eJournals mensch & pferd international 17/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art15d
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2025
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Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings Teil 2

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2025
Johanna Friesenhahn
Im vorliegenden Artikel wird eine explorative Prozessforschung zusammenfassend dargestellt, die die Anwendbarkeit der generischen Prinzipien als allgemeine Wirkprinzipien für das pferdegestützte Setting untersucht. Die empirische Erhebung umfasst 6 Fallstudien zu Coachingprozessen, wobei jeweils die Perspektiven von Coach und Coachee mithilfe eines mixed-methods Design detailliert untersucht werden. Daraus werden das triadische Wirkmodell sowie das Prozessmodell pferdegestützten Coachings abgeleitet, welche sowohl für Wissenschaft als auch Praxis Anknüpfungspunkte zur weiteren Untersuchung und praktischen Umsetzung bieten.
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104 | mup 3|2025|104-112|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art15d Dr. Johanna Friesenhahn Schlüsselbegriffe: Wirkfaktoren, pferdegestütztes Coaching, empirische Untersuchung, Triade, Wirkmodell, Prozessmodell Im vorliegenden Artikel wird eine explorative Prozessforschung zusammenfassend dargestellt, die die Anwendbarkeit der generischen Prinzipien als allgemeine Wirkprinzipien für das pferdegestützte Setting untersucht. Die empirische Erhebung umfasst 6 Fallstudien zu Coachingprozessen, wobei jeweils die Perspektiven von Coach und Coachee mithilfe eines mixed-methods Design detailliert untersucht werden. Daraus werden das triadische Wirkmodell sowie das Prozessmodell pferdegestützten Coachings abgeleitet, welche sowohl für Wissenschaft als auch Praxis Anknüpfungspunkte zur weiteren Untersuchung und praktischen Umsetzung bieten. Zwei schulenübergreifende Wirkmodelle Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings Teil 2 Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings mup 3|2025 | 105 Im vorangegangenen, ersten Teil dieses Fachartikels wurde bereits aufgezeigt, wie wichtig eine theoretische Fundierung pferdegestützten Coachings zur weiteren Professionalisierung ist. Damit einher geht auch die Notwendigkeit der systematischen Wirksamkeitsforschung. Als ein schulenübergreifender theoretischer Anknüpfungspunkt wurden die generischen Prinzipien vorgestellt, welche bereits im Coaching- und Psychotherapiekontext untersucht wurden und als allgemeine Wirkprinzipien verstanden werden können. Diese wurden schließlich auf das Setting pferdegestützten Coachings übertragen. Der vorliegende zweite Teil des Fachartikels beschreibt nun eine erste empirische Untersuchung der generischen Prinzipien als allgemeine Wirkfaktoren pferdegestützter Arbeit. Hierbei wird das Dissertationsprojekt der Autorin an der Universität Heidelberg (2012-2016) stark zusammengefasst dargestellt. Für weitere Details wird daher häufiger auf Friesenhahn (2017) verwiesen. Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird das mixed-methods Studiendesign skizziert, das quantitative und qualitative Forschungsmethoden kombiniert. Im Anschluss werden wesentliche Forschungsergebnisse der Untersuchung bezüglich der Anwendung der generischen Prinzipien zusammengefasst. Abschließend werden daraus ein triadisches Wirkmodell sowie ein Prozessmodell abgeleitet, welche als theoretischen Bezugsrahmen weitere Forschungen anregen sollen. Auch aus praktischer Sicht bietet es hilfreiche Ansatzpunkte, um Coachingprozesse zu planen, Interventionen zu begründen und Orientierung im komplexen Prozess zu geben. Studienaufbau und Forschungsmethodik Das Ziel dieser Untersuchung war es, eine erste wissenschaftlich fundierte Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings anzustreben. Dazu wurde zunächst in einer theoretischen Auseinandersetzung ein geeigneter Bezugsrahmen entwickelt (s. erster Teil des Artikels), der dann anhand von Fallstudien pferdegestützten Coachings empirisch überprüft wurde. Die empirische Untersuchung umfasst insgesamt sechs Coaching-Fälle mit inhaltlich unterschiedlichen Anliegen (Selbstreflexion, Führungsstils, Burnout-Nachsorge), deren Prozessdauer von einer bis fünf Stunden reichte. Die Auswahlkriterien für die teilnehmenden Coaches bestanden in einer Qualifikation als Coach, einer Zusatzqualifikation für den Pferdeeinsatz sowie der Durchführung von Einzelcoachings, um die Interaktion detailliert untersuchen zu können. Die Akquisephase von Studienteilnehmenden erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Anfrage zur Teilnahme am Forschungsvorhaben wurde über einschlägige Netzwerke pferdegestützten Coachings sowie über den Newsletter eines Coaching-Verbands und einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Für die Coachees gab es keine einschränkenden Auswahlkriterien. Diese wurden durch die teilnehmenden Coaches selbst akquiriert. Die Forschungsfragen fokussierten sowohl die Interaktion in der Triade (Beziehungsdreieck aus Coach, Coachee und Pferd) als auch die Umsetzung der Synchronisation als basales Wirkprinzip. Folgende Erhebungsinstrumente wurden in einem mixed-methods Forschungsdesign trianguliert (s. Abb. 1): ■ Quantitative Fragebögen: In Anlehnung an bestehende Stundenbögen (z. B. Krampen 2002) wurde ein eigener Fragebogen zur Analyse der Synchronisation konstruiert. Er umfasst in der Version „Coach“ 28 Items, in der Version „Coachee“ 27 Items und wird nicht klassisch nach Performanz ausgewertet, sondern nach dem Maß der Übereinstimmung zwischen dem jeweiligen Coach- und Coachee-Paar. Nach jeder Coaching- Sitzung schätzen Coach und Coachee mithilfe des Stundenbogens die Synchronisation und die Unterstützung der Pferde ein. ■ Qualitative Videoanalyse: Zwei bis drei videografierte Sequenzen der pferdegestützten Interventionen werden pro Fall einer qualitativen Segmentierungsanalyse unterzogen (Dinkelaker 2009, 59). 106 | mup 3|2025 Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings ■ Quantitative Videoanalyse: In Anlehnung an Honermann et al. (1999) werden die rein gesprächsbasierten Anteile der Coachingsitzungen mithilfe eines eigens entwickelten Ratinginventars hinsichtlich der Synchronisation minutengenau eingeschätzt und analysiert. ■ Qualitative Interviews: Drei Monate nach Abschluss der Coachingprozess werden alle Studienteilnehmer einzeln interviewt. Dabei werden ihnen Videoausschnitte gezeigt, die sie mit ihren damaligen Gefühlen und Gedanken kommentieren (sog. Selbstkonfrontationsinterview) (Breuer 1995). Jedes Interview dauert etwa 1,5 Stunden. Sie wurden inhaltsanalytisch nach Mayring ausgewertet (2002). Zur genauen Operationalisierung und Konstruktion der Stundenbögen, des Ratinginventars und der Interviewleitfäden sei auf Friesenhahn (2017, 242 ff) verwiesen. Auf diese Weise konnten sechs prozesshafte Fallstudien umfangreich exploriert werden und Zusammenhänge zur Wirksamkeit im Prozess, nicht nur zur Effekten nach dem Coaching, untersucht werden. Die qualitative Sozialforschung strebt an, den Gegenstand in seinem Kontext und seiner Individualität zu verstehen. Dabei dienen Fallanalysen zur Untersuchung von Einflussfaktoren und Interpretation von Zusammenhängen. Es werden also detaillierte Einzelfallanalysen anstatt großer Stichproben angestrebt (Lamnek 2010, 272 ff.; Mayring 2002, 41 f.). Die Datenbasis wurde sowohl fallbezogen als auch fallvergleichend statistisch und inhaltsanalytisch ausgewertet, wobei die gängigen Gütekriterien qualitativer und quantitativer Sozialforschung beachtet wurden (Friesenhahn 2017, 304 ff). In der Untersuchung der Art der Unterstützung von Pferden im Coaching eignen sich qualitative und explorative Untersuchungsmethoden besonders, das heißt z. B. Interviews und Segmentierungsanalyse, da bislang keine spezifischen Theorien und kaum fundierte Forschungsergebnisse vorliegen, auf Basis derer sich spezifische quantitative Instrumente hätten entwickeln lassen können. Ausgewählte Studienergebnisse zur Umsetzung der generischen Prinzipien im pferdegestützten Setting Im ersten Teil dieses Artikels wurden die generischen Prinzipien als mögliche schulenübergreifende, allgemeine Wirkprinzipien dargestellt, die es ermöglichen, eine einheitliche theoretische Fundierung pferdegestützten Coachings zu etablieren. Dabei sind sie zum einen flexibel genug, um schulenübergreifend in unterschiedlichen Kontexten angewandt zu werden und andererseits geben sie als Metamodell Orientierung im praktischen Tun. Die generischen Prinzipien umfassen zusammengefasst folgende Aspekte in einem Coaching- oder Therapieprozess (Schiersmann et al. 2015, 26 ff; Haken / Schiepek 2010, 437 ff): ■ Synchronisation: gegenseitiges Verständnis, tragfähige Beziehung, Timing ■ Musteridentifikation: problemerhaltende Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster analysieren ■ Sinnbezug: Intervention passend zum Kontext und Ziel Abb. 1 prozessorientiertes Forschungsdesign (Quelle: eigene Darstellung) Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings mup 3|2025 | 107 ■ Energetisierung: Veränderungsmotivation fördern ■ Destabilisierung: bestehendes Muster aufweichen, Veränderung fördern ■ Symmetriebrechung: Selbstorganisation des neuen Musters Richtung Ziel ■ Restabilisierung: neues Muster üben, wiederholen und festigen Nachdem deren Transfer auf das pferdegestützte Setting theoretisch stattgefunden hat, soll der Fokus nun auf der empirischen Untersuchung der tatsächlichen Umsetzung liegen. Dabei fällt insgesamt auf, dass in sämtlichen untersuchten Fällen die meisten Prinzipien implizit umgesetzt wurden. Synchronisation auf emotionaler Ebene Synchronisation findet zum einen zwischen Coach und Coachee statt und zum anderen in der Person selbst zwischen kognitiver und emotionaler Ebene. Hierunter fallen daher Aspekte wie Empathie, Vertrauen und Sicherheit. Aus den Interviews geht hervor, dass die Beobachtung der emotionalen Reaktionen der Coachees nach den pferdegestützten Interventionen das empathische Gespür der Coaches unterstützte. Es fiel ihnen leicht sich in den emotionalen Zustand hineinzuversetzen. Im ersten und zweiten Fall wurden die Pferde als „emotionale Anzeiger“ beschrieben, da die Reaktionen der Pferde, z. B. wenn sie sich plötzlich neben die Klient: innen stellten, als Hinweis auf eine hohe Emotionalität der Klient: innen interpretiert wurden. Da die Übungen teilweise schwierig für die Coachees sind, brauchen die Coaches das richtige Zeitgefühl für eine Unterbrechung, bevor der Coachee zu frustriert ist und die Motivation nachlässt. Vier der fünf befragten Coachs betonen, dass ihnen die Beobachtung von Coachee und Pferd hilft, passende Interventionen auszuwählen (Friesenhahn 2017, 387). Insgesamt beschrieben die Coachees bei den pferdegestützten Übungen vielfältige Gefühle wie Ärger, Angst, Neugier, Freude etc., also sowohl negative wie auch positive Emotionen, was auf eine emotionale Selbstwahrnehmung schließen lässt und damit die intraindividuelle Synchronisation fördert. Außerdem fiel auf, dass die Erzählung der Coachees bei den Selbstkonfrontationsinterviews immer noch sehr lebendig wirkte, was auf eine erneute prozessuale Aktivierung deuten lässt. In den Videoanalysen wurde auch deutlich, dass Pferd und Coachee teilweise auch außerhalb der aktiven Übungen interagierten. Die Coachees lehnten sich an das Pferd an oder streichelten es und beschrieben eine beruhigende, Ruhe ausstrahlende Wirkung des anwesenden Pferdes. Es konnte beobachtet werden, dass das Pferd auf die Nervosität des Gegenübers hin auch nervös wurde oder genau zu dem Zeitpunkt abschnaubte, indem der Klient eine Erkenntnis hatte. Die Reaktion des Pferdes auf nonverbale Signale des Menschen ist eine zentrale Wirkannahme in pferdegestützten Interventionen. Mit dem richtigen Maß zwischen Stabilität und Destabilität können pferdegestützte Interventionen Selbstwirksamkeitserfahrungen erzeugen. So berichten fünf der sechs interviewten Coachees, dass die Bewältigung der Übungen sie bestärkte. Diese Selbstwirksamkeitserfahrungen stabilisieren die Coachees als emotionale Ressourcen in ihren Veränderungsprozessen (Friesenhahn 2017, 368 ff). Synchronisation als Herausforderung in der Triade In den pferdegestützten Sitzungen wird aus der Dyade eine Triade, in der der Coach zeitweise zum Beobachter 2. Ordnung wird (Friesenhahn 2017, 385). Damit wird die direkte Synchronisation zwischen Coach und Coachee unterbrochen und bedarf nach der pferdegestützten Übung einer Erneuerung. Coach und Coachee müssen sich dadurch häufiger aktiv neu aufeinander einstellen. Aus der Analyse mithilfe des Ratinginventars der Videosequenzen wird in der Hälfte der untersuchten Fälle deutlich, dass die Übungen mit den Pferden die Interaktion zwischen Coach und Coachee stark anregen. Die Coachees waren v. a. 108 | mup 3|2025 Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings direkt nach den Übungen emotional expressiver und offener als zuvor. Der Redeanteil des Coachees war dann höher, vermutlich um den Coach nach dem intensiven Erleben mit den Pferden an seinen emotionalen Erfahrungen teilhaben zu lassen (Friesenhahn 2017, 350 ff). Es kommt daher auch darauf an, wie der Coach die pferdegestützten Interventionen in den weiteren Coachingprozess einbezieht. Kann der Coach in diesem Moment nicht synchron anknüpfen, ist dieser günstige Zeitpunkt zur Symmetriebrechung schnell vertan oder der Coachee fühlt sich sogar weniger verstanden, worunter die Synchronisatin leidet. Der Einsatz von Pferden kann sich folglich auch negativ auf die Beziehung zwischen Coach und Coachee auswirken. Musteridentifikation durch die Reaktion der Pferde Unsere Wahrnehmung ist durch eine Vielzahl gelernter Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster (KEV-Muster) geprägt. Daher gilt es zunächst herauszuarbeiten welche KEV-Muster zum aktuellen Anliegen führen und wie das künftige Ziel sich davon unterscheidet. In der Interaktion mit dem Pferd kann der Coach als Beobachter 2. Ordnung typische Muster beobachten. Tatsächlich betrachteten in allen untersuchten Fällen die Coaches die Reaktionen von Coachee und Pferd, um anschließend darauf aufbauend Feedback geben zu können. Diese Beobachtungsposition wurde in den Interviews am häufigsten erwähnt. Weiterhin nutzen sie die Beobachtungen zur Hypothesengenerierung (z. B. der Führungsstil sei noch unsicher, die Aussage war nicht authentisch oder der Coachee sei zu chaotisch im Kopf) (Friesenhahn 2017, 387). In der Interaktion mit dem Tier erleben die Coachees die direkte Reaktion, z. B. ob das Tier freiwillig folgt, sie beachtet, es nervös oder ruhig wirkt. Daran können Inkongruenzen zwischen innerer Überzeugung und äußerlichem Auftreten spürbar werden. So wurden in allen Fällen bislang unbewusste, intuitive Verhaltensweisen deutlich (Friesenhahn 2017, 389). Destabilisierung durch pferdegestützte Interventionen Zur Veränderung ist es nötig das System soweit zu destabilisieren, dass Bewegung möglich wird. Pferdegestützt kann dies durch das emotionale und praktische Erlebnis während der Interventionen erfolgen. In den Videoanalysen der untersuchten Fälle konnten bestimmte Verhaltensweisen abgebildet werden. So zeigte der Coach mit dem Pferd dem Coachee ein bestimmtes Verhalten (z. B. Vertrauen zu haben, indem er sich von hinten an das Tier anlehnt) oder der Coach stellte dem Coachee eine Aufgabe, die er gemeinsam mit dem Pferd bewältigen sollte. Eine durchgängig eingesetzte Aufgabe war es, das Pferd durch einen Hindernisparcours zu führen (z. B. über Stangen, im Slalom durch Pylonen oder rückwärts aus einer Sackgasse heraus). Teilweise symbolisierten die Hindernisse Herausforderungen aus dem beruflichen Kontext des Coachees (z. B. ein Projektziel) (Sinnbezug). Häufig wurde auch eine Übung genutzt, bei der die Coachees eines oder mehrere Pferde dazu bringen sollten, im großen Kreis um sie herum zu gehen oder zu traben. In Form solcher und ähnlicher Übungen wurden die Pferde im Laufe der Sitzungen immer wieder aktiv und handlungsorientiert einbezogen, sodass eine prozessuale Aktivierung und damit eine Destabilisierung bestehender Muster erfolgen konnte. In einigen Coachings wurde gleichzeitig oder in aufeinander folgenden Sitzungen mit unterschiedlichen Pferden gearbeitet. Das hatte den Effekt, dass die Coachees unterschiedliche Reaktionen der Pferde erhielten, was ihnen zur erneuten Perspektiverweiterung verhalf, wie sie in den Interviews erläuterten. So erkannten sie in vier von sechs Fällen wie ihre Haltung je nach Pferd unterschiedlich wirkte. Es empfiehlt sich daher möglichst auch mit unterschiedlichen Pferden zu arbeiten. Daraus wird geschlussfolgert, dass wahrscheinlich insgesamt pferdegestützt ein Grad der Instabilität erreicht werden kann, indem der Coachee sensitiv und durchlässig für innere und äußere Anregungen ist (Friesenhahn 2017, 223). Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings mup 3|2025 | 109 Restabilisierung mit dem Übungspartner Pferd Aus den Videoanalysen und Interviews geht hervor, dass in allen Fällen die Coachees angehalten wurden, alternative Verhaltensweisen mit den Pferden umzusetzen, z. B. einen anderen Führungsstil auszuprobieren. D. h. Pferde wurden in allen Fällen zu Demonstrations- und Übungszwecken eingesetzt (Friesenhahn 2017, 388). Diese Wiederholung fördert die Verankerung neuer Muster und trägt damit zur Restabilisierung bei. Triadisches Wirkmodell pferdegestützter Arbeit Aus den Untersuchungsergebnissen wurde deutlich, dass v. a. die generischen Prinzipien der Synchronisation, Musteridentifikation, Destabilisierung und Restabilisierung pferdegestützt umgesetzt wurden. Auch wenn diese Zusammenhänge weiter erforscht werden sollten, kann angenommen werden, dass die generischen Prinzipien als allgemeine Wirkprinzipien das praktische Tun pferdegestützter Coaches theoretisch fundiert erklären können. Aus den bisherigen Darstellungen ergibt sich ein vereinfachtes triadisches Wirkmodell für das pferdegestützte Setting (s. Abb. 2). Detailliertere Informationen zu den Wirkprozessen in der Triade wurden in Friesenhahn (2017, 235 ff) beschrieben. In diesem Wirkmodell werden die für das pferdegestützte Setting spezifizierten generischen Prinzipien als Wirkprinzipien betrachtet. Sie bilden in der Prozesssteuerung die theoretische Basis und können die Komplexität der praktischen Umsetzung vereinfachen, da die Wirkprinzipien als eine Art Navigationshilfe zur Lösungsfindung verstanden werden können (Schiersmann 2015). Aus systemischer Perspektive findet Interaktion zudem niemals losgelöst vom Kontext statt. Sowohl Coach als auch Coachee bringen ihren Kontext mit, sei es durch Erfahrungen, Muster, Kompetenzen, aber auch durch organisationale Zugehörigkeiten. Diese sind ebenfalls bewusst zu reflektieren und im Sinne der Synchronisation ggf. anzusprechen. Die Einbettung des triadischen Wirkmodells in den Kontext findet in Anlehnung an das systemische Kontextmodell nach Schiersmann et al. (2015, 10) statt. Darauf spannt sich das Beziehungsdreieck zwischen Coach, Coachee und Pferd auf. In dieser Interaktion hat jede Seite ihre eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Zunächst sollte eine synchrone Basis zwischen Coach und Coachee vorhanden sein, um die Dyade mit dem Pferdeeinsatz zur Triade ausweiten zu können. Ist die Synchronisation nicht ausreichend, fehlen das nötige Vertrauen, die Transparenz und der Sinnbezug, damit der Coachee sich für diese Intervention öffnen kann. Der Pferdeeinsatz würde dann die Beziehung überfordern und dem Prozess eher schaden. Der Coach bzw. der Therapeut hat eine entscheidende Rolle in diesem Beziehungsdreieck und muss durch die Beobachtungen, das Feedback, die resultierenden Fragen und die Auswahl der Übungen und Pferde den Prozess steuern. Zur Orientierung dienen dafür die generischen Prinzipien in ihrer Anpassung an den spezifischen Einsatz im pferdegestützten Coaching oder Therapie. Während der pferdegestützten Interventionen gehen Coachee und Pferd in Kontakt miteinander. Es entsteht eine Interaktion auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen (z. B. akustisch, visuell, taktil) (Krüger / Marr, 84 ff.), wobei der Fokus auf dem körpersprachlichen Ausdruck liegt. Nonverbal drücken Menschen v. a. ihre emotionale Befindlichkeit aus und gehen mit dem sog. Verkörperten Interaktion Synchronisation Analyse Wirkprinzipien Kontext Abb. 2: Triadisches Wirkmodell pferdegestützten Coachings (Quelle: eigene Darstellung) 110 | mup 3|2025 Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings Selbst in den Kontakt. Das Pferd fungiert dabei zudem als emotionaler Türöffner und kann auch das Bindungsbedürfnis eines Menschen befriedigen (Friesenhahn 2017, 63 ff). Gleichzeitig interagiert der Coachee überwiegend intuitiv und aus seinen typischen Mustern heraus mit dem Pferd (Friesenhahn 2027, 232), wobei der Coach hilfreiche Hinweise für die Analyse erhält. Dabei hat der Coach den Vorteil als Beobachter 2. Ordnung an der Interaktion zwischen Pferd und Coachee teilzunehmen (Friesenhahn 2027, 233). Damit können Hypothesen aus einer konkreten Situation herausgebildet werden, die beide erlebt haben. Diese werden dann im Dialog besprochen, es können typische Muster analysiert sowie Ressourcen für die Zielerreichung verdeutlicht werden. Damit wurde ein Modell entwickelt, das zum einen grobmaschig genug ist, um die Komplexität in der Praxis zu reduzieren und zum anderen in den Teilelementen ausreichend ausdifferenziert werden kann, um auf unterschiedliche Anwendungsbereiche angewendet werden zu können. Als Metamodell kann es zudem als theoretischer Bezugsrahmen weitere Wirksamkeitsforschung unterstützen und diese vergleichbarer machen, was auch aktuelle Forschung voranbringen kann. Prozessmodell pferdegestützter Interventionen Wirkprinzipien werden in Prozessmodellen in eine zeitliche Reihenfolge gebracht, wenn auch Phasen übersprungen oder wiederholt werden können (z. B. Schiersmann et al. 2015, 27). Dies soll der Erleichterung der Prozessteuerung dienen und dem prozessartigen Charakter der Lösungsfindung unterstützen. Um für die Praxis eine weitere Hilfestellung für wirksame pferdegestützte Lernprozesse zu Verfügung zu stellen, wurde das triadische Wirkmodell um ein Prozessmodell ergänzt. Es ist aus der wissenschaftlichen Weiterbildung zum horsynergy coach an der Universität Heidelberg heraus entwickelt worden. Eine umfassende Untersuchung steht derzeit aus. Mit Blick auf die untersuchten pferdegestützten Coachingfälle und in Ergänzung durch die praktischen Erfahrungen der Autorin, können fünf typische Phasen pferdegestützter Coaching- Sitzungen herausgearbeitet werden, in denen jeweils bestimmte generische Prinzipien im Vordergrund stehen (s. Abb. 3): 1. Zielklärung Zu Beginn der Zusammenarbeit sollte ein motivierendes und realistisches Ziel festgelegt werden. Dabei sollten v. a. die Prinzipien der Synchronisa- Abb. 3: Prozessmodell pferdegestützten Coachings (Quelle: Eigene Darstellung) Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings mup 3|2025 | 111 tion (wie im gesamten weiteren Verlauf) als auch der Sinnbezug Berücksichtigung finden. Dazu gehört auch eine gründliche Auftragsklärung. Bereits hier spielt der Pferdeeinsatz insofern eine Rolle, dass einige Coachees gezielt pferdegestützt arbeiten möchten. Dann kann man diesen Wunsch im Abgleich mit dem Nutzen berücksichtigen. Ansonsten findet die erste Zielklärung überwiegend ohne Pferd statt, denn es ist zunächst zu eruieren, inwiefern eine pferdegestützte Intervention überhaupt zieldienlich sein könnte. 2. Musteranalyse mit dem Pferd In der Analysephase des Coachings können die pferdegestützten Interventionen dazu beitragen, dass typische Muster des Coachees sichtbar werden (Musteridentifikation). So können auch bislang unbewusste Muster anhand konkreter Situationen, auch mithilfe von Videoanalyse, bewusst und damit veränderbar gemacht werden. Dafür ist es hilfreich ein Repertoire an unterschiedlichen pferdegestützten Interventionen zu kennen, die einen jeweils anderen Fokus haben können. Ebenso kann dabei auch das zunächst aufgestellte Ziel bei Bedarf angepasst werden. 3. Hypothesengenerierung aus der Beobachtung Nach den aktiven pferdegestützten Interaktionssequenzen kommt es in den Reflexionen der Übungen darauf an mit dem Coachee entstandene Hypothesen zu besprechen. Es gilt mit einem Gespür für die passende Intervention die getätigten Beobachtungen einfließen zu lassen. Dabei ist es aber genauso wichtig die Sicht des Coachees anzuhören und ihn nach dem emotionalen Erleben abzuholen. Da pferdegestützte Übungen durchaus auch nicht sofort klappen, ist dies ein Moment, in dem die Frustrationstoleranz des Coachees besonders empathisch berücksichtigt werden muss. 4. Veränderung mit dem Pferd spürbar machen Nach einem ersten Durchlauf und einer kurzen Zwischenbesprechung werden die pferdgestützten Sequenzen meistens wiederholt. Der Coachee hat so die Möglichkeit kleine Veränderungen seiner KEV-Muster in der Reaktion des Pferdes zu spüren. Dabei wird die Bedeutung von Gedanken und Gefühlen auf das Verhalten deutlich und emotional wie auch körperlich wahrnehmbar. Diese emotionale Lernerfahrung kann dann tief verankert und im Alltag erinnert werden. 5. Transfer sichern Zum Abschluss des Coachings ist das Wirkprinzip der Restabilisierung zentral. Es geht also darum neue Muster zu wiederholen, sodass sie verfestigt werden. Dazu stellt das Pferd einen geeigneten Übungspartner dar, mit dem verschiedene Probehandlungen durchgespielt werden können. Es geht aber auch darum die gewonnenen Erkenntnisse (Musteränderungen) auf den Problemkontext des Coachees zu transferieren. Dies erfordert meistens aktive Übersetzungsleistung und Brainstorming von konkreten Verhaltensweisen, die proaktiv geändert werden, um im Alltag einen ebenso wirkungsvollen Effekt zu erzielen wie in der Interaktion mit dem Pferd. Denn letztendlich geht es bei dieser Form pferdegestützter Lernprozesse nicht darum, dass gelernt wird, mit einem Pferd ein Hindernis zu überwinden oder ein Pferd zu führen, sondern die Selbstreflexion und daraus resultierende veränderte Selbstführung, die dann im Lebens- oder Arbeitskontext Anwendung findet, stehen im Fokus. Die beschriebenen fünf Schritte navigieren durch einen Lösungsfindungsprozess hindurch, der anfangs vielleicht noch gänzlich ungewiss erscheint und zum Schluss doch ein Ergebnis mit sich bringt. Auf diese Weise werden gleichzeitig die wichtigsten Wirkprinzipien im Zeitverlauf berücksichtigt und damit steigt die Wahrscheinlichkeit für einen wirkungsvollen Lösungs- und Veränderungsprozess. Insgesamt wird also deutlich, dass pferdegestützte Arbeit nur phasenweise praktisch am Pferd durchgeführt wird. Pferdegestützt kann v. a. die Analyse-, Destabilisierungs- und Re-Stabilisierungsphase durchgeführt werden - stets begleitet durch die professionelle Begleitung eines entsprechend ausgebildeten Coachs oder Psychotherapeuten. 112 | mup 3|2025 Friesenhahn - Empirische Untersuchung der Wirkungsweise pferdegestützten Coachings Ausblick Das triadische Wirkmodell sowie das Prozessmodell pferdegestützter Lernprozesse stellen wichtige Rahmenbedingungen dar, die die Selbstorganisation eines Systems im pferdegestützten Setting fördern können. Auch wenn das Coaching- und Therapieergebnis eine Ko-Kreation von allen beteiligten Systemen bleibt, stellen die dargestellten Modelle erste, theoretisch fundierte und wissenschaftlich explorierte Ansatzpunkte zur weiteren praktischen Ausgestaltung und Erforschung dar. Auch wenn sowohl aus qualitativer wie quantitativer Sicht Gütekriterien eingehalten wurden, unterliegt die Untersuchung einigen forschungsmethodischen Limitationen. Aufgrund des explorativen, fallbasierten Vorgehens sind Abweichungen in weiteren Fällen nicht auszuschließen und daher die Reichweite zunächst begrenzt. Daher wäre eine fortführende Forschung mit größeren Fallzahlen sowie einem hypothesenprüfenden Design wünschenswert. Auch die jeweilige Qualifikation und Erfahrung der an der Untersuchung beteiligten Coaches dürfte einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Es liegt im Wesen des Forschungsgegenstands, dass hier subjektive Bezüge eine Rolle spielen. Die Daten wurden aus einer Kombination aus introspektiven und beobachtenden Verfahren sowie prozessbezogen über den Zeitraum eines ganzes Coachingsprozesses hinweg erhoben. Dementsprechend wurde ein wichtiger Grundstein für die Untersuchung allgemeiner Erklärungsmodelle gelegt. Durch einen einheitlichen theoretischen Bezugsrahmen könnte ein erster wichtiger Schritt zu belastbaren Studiendesigns getan sein, da unterschiedliche praktische Schulen unter dem Metamodell zusammengefasst werden können. So könnten auch Metaanalysen durchgeführt werden. Außerdem wurden im Rahmen der oben beschriebenen Untersuchung Forschungsinstrumente (z. B. Stundenbogen, Ratinginventar) entwickelt, die in Folgeuntersuchungen eingesetzt werden können, um die Fallzahlen zu erhöhen. Weitere fundierte Wirksamkeitsforschung ist im Rahmen der Professionalisierung pferdegestützter Settings wünschenswert. Nicht zuletzt sollen die dargestellten Modelle aber auch für die Praxis hilfreich sein, um Pferde effektiv in der Arbeit mit Menschen einsetzen zu können, Orientierung im Prozess zu geben und die Legitimation für den Pferdeeinsatz durch die dargestellten Hinweise zur Wirksamkeit unterstreichen zu können. Literatur ■ Breuer, F. (1995): Das Selbstkonfrontationsinterview als Forschungsmethode. In: König / Zedler (Hrsg.): Bilanz qualitativer Forschung. Deutscher Studien Verlag, Weinheim, 159-180 ■ Dinkelaker, J., Herrle, M. (2009): Erziehungswissenschaftliche Videographie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden ■ Friesenhahn, J. (2017): Kommunikation als Basis wirkungsvollen Coachings. Von der Dyade zur Triade im Setting mit Pferden. Springer, Heidelberg ■ Haken, H., Schiepek, G. (2010): Synergetik in der Psychologie. Hogrefe, Göttingen ■ Honermann, H., Müssen, P., Brinkmann, A., Schiepek, G. (1999): Ratinginventar Lösungsorientierter Interventionen (RLI). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen ■ Krampen, G. (2002): Stundenbogen für die allgemeine und differentielle Einzelpsychotherapie. Hogrefe, Göttingen ■ Krüger, K., Marr, I. (2022): Forschung trifft Pferd. Stuttgart, Kosmos ■ Lamnek, S. (2010): Qualitative Sozialforschung. Beltz, Weinheim ■ Mayring, P. (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Beltz, Weinheim ■ Schiersmann, C., Friesenhahn, J., Wahl, A. (2015): Synergetisch beraten im beruflichen Kontext. Hogrefe, Göttingen Die Autorin Dr. phil. Johanna Friesenhahn systemische Coach, Heilpraktikerin Psychotherapie, Studienleiterin horsynergy® coaching an der Universität Heidelberg Kontakt jf@johanna-friesenhahn.com