit werden die sprachlichen Inhalte aus der Perspektive der UK-Nutzer gemodelt (s. Abb. 9). Es wird nicht alles gemodelt, was gesagt wird, sondern zunächst nur Einzelwörter. Nach und nach kann dann mit zunehmenden Fähigkeiten der UK-Nutzer langsam expandiert werden. Bei der Auswahl der zu modellierenden Äußerungen kann sich das Umfeld entweder an der Abb. 7: Tagebuch als Kommunikationsanlass Abb. 8: Reflexion der Therapieeinheit (Symbole: www.seppiswelt.de und METACOM- Symbole © Annette Kitzinger) 80 | mup 2|2025 Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik jeweiligen Situation orientieren oder an Fokuswörtern, die situationsunabhängig sind und im Team gemeinsam festgelegt werden. Übergreifend ist auch hier das Konzept des Kernvokabulars zu beachten (s. Artikel letzte Ausgabe). Der gewünschte erfolgreiche Einsatz einer Kommunikationshilfe erfordert unter anderem unser Vorbild und Wiederholungen. Die Entwicklung eines Symbolverständnisses ist einem längeren Prozess unterworfen, da zahlreiche für die Kommunikation erforderlichen Äußerungen schwer darstellbar sind und die Bedeutung dieser Symbole erst erlernt werden muss. Dabei ist Vorschussvertrauen und Geduld notwendig, denn das Umfeld ist Vorbild, ohne zunächst bestimmte Handlungen / einen zielgerichteten Einsatz der Kommunikationshilfe vom Nutzer zu erwarten. Um Modell sein zu können, muss das Umfeld die UK-Sprache selbst beherrschen. Exkurs: Strukturierung durch den TEACCH-Ansatz Der Einsatz von Fotos und Symbolen kann nicht nur der Verbesserung expressiver kommunikativer Kompetenzen dienen, sondern bietet einem großen Personenkreis auch Menschen ohne UK-Bedarf - im Kontext pferdegestützter Interventionen eine wichtige Orientierung, erleichtert Verstehen, vermittelt Sicherheit und beeinflusst somit Emotionen und Verhalten positiv. Der TEACCH-Ansatz wurde ursprünglich für Menschen aus dem Autismus-Spektrum entwickelt, kann aber auch für Menschen außerhalb dieses Personenkreises sehr nutzbringend und hilfreich sein. TEACCH steht für „ T reatment and E ducation of A utistic and related C ommunication handicapped CH ildren“ und bezeichnet einen pädagogisch-therapeutischen Ansatz, der Mitte der 1960er-Jahre an der Universität North Carolina entwickelt wurde. „Unter Berücksichtigung besonderer Lernstile von Menschen mit Autismus wird die Lern- und Lebensumwelt so gestaltet, dass der Betreffende sich zurechtfinden und seine Kompetenzen einbringen bzw. erweitern kann“ (Häußler 2008, 11). Häußler weist ausdrücklich darauf hin, dass dieser Ansatz nicht einfach mit „Strukturierung“ gleichzusetzen ist und der Komplexität dieses Konzeptes nicht gerecht wird und nur eins von insgesamt neun Prinzipien darstellt. Neben den Prinzipien „Autismus erkennen und verstehen“, „Partnerschaft mit den Eltern“, „Streben nach dem Optimum, nicht Heilung“, „individuelle Diagnostik als Basis für individuelle Förderung“, „Ganzheitlichkeit“, „kognitive Psychologie und Lerntheorie“, „Orientierung an den Stärken“, „langfristig angelegte Hilfen“ lautet ein weiteres Prinzip „Strukturierung der Fördersituation“ („Structured Teaching“). Laut Häusler erfordert die Praxis Training und regelmäßige Begleitung, „damit aus Struktur nicht Starrheit und aus Strukturierung kein Selbstzweck wird“ (Häusler 2008, 9). Die Strukturierung und Visualisierung von ■ räumlichen, ■ zeitlichen und ■ inhaltlichen Aspekten bietet einen verlässlichen Rahmen, erleichtert die Orientierung, vermeidet Missverständnisse und dient als Hilfe zum Verstehen und Handeln. Abb. 9: Vorbild sein - ein Aspekt des Modellings Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik mup 2|2025 | 81 Die Maßnahmen der Strukturierung beziehen sich zum einen auf die Gestaltung der Umwelt, zum anderen auf die Gestaltung von Abläufen und lassen sich effektiv in das Setting pferdegestützter Interventionen integrieren. Die räumliche Gestaltung bezieht sich auf Personen / Tiere, Aktivitäten und Gegenstände und kann auch im Stall gut mittels Fotos und Symbolen, Markierungen am Boden oder Strukturierung durch markierte Tore umgesetzt werden. Beispiele für die Umsetzung sind: ■ Wo hängt das Halfter von Pferd XY (s. Abb.10)? ■ Wo gehört der Besen hin? ■ Wo gehört das Putzzeug rein (s. Abb. 11)? ■ Wo ist der Putzplatz? ■ Wo ist der Wartebereich? Die Strukturierung von Zeit bezieht sich auf die Abfolge von Ereignissen und die Zeitdauer. Die Abfolge von Ereignissen kann mithilfe eines einfachen Erst-dann-Ablaufs oder eines komplexeren Ablaufplans (s. Abb. 12) verdeutlicht werden. Hierbei ist der Einsatz von funktionalen und stellvertretenden Objekten, Miniaturen, Fotos, Symbolen oder Schrift möglich. Wichtig ist hierbei auch die Visualisierung der verstrichenen Zeit in Form einer „Fertig-Box“ o. ä., der Markierung, dem Durchstreichen oder Umdrehen eines Symbols (s. Abb. 13). Abb. 10: Strukturierung von Raum „Halfter“ Abb. 11: Strukturierung von Raum „Putzkasten“ Abb. 12: Strukturierung von Zeit: „Ablaufplan der Reittherapieeinheit“ mit Symbolen Abb. 13: Am Therapiegurt befestigte „Klettwurst“ mit „Fertig-Tasche“ 82 | mup 2|2025 Praxistipp: Horend - Unterstützte Kommunikation (UK) in der Reittherapie und Reitpädagogik Die Vermittlung der Zeitdauer kann mithilfe von Sanduhren, Eieruhren oder eines All-turn-it- Spinners erfolgen. Bei der Strukturierung von Aufgaben unterstützen Aufgabenpläne in Form von übersichtlich gestalteten „To-do-Listen“ unterschiedlicher Komplexität und unterschiedlichen Abstraktionsniveaus. Darzustellende Aspekte sind Inhalt der Arbeit (Was ist zu tun? ), Menge der Arbeit (Wie viel ist zu tun? ), evtl. Reihenfolge der Arbeit, Ende der Arbeit (Wann bin ich fertig? ) und Motivation der Arbeit (Was kommt danach? ). Abschließende Gedanken: All die aufgeführten Beispiele und Ideen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten Unterstützte Kommunikation im Kontext pferdegestützter Interventionen einzubinden. Im Rahmen reittherapeutischer und reitpädagogischer Angebote kommt selbstverständlich auch der analogen Kommunikation zwischen Menschen und Pferd eine große Bedeutung zu. Das motivierende Setting, das gemeinsame Tun und Erleben in der Triade kann hervorragend für eine multimodale Förderung der Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit unserer Klientinnen und Klienten genutzt werden. Die UK- Maßnahmen können nichtsprechende bzw. lautsprachlich schwer beeinträchtigte Menschen sehr dabei unterstützen, auch außerhalb der pferdegestützten Interventionen mehr Teilhabe und Autonomie entwickeln und erleben zu können. ■ UK benötigt Zeit, Geduld, Vorschussvertrauen, Zutrauen, Fachwissen … ■ UK macht viel Spaß und ist für alle Beteiligten äußerst bereichernd. Beim Entdecken der damit verbundenen Entwicklungschancen und neuer Perspektiven in der Förderung wünsche ich viel Freude und Erfolg! Literatur ■ Häußler, U. (2008): Der TEACHH Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus, Einführung in Theorie und Praxis. BORGMANN MEDIA, Dortmund ■ Musselwhite, C., Burkhart, L. (2001): Can we chat? Co-planned sequenced social scripts, https: / / www.crisoregon.org/ site/ handlers/ filedownload.ashx? moduleinstanceid=348&dataid=3 07&FileName=social_scripts.pdf, 30.11.2024 ■ Nonn, K. (2011): Unterstützte Kommunikation in der Logopädie. Forum Logopädie, Thieme 2011, Stuttgart, 122-140 ■ Prentke Romich Deutschland: Faltblatt BIGmack und Co, https: / / www.prentke-romich. de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 01/ Faltblatt-Bigmack-und-Co-A4-WEB.pdf, 30.11.2024 ■ Prentke Romich Deutschland: Faltblatt Plauderpläne, https: / / www.prentke-romich.de/ wp-content/ uploads/ 2020/ 10/ Faltblatt-Plauderplaene-A4-Screen.pdf, 30.11.2024 Die Autorin Maike Horend Logopädin, UK-Coach, Medizinprodukteberaterin, Reittherapeutin (IPTh) Kontakt Märzenbachweg 49 · 87600 Kaufbeuren m.horend@prentke-romich.de