mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art16d
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Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mit Blick auf das Sozial- und Lernverhalten von Schüler:innen
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Rachel Wittschier
Kim-Karina Wagner
In der folgenden Evaluationsstudie wurde der Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern die Teilnahme an einem pferdegestützten Projekt das Sozial- und Lernverhalten von Schüler:innen einer Regelschule beeinflusst. Methodisch basiert die Studie auf einer quantitativen Prä-Post-Erhebung mittels Schüler:innen-Einschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (Petermann/Petermann 2014). Die Interventionsgruppe (n=11), die am pferdegestützten Projekt teilnahm, wurde mit einer Kontrollgruppe (n=11), die zeitgleich regulär den Schulunterricht besuchte, verglichen. Die Ergebnisse zeigen durch gestiegene Mittelwerte der Skalen zum Sozial- und Lernverhalten zum zweiten Messzeitpunkt positive Tendenzen auf.
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mup 3|2025|113-122|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art16d | 113 Schlüsselbegriffe: Sozialverhalten, Lernverhalten, Schule, pferdegestützt, Kontrollstudie Rachel Wittschier, Kim-Karina Wagner In der folgenden Evaluationsstudie wurde der Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern die Teilnahme an einem pferdegestützten Projekt das Sozial- und Lernverhalten von Schüler: innen einer Regelschule beeinflusst. Methodisch basiert die Studie auf einer quantitativen Prä- Post-Erhebung mittels Schüler: innen-Einschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (Petermann / Petermann 2014). Die Interventionsgruppe (n=11), die am pferdegestützten Projekt teilnahm, wurde mit einer Kontrollgruppe (n=11), die zeitgleich regulär den Schulunterricht besuchte, verglichen. Die Ergebnisse zeigen durch gestiegene Mittelwerte der Skalen zum Sozial- und Lernverhalten zum zweiten Messzeitpunkt positive Tendenzen auf. Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mit Blick auf das Sozial- und Lernverhalten von Schüler: innen 114 | mup 3|2025 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes Theoretischer Hintergrund Nach Fend (2005) durchlaufen Schüler: innen während der Schulzeit eine Vielzahl von Entwicklungsaufgaben. Ein positiv ausgeprägtes Sozial- und Lernverhalten erleichtert dabei sowohl das Meistern schulischer Leistungsanforderungen als auch den späteren beruflichen Werdegang (Petermann / Petermann 2014). Unter dem Sozialverhalten wird das Verhalten des Individuums im sozialen Gefüge verstanden. Die Reaktionen und Erwartungen erzeugen das soziale Handeln des Gegenübers und schließen Konflikt- und Kommunikationsbewältigung mit ein (Vernooij / Schneider 2018). Nach Petermann und Petermann (2014) setzt sich das Sozialverhalten aus den folgenden sechs Unterkategorien zusammen: 1. Kooperation 2. Selbstwahrnehmung 3. Selbstkontrolle 4. Einfühlungsvermögen 5. angemessene Selbstbehauptung 6. Sozialkontakt Unter Kooperation wird das gemeinsame Lernen und Kooperieren mit Mitschüler: innen verstanden. Merkmale der kooperativen Verhaltensweise sind der Umgang mit Reflexion, das Zuhören- und Ausreden-Lassen, das Kommunizieren, die Kritikannahme und Kompromissschließung und das Einbeziehen anderer Schüler: innen in Gruppentätigkeiten. Die Selbstwahrnehmung bezieht sich auf das Reflektieren des individuellen Verhaltens vor, während und nach einer Handlung. Wenn Schüler: innen das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle wahrnehmen, das Verhalten anderer Menschen verstehen und mit dem eigenen Verhalten darauf reagieren können, wird von einer guten Selbstwahrnehmung gesprochen. Unter Selbstkontrolle wird das bewusste, kontrollierte Verhalten in schwierigen und emotional belastenden Situationen verstanden. Für die Überwindung von Motivationsproblemen oder das Erreichen von Zielen, die nicht gleich gelingen, ist eine hohe Selbstkontrolle notwendig. Das Einfühlungsvermögen zeigt die Hilfsbereitschaft von Schüler: innen und das Einfühlen in Situationen und Gefühle von Mitmenschen. Emotionale und kognitive Fähigkeiten sind Voraussetzung für das Einfühlungsvermögen und ermöglichen dadurch, das eigene Verhalten an die Reaktion anderer Menschen anzupassen. Unter angemessener Selbstbehauptung wird die angebrachte Reaktion von Schüler: innen in zwiespältigen Situationen verstanden. Darunter fällt das entsprechende Handeln ohne ängstliche Einschränkungen sowie die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Verhaltensalternativen in sozialen Situationen. Die Schüler: innen sind in der Lage, bei einer angemessenen Selbstbehauptung ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, ohne andere Menschen zu gefährden. Der Sozialkontakt hat eine große Bedeutung für den Bildungsort Schule, da dieser einen zentralen Ort der sozialen Beziehungen bildet. Insbesondere am Anfang der schulischen Laufbahn sollte den Sozialkontakten vermehrt Relevanz entgegengebracht werden (ebd.). Unter dem Lernverhalten wird eine Reaktion von einem Individuum auf bestimmte Umweltfaktoren, Reize und Erfahrungen verstanden, um Wissen zu erwerben und anzuwenden. Das Lernverhalten wird im schulischen Kontext auch als Arbeitsverhalten bezeichnet, welches zu einem verbesserten Management der Lernanforderungen führt. Das Lernverhalten setzt sich nach Petermann und Petermann (2014) aus den folgenden vier Aspekten zusammen: 1. Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft 2. Konzentration 3. Selbstständigkeit 4. Sorgfalt beim Lernen Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mup 3|2025 | 115 Unter Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft wird das Durchhaltevermögen bei der Bearbeitung von Aufgaben verstanden. Die Selbstwirksamkeit, Zielorientierung, intrinsische Motivation und Leistungsmotivausprägung sind Bestandteile desselben. Die Konzentration, die an die Anstrengungsbereitschaft gekoppelt ist, ermittelt das Ausmaß der Aufmerksamkeitsspanne der Schüler: innen, dem Unterricht und Anweisungen der Lehrperson Folge zu leisten. Die Selbstständigkeit beim Lernen erfordert die eigenständige Organisation von Lernprozessen sowie die eigenständige Bearbeitung von Aufgaben. (Meta-)Kognitive und motivationale Bestandteile setzen sich zum selbstständigen Lernen zusammen, die in Lernziel "warum‘‘ des Lernens), Lernstrategie "wie‘‘ die Aufgaben gelöst werden), Lernzielkontrolle "was‘‘ gelernt wurde) und Umgebungsbedingungen "wann und wo‘‘) beobachtbar sind. Die vierte Unterkategorie, anknüpfend an die Selbständigkeit beim Lernen, ist die Sorgfalt beim Lernen. Diese bezieht sich auf die Arbeitsplatzgestaltung und den sorgfältigen Umgang mit den Lernmaterialien (ebd.). Im schulischen Kontext, insbesondere an Regelschulen (also allgemeinbildenden Schulen ohne speziellen Förderschwerpunkt) existiert bislang keine empirische Studie im deutschsprachigen Raum, die den Einfluss von Pferden auf das Verhalten von Schüler: innen untersucht. Befragungen durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. legen nahe, dass Pferde insbesondere im schulischen Kontext aus vielfältigen Gründen eingesetzt werden könnten. So gaben im Rahmen einer Online-Befragung 411 Reiter: innen und 402 Nicht-Reiter: innen im Alter von 14 bis 65 Jahren an, dass der Kontakt mit Pferden das Selbstwertgefühl für die sozialen Kompetenzen steigern kann (FN 2012a). Es zeigten sich insgesamt positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung durch den Umgang mit dem Pferd. Auch bei der Umfragestudie „Pferde und Ponys im Kindergarten‘‘ (FN 2012b) in der 79 Vertreter: innen der Kindergärten sowie Reitvereine und Reitbetriebe, die zum Teil miteinander kooperierten, befragt wurden, zeigte sich ein positiver Einfluss von Pferden auf die Entwicklung der Kinder. Die Befragten konnten bei den Kindergartenkindern eine Steigerung des Selbstwertgefühls durch Erfolgserlebnisse (z. B. über sich hinauswachsen und das Überwinden der Ängste) sowie eine erhöhte Selbstsicherheit beobachten. Darüber hinaus wurde das Pferd als Freund und Beschützer von den Kindergartenkindern anerkannt, wodurch sich ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Gruppe entwickelte (ebd.). Beide Studien deuten somit darauf hin, dass der Einsatz von Pferden in Bildungseinrichtungen kognitive, psychische und sozial-emotionale Vorteile mit sich bringen kann. In England hat sich pferdegestütztes Lernen (Equine Assisted Learning, EAL) in einer Studie als effektive Methode zur Förderung der sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung von Schüler: innen in Regelschulen erwiesen. Eine qualitative Studie von Stoppard und Donaldson (2024) untersucht die Perspektiven von Lehrkräften bezüglich des Einsatzes von EAL im Grundschulbereich. Die Ergebnisse zeigen, dass EAL das Vertrauen und die Beziehungskompetenz der Kinder stärkt, ihre Kommunikationsfähigkeiten fördert und das Selbstvertrauen der Schüler steigert. Darüber hinaus tragen die Aktivitäten mit Pferden zur Verbesserung der Teamarbeit und der aktiven Beteiligung der Kinder bei, was sich positiv auf ihre Leistung und Lernmotivation auswirkt. Die Lehrkräfte betrachten EAL als wertvolle Methode, um Schüler: innen zu motivieren und ihre Lernbereitschaft zu fördern, was auch langfristig zu positiven Veränderungen Es zeigten sich positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung durch den Umgang mit dem Pferd. 116 | mup 3|2025 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes im Klassenzimmer führt. Die Studie unterstreicht die Potenziale von EAL als innovativen Ansatz zur Unterstützung der Entwicklung von Grundschulkindern, fordert jedoch weitere Forschung, um die langfristigen Effekte und die optimale Implementierung solcher Programme vollständig zu verstehen. Allerdings wurden hier jüngere Schüler: innen betrachtet und die Kinder selbst dienten nicht als Proband: innen. Studien, in denen überhaupt quantitativ oder mit Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden an pferdegestützten Interventionen in Schulkontexten gearbeitet wurden, konnten nicht gefunden werden. Das vorliegende Forschungsprojekt untersucht die Wirkung des pferdegestützten Schulprojekts „Pferde stärken - Pferdestärken‘‘ der Alexander-von-Humboldt-Realschule in Siegburg auf das Sozial- und Lernverhalten der Schüler: innen. Ausgewählte Schüler: innen der Schule verbringen alle zwei Wochen freitags den Schulunterricht im Reitstall. An diesem Tag bezieht sich der Schulunterricht für die ausgewählten Schüler: innen auf den Umgang mit dem Pferd und die Kinder sollen von den Pferde(stärke)n gestärkt werden. Am Tag des Reitstallbesuchs reisen die Schüler: innen selbstständig zum Reitsportzentrum Siegburg an und treffen sich im Aufenthaltsraum der Reitanlage. Dort wird als ritualisierender Ablauf gemeinsam gefrühstückt. Nach einer Aktivierungs- und Aufwärmungsrunde werden die Aufgaben rund um die Pferde und Ponys verteilt. Die Schüler: innen werden angeleitet, die Pferde selbstständig aufzuhalftern, zu putzen und zu führen. Die Grundsätze der Reiterei werden gelernt und praktisch angewendet. Der Schwerpunkt der Arbeit mit den Pferden liegt aber in der Bodenarbeit. Dazu zählen die Grundlagen wie Anhalten, Losgehen, Kurven gehen, Hindernisse überwinden und Rückwärtsrichten. Die Schüler: innen lernen durch die Pferde, dass Druck am Führstrick Gegendruck erzeugt und „wer zieht, verliert‘‘. Das Buch „Pferdeführerschein Umgang mit dem Pferd - Sicherheit - Verantwortung - Tierwohl“ (von Neumann-Cosel / FN 2023) dient als Leitfaden und die teilnehmenden Schüler: innen bekommen dieses begleitend zum Pferdeprojekt zur Verfügung gestellt. Bei dem Pferdeprojekt werden die Schüler: innen von der Schulleitung, einer Sportlehrerin und einer ausgebildeten Fachkraft für pferdegestützte Interventionen betreut. Methode Von den insgesamt 22 untersuchten Schüler: innen waren 59,1 % (n=13) männlich und 40,9 % (n=9) weiblich. Innerhalb des Untersuchungszeitraumes waren die Schüler: innen zwischen 10 und 13 Jahre alt (M=11.6, SD=.90) und besuchten die Jahrgangsstufen fünf bis sieben. Bei der durchgeführten Interventionsstudie bestand die Versuchsgruppe aus den Schüler: innen, die an dem Pferdeprojekt teilnahmen (n=11). Die Auswahl der teilnehmenden Schüler: innen erfolgte durch die Auswahl der Klassenleitung. Dabei kann die Auswahl besonders sich auffällig verhaltende Schüler: innen Abbildung 1: Teilnehmende Schülerin während einer pferdegestützten Intervention Die Kinder sollen von den Pferde(stärke)n gestärkt werden. Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mup 3|2025 | 117 betreffen, die sich beispielsweise stark introvertiert, extrovertiert oder unsicher im Schulunterricht verhalten. Die Interventionsgruppe ließ sich in eine Anfänger: innen-Gruppe (55 %) (n=6) und eine Fortgeschrittenen-Gruppe (45 %) (n=5) teilen, die sich im wöchentlichen Rhythmus an der Teilnahme am Pferdeprojekt abgewechselt haben. Die Anfänger: innen-Gruppe nahm seit Schuljahresbeginn an der Intervention teil und bestand aus Schüler: innen der fünften Klasse. Die Fortgeschrittenen-Gruppe bestand ausschließlich aus Schüler: innen der sechsten und siebten Klasse, die an dem Pferdeprojekt schon seit der fünften Klasse teilnahmen. Beide Gruppen durften zwischen den Messzeitpunkten dreimal die Intervention besuchen. Um die Förderung des Sozial- und Lernverhaltens zu untersuchen, wurden die Schüler: innen anhand der Schüler: innen-Einschätzliste (SSL) von Petermann und Petermann (2014) zu ihrem Sozial- und Lernverhalten im Abstand von acht Wochen befragt. Die Kontrollgruppe bestand aus Schüler: innen, die nicht an dem Pferdeprojekt teilnahmen und in der Zeit den regulären Schulunterricht der Realschule in Siegburg besuchten (n=11). Da die Interventionsgruppe vorab definiert war, wurde die Kontrollgruppe anhand der Kriterien Geschlecht, Alter und Jahrgangsstufe möglichst parallelisiert zusammengestellt. Ein sogenanntes Matching ist vor allem bei kleinen Stichproben üblich, um sicher zu sein, dass sich die Gruppen nicht in einem für die Untersuchung irrelevanten Merkmal unterscheiden. Die Schüler: innen wurden ebenfalls ein zweites Mal nach den acht Wochen zu ihrem Sozial- und Lernverhalten anhand der Schüler: innen-Einschätzliste im Klassenzimmer befragt. Die SSL hat eine Bearbeitungsdauer von ungefähr zehn Minuten und beinhaltet 40 Items, welche von den Schüler: innen auf einer 4-stufigen Likert-Skala von „nie‘‘ (1), „selten‘‘ (2), „manchmal‘‘ (3) bis „oft‘‘ (4) eingeordnet werden konnten. Ergebnisse Die Ergebnisse werden zunächst deskriptiv getrennt nach Gruppenzugehörigkeit dargestellt. Es folgt eine statistische Analyse mittels t-Tests und Effektstärken. Die Ergebnisse schließen mit einem Varianzanalysemodell (mixed ANOVA), welches die höchste statistische Aussagekraft hat, da sie intraindividuelle (unterschiedliche Messzeitpunkte) und interindividuelle (unterschiedliche Gruppen) Unterschiede im Zusammenhang analysiert. Deskription Interventionsgruppe Bei der Betrachtung der durchschnittlichen Summenwerte des Sozial- und Lernverhaltens ist eine Steigerung der Werte vom ersten Messzeitpunkt (t1) zum zweiten Messzeitpunkt (t2) zu erkennen. Bei der ersten Befragung lag der Mittelwert des Sozialverhaltens bei 46.36 und bei der zweiten Befragung bei 53.73. Die Differenz des Mittelwerts des Sozialverhaltens von t1 zu t2 beträgt somit 7.37 und ist von t1 zu t2 gestiegen. Der Mittelwert des SSL-Skalen SSL-Beispielitems Kooperation Ich kann in einer Gruppenarbeit anderen Mitschüler: innen etwas erklären, wenn ich alles verstanden habe. Selbstkontrolle Ich kann meine Wut kontrollieren, wenn ich mich aufrege. Sorgfalt beim Lernen Ich räume meine Sachen nach der Schulstunde ordentlich weg. Ausdauer / Anstrengungsbereitschaft Ich bin geduldig, wenn ich meine Aufgaben mache. Tabelle 1: Zuordnung der Beispielitems zu den SSL-Skalen (Petermann & Petermann, 2014) 118 | mup 3|2025 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes Lernverhaltens, der bei t1 37.55 und bei t2 39.73 betrug, ist um 2.18 gestiegen (siehe Abbildung 2). Die sechs Subskalen vom Sozialverhalten und die vier Subskalen vom Lernverhalten sind ebenfalls im Mittelwert vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt angestiegen, lediglich die Subskala Konzentration ist beim Mittelwert im Vorher-Nachher-Vergleich mit 9.27 gleichgeblieben (siehe Abbildung 3). Deskription Kontrollgruppe Die durchschnittlichen Summenwerte des Sozial- und Lernverhaltens sind wie bei der Interventionsgruppe angestiegen, jedoch in einem geringeren Ausmaß. Das Sozialverhalten ist von 46.27 mit 4.28 Punkten auf 50.55 angestiegen und das Lernverhalten hat sich von 32.45 auf 33.45 erhöht. Die Subskalen vom Sozialverhalten sind bis auf die Abbildung 3: Mittelwerte der Subskalen zum Messzeitpunkt t1 und t2 von Interventions- und Kontrollgruppe - - 0 2 4 6 8 10 12 Mittelwerte-der-Subskalen-zum-Messzeitpunkt-t1-und-t2-von- Interventions‐ und-Kontrollgruppe Interventionsgruppe-t1 Interventionsgruppe-t2 Kontrollgruppe-t1 Kontrollgruppe-t2 Abbildung 2: Mittelwerte der Gesamtskalen zum Messzeitpunkt t1 und t2 von Interventions- und Kontrollgruppe - - 0 10 20 30 40 50 60 Sozialverhalten Lernverhalten Mittelwerte-der-Gesamtskalen-zum- Messzeitpunkt-t1-und-t2- von-Interventions‐ und-Kontrollgruppe Interventionsgruppe-t1 Interventionsgruppe-t2 Kontrollgruppe-t1 Kontrollgruppe-t2 * * * Abbildung 3: Mittelwerte der Subskalen zum Messzeitpunkt t1 und t2 von Interventions- und Kontrollgruppe Abbildung 2: Mittelwerte der Gesamtskalen zum Messzeitpunkt t1 und t2 von Interventions- und Kontrollgruppe Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mup 3|2025 | 119 Subskala Sozialkontakt gestiegen. Bei der Subskala Sozialkontakt ist der Wert von 8.55 auf 7.82 gesunken (siehe Abbildung 2). Die vier Subskalen des Lernverhaltens haben sich in unterschiedliche Richtungen verändert. Bei der Subskala Selbstständigkeit beim Lernen verringert sich der Mittelwert von 9.46 beim ersten Messzeitpunkt auf 9.27 beim zweiten Messzeitpunkt. Die Subskala Konzentration hat sich im Mittelwert mit 8.46 bei beiden Messzeitpunkten nicht verändert. Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft sowie Sorgfalt beim Lernen sind gering gestiegen (siehe Abbildung 3). Statistische Analyse mittels t-Tests Die gepaarten t-Tests (je Gruppe) zeigten einen statistisch signifikanten Unterschied bei der Interventionsgruppe beim Sozialverhalten zwischen t1 und t2, t(10)=-2.244, p=.049 (siehe Tabelle 2). Die Effektstärke nach Cohen (1992) liegt bei r=.58 und entspricht damit einem starken Effekt. Die Schüler: innen zeigten bei t2 einen höheren mittleren Summenwert beim Sozialverhalten (M=53.73, SD=8.99) im Vergleich zu t1 (M=46.36, SD=14.33). Hingegen zeigte sich bei der Kontrollgruppe kein signifikanter Unterschied bezüglich des Sozialverhaltens zwischen t1 und t2, t(10)=-1.021, p=.331 (siehe Tabelle 3). Die Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben zeigte, dass sich die Interventionsgruppe und die Kontrollgruppe zum Messzeitpunkt zwei, also nach der Intervention, bezüglich ihres Sozialverhaltens nicht signifikant unterscheiden, t(20)=.815, p=.424. Die gepaarten t-Tests (je Gruppe) zeigten einen statistisch signifikanten Unterschied bei der Interventionsgruppe bezüglich des Lernverhaltens zwischen t1 und t2, t(10)=-2.390, p=.038 (siehe Tabelle 2). Die Effektstärke nach Cohen (1992) liegt bei r=.60 und entspricht damit einem starken Effekt. Die Schüler: innen zeigten bei t2 einen höheren mittleren Summenwert beim Lernverhalten (M=39.73, SD=6.00) im Vergleich zu t1 (M=37.55, SD=4.46). Hingegen zeigte sich bei der Kontrollgruppe kein signifikanter Unterschied bezüglich des Lernverhaltens zwischen t1 und t2, t(10)=-.507, p=.623 (siehe Tabelle 3). Prä M SD Post M SD Sig. (2-seitig) Sozialverhalten 46.36 14.32 53.72 8.98 .049 Lernverhalten 37.54 4.45 39.72 6.00 .038 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 signifikant. Prä M SD Post M SD Sig. (2-seitig) Sozialverhalten 46.72 8.27 50.55 9.30 .331 Lernverhalten 32.45 8.33 33.45 6.86 .623 *Der Unterschied ist auf dem Niveau p <.05 signifikant. Tabelle 2: Auswertung der SSL von der Interventionsgruppe anhand eines t-Tests für gepaarte Stichproben (Petermann / Petermann, 2014) Tabelle 3: Auswertung der SSL von der Kontrollgruppe anhand eines t-Tests für gepaarte Stichproben (Petermann / Petermann, 2014) 120 | mup 3|2025 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes Die Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben zeigte, dass sich die Interventionsgruppe und die Kontrollgruppe zum Messzeitpunkt zwei, also nach der Intervention, bezüglich ihres Lernverhaltens signifikant unterscheiden, t(20)=2.282, p=.034. Die Effektstärke nach Cohen (1992) liegt bei r=.45 und entspricht damit einem mittleren Effekt. Die Interventionsgruppe hat signifikant höhere mittlere Summenwerte beim Lernverhalten nach der Intervention (M=39.73, SD=6.00) als die Kontrollgruppe (M=33.45, SD=6.86). Varianzanalysemodell Die mixed ANOVA zeigte für das Sozialverhalten keine statistisch signifikante Interaktion zwischen den beiden Messzeitpunkten t1 und t2 und den Gruppen (Interventions- / Kontrollgruppe), F(1, 20)=.338, p=.568 (siehe Abbildung 4). Abbildung 5: ANOVA Lernverhalten der Interventions- und Kontrollgruppe zu t1 und t2 Abbildung 4: ANOVA Sozialverhalten der Interventions- und Kontrollgruppe zu t1 und t2 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes mup 3|2025 | 121 Auch für das Lernverhalten zeigte die mixed ANOVA keine statistisch signifikante Interaktion zwischen den beiden Messzeitpunkten t1 und t2 und den Gruppen (Interventions-/ Kontrollgruppe), F(1, 20)=.296, p=.593 (siehe Abbildung 5). Die Überlappung der Fehlerbalken (95 %-Konfidenzintervalle) bei t2 verdeutlichen zwar, dass die Varianzen zu groß für eine Signifikanz sind, allerdings deutet vor allem in Abbildung 4 der stärkere Anstieg darauf hin, dass die Intervention das Sozialverhalten der Schüler: innen verbessert hat. Diskussion und Ausblick Ziel der Studie war die Evaluation des Projekts „Pferde stärken - Pferdestärken‘‘ mit Blick auf das Sozial- und Lernverhalten der Schüler: innen, hinsichtlich der Fragestellung inwieweit pferdegestützte Interventionen positive Effekte auf das Sozial- und Lernverhalten von Schüler: innen haben können. Aufgrund von Einflussfaktoren (unter anderem die geringe Stichprobengröße und der kurze Erhebungszeitraum) konnten bei diesem Pferdeprojekt mithilfe der mixed ANOVA keine statistisch signifikanten Ergebnisse erzielt werden. Dennoch lassen die durchgeführten deskriptiven Analysen und die t-Tests positive Effekte durch das Pferdeprojekt auf das Sozial- und Lernverhalten der teilnehmenden Schüler: innen vermuten. Die Ergebnisse regen dazu an, die Stichprobengröße zu erhöhen, einen längeren Beobachtungszeitraum einzuplanen und den Messzeitpunkt t1 mit Beginn des Pferdeprojekts zu wählen, um langfristige Effekte sowohl beim Sozialals auch beim Lernverhalten festzustellen. Außerdem gibt das Erhebungsinstrument Einblicke in die Selbstwahrnehmung der Schüler: innen, unterliegt jedoch möglicherweise Verzerrungen und subjektiven Einflüssen. Eine mögliche Ergänzung wäre der Einsatz digitaler Werkzeuge wie beispielsweise der Equitedo- App zur Fremdeinschätzung durch die pferdegestützte Fachkraft oder Lehrperson (Stolz et al. 2022), die eine präzise, objektive und kontinuierliche Datenerfassung ermöglicht. Neben den positiven Aspekten, die sich durch den Einsatz von Pferden im schulischen Kontext ergeben, lassen sich auch organisatorische Herausforderungen und kritische Faktoren identifizieren. Der Umgang mit dem Pferd sollte nur im Einverständnis mit den Schüler: innen und Erziehungsberechtigten erfolgen, um sicherzustellen, dass die Schüler: innen sich auf das Vorhaben einlassen und über mögliche Risiken aufgeklärt sind. Außerdem können Allergien von Schüler: innen den Umgang mit dem Pferd erheblich einschränken oder sogar unmöglich machen und sollten, wenn möglich, vorher abgefragt werden. Die Durchführung eines schulischen Projekts mit Pferden erfordert zudem eine gute Erreichbarkeit des Pferdestalls in der Nähe der Schule. Hinzu kommt, dass die Haltung eines Pferdes mit hohen Kosten verbunden ist, was ebenfalls zu Einschränkungen führen kann, wenn nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Förderprogramme oder Sponsoren könnten mögliche Lösungsansätze sein, um schulorganisatorisch finanzielle Barrieren zu überwinden. Insgesamt sollten die Vorteile des pferdegestützten Lernens auf das Sozial- und Lernverhalten der Schüler: innen sichtbar sein, sodass ein Verpassen des regulären Unterrichts gerechtfertigt wird. In dem Schulprojekt Pferdestärken - Pferdestärken ist dies der Fall. Literatur ■ Cohen, J. (1992): Quantitative methods in psychology: A power primer. Psychol. Bull., 112, 155-159 ■ Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (FN). (2012a): „Was macht das Pferd mit uns? ‘‘ Implizite Studie zu Persönlichkeitsunterschieden zwischen Reitern und Nicht-Reitern für die Deutsche Reiterliche Vereinigung ■ Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (FN). (2012b): Pferde und Ponys im Kindergarten. Entwicklungsförderung durch den pädagogischen akzentuierten Einbezug von Pferden und Ponys im Kindergarten ■ Fend, H. (2005): Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Springer, Wiesbaden 122 | mup 3|2025 Wittschier, Wagner - Pferde stärken - Pferdestärken: Evaluation eines pferdegestützten Schulprojektes ■ Petermann, U., Petermann, F. (2014): Schülereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten: SSL, Manual. Hogrefe, Göttingen ■ Petermann, F., Wiedebusch, S. (2016): Emotionale Kompetenz bei Kindern (3. Überarb. Aufl.). Hogrefe, Göttingen ■ Stolz, I., Anneken, V., Froböse, I. (2022): Measuring Equine-Assisted Therapy: Validation and Cofirmatory Factor Analysis of an ICF-Based Standardized Assessment-Tool. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19, 1.27 ■ Stoppard, L., Donaldson, J. (2024): Evaluation of equine assisted learning in education for primary school children: a qualitative study of the perspectives of teachers. Front. Educ. 9: 1275280. doi: 10.3389 / feduc.2024.1275280 ■ Vernooij, M., Schneider, S. (2018): Handbuch der Tiergestützten Intervention. Grundlagen, Konzepte und Praxisfelder. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim ■ von Neumann-Cosel, I., Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (FN). (2023): Pferdeführerschein Umgang mit dem Pferd. Sicherheit - Verantwortung Tierwohl. 4. Auflage. FN Verlag, Warendorf Die Autorinnen Rachel Wittschier M. A. Rehabilitation und Gesundheitsmanagement, Reittherapeutin (IPTh), wissenschaftliche Mitarbeiterin & Promovendin an der Deutschen Sporthochschule Köln, Studiengangskoordinatorin Lehramt Sport Kim-Karina Wagner M. Ed. Sport & Mathematik, Assistenz im Paralympischen Reitsport, DOSB lizenzierte Trainerin B im Reitsport Anschriften Rachel Wittschier · Deutsche Sporthochschule Köln Am Sportpark Müngersdorf 6 · D-50933 Köln r.wittschier@dshs-koeln.de Aufbaubildungsgang zur staatlich geprüften Fachkraft für heilpädagogische Förderung mit dem Pferd DKThR 0 1970-2020 Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. Weiterbildung Qualitätssicherung in der pferdgestützten Therapie, Förderung und im Sport Medizin Psychotherapie Psychologie Pädagogik Sport Weiterbildung Qualitätssicherung in der pferdgestützten Therapie, Förderung und im Sport Medizin Psychotherapie Psychologie Pädagogik Sport Lorem ipsum Der neue Termin ist da! Nächster Start: 25. September 2025 in Bielefeld. Ende: 26. September 2027. • Dauer: zwei Jahre | Blended Learning Format • Berufsbegleitend in Form von zehn Modulen mit insgesamt 600 Lerneinheiten • Durchgeführt vom DKThR in Kooperation mit dem Friedrich v. Bodelschwingh Berufskolleg (Bielefeld) • Deutschlandweit ist das die einzige Weiterbildung in der pferdgestützten Therapie und Förderung mit einem staatlich geprüften Bildungsabschluss. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR) Bundesfachverband | www.DKThR.de Anzeige-Weiterbildung 2025 172x124.indd 1 Anzeige-Weiterbildung 2025 172x124.indd 1 26.02.25 14: 11 26.02.25 14: 11 Anzeige
